Da wir an dem Fall nicht weiterarbeiten konnten, solange uns Miss Caudle nicht weitere Indizien aus dem Notizbuch zukommen ließ, verging der Dienstag in einem Wirbel aus liegengebliebener Hausarbeit. Lady Farley-Stroud kam vorbei und berichtete, was in verschiedenen Dorfkomitees vorgefallen war.
Natürlich wollte sie Lady Hardcastle dazu überreden, sie zu unterstützen, aber meine Arbeitgeberin spielte die Ahnungslose und täuschte eine vollkommene Unfähigkeit vor, zwischen den Zeilen zu lesen. Lady Farley-Strouds umständliche Andeutungen stießen auf taube Ohren.
Beim Lunch bedrängte sie mich wegen meiner Wünsche für einen Geburtstagsausflug.
»Es ist nur noch einen Monat hin, weißt du? Wir sollten jetzt Pläne machen, sonst verschieben wir es wieder bis zur letzten Minute und machen schließlich irgendetwas, auf das du gar keine richtige Lust hast, nur um überhaupt irgendwas zu unternehmen.«
»Ein Abendessen und eine Varietévorstellung machen mir immer Spaß«, entgegnete ich. »Etwas Leichtes und Belangloses.«
Sie stöhnte auf.
»Ihre versnobte Missachtung der populären Unterhaltung steht Ihnen gar nicht gut zu Gesicht, wissen Sie? Sie glauben, dadurch wirken Sie kultiviert, dabei ist es einfach nur herablassend.«
»Aber … ich meine … wirklich. Es gibt ein Blumenmädchen oder eine Kellnerin oder eine Verkäuferin, die schöne Dinge an junge Männer verkauft, die sie für ihre Schwärme kaufen. Und die trifft dann einen schönen Duke oder einen Armeeoffizier oder irgendjemanden, der irgendetwas Wichtiges in der Stadt macht. Er verliebt sich Hals über Kopf in sie und verlässt für sie die junge Frau, die er seit Kindertagen zu lieben glaubte. Dann macht er ihr den Hof. Sie verliebt sich auch in ihn. Und dann … Oh nein, er ist einfach losgezogen und hat etwas furchtbar Dummes getan, was dafür sorgt, dass sie ihn nie wiedersehen will. Sie schmollt. Er schmollt. Aber Moment. Was ist das? Es war alles nur ein lächerliches Missverständnis? Ach, Gott sei Dank. Wahre Liebe siegt, und sie leben glücklich bis an ihr Lebensende. Oh, und begleitet wird das alles von einigen der schnulzigsten, banalsten, süßlichsten und unerträglichsten Lieder, die jemals, aus welchem stinkenden Höllenpfuhl musikalischer Abscheulichkeiten auch immer, in die Welt entlassen wurden.«
»Sie haben also nicht so richtig Lust darauf?«, fragte ich.
»Für dich, meine Liebe, würde ich sogar das schlimmste Stück von allen ertragen, vor allem an deinem Geburtstag. Natürlich nur, solange es am Ende ein fürstliches Mahl und ein paar Flaschen Prickelwasser gibt.«
»Natürlich«, entgegnete ich. »Ich denke also darüber nach – danke. Vielleicht gibt es irgendeine Vorführung, die Ihre Meinung ändern kann.«
»Das ist doch die richtige Einstellung: nie vor einer Herausforderung zurückzuscheuen.«
Nach dem Essen gingen wir jeweils unserer Wege, sie an ihre geheimnisvolle Arbeit im Studio und ich zu meiner eher alltäglichen Garderobeninstandhaltung. Das dauerte allerdings nicht lange, und als ich sichergestellt hatte, dass Edna und Miss Jones keine Hilfe brauchten, war es mir bald vergönnt, mich mit einem Buch in den Salon zurückzuziehen.
Die Zeit für den Tee kam und ging ohne besondere Vorkommnisse wieder. Als Edna und Miss Jones sich schließlich für den Tag verabschiedet hatten, die Lampen angezündet und frische Scheite in den Kamin gelegt worden waren, dachte ich ernsthaft darüber nach, die Türen abzuschließen und es mir bei einem ruhigen Abend zu Hause gemütlich zu machen. Inspektor Sunderland hatte anscheinend für meine Pläne nichts übrig.
Kurz vor sechs klingelte es an der Tür. Ich öffnete, und vor mir auf der Schwelle stand ein gut gelaunter Polizeiinspektor.
»Guten Abend, Miss Armstrong. Ob ich wohl für einen Moment hereinkommen dürfte? Ich habe Neuigkeiten.«
»Ich glaube, Lady Hardcastle bevorzugt Besucher mit Geschenken. Aber Neuigkeiten tun es auch. Bitte, treten Sie doch ein.«
Ich nahm ihm den nieselfeuchten Hut und den Mantel ab, unter dem er einen deutlich schäbigeren Anzug trug, als ich es von ihm gewohnt war. Ich verkniff mir einen Kommentar und führte ihn in den Salon, wo Lady Hardcastle mit ihrer neuesten Klavierkomposition experimentierte – einer kompliziert synkopierten Ragtime-Melodie.
»Der Inspektor ist hier, Mylady«, sagte ich.
