In Lateinamerika gelten die Argentinier weiterhin als eingebildet und selbstverliebt. „Wie begeht ein Argentinier Selbstmord?“ lautet eine uralte Scherzfrage. „Indem er von seinem Ego herunterspringt.“
Wer durchs Land reist, erkennt hinter diesem Klischee immerhin ein Körnchen Wahrheit. Andererseits ist die warmherzige Art und die Liebe zur Geselligkeit sehr viel typischer für das Wesen der Argentinier. Die Bewohner dieses Landes zählen in der Tat zu den freundlichsten und liebenswertesten Menschen der Welt.
Und da viele von ihnen gleichzeitig auch eigensinnig, selbstbewusst und ausgesprochen leidenschaftlich sind, lassen sie sich nur allzu gern in ein Gespräch verwickeln. Eine Diskussion, die bei einer Tasse Kaffee oder beim Abendessen beginnt, kann sich leicht bis spät in die Nacht oder bis zum frühen Morgen hinziehen. Überhaupt sind die auffälligsten Gebräuche des Landes allesamt geselliger Natur. Man braucht Argentinier nur einmal beim Trinken von mate zu beobachten – oder beim berühmten asado (Grillen).
Argentinier sind zwar freundlich und absolut begeisterungsfähig, aber sie neigen durchaus auch zum Grüblerischen, vor allem die porteños (die Einwohner von Buenos Aires). Dieser Wesenszug wurzelt in einem grundlegendem Pessimismus, den sich die Argentinier im Laufe der Geschichte ihres Landes angewöhnt haben. Denn ihr Land, im 19. und frühen 20. Jh. eine der führenden Wirtschaftsmächte, stand Ende des 20. Jhs. infolge einer internationalen Verschuldung kurz vor dem Staatsbankrott. Auf dem langen Weg dorthin haben die Argentinier verschiedene Militärputsche und staatliche Unterdrückung erlebt und in dieser Zeit auch zusehen müssen, wie ihr geliebtes Argentinien von korrupten Politikern ausgeplündert und beinahe an den Rand des Abgrunds gebracht wurde.
Aber diese mitunter düstere Stimmungslage ist nur ein Teil des Bildes. Man muss alles zusammen sehen, denn dann erst erkennt man die Argentinier, wie sie wirklich sind: fröhlich, wild, eigenwillig und stolz. Und man wird lernen, sie dafür zu lieben.
Obwohl über ein Drittel der Gesamtbevölkerung in Buenos Aires lebt, unterscheidet sich die Hauptstadt doch überraschend deutlich vom Rest Argentiniens, wenn nicht Lateinamerikas. Wie überall in Argentinien wird der individuelle Lebensstil meist vom Geldbeutel bestimmt: Ein modernes Apartment einer jungen Kreativen im Viertel Las Cañitas von Buenos Aires steht im krassen Gegensatz zu einem Familienhaus in einem der armen Viertel der Metropole, wo bereits Strom und sauberes Wasser Luxus sind.
Auch Geografie und ethnische Herkunft spielen eine wichtige Rolle: Denn das Leben in Buenos Aires hat wenig mit dem einer indianischen Familie zu tun, die in einem Lehmziegelhaus in einem einsamen Tal der nordöstlichen Anden lebt. Dort wird die Existenz noch durch Subsistenzlandwirtschaft gesichert, und die Erdgöttin Pachamama ist viel präsenter als beispielsweise die Kultfigur Evita. In Regionen wie La Pampa, der Provinz Mendoza oder in Patagonien wird der Alltag noch stark von der Natur geprägt, und die Menschen sind bodenständig und freundlich.
Argentinien besitzt eine relativ starke Mittelschicht, die allerdings in den zurückliegenden Jahren merklich geschrumpft ist; die Armut im Land hat zugenommen. Auf der anderen Seite des sozialen Spektrums gibt es aber durchaus erstaunlich viele wohlhabende Stadtbewohner, die sich den Umzug in sogenannte countries (abgetrennte und speziell gesicherte Viertel) leisten können.
