26. September 2018

»Du weißt, was sie in Flugzeugen sagen, wenn es Probleme gibt: Sofort die eigene Sauerstoffmaske aufsetzen, erst danach anderen helfen«, sagte Lotte. Sie sah zu, wie ich auf Beinen wie Pudding mit zitternden Händen vor dem Spiegel meine Augenringe unter einer dicken Schicht Concealer zu verbergen versuchte. »Wie kannst du in diesem Zustand noch für Simon sorgen? Heute Nacht schläfst du bei uns.«

»Das mit den Sauerstoffmasken ist eine Richtlinie für Eltern mit kleinen Kindern«, sagte ich. Ich hatte in meiner Tasche eine Zahnbürste und einen Schlafanzug, beides am Morgen in der Hoffnung zusammengesucht, dass ich den Mut fände, Lotte zu fragen, ob ich bei ihr schlafen könne, doch jetzt,

Seit Jahren lebten Simon und ich nun schon zusammen in der kleinen Wohnung, eng miteinander verflochten, eine Verflechtung, die mich gerettet hatte – ein einmal verdrilltes Tau kann ein Schiff am Kai halten –, und wenn ich die einzelnen Stränge jetzt löste, könnte man uns beide mit ein paar kurzen Rucken zerfetzen.

Ich wollte es selbst tun, ich wollte nicht, dass ein anderer uns auseinanderriss.

 

»Leg dich mal eben ins Nest und ruh dich aus, wir rufen dich schon, wenn wir dich brauchen«, sagte Lotte, die sah, dass ich zu verstört war, um arbeiten zu können. So konnte ich keinen BH ordentlich über den Bügel hängen. Greetje, die heute zum ersten Mal da war, nickte entschlossen. Sie würde ihrer Mutter nichts davon sagen, ihr konnten wir vertrauen. Sie war nicht das kleine, zarte Mädchen, das ich mir unter so einem Namen vorgestellt hatte, sie war zwei Köpfe größer als ich, hatte breite Schultern und eine so große Nase, dass sie unter der Dusche problemlos rauchen könnte.

Im Lager, hinter der Spiegeltür, stellte ich meine Tasche ab. Ob ich heute Abend tatsächlich bei Lotte schlafen würde, wollte ich von Simon abhängig machen. Er hatte noch einen ganzen Tag Zeit, ein Lebenszeichen von sich zu geben, zu beweisen, dass er sich Hilfe gesucht hatte. Auch mit weniger wäre ich schon zufrieden: Wenn er anrufen würde, um zu fragen, wo ich eigentlich schlafen wolle, oder dass er merken würde, dass meine Zahnbürste und die Zahnpasta von der Ablage im Bad verschwunden waren, das würde reichen, ein klein bisschen Realitätssinn würde mir schon genügen.

 

Alle zehn Minuten musste ich auf mein Handy schauen.

Je weiter der Tag voranschritt, umso dicker wurde der Kloß in meinem Hals, hinten im Kehlkopf war etwas stecken geblieben.

In der letzten halben Stunde dieses Arbeitstags war es ruhiger, Greetje verschwand nach Hause – sie hatte ein Moped, und wir sahen zu, wie sie mit viel Lärm die Straße hinunterfuhr. Lotte begann zur Belohnung, weil wir den Tag überlebt hatten, ein paar Stücke aus den Regalen anzuprobieren. Alle Outfits, die sie sich in den letzten Jahren für ihre eigene Schwangerschaft aufgehoben hatte, waren ihr inzwischen zu klein geworden, ihre Brüste waren so geschwollen, dass sie keinen BH mehr ertrug und alle Muster in Brusthöhe in die Breite gedehnt wurden. Ihr Kleid mit den aufgedruckten Bananen und Äpfeln hatte sie das »Obstbreikleid« getauft.

