Das Klingeln des Telefons riss Suzanne aus ihren Tagträumen über Hart. Rasch nahm sie ab, teils hoffend, teils fürchtend, er wäre es. Sie wollte seine Stimme hören und brauchte dennoch Abstand, um sich einzureden, dass ihre Empfindungen für ihn nichts zu bedeuten hatten.
„Suzanne?“
Erleichterung. Enttäuschung. „Hallo, Mom.“ Suzanne stöhnte unhörbar.
„Clyde gab mir deine Nummer. Ich brauche jemanden zum Reden.“
Suzanne mochte ihre Mutter sehr, aber es gab nur einen Grund, aus dem Lyla Ramsey-Conners-Ponder-Njorney-Houston-Bracci-Drake ihre einzige Tochter mitten in der Nacht anrief. Einen Grund, auf den Suzanne keineswegs neugierig war.
Sie würde Clyde gehörig in die Mangel nehmen, weil er ihre Nummer weitergegeben hatte.
„Joey und ich haben uns getrennt.“ Lyla seufzte dramatisch. „Ich fürchte, es ist aus.“
Na und? dachte Suzanne. Immerhin hatte diese Ehe ein halbes Jahr länger gehalten als die vorherigen drei. „Das tut mir leid“, sagte Suzanne wie üblich.
„Es war unvermeidlich“, erklärte Lyla. „Wir haben zu wenige Gemeinsamkeiten.“ Ohne auf eine Entgegnung zu warten, begann sie, sich in Einzelheiten zu ergehen. Eine halbe Stunde später beendete Lyla das recht einseitige Gespräch mit der Bemerkung, sie müsse jetzt aufhören, sonst würde sie am nächsten Tag bei dem Anwaltstermin aussehen wie ein Zombie.
Suzanne wünschte ihrer Mutter alles Gute und legte auf. Sie machte sich einen Kaffee und setzte sich hinaus auf den Patio.
Die Nacht war noch warm, der Himmel wie eine mit Diamanten besetzte schwarze Samtdecke. Über den Bergen stand die Sichel des Mondes, und die Luft war erfüllt von den betörenden Düften der Wüste.
Warum hatte sie Harts Kuss so rückhaltlos erwidert? Sie durfte ihm nicht vertrauen. Suzanne verscheuchte ihre Bedenken und zwang sich, vernünftig zu überlegen.
In den Berichten über die Corps-Mitglieder und ihre Angehörigen stand nichts Auffälliges, doch ein Makel wäre leicht zu verheimlichen. Die Geheimpläne waren im Verlauf jenes Einsatzes verschwunden, also war jemand mit direkter Verbindung zum Cobra Corps der Täter – wenn nicht gar Hart selbst.
Sie wünschte verzweifelt, es gäbe eine andere Möglichkeit.
Hart stand neben seinem Wagen und starrte blicklos in den Nachthimmel. Er sah Suzanne vor sich, spürte ihre Lippen auf seinen, die Wärme ihres Körpers, ihre zarte Haut. Er kämpfte einen aussichtslosen Kampf.
Aufgewühlt ging er ins Haus. Hoffentlich würde er schlafen können. Er öffnete die Eingangstür, schaltete das Licht ein – und fluchte.
Rasch durchmaß er die Räume und begutachtete jeden der leicht verschobenen Gegenstände, als würden sie ihm verraten, wer in seiner Wohnung gewesen war.
Sofort dachte er an das FBI. Das war genau deren Stil. Keine offenen Verhöre, keine Haftbefehle. Einfach hingehen und suchen und notfalls mitnehmen, was ihnen interessant erschien. Er zog Schubladen auf, nahm ein Kissen vom Sofa hoch und warf es wütend durch den Raum.
Er hoffte, dass es das FBI war. Doch es gab eine andere Möglichkeit: Suzanne. Sie hatten sich vor Stunden getrennt, sie hätte ohne Weiteres herkommen und seine Wohnung durchsuchen können.
Er war wütend auf sich selbst. Warum war er auch noch so lange in der Nacht herumgefahren? Und was gab es überhaupt bei ihm zu suchen?
Dann kam ihm ein neuer Verdacht. Vielleicht hatten sie nichts gesucht, sondern etwas hinterlassen. Etwas, das ihn zum Verräter stempelte. Polizei, Militärpolizei … Sie mochten bereits auf dem Weg zu ihm sein.
Sorgfältig durchkämmte er Schränke und Schubladen auf der Suche nach etwas, das nicht dahingehörte. Als er nichts fand, begann er von vorn. Allerdings forschte er dieses Mal nach Wanzen und versteckten Kameras unter Tischen, Stühlen, in Lampen und im Telefon.