Sie spielte bis zum Ende der Phrase, bevor sie sich umdrehte und ihn begrüßte: »Guten Abend, Inspektor. Was für eine wunderbare Überraschung! Setzen Sie sich doch. Welchem Umstand haben wir denn dieses unerwartete Vergnügen zu verdanken?«
»Tut mir leid, dass ich nicht vorher angerufen habe, aber ich habe Neuigkeiten von der Brandstiftung in der Thomas Street«, sagte er, als er sich setzte. »Oder wenigstens Neuigkeiten darüber, wo Neuigkeiten zu finden sein könnten.«
»Sie sind ein Geschenk der Götter, mein lieber Freund«, sagte Lady Hardcastle. »Wir sind bei jeder Wendung weiter verwirrt worden und haben allmählich schon gedacht, dass Miss Elizabeth Worrel aus Redland am Ende doch schuldig sein könnte. Was sind das denn für Neuigkeiten? Wo kann man sie finden? Wann können wir sie bekommen? Muss irgendjemand dafür verprügelt werden? Meine Geschäftspartnerin hier hat sich darauf spezialisiert, Taugenichtsen eins überzubraten.«
Er kicherte. »Ich glaube, dass ich unabsichtlich über einen der fehlenden Zeugen aus der Tatnacht gestolpert sein könnte. Sie erinnern sich doch daran, dass die örtlichen Kollegen alle zusammengetrieben und jeden Einzelnen befragt haben, der sich am Tatort aufgehalten hat? Und Sie erinnern sich auch daran, mich gefragt zu haben, ob irgendjemand vor der Befragung die Biege gemacht haben könnte?«
»Ja«, bestätigte ich.
»Genau. Nun, einer meiner regelmäßigen Informanten trinkt gern im Court Sampson, und ich glaube, dass er auch in jener Nacht dort gewesen ist. Wie ich Wiesel kenne, hat er sich wahrscheinlich gleich aus dem Staub gemacht, sobald irgendjemand die Polizei und die Feuerwehr erwähnt hat. Ich schätze, er war schon zur Tür raus, als das Wort Polizei erst halb ausgesprochen war. Aber er hat mir mitteilen lassen, dass er etwas weiß.«
»Ist das dasselbe Wiesel, mit dem wir Sie neulich bei Crane gesehen haben?«, fragte ich.
»Ach ja, der ist es. Das hatte ich schon ganz vergessen. Jesse, das Wiesel, Weaver.«
»Ist er denn ein zuverlässiger Zeuge?«, fragte Lady Hardcastle.
»Generell würde ich ihm nicht weiter über den Weg trauen, als ich Ihr Klavier werfen kann, aber dennoch führt er mich nur selten in die Irre. Ihm liegt nur sein eigenes Wohlergehen am Herzen, und er begreift, dass es sich finanziell lohnt, mich mit korrekten Informationen zu versorgen. Wenn er irgendetwas Nützliches gesehen hat, sagt er es uns. Für einen angemessenen Preis.«
»Dann müssen wir uns sofort mit ihm treffen«, sagte Lady Hardcastle. »Wenn er vor dem Brand dort gewesen ist und irgendetwas beobachtet hat, könnte er der Schlüssel zu dieser ganzen Angelegenheit sein. Wo ist er denn gerade? Im Court Sampson?«
»Das sollten wir, es ist möglich, und genau dort wird er sich zweifellos aufhalten«, antwortete der Inspektor. »Ich habe mich jedenfalls da mit ihm verabredet. Aber ich muss Sie leider mit allem Respekt darum bitten, nicht mitzukommen, Mylady. Ich hätte gern ein zweites Paar Augen und Ohren dabei, vermute aber, dass Miss Armstrong viel besser auf die Thomas Street passt. Ich selbst treffe mich mit Wiesel in der Öffentlichkeit auch stets unter falschem Namen und mit einer falschen Identität.«
Er zeigte auf seinen verlotterten Anzug und die abgetragenen Schuhe.
»Natürlich, natürlich«, stimmte sie zu. »Genau deshalb waren sie und ich in unseren Tagen als Spioninnen ja so erfolgreich – wir konnten jeweils ohne Aufsehen zu erregen an bestimmten Orten auftauchen, wo die andere unerwünschte Aufmerksamkeit erregt hätte. Was sagst du, Winzling? Bist du dabei?«
»Immer doch. Soll ich mich umziehen?«
»Etwas ein wenig …« Dem Inspektor schien kein geeignetes Wort einzufallen.
»Flittchenhafteres?«, schlug ich vor.
»Ich kann mir kaum vorstellen, dass Sie etwas Flittchenhaftes in Ihrem Kleiderschrank haben«, erwiderte er und errötete leicht. »Aber vielleicht ein bisschen … proletarischer.«
»Überlassen Sie das ruhig mir«, sagte ich.