Ich schleppte ständig neue Kleidungsstücke an, die Lotte anprobieren sollte, um Simon noch etwas zusätzliche Zeit

Ich bot ihr an, ihr ein Kleid zu spendieren, falls sie heute eines fand. »Zum Geburtstag.«

»Aber ich habe doch erst im März Geburtstag?«

Um halb acht war noch immer keine Nachricht von Simon über die fehlende Zahnpasta eingetroffen. Ich sah es vor mir, wie er jetzt schon seit Stunden am Holztisch in der Küche saß, nackt, mit dieser kleinen Fliege im Auge, Cornflakes sortierend, mit ungeputzten Zähnen.

Lotte wollte nach Hause.

»Kommst du mit zu uns? Coen hat eingekauft und kocht für uns. Dann kannst du morgen ausschlafen und anschließend nach Hause gehen.«

Ich lauschte ganz besonders aufmerksam, ob ich Ermüdung in Lottes Stimme hören könnte, ein Zeichen, dass sie mit ihrer Geduld am Ende war – Schwangere brauchten ihre ganze Flexibilität bereits für etwas anderes.

Sie sah, dass ich zögerte.

»Na los, Leo, was kann schon schiefgehen? Simon ist ein erwachsener Mann, du bist telefonisch erreichbar. Wir machen uns einen gemütlichen Abend, gucken einen Film. Und du lädst dich neu auf. Oder soll ich Coen zu ihm schicken, mit was zu essen vom Chinesen und zwei Dosen Bier?«

Einen »gemütlichen Abend« konnte ich mir nicht so recht vorstellen, solange ich nicht wusste, was Simon zu Hause trieb, ob er allein zurechtkam, ob er keine Gefahr für sich selbst darstellte, zumal jetzt, wo ich nicht mehr da war, um ihn zu bremsen, um ein Auge auf ihn zu haben. »Nein, nein, Coen braucht nicht zu gehen«, sagte ich sofort.

Drinnen, an der Wohnungstür, begrüßte uns eine ganze Postkartengirlande – viele englischsprachige – mit Glückwünschen zur Schwangerschaft.

Coen hatte eingekauft, wieder hatte er ordentlich übertrieben mit Bugles und Ziegenkäse. Ich sagte, es täte mir leid, aber ich hätte nicht viel Hunger.

Auf der Toilette, am Abflussrohr des Waschbeckens, baumelten ein Heft mit Kreuzworträtseln und zwei Stifte, ein blauer und ein grüner. Jedes Rätsel, mit dem sie begannen, wurde datiert. Am Rand standen Botschaften. Guten Morgen, Ich liebe dich, Du bist meine Sonne, Hab einen schönen Tag und so weiter. Ich blätterte zurück, versuchte, das Rätsel von dem Tag zu finden, an dem sie zum Scrabbeln bei uns waren. Das Wort »Wickeltisch« war eingekreist, daneben ein Herz.

 

Wir aßen und schauten Mulholland Drive. Coen und Lotte hatten diesen Film bei ihrer ersten Verabredung gesehen und würden ihn nie überbekommen. Ich saß auf dem Teppich, vor dem Sofa, das sie sich teilten, hinter mir konnte ich Coens Hand über Lottes Hosenbund streicheln hören – wollten sie sich den Film anschauen, oder wollten sie schauen, wie jemand anderer sich »ihren Film« ansah?

Mobber, Mobber, dachte ich jedes Mal, wenn Coen hinter mir eine analysierende Bemerkung von sich gab.

Ich konnte es nicht lassen, alle paar Minuten auf mein Telefon zu schauen, ich rechnete aus, was Simon zu Hause

»Keine Nachricht ist eine gute Nachricht«, erklärte Lotte, die sah, wie ich in einem fort auf mein Handy schaute. »Vertrau ihm doch einfach. Mit großer Wahrscheinlichkeit schläft er, wo du ihm endlich ein bisschen Ruhe gönnst.«

Etwas krampfte in meinen Eingeweiden.

Daan war an diesem Morgen bei meinem Aufbruch in meinen Rucksack gekrochen, sie hatte sich selbst hinausschmuggeln wollen, ich hatte sie gleich dabei ertappt, sie hinausgesetzt und hörte sie miauen, bis ich unten die Tür geschlossen hatte. Hatte sie etwas gespürt, war sie der Kanarienvogel in unserem Grubenschacht?