Vergeblich. Und er war hellwach. Er schaltete den Computer an und schaute nach einer E-Mail. Im Laufe des Tages hatte er den Senator angerufen, doch die Sekretärin hatte behauptete Trowtin sei unterwegs. Der Senator hatte den Anruf nicht erwidert und auch keine E-Mail geschickt. Ob er den Kontakt mit Hart mied?
Hart erinnerte sich, dass Suzanne den Namen ihres Partners genannt hatte: Clyde Weller. Er gab den Namen ein und rief die Suchmaschine auf.
Als am nächsten Morgen das Telefon schrillte, hatte Hart das Gefühl, als schnitte es ihm durch den Schädel. Seine Schläfen pochten, eine Stelle zwischen den Augen schmerzte, der ganze Kopf tat ihm weh – und dabei sah er ständig Suzanne vor sich. Ächzend rollte er sich herum und griff nach dem Telefon.
Sein Leben taumelte auf einen Abgrund zu, und er hatte nichts anderes im Sinn, als mit der Frau zu schlafen, die ihn womöglich auf diesen Abgrund zustieß.
„Sir“, erklang Private Roubechards Stimme, „Commander Lewis möchte Sie in einer Stunde in seinem Büro sprechen.“
Augenblicklich war Hart wach, doch der Kopfschmerz hämmerte weiter. „Ich komme“, sagte er und legte auf. Er wusste genau, was mit ihm los war. Nur wusste er nicht, was er dagegen tun sollte.
Nach drei Tassen starken Kaffees und zwei Aspirin fuhr er zur Basis hinaus und meldete sich im Büro des Kommandeurs zehn Minuten zu früh.
„Rühren, Captain“, sagte Major Lewis und sah von seinen Papieren auf, als Hart eintrat und salutierte. Lewis nahm die Brille ab und rieb sich die Nasenwurzel. „Ich will gleich zur Sache kommen, Captain“, begann er und musterte Hart mit seinen durchdringenden blauen Augen. „Ich habe heute Morgen eine weitere Anfrage nach Ihrer Dienstakte erhalten, und dieses Mal hatte ich Anweisung, sie nicht zurückzuhalten. Ich weiß nicht, warum Washington sich plötzlich so für Sie interessiert oder wer dahintersteckt. Ich wollte Sie nur persönlich informieren, dass Ihre Akte unterwegs zum Pentagon ist.“
Hart nickte benommen. „Danke, Sir.“ Die Zeit drängte.
„Wofür?“, fragte Lewis schroff. „Ich an Ihrer Stelle würde mich nicht dafür bedanken, dass meine Dienstakte nach Washington geschickt wurde.“
Fünf Minuten später stand Hart an Roubechards Schreibtisch, verärgert und alarmiert. „Sorgen Sie dafür, Private, dass Suzanne Cassidys Telefon angezapft wird, und zwar sofort. Ich möchte auch eine weitere Überprüfung ihrer Person, dieses Mal mit allen Einzelheiten. Forschen Sie zurück bis zu ihrer Geburt, wenn nötig.“
Hart ging in sein Büro, kehrte jedoch auf der Schwelle um. „Roubechard, machen Sie jede Person ausfindig, die im letzten Jahr auch nur den geringsten Kontakt zum Corps hatte. Besonders was den Einsatz ‚Jaguar Loop‘ betrifft. Ich wünsche detaillierte Personalberichte über alle. Und den Autopsiebericht von Rick Cassidy.“ Er knallte die Tür zu und trat an seinen Schreibtisch. Wenn das FBI ihn, Rick und Suzanne des Verrats verdächtigte, würden sie nicht anderweitig ermitteln. Und das hieß, wenn er nicht den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen wollte, musste er selbst tätig werden.
Er sah auf die Uhr. Kurz vor neun. Wenn er sich beeilte, konnte er noch vor dem Frühstück bei ihr sein.
„Sir?“, sagte Roubechard, als Hart an ihm vorbeistürmte.
„Ja?“, fragte er ungeduldig.
„Ich möchte Sie nur daran erinnern, dass in zwei Stunden unser Tag der offenen Tür beginnt und dass Sie für das Flugfeld eingeteilt sind.“
„Was, heute?“
„Ja, Sir.“
Hart schimpfte leise. Das hatte er völlig vergessen. Er konnte nicht mit Suzanne frühstücken gehen, er musste zu seiner Wohnung fahren und seine Gala-Uniform holen. Vielleicht blieb ihm allerdings genug Zeit, bei ihr vorbeizufahren und sie zum Tag der offenen Tür einzuladen.