»Wäre es möglich, dass Sie uns mit Ihrem eigenen Automobil folgen, Mylady?«, fragte der Inspektor. »Ich habe danach noch etwas in der Stadt zu erledigen, und es wäre mir eine große Hilfe, wenn ich Miss Armstrong nach dem Treffen nicht erst wieder nach Hause bringen müsste.«
»Donnerwetter, was für ein Spaß!«, rief sie. »Ich bin dann einfach deine Zuhälterin, die dich abholt und zu deinem nächsten Kunden bringt.«
»Ich bin nicht ganz sicher, wie ich von dem zweiten Paar Augen und Ohren des Inspektors zu einer Bordsteinschwalbe geworden bin«, sagte ich. »Lässt sich Ihre Figur, die sich mit Spitzeln trifft, etwa mit professionellen Mädchen ein, Inspektor?«
»Ich würde es ihm zutrauen«, erwiderte er mit einem weiteren Kichern. »Aber ich glaube, dass es für uns beide angenehmer ist, wenn Sie einfach seine neue Freundin wären.«
»Das geht auch. Er wäre wirklich der glücklichste Mann in der ganzen Stadt, wenn sich Nelly Maybee – mit Doppel-e – bei ihm untergehakt hätte.«
»Nelly wer?«, fragte er.
»Das ist ihr neuester Deckname«, erklärte Lady Hardcastle. »Ermutigen Sie sie bloß nicht zu sehr, sonst werden Sie in die skurrilen Märchen über Bagatelldelikte und Prostitution in den Slums von Cardiff hineingezogen. An einer Stelle ging es, meine ich, sogar um Taschendiebstahl.«
»Sie ist jetzt ein anderer Mensch«, sagte ich in meinem besten Akzent aus den walisischen Valleys. »Sauber und mustergültig arbeitet sie inzwischen als Schneiderin.«
»Sehen Sie?«, sagte Lady Hardcastle. »Unsere Flo geizt nie mit der vollen Lebensgeschichte ihrer Figuren.«
»Man darf die Details nicht vernachlässigen«, sagte ich. »Brauchen Sie Hilfe beim Anziehen Ihrer Fahrkleidung?«
»Ich denke, das kriege ich schon hin. Ich nehme deine auch mit. Warum zuckelt ihr beide nicht schon los, sobald du fertig bist, und ich warte dann auf der Bristol Bridge auf dich?«
»Das hört sich doch nach einem Plan an«, sagte Inspektor Sunderland.
»Geben Sie mir nur fünf Minuten, damit ich mich in etwas weniger Dienstbotenhaftes werfe«, sagte ich, »dann können wir sofort losfahren.«
Die Fahrt in die Stadt hinein mit Inspektor Sunderland ließ Lady Hardcastles leichtsinnigen Fahrstil wie den einer nervösen unverheirateten Tante erscheinen, die eine Klasse Sonntagsschülerinnen zu einem Ausflug ans Meer mitnimmt. Das Polizeiauto war um einiges leistungsstärker als unser eigenes, und er fuhr es mit einer drängenden Aggressivität, die mich dazu veranlasste, mich zwecks Unterstützung sowohl am Armaturenbrett als auch am Türgriff festzuklammern.
»Haben wir es eilig?«, fragte ich betont leutselig, als die Reifen in einer unerwartet scharfen Kurve durchdrehten.
»Nicht besonders«, erwiderte er und riss dann heftig das Steuer herum, um einem Mann auszuweichen, der mit einer Laterne in der einen Hand und einem ausladenden Sack in der anderen am Straßenrand entlangging. »Warum?«
»Ach nichts«, antwortete ich. »Ich hoffe nur, dass Lady Hardcastle hinterherkommt.«
»Sie hat sich eine kurze Weile tapfer geschlagen«, sagte er und warf einen Blick in den Rückspiegel. »Aber jetzt haben wir sie abgeschüttelt. Sie ist allerdings eine ziemlich gute Fahrerin.«
»Hm«, machte ich und entschloss mich, dieses Thema nicht weiter zu vertiefen.
Für die Fahrt brauchten wir deutlich kürzer als normalerweise, und ich begann allmählich, die Vorteile eines leistungsstärkeren Motors zu erkennen. Weniger dem Wetter ausgesetzt zu sein war ebenfalls angenehm, und als wir die Bristol Bridge erreichten, war mir deshalb auch deutlich wärmer als sonst.
Um unserer Tarnung willen hatten wir das Auto ein paar Straßen vom Pub entfernt abgestellt und unsere Reise zu Fuß fortgesetzt – untergehakt und ein bisschen torkelnd. Einfach nur ein beschwipstes Pärchen, das zusammen ausging.
»Ich habe ganz vergessen, Sie zu fragen«, sagte ich, als wir uns dem ausgebrannten Geschäft auf der Thomas Street näherten, »wie Ihr Name lautet.«
»Mein Name? Sie kennen doch meinen Na… Ach, jetzt hab ich Sie verstanden. Tut mir leid. Ich bin Eddie, wenn ich in geheimer Mission unterwegs bin. Eddie Marsh.«
»Ich dachte mir einfach nur, dass Ihre neue Freundin wahrscheinlich Ihren Namen kennen müsste, das ist alles. Sehr erfreut, Eddie.«
Wir kamen an die Tür des Court Sampson Inn. Das Gebäude war alt und hätte einen neuen Anstrich gut gebrauchen können. Das Schild davor gab an, dass es den »Bristoler Vereinigten Bierbrauern« gehörte, und versprach »helles Bier, Altbier und Stout«. Wir traten ein.