»Keine Nachricht, gute Nachricht« war ein Klischee, das sich lediglich im Leben von Menschen mit einer tollen Jugend als wahr erwiesen hatte, Menschen, die eigens für die gemeinsame Bezahlung von Umstands-BHs ein Babykonto eröffneten.

 

Ich checkte seine Konten, um zu schauen, ob er etwas gekauft hatte, ob er online etwas zu essen bestellt hatte, denn im Haus gab es nichts, nicht einmal Eier. Ich ging auf seine Website, seine Facebook-Seite, simste seinem Vater: »Hast du was von Simon gehört?«

»Nein, ich bin bei einem Freund in Bergamo. Ich überlege gerade, ob ich mit ihm in den Umbau eines zweiten B&B

Es wurde spät, dass es dunkel wurde, war fast unerträglich, die Stadt kam zum Stillstand, sogar die Late-Night-Shops schlossen jetzt. Es wurde unmöglich, mir vorzustellen, was Simon trieb. Warum ließ er nichts von sich hören? War er von einem tiefen, wundersamen Schlaf übermannt worden, den er an meiner Seite nicht hatte finden können?

 

»Hier«, sagte Lotte, als sie mich zum Gästezimmer begleitete, einem kleinen Raum mit einer karierten Überdecke auf dem Bett. Sie gab mir zwei braune Ohrstöpsel, die exakt die gleiche Form und Textur hatten wie ihre veränderten Nippel.

Sie zog die Vorhänge zu, das Zimmer wurde stockfinster, und nach einer Weile verschwand auch der Lichtstreif unter der Tür zum Flur. Draußen regnete es, so leise, dass man es nur daran hörte, wie die Autos durch die Straße fuhren, die Reifen machten das schmatzende Geräusch von Klebeband, das abgerissen wird.

Ich steckte mir die Stöpsel in die Ohren, schaute auf mein Handy. Das Ding die ganze Nacht eingeschaltet zu lassen würde meine Ruhe stören, und genau deswegen war ich hier, um endlich schlafen zu können.

Ich tippte das kleine Flugzeug an. Es war, als ließe ich Simon mit einer einzigen simplen Fingerbewegung im Stich. Er war die Geisel und ich diejenige, die sich gerade geweigert hatte, sein Lösegeld zu bezahlen.

Eine SMS von ihm zu bekommen würde helfen. Es brauchte keine lange zu sein, nichts Ausführliches, ein Küsschen würde genügen. Das würde nicht alle meine Sorgen vertreiben, nicht mal ein Viertel davon, aber ich wüsste dann, dass er noch imstande war, wenigstens dieses kleine x zu tippen.

Ich widerstand diesem Plan ein paar Minuten lang, holte

Was folgte, war ein sofortiger pechschwarzer Schlaf, eine Überwältigung, gegen die ich mich nicht wehren konnte und aus der ich erst von einer Hand geholt wurde, die an meinem Bein rüttelte. Draußen war es bereits hell.

 

Ein Gesicht über meinem, Lottes Mund, ihre dicken braunen Nippel unter dem dünnen Satinschlafanzug, ihr Morgenatem, den ich noch nie in meinem Leben gerochen hatte, er hatte etwas Chemisches, einen Hauch von Lösungsmittel. Ich konnte die Besorgnis in ihren Augen lesen, bevor ich verstand, was sie sagte. Ich zog die Stöpsel aus meinen Ohren und saß sofort senkrecht.

»Leo, Simon hat heute Nacht zwischen zwei und drei mehr als dreißig Mal versucht, Coen anzurufen. Wir haben es gerade erst gesehen, als er sein Handy eingeschaltet hat.«

Mir fiel ein Stein in den Magen. Meine Beine und Hände zitterten. Sofort schaltete ich mein eigenes Telefon ein.

PIN-Code eingeben. Mist, wie lautete der gleich noch mal, die null, null, null, null hatte ich durch eine andere Kombination ersetzt, weil ich fürchtete, dass Simon mein Telefon öffnen und meinen Chat mit Lotte lesen könnte. Vor lauter Panik kam ich nicht mehr darauf. Ich würde den falschen Code eintippen, auf dem ganzen Weg nach Hause mein Handy nicht benutzen können, und dann würde ich, wenn ich zu Hause war, allein dastehen, ohne Verbindung zu Doktor Einhorn oder zur Außenwelt.