Er befand sich am Rand einer Katastrophe, und da wurde von ihm erwartet, ein lächelndes Gesicht zu zeigen und Flugvorführungen zu absolvieren.
Hart kletterte aus seinem Chopper, plauderte mit ein paar Kindern am Rand des Startplatzes und ging dann auf den Hangar zu, vor dem er sich mit Suzanne verabredet hatte.
Die zweite Lieferung der angeforderten Überprüfungen ließ auf sich warten – bürokratische Hürden, behauptete der Mitarbeiter in der Personalabteilung. Hart wurde den Verdacht nicht los, dass ihm absichtlich Steine in den Weg gelegt wurden. Und der Bericht über Ricks Autopsie war ihm schlicht verweigert worden. Das erregte seine Neugier – seinen Verdacht umso mehr. Er hatte Major Lewis gebeten, eine Kopie anzufordern, und erklärt, dass Ricks Witwe den Bericht sehen wollte.
Vom Senator hatte er noch immer keine Rückmeldung. Als er erneut anrief, teilte die Sekretärin ihm mit: „Der Senator ist auf Reisen und nicht zu erreichen.“ Eine Ausrede? Auf jeden Fall eine entmutigende Antwort.
Er erblickte Suzanne sofort neben einer der riesigen Hallen, in denen die Hubschrauber des Cobra Corps untergebracht waren. Ihr dunkles Haar glänzte in der Nachmittagssonne wie Seide und stand im Kontrast zu der ärmellosen weißen Bluse, die sie zu knielangen Shorts trug. Die Kleidung war schlicht. Hunderte von Frauen waren so angezogen, aber bei Suzanne sah es verführerisch aus, lenkte seinen Blick auf ihre lockenden Kurven, auf ihre nackten langen, wohlgeformten Beine. Es verschlug ihm schier den Atem.
Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke, und es war wie beim ersten Mal. Als hätten Tragik und Schmerz sie nie berührt, als wären sie Fremde, die einfach nur Anziehung zueinander empfanden.
Doch sie waren keine Fremden. Der Schmerz und die Tragik ihrer Begegnung waren nur zu real, und das würde noch zunehmen, wenn sich der üble Verdacht des FBI bestätigte.
Suzanne lächelte und winkte ihm zu.
Willkommen in meinem Netz, sagte die Spinne zur Fliege. Er versuchte, den Gedanken abzuschütteln, aber er hakte sich fest, düster und unangenehm. Hart musste auf der Hut bleiben.
Er ging auf sie zu, ebenfalls lächelnd. Auf halbem Weg sah er, wie Chief Carger aus dem Hangar kam und sich Suzanne von hinten näherte.
„Mrs. Cassidy, nett, Sie zu sehen.“
Suzanne drehte sich um, voll Unbehagen. „Oh, hallo, Chief.“
Carger blickte zu Hart hinüber und runzelte die Stirn. „Passen Sie auch gut auf sich auf, Mrs. Cassidy?“, meinte er.
Sie folgte seinem Blick und begriff seine Anspielung. „Mir geht es bestens, Chief“, gab sie kühl zurück. „Machen Sie sich um mich keine Sorgen.“
Carger nickte. „Ich will mich nicht einmischen, aber eins sollte eine Lady wie Sie nie vergessen …“ Erneut sah er zu Hart hin. „Der Captain ist ein Kämpfer.“ Er steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen. „Solche Männer lieben die Gefahr und setzen gern ihr Leben aufs Spiel, Tag für Tag.“
Sie hob die Brauen. Warum sagte er ihr das?
„Sie sollten sich von ihm fernhalten“, fuhr der Chief fort, als könnte er ihre Gedanken lesen. „Sie haben etwas Besseres verdient.“
„Wir sind lediglich Freunde, Chief“, gab Suzanne zurück. Sofort fragte sie sich, warum sie das Bedürfnis verspürte, sich vor diesem Mann zu rechtfertigen. Schließlich ging es Carger nichts an, ob sie und Hart Freunde, Feinde oder ein Liebespaar waren.
Bei der Vorstellung von seinem Körper an ihrem, seinen starken Armen, seinen fordernden Küssen wurde ihr heiß. Sie wandte sich von Carger ab und Hart zu.