Es war ein ziemlich verwahrloster Pub wie Dutzende andere im ganzen Land. Der mit Sägespänen bestreute Boden war von den Nägeln Tausender Stiefel zerkratzt, und die einstmals weiße Decke war voller brauner Flecken vom Rauch aus tausend Pfeifen. Die Männer an den Tischen tranken ihr Bier und wirkten grob und zerknittert. Die Frauen, die manche von ihnen begleiteten, waren sogar noch grober, aber die Knitterfalten wurden durch ihre Rundlichkeit ausgebügelt.
Beim Eintreten erregten wir wenig erkennbare Aufmerksamkeit, aber ich bemerkte, wie sich uns verstohlen mehrere Augenpaare zuwandten. Wir waren zwar Fremde, schienen aber die richtige Art Fremde zu sein, sodass die Blicke von uns abglitten und alle ihre Spiele und Gespräche wiederaufnahmen.
Der Inspektor stupste mich an. »Da ist Wiesel«, sagte er leise und nickte in Richtung eines Tisches im hinteren Teil des Schankraums. Ich erkannte den Mann wieder, den wir bei Crane in Clifton sich mit dem Inspektor hatten unterhalten sehen. Er spielte mit einem älteren Mann Domino und hatte uns bereits bemerkt.
Als wir näher kamen, sagte er: »Also gut, Bernie, beweg deinen Hintern, ich hab jetzt was Geschäftliches zu besprechen.« Er war nicht von hier. Sein Akzent deutete auf das Londoner East End hin.
Der alte Mann strich sich den beeindruckenden weißen Bart glatt, machte aber keine Anstalten, sich zu verziehen.
»Keine Sorge«, beruhigte ihn Wiesel, »ich schau schon nicht, was du hast. Und Eddie hier passt solange auf deine Dominosteine auf, oder, Eddie?«
Der Inspektor nickte und brummte als Zeichen seines Einverständnisses.
»Besser kann man es nicht sagen, oder?«, fragte Wiesel, und der alte Mann zog sich widerstrebend zurück und nahm sein Glas Rum mit.
»Setz dich, Eddie«, lud Wiesel ihn ein. »Und deine Freundin auch. Ich glaube, ich hatte noch nicht das Vergnügen.«
»Das ist Nelly«, stellte mich der Inspektor vor. »Nelly, das ist Jesse Weaver.«
»Aber meine Freunde nennen mich Wiesel«, fügte er hinzu und streckte mir die Hand entgegen.
»Freut mich«, erwiderte ich und übertrieb meinen Akzent.
»Eine Waliserin, hm?«, fragte Wiesel. »Hier gibt’s eine Menge von euch.«
»Bessere Arbeitsmöglichkeiten.«
»Horizontales Gewerbe?«, fragte er mit einem anzüglichen Grinsen.
Ich lehnte mich zu ihm hinüber und sagte in ruhigem Ton: »Ich will ja nicht, dass wir einen schlechten Start miteinander haben, mein Lieber, immerhin bist du ja ein Freund von Eddie und so, aber noch so eine Andeutung von dir, und du brauchst einen sehr geschickten Chirurgen, um die Dominos da wieder rauszuholen, wo ich sie dir reinschiebe. Haben wir uns verstanden?«
Er lachte – ein raues Gackern. »Da hast du dir aber eine mit Temperament angelacht, Eddie, mein Junge.«
»Du machst dir keine Vorstellung«, erwiderte der Inspektor. »Behandle sie gut, Wiesel, oder sie bringt dich schneller dazu, nach deiner Mutter zu winseln, als du blinzeln kannst.«
Wiesel grinste und nickte.
»Lass mich dir noch einen Drink spendieren«, sagte der Inspektor. »Was willst du?«
»Ich nehm noch eins von ihren Altbieren. Man muss sich ja anpassen und so.«
»Für mich einen Brandy, wie immer«, sagte ich.
»Du hast nicht nur Feuer, sondern auch Klasse«, sagte Wiesel anerkennend. »Warum treff ich nie ein Mädchen wie dich?«
»Keine Ahnung«, entgegnete ich. »Dabei bist du doch so ein netter Kerl.«
Er musste wieder lachen.
Dann sagten wir nichts weiter, bis der Inspektor mit unseren Getränken zurückkam.
»Macht ihr euch gerade miteinander bekannt?«, fragte er mit einem Stirnrunzeln und stellte die Gläser ab.
»Wir kommen vorzüglich miteinander aus, oder, Liebling?«, sagte Wiesel.
Ich zog nur eine Braue hoch.
Der Inspektor setzte sich hin und legte dann ein paar Schilling auf den Tisch, als wäre es sein Wechselgeld von der Bar. Beim Sprechen spielte er mit den Münzen.
»Also, was hast du für mich, Wiesel?«, fragte er dann ruhig.
»Hast du’s eilig?«, erwiderte der Informant.
»Das werd ich immer wieder gefragt«, sagte der Inspektor. »Wahrscheinlich schon. Ich hab immer was Besseres zu tun, als dir hinterherzujagen. Und du weißt ja, wie sehr ich es hasse, meine Zeit zu verschwenden. Also ja, sagen wir einfach, ich hab’s eilig.«
»In Ordnung, schon gut, reg dich nicht auf, ich mach ja nur Spaß. Ich hab dich doch noch nie in die Irre geführt, oder? Ich verplemper deine Zeit nicht. Das alte Wiesel bringt’s doch immer.«
»Irgendwann schon«, sagte der Inspektor und tippte mit einer Münze auf den bierfleckigen Tisch.