Es war unwirklich, und zugleich sah es nicht merkwürdig aus, diese Angabe, die 32 in Klammern hinter Simons Namen, es war ein Bild, das stimmig schien, ich hatte es öfter gesehen, Hunderte von Malen im letzten Monat, es hatte etwas Vertrautes. Natürlich: Es war sein gegenwärtiges Alter, so stand es auch in seiner Bio.

»Spruyt schreibt man mit Ypsilon«, sagte ich.

Sie schien es nicht zu registrieren. »Er hat auch merkwürdige Sprachnachrichten hinterlassen«, sagte Lotte.

Sie tippte auf dem Telefon herum, um Coens Voicemail zu öffnen.

»Sie haben vierzehn nicht abgehörte Nachrichten. Erste nicht abgehörte Nachricht.«

»Wir haben uns zwei angehört«, sagte Lotte, während sie durch das Menü navigierte und den Lautsprecher suchte. »Sie ähneln sich, man versteht nichts.« In Lottes Augenwinkel saß ein dickes hellbraunes Schlafkorn, als hätte sich da ein Stückchen Haut abgelöst.

Gemeinsam hörten wir uns die nächste nicht abgehörte Nachricht an, ein unzusammenhängendes großspuriges Geschwafel über Steckdosen, ein paarmal fielen die Worte »Simon Sproud«, im Hintergrund war Lärm zu hören, Klebeband wurde von etwas abgerissen, Schritte, er musste das Handy irgendwo hingelegt haben, während er herumlief. Ich sah vor mir, wie sein Glockenspiel aus der Unterhose herausbaumelte, ich konnte beinahe seinen Schweiß riechen und mir den Geruch seines Atems vergegenwärtigen, wenn er lange nichts gegessen hatte. Nachdem wir uns eine Nachricht angehört hatten, schaltete Lotte das Telefon aus.

Dass wir uns nicht die Mühe machten, alle Voicemails abzuhören, die Simon aufgesprochen hatte, traf mich genauso

»Darf ich noch eine hören?«, fragte ich. »Nimm eine seiner ersten Nachrichten, da ist er bestimmt besser zu verstehen.«

Rasch löschte Lotte alle Nachrichten, indem sie auf die Zahl Eins tippte, bis wir zur ältesten Nachricht kamen.

Es war exakt das Gleiche zu hören.

»Und das ist noch nicht alles, Leo«, sagte Lotte. »Mein Vater hat heute früh eine Mail an mich weitergeleitet, frag mich nicht, wie und warum, aber Simon hat ihn auf seinem beruflichen Account auch die ganze Nacht lang auf Facebook gestalkt. Da, schau.« Sie zeigte mir jetzt ihr eigenes Telefon, eine Mail, die sie von ihrem Vater erhalten hatte.

Aus meinem Unterleib stieg die Übelkeit senkrecht nach oben, wie Kohlensäurebläschen in Sprudelwasser. Ich versuchte, es zu unterdrücken, aber – plopp, plopp, plopp – es waren zu viele, sie platzten bei jedem Wort, das ich las.

»Lottemie, die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber kennst du diesen Weirdo? Er spricht von Coen und dir in seinen Bezichtigungen (siehe Anlage). Ich habe diesen Verrückten schon gemeldet und alles, was er gepostet hat, schon von meiner Seite entfernt. Pass auf jeden Fall auf! Ich drück dich, Papi«

Der Mail waren Screenshots von seiner Facebook-Seite beigefügt, Simon Sproud und er waren Freunde geworden, Simon hatte verschiedene Nachrichten auf der Seite hinterlassen. Über Plagiat, über Spionage. Zum Glück hatte Simon kein Foto von sich als Profilfoto, Lottes Vater konnte ihn nicht als den jungen Mann wiedererkennen, der bei ihm mal eine Katze abgeholt hatte.

»Vielleicht solltest du seinen Account deaktivieren, bevor er sich ernstlich in Schwierigkeiten bringt.«

Paul war nicht sparsam mit Ausrufezeichen.