Eines jedenfalls ist allen Argentiniern gemeinsam: die starke Familienverbundenheit. Eine normale Angestellte aus Buenos Aires besucht zum Beispiel regelmäßig am Wochenende ihre Familie, und ein Cafébesitzer in San Juan trifft sich sonntags häufig mit seinen Freunden draußen auf der Familien-Estancia zum Grillen. Und vor allem in den ärmeren Familien wohnen die Kinder normalerweise bei den Eltern, bis sie selbst heiraten.
In Fragen des Benehmens schadet es nie, ein paar landestypische Regeln parat zu haben.
» Man begrüßt Leute mit buenos días (guten Morgen), buenas tardes (guten Tag) oder buenas noches (guten Abend).
» In kleineren Dörfern begrüßt man die Menschen auf der Straße, und man grüßt beim Betreten eines Ladens.
» Man gibt und empfängt Wangenküsse (besos).
» Im Gespräch mit Älteren oder bei eher förmlichen Gelegenheiten gebraucht man die Anredeform usted.
» Auf angemessene Kleidung achten; in Buenos Aires tragen nur Sportler und Touristen Shorts.
» Die Islas Malvinas sollte hier niemand „Falklandinseln“ nennen; außerdem spricht man Fremde nicht auf den „schmutzigen Krieg“ an.
» Niemals behaupten, Brasilien sei im fútbol eigentlich besser als Argentinien und Pelé sei ein größerer Fußballer als Maradona. Und niemals das Wort soccer in den Mund nehmen!
» In Bars lässt man sich nicht vor Mitternacht blicken, in Clubs erscheint man ab 3 Uhr, und zu einer Essenseinladung kommt man nie ganz pünktlich, sondern immer ein wenig verspätet.
» Wenn man von Leuten aus den USA spricht, nennt man sie niemals „Amerikaner“ bzw. americanos; üblich ist die Bezeichnung estadounidenses. „Amerikaner“ sind schließlich auch die Argentinier – so wie alle Bewohner Süd- und Mittelamerikas.
Fútbol (Fußball) ist ein wichtiger Bestandteil des argentinischen Alltags, und Spieltage erkennt man am lauten Jubel bzw. an Ausrufen des Entsetzens, die aus Läden und Cafés auf die Straße schallen. Die Nationalmannschaft stand schon viermal im Finale einer Weltmeisterschaft und hat zweimal den WM-Titel geholt – 1978 und 1986. Daneben hat die Mannschaft aus Argentinien schon zweimal olympisches Gold gewonnen, nämlich bei den Spielen von 2004 und 2008. Die beliebtesten Mannschaften der Ersten Liga sind die Boca Juniors und River Plate; insgesamt gibt es allein in Buenos Aires rund zwei Dutzend Profi-Mannschaften. Berüchtigt sind die fanatischen Hooligans, hier barra brava genannt; sie stehen den europäischen Fanatikern in nichts nach. Zu den bekanntesten Spielern des Landes zählen Diego Maradona, Gabriel Batistuta und Lionel Messi.
Rugby wird in Argentinien immer populärer – spätestens, seid die Los Pumas, das Nationalteam, bei der Weltmeisterschaft 2007 den Gastgeber Frankreich im Eröffnungsspiel besiegt hat – und noch ein zweites Mal im „kleinen Finale“ um den dritten Platz. Wie wichtig diese Sportart inzwischen ist, erkennt man auch daran, dass der Superclásico (das berühmte Fußball-Lokalderby zwischen Boca und River Plate) eigens so gelegt wurde, dass es keinen Konflikt mit dem Viertelfinalspiel der Los Pumas gab.
Beliebt sind aber auch Pferderennen, Tennis, Basketball, Golf und Boxen. Die weltbesten Polopferde und -spieler kommen aus Argentinien, und die berühmte Dakar-Rallye (früher: Paris–Dakar) findet seit 2009 überwiegend auf argentinischem Territorium statt.
Argentiniens traditionelle Sportart heißt Pato. Es handelt sich dabei um ein Spiel für Reiter; dabei mischen sich Elemente aus Polo und Baskettball. Ursprünglich war das Spielgerät eine Ente (pato); heute verwendet man zum Glück einen Ball, der in einer Halterung aus Ledergurten steckt. Der Sport hat zwar eine ehrwürdige Tradition, er spielt heute aber keine große Rolle mehr.