»In Ordnung«, sagte Wiesel und hob die Hände. »Ich hab gehört, dass du das Feuer nebenan untersuchst. Hab gehört, dass du dich drüber aufgeregt hast, dass ein paar Leute unten im Bridewell glauben, alles schon ordentlich unter Dach und Fach gebracht zu haben.«
»Haben sie recht?«
»Über die Suffragette?«, fragte Wiesel listig. »Wahrscheinlich schon.«
»Warum sagst du das?«
»Ich hab sie in der Nacht hier gesehen. Dunkler Mantel, großer Hut. Sie hat da drüben in der Ecke gesessen, wo das Licht nicht so grell ist. Aber ich konnte erkennen, dass sie ein weißes Kleid und weiße Schuhe anhatte, wie die alle. Verstehst du?«
»Verstehe.«
»Sie hatte ’ne große Tasche dabei. Wie den Seesack von ’nem Matrosen. Und um ungefähr Viertel nach elf hat sie dann ausgetrunken, sich die große Tasche auf die schmalen Schultern gewuchtet und ist in die Dunkelheit verschwunden.«
»Hast du ihr Gesicht gesehen?«, fragte der Inspektor.
»Nein, sie hat im Schatten gesessen und die ganze Zeit den Kopf unten gehalten. Hab nur ihren Hut gesehen.«
»Hat sie sich mit irgendwem unterhalten?«
»Nein, sie hat einfach nur allein für ungefähr ’ne halbe Stunde dagesessen, dann ist sie aufgestanden und gegangen.«
»Das könnte schon Worrel gewesen sein«, überlegte der Inspektor.
»Könnte jede Suffragette gewesen sein«, warf ich ein. »Eine Frau in einem weißen Kleid, mit weißen Schuhen, deren Gesicht keiner gesehen hat, könnte eine von Tausenden von Frauen sein.« Ich blieb kurz in Gedanken versunken sitzen. Nach einer Weile sagte ich: »Beschreib mir ihre Schuhe.«
»Sie waren weiß«, antwortete er. »Weiße Schuhe, wie sie manche von den Suffragetten tragen.«
»Einfach nur weiß?«, hakte ich nach.
»Was? Ja, einfach nur … Nein, warte mal, du hast recht. Nein, war’n sie nicht. Da waren Blumen draufgestickt. Gänseblümchen. Ich hab ihr nachgeschaut, als sie gegangen ist, da sind sie mir aufgefallen. Weiße Schuhe mit Gänseblümchen.«
Inspektor Sunderland fügte dem kleinen Stapel Wechselgeld noch ein paar Münzen hinzu, und wir ließen Wiesel wieder zu seinen Dominosteinen zurückkehren.
Als wir wieder draußen auf der Straße waren, sagte der Inspektor: »Sie wissen, wer die Frau gewesen ist, nicht wahr?«
»Ich weiß auf jeden Fall, wer weiße Schuhe mit aufgestickten Gänseblümchen trägt«, bestätigte ich. »Sie steht auf unserer Maulwurfsverdachtsliste.«
»Auf Ihrer was?«
»Einer der Neuzugänge der Suffragetten ist eigentlich Mitglied bei der Nationalen Frauenliga gegen das Frauenwahlrecht. Die betreffende Person hat Einzelheiten der Details der Pläne der WSPU sowohl an die Frauenliga als auch an die Männerliga gegen Sinn und Verstand weitergegeben.«
»Sie meinen sicher die Männerliga gegen das Frauenwahlrecht«, sagte er mit einem kurzen Lachen.
»Das kommt doch auf dasselbe heraus. Von all den Frauen, die der WSPU gegen Ende letzten Jahres beigetreten sind, sind nur drei dabeigeblieben: Lizzie Worrel, Beattie Challenger und Marisol Rojas. Eine von ihnen, so viel wussten wir – oder meinten wir immerhin zu wissen – , war der Maulwurf. Am naheliegendsten war Lizzie Worrel, gefolgt von der Chilenin – keine von uns versteht irgendetwas von südamerikanischer Politik, wer weiß also, was ihre Beweggründe sein könnten? Aber die krasse Außenseiterin – wenigstens für mich – war ein käsiger Klumpen Nichts, der auf den Namen Beatrice Challenger hört. Eine so langweilige und unaufdringliche Frau, dass es einem oft schwerfällt, sich zu erinnern, ob sie überhaupt da gewesen ist. Nur einmal hat sie etwas wie einen Funken Lebhaftigkeit gezeigt, nämlich als sie die Polizei kritisiert hat. Abgesehen davon, dass sie eine Frau ist, ist das einzig andere Interessante an ihr, dass sie sehr schöne weiße Lederschuhe trägt, die mit Gänseblümchen bestickt sind.«
»Und was ist ihr Motiv für die Brandstiftung?«
»Die WSPU in Verruf zu bringen, indem sie die Waffenruhe gebrochen hat.«
»Das ist ein bisschen wackelig«, sagte er. »Haben Sie noch irgendwelche anderen Beweise als die Tatsache, dass Wiesel sich an die Gänseblümchen erinnert?«
»Zu diesem Zeitpunkt noch gar keine«, räumte ich ein. »Und all unsere Beweise stammen ohnehin aus dem verschlüsselten Notizbuch des toten Journalisten.«