»HALLO LEO, IST SIMON DEIN PARTNER, FACEBOOK BEHAUPTET, JA!!! SAG IHM, ER SOLL MICH NICHT LÄNGER BELÄSTIGEN!! DAS GEHT JETZT SCHON SEIT WOCHEN SO, UND ICH HABE ES IHM SCHON GESAGT: ICH KENNE KEINE LOTTE UND KEINEN COEN, ICH HABE NICHTS MIT DIESEM WEISSEN KLEINBUS IN SEINER STRASSE ZU TUN, ICH HABE AUCH NIEMALS VON THINK OUT LOUD DEN AUFTRAG ERHALTEN, IHN DAMALS, IN DER NACHT IN DER KNEIPE, MIT EINEM TATTOO ZU KÖDERN, ES IST EIN SIMPLES TATTOO, DAS ICH IHM STECHEN WOLLTE, UM IHM EINEN GEFALLEN ZU TUN (WAS ICH INZWISCHEN BEREUE), DENN NEIN, ICH HABE DAMIT KEINERLEI PLAN VERFOLGT, ICH HABE BEI IHM AUCH NICHTS IMPLANTIERT. ICH HABE IHN ALS FREUND SCHON VOR EINIGER ZEIT AUF FACEBOOK GELÖSCHT. WENN ER MEIN PARTNER WÄRE, DANN WÜRDE ICH MIR ERNSTE SORGEN UM IHN MACHEN!! DAS WOLLTE ICH NUR KURZ WISSEN LASSEN. ER GLAUBT, ICH HÄTTE ABHÖRMATERIAL IN SEIN TATTOO EINGESETZT, SO WAS IST UNMÖGLICH, DAS IST RUFMORD!! DANKE FÜR DEINE

Ich zog mich an, die Hose saß verkehrt herum, zum Glück war es eine Leggings aus elastischem Material, in der sowieso wenig Form war, sie passte trotzdem, ich hatte nicht den Mut, sie wieder auszuziehen. Die zweite Socke fand ich nicht gleich, fuhr mit dem nackten Fuß in den Schuh.

»Soll ich mitkommen?« Lotte rieb sich ostentativ über den Bauch. »Ich kann Greetje anrufen, dass sie den Laden heute zum ersten Mal allein aufschließt.«

»Was willst du ihr dann sagen? Dass Simon verrückt geworden ist?«

»Ganz einfach, dass es einen Notfall gibt«, sagte Lotte. »Demnächst, wenn ich im Mutterschaftsurlaub bin, muss sie den Laden sowieso allein aufmachen können.«

Allein schon das Wort »Mutterschaftsurlaub«, die Vorstellung, dass Lotte drei Monate lang nicht im Geschäft sein würde. Das wollte ich mir jetzt nicht vorstellen müssen.

»Nein, ich schaff es schon«, sagte ich, »denk an dein Baby. Du solltest jetzt besser Ruhe halten.«

Ich ging, ohne mir die Zähne geputzt zu haben. Coen stand pfeifend unter der Dusche. Mobber, Mobber – das Wort spukte mir seit zwölf Stunden im Kopf herum, leise, aber ermüdend, wie ein Funkalarm bei Nachbarn, der einfach nicht aufhört.

Ich war froh, dass ich ihm jetzt nicht unter die Augen treten musste. Meine Zahnpasta und Zahnbürste ließ ich bei ihm im Badezimmer.

 

Es musste die ganze Nacht geregnet haben, hier und da lagen große Pfützen auf der Straße. Der Stadt stand noch einiges an Niederschlag bevor, große graue Wolkenhaufen trieben mit dem Wind am Himmel entlang.

Könnte ich jetzt doch auch in ein Büro gehen, das genauso aussehen würde, wie ich es gestern hinterlassen hatte, oder einen Kantinenfußboden zum hundertsten Mal staubsaugen. Ich radelte an den Menschenmengen vorbei, und obwohl wir uns alle mehr oder weniger in dieselbe Richtung bewegten, schien ich gegen den Strom zu schwimmen.