»Es passt jedenfalls alles zusammen. Ich habe mich schon gefragt, wie der Hauptkommissar herausgefunden hat, dass ich mich nach der Arbeitszeit noch mit diesem Fall befasse. Ich habe sehr darauf geachtet sicherzustellen, dass alle meine Ermittlungen diskret ablaufen, und unsere Treffen habe ich so spärlich wie möglich gehalten. Eigentlich konnte niemand wissen, dass ich mich überhaupt dafür interessiere. Aber Wiesel hatte recht – ich bin ziemlich stark unter Druck gesetzt worden. Und jetzt weiß ich auch, woher die Information stammte.«
»Danke, dass Sie unseretwegen so viel Ärger in Kauf genommen haben«, sagte ich. »Und danke, dass Sie mich heute Abend mitgenommen haben.«
»Lady Hardcastle und Sie bedeuten für mich niemals Ärger. Na ja, wenigstens keinen großen Ärger.«
»Wir geben uns Mühe«, erwiderte ich. »Unser Problem ist jetzt allerdings – und ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie uns auf diesen Punkt mehr als einmal hingewiesen haben – , dass etwas zu wissen und es auch beweisen zu können zwei vollkommen unterschiedliche Dinge sind.«
»Das stimmt leider. Aber wenn irgendjemand einen Weg findet, diese Challenger-Dame in die Falle zu locken und die nötigen Beweise zu finden, um sie zu verhaften, dann würde ich jederzeit auf Sie und Lady Hardcastle wetten.«
»Das ist zu freundlich«, entgegnete ich. »Obwohl unsere oberste Priorität bleibt, Lizzie Worrel freizubekommen.«
»Natürlich, aber das eine folgt ja aus dem anderen. Da wären wir.«
Wir waren an der Bristol Bridge angekommen, wo der kleine Rover unter einer Straßenlaterne parkte. Ein gut gekleideter Mann lehnte betrunken an der Kühlerhaube. Anscheinend hatte er sich mit Lady Hardcastle unterhalten.
»Ah«, rief sie, als wir näher kamen, »da ist sie ja. Dieser Herr wollte wissen, wie teuer eine Stunde in deiner Gesellschaft wohl ist.«
»Sagen Sie ihm, dass er sich mich nicht leisten kann«, sagte ich und ging um ihn herum, um ins Auto einzusteigen.
»Hab ich gemacht, aber er ist ziemlich hartnäckig.« Die Sache machte ihr ganz offensichtlich Spaß.
Ich hatte es beinahe schon ins Automobil geschafft, als der Mann mich am Arm packte und sagte: »Komm schon, Schätzchen. Wenigstens einen Kuss. Sei nicht so hochnäsig.«
Das Wort »hochnäsig« klang allerdings eher wie hoiiiiikrch, weil ich ihn auf den Rücken warf. Seine Hand hatte ich noch fest im Griff und verdrehte ihm jetzt den Arm.
»Schäm dich, Liebling«, sagte ich in Nellys breitem Valleys-Akzent. »Du solltest Frauen wirklich mit ein bisschen mehr Respekt behandeln.«
»Das … das … das wirst du mir verdammt noch mal büßen. Haben Sie gesehen, was sie gemacht hat?«, wandte er sich an den Inspektor. »Sie haben es gesehen. Ich werd Sie als v-v-verdammten Zeugen aufrufen.«
Ich verdrehte ihm den Arm noch etwas stärker, sodass er aufjaulte.
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, sagte der Inspektor. »Ich habe gar nichts gesehen. Aber sie hat schon recht, wissen Sie – Sie sollten Frauen mit deutlich mehr Respekt behandeln.«
Ich ließ den Arm des Mannes los und stieg in den Rover, während der Inspektor charmanterweise den Motor für uns ankurbelte. Der Mann rappelte sich wieder auf die Füße, stützte sich dabei mit dem heilen Arm an der Seite des Rover ab.
»Das mein ich ernst«, rief er. »Das werden Sie mir büßen. Ich werd mir hier irgendwo einen Bullen suchen, und dann werden Sie alle büßen.«
Der Inspektor zückte seinen Dienstausweis.
»Sie haben einen gefunden«, sagte er und hielt den Ausweis hoch. »Und falls Sie mich nicht ins Bridewell begleiten und wegen öffentlicher Ruhestörung angezeigt werden wollen, würde ich Ihnen empfehlen, Leine zu ziehen.«
»Aber … aber …«, stammelte der Mann entsetzter und frustrierter denn je. »Sie haben doch gesehen, wie sie mich angegriffen hat.«
»Ich habe auch gesehen, dass Sie eine Lady und ihre Zofe beleidigt haben, indem Sie insinuierten, sie seien gewöhnliche Prostituierte. Wenn Sie auf einer Anzeige bestehen, werde ich die Wahrheit sagen müssen, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit.«
Der Mann machte noch einen halbherzigen Ausfallschritt auf mich zu, aber der Inspektor stellte sich ihm in den Weg.
»An Ihrer Stelle würde ich mich jetzt wirklich auf den Weg machen, Sir. Ich würde gar nicht gern mitansehen, was sie mit Ihrem anderen Arm noch anstellen kann, wenn ich sie noch mal auf Sie loslasse.«
Ein paar Verwünschungen murmelnd und sich die verrenkte Schulter massierend, verzog sich der Mann.
»Sie beide sollten sich jetzt auch auf den Weg machen«, sagte der Inspektor lächelnd. »Bevor Sie noch mehr Ärger machen.«
Fröhlich winkend, fuhren wir Richtung High Street und Stadtzentrum davon.
Unter Missachtung all der langweilig einschränkenden Benimmregeln entschieden wir uns nachzusehen, ob Lady Bickle zu Hause war. Eigentlich war es schon viel zu spät für einen unangekündigten Besuch, und es bestand eine nicht unbedeutende Chance, dass sie ohnehin nicht zu Hause war, aber wir dachten uns, dass es den Versuch wert wäre. Ich hatte Lady Hardcastle erzählt, was wir von Wiesel erfahren hatten, und sie war erpicht darauf, die Neuigkeiten sofort zu teilen.
Wir klingelten und waren nur leicht verwundert, als Williams uns hereinbat und sagte, wir sollten direkt in den Salon mitkommen. Er ging voran, öffnete die Tür und führte uns ohne ein weiteres Wort hinein.
Lady Bickle saß am Klavier und stand bei unserem Eintreten sofort auf. Zwei Männer hatten es sich in Sesseln bequem gemacht, einen von ihnen kannte ich – es handelte sich um Lady Hardcastles Freund Dr. Simeon Gosling.
»Wie ungewöhnlich und wunderbar, Sie beide zu sehen«, rief Lady Bickle. »Willkommen. Gerade haben wir uns über Sie unterhalten, und schon sind Sie da.«
»Hallo«, erwiderte Lady Hardcastle. »Sie können uns doch aber unmöglich erwartet haben. Sicher nicht.«
»Was meinen Sie, meine Liebe? Ach, wegen Williams. Nein, nicht wirklich. Ich habe ihm nur eingeschärft, dass er Sie, wann auch immer Sie vorbeischauen würden, hereinlassen und ohne Umschweife zu mir bringen soll.«
»Das ist beruhigend – kurz habe ich mich gefragt, ob es wohl noch einen Spion gibt.«
»Nein«, kicherte Lady Bickle. »Wir wollen es doch nicht übertreiben. Aber jetzt hören Sie nur, wie ich hier herumplappere, dabei habe ich Sie noch gar nicht einander vorgestellt. Das aberwitzig gut aussehende Individuum auf dem Sofa ist mein Ehemann Ben. Ben, Liebling, das ist Emily, Lady Hardcastle und ihre … ihre Freundin. Ich wollte schon Kammerzofe sagen, aber ich kenne sie jetzt schon seit fast einem Monat, und sie ist so viel mehr als das. Ach, und ihren Namen habe ich auch noch nicht genannt. Florence Armstrong. Oder bevorzugen Sie Flo?«
»Beides ist in Ordnung, Mylady«, antwortete ich. »Tatsächlich nennt meine Mutter mich Flossie, aber die meisten bleiben bei Flo.«
»Dann guten Abend, Emily, und guten Abend, Flo«, begrüßte uns Sir Benjamin. Er war, wie wir uns das gedacht hatten, ein gutes Stück älter als seine Frau, aber er hatte dieselbe jungenhafte Ausstrahlung wie sein Freund, der Gerichtsmediziner neben ihm.
»Und den anderen Schurken kennen Sie, glaube ich.«
»Hallo, altes Mädchen«, sagte Dr. Gosling. »Schön, dich hier zu sehen.«
»Die Freude ist ganz meinerseits«, erwiderte Lady Hardcastle.
»Was verschafft uns denn das Vergnügen?«, fragte Lady Bickle. »Gibt es aufregende Neuigkeiten?«
»Eher interessant als aufregend, würde ich sagen«, antwortete Lady Hardcastle. »Aber Neuigkeiten sind es.«
»Dann müssen wir uns sofort zurückziehen und die Jungs für ein paar Augenblicke sich selbst überlassen. Entschuldigt uns bitte, meine Herren.«
Sie führte uns durch die Tür in etwas, was wie ein Wohnzimmer aussah.
»Wir haben leider bereits gegessen«, sagte sie. »Aber bleiben Sie doch bitte, und verbringen Sie den restlichen Abend mit uns. Ben und Simeon werden gern ein bisschen albern, wenn sie zusammen sind, also wäre es nicht schlecht, ein oder zwei Alliierte zu haben.«
»Wir sind zwar wirklich nicht dafür angezogen«, sagte Lady Hardcastle, »aber wenn Sie uns so aufnehmen, würde ich das auf jeden Fall gern tun. Flo?«
»Natürlich«, stimmte ich zu. »Es wäre eine wunderbare Art der Abendunterhaltung.«
»Dann ist das entschieden«, sagte Lady Bickle. »Also, was gibt es für Neuigkeiten?«
»Flo ist gerade im Court Sampson Inn gewesen«, erklärte Lady Hardcastle, »in Begleitung unseres lieben Freundes Inspektor Sunderland. Das ist der Grund für ihren ungewöhnlich nachlässigen Aufzug.«
»Flittchenhaft war das Wort, das wir benutzt hatten, glaube ich«, warf ich ein.
»Wie du meinst, Liebes. Aber das sind alles nur Nebensächlichkeiten. Sie haben dort einen Informanten des Inspektors getroffen, anhand dessen Augenzeugenbericht von dem Abend des Feuers sie herausgefunden haben, dass die verantwortliche Person – und so gut wie sicher auch der Maulwurf in Ihrem Suffragettengarten – niemand anderes ist als …«
Eine enervierend lange Pause entstand.
»Ich habe heute Abend einem Mann schon fast die Schulter ausgekugelt, Mylady«, warnte ich. »Ich bin ganz gewiss nicht in der Stimmung für solche Lächerlichkeiten. Und Lady Bickle hat einen Gast, also kommen Sie zum Punkt.«
»Ich wollte eine Atmosphäre dramatischer Spannung erzeugen«, entgegnete sie. »Der Grund für all Ihr Unglück ist Beattie Challenger.«
»Ich kann nicht behaupten, dass mich das besonders überrascht«, entgegnete Lady Bickle. »Ich bin recht enttäuscht, aber nicht überrascht. Ich weiß nicht, warum, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass es eine der beiden anderen sein sollte.«
»Tatsächlich?«, fragte Lady Hardcastle. »Ich war mir sicher, dass es eine der anderen beiden sein würde. Challenger ist so … so …«
»Fade?«, schlug ich vor.
»Genau das. Danke.«
»Ich glaube, dass ich ihr aus ebendiesem Grund nie voll und ganz getraut habe«, erklärte Lady Bickle. »Wie kann jemand nur auf so öde Weise gewöhnlich sein? In der Frau steckt kein Funke Leben. Wenigstens ist keiner erkennbar. Jetzt ist offensichtlich, dass sie alles nur vorgespielt hat. Allerdings bleibt die Frage: Wie sollen wir vorgehen?«
»Dasselbe Gespräch habe ich mit dem Inspektor geführt«, sagte ich. »Wir müssen einen Beweis für ihre Schuld finden oder uns etwas anders ausdenken, wie wir sie zu einem Geständnis zwingen können. Das wird nicht einfach.«
»Überhaupt nicht«, stimmte Lady Hardcastle zu. »Ich schlage vor, dass wir zunächst so vorgehen, dass wir überhaupt nicht vorgehen. Was auch immer passiert, wir dürfen auf keinen Fall erkennen lassen, dass wir wissen, was sie vorhat.«
»Und da wir gar nicht das ganze Ausmaß dessen kennen, was sie vorhat, ist das sogar noch wichtiger«, pflichtete ich ihr bei. »Wir dürfen ihr keinen Hinweis darauf geben, dass sie enttarnt ist, bevor wir nicht alles erfahren haben, was es zu wissen gibt.«
»Sie haben meine volle Zustimmung«, sagte Lady Bickle energisch.
»Wir haben kaum Erfahrung darin herauszufinden, was Leute vorhaben«, sagte Lady Hardcastle. »Also sollten wir uns vielleicht in unseren ländlichen Unterschlupf zurückziehen und schauen, was uns einfällt. Wenn Sie in der Zwischenzeit irgendeine Idee haben, rufen Sie uns bitte an.«
»Das werde ich ganz bestimmt«, erwiderte Lady Bickle. »Aber sollen wir uns jetzt vielleicht wieder zu den Jungs setzen? Ich bin mir sicher, dass sie uns schon furchtbar vermissen.«
Also gesellten wir uns zu »den Jungs«, denen kaum aufgefallen war, dass wir überhaupt weg gewesen waren.
Bei unserem Eintreten sagte Sir Benjamin gerade: »… hab ich versucht, es mit einer Geburtszange wieder reinzudrücken.«
Das war ganz offenbar unglaublich komisch, und das viele Lachen versetzte die beiden Männer in einen hilflosen Zustand.
»Hallo, Liebling«, sagte Sir Benjamin, als sie sich wieder beruhigt hatten. »Habt ihr eure Besprechung beendet?«
»Haben wir. Mögen die Spiele beginnen.«
»Beginnen«, kiekste Dr. Gosling, und sie prusteten wieder los.
»Ich habe Emily und Flo eingeladen, noch ein bisschen zu bleiben«, sagte Lady Bickle. »Ich dachte, wir könnten irgendetwas spielen.«
»Kennst du irgendwelche Kartenspiele für fünf?«
»Ein paar schon«, antwortete Sir Benjamin. »Aber ein Ratschlag für Sie alle: Spielen Sie nie mit meiner Frau. Sie knöpft Ihnen das letzte Hemd ab.«
»Mir wahrscheinlich schon«, sagte Dr. Gosling. »Aber bei unserer Emily bin ich mir da nicht so sicher. Hast du mir nicht mal erzählt, dass du ein deutsches Bordell beim Poker gewonnen hast, altes Mädchen?«
»Die freie Benutzung eines Bordells, mein Lieber«, korrigierte ihn Lady Hardcastle. »Und einen Riesenhaufen Geld.«
»Da hast du’s«, sagte Dr. Gosling. »Ich glaube, wir sollten um Streichhölzer spielen.«
Und das taten wir auch. Es war schon nach Mitternacht, als wir in die kalte Nacht hinaustraten und uns in unserem offenen Auto nach Hause bibberten.