Augenblicklich nahm die Hitze zu, wie ein Feuer, das ihre Haut versengte. Ihre Reaktion auf Hart war verrückt, unverantwortlich – und unausweichlich. Im Näherkommen sah sie die Kälte in seinen Augen, als er Carger mit Blicken maß. Hatten die beiden Probleme miteinander? Oder im Gegenteil, war der Chief Harts Komplize?
Der Chief salutierte. „Sie werden auf der Startbahn gebraucht“, sagte Hart. „Rand befürchtet, sein Chopper verliert Öl.“ Es stimmte nicht, aber das war ihm egal. Er wollte Carger aus dem Weg haben.
Hart sah dem Chief nach und fragte sich, warum er dem Mann gegenüber so feindselig war. Was kümmerte es ihn, ob Carger mit Suzanne flirtete? Solange er nicht ihr Kontaktmann, ihr Komplize war.
Carger war bei dem „Jaguar Loop“-Einsatz dabei gewesen.
„Deine Flugvorführung war bewundernswert“, bemerkte Suzanne und unterbrach seine Überlegungen.
Nach Ricks Tod hatte sie keinen Helikopter mehr sehen wollen. Doch allmählich war sie zu der Einsicht gelangt, dass Rick zumindest in Ausübung seines geliebten Berufs gestorben war.
„Ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest.“ Im selben Moment hätte Hart die Worte am liebsten zurückgenommen. Sie sollte nicht denken, ihm läge etwas daran, ob sie hier war oder nicht.
„Das hätte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen“, erwiderte sie leise. Sie sah an ihm vorbei zu den Cobras auf der Startbahn. „Würdest du mich mal mitnehmen?“
Hart starrte sie an. Keine seiner Freundinnen hatte je um einen Flug in seiner Cobra gebeten. Und selbst wenn, hätte er abgelehnt. Doch Suzannes Bitte traf ihn an einem empfindlichen Punkt, er wollte Ja sagen, und plötzlich begehrte er sie heftiger denn je.
Die Frage hatte Suzanne ebenfalls überrascht. Sie hatte nie den Wunsch gehabt, in einem Hubschrauber zu fliegen, schon gar nicht nach Ricks Absturz. Doch jetzt stand das Bild vor ihr – sie allein mit Hart über den Wolken …
Sie sah ihn an, und ihr Atem stockte. Die Sehnsucht in seinem Blick war intensiv, eine dunkle Verlockung.
„Wann immer du möchtest“, sagte er. Seine tiefe Stimme umhüllte sie wie ein samtener Mantel, der ihre Haut streichelte und ihre Sinne betörte. Er lächelte gelassen, sein Blick wurde herausfordernd. Seine männliche Ausstrahlung, die fast greifbare Aura von Kraft und Entschlossenheit schlug sie in den Bann.
Es durfte nicht sein. Ihre Vernunft sagte ihr, dass sie sich abwenden, ihn vergessen, sich vor ihm hüten sollte. Ihr Herz hörte jedoch nicht darauf. Sie forschte in seinen Zügen, obgleich sie nicht wusste, wonach sie suchte.
Das Sonnenlicht spielte auf seinem goldfarbenen Haar, spiegelte sich im tiefen Blau seiner Augen und warf scharfe Schatten auf seine kantigen Züge. Suzanne wollte ihn berühren, seine glatte Wange spüren, die klare Linie seines Kinns nachzeichnen und die Finger auf seine Lippen legen. Lippen, die so unerwartet sanft sein konnten.
Hart war bewusst, dass er die Beherrschung zu verlieren drohte. Doch im Moment war ihm das egal.
Suzannes Atem stockte. Sie wusste, was gleich geschehen würde, dass es ein Fehler war. Sie wusste auch, dass sie gehen sollte … und dass es zu spät war. Sie besaß weder den Willen noch die Kraft dazu.
Sie sah, wie er die Hand ausstreckte, spürte seine Berührung am Hals wie ein Brennen, das sie nie vergessen würde. Er fuhr mit der Hand in ihren Nacken und zog sie heran, sein Blick hielt sie gefangen. Dann senkte er den Kopf.
Jeder Nerv in ihrem Körper war gespannt vor Erwartung, sie war regungslos. Der Duft seines Rasierwassers umgab sie wie ein leichter frischer Hauch, sie musste an blauen Himmel und weiße Wolken denken, an eine kühle Brise und Sommerregen. Sein Atem strich über ihre Wange, eine zärtliche Liebkosung, die sie erschauern ließ. Sie beugte sich ihm entgegen.
Harts Augen wurden dunkel vor Verlangen. Er berührte ihre Lippen, ganz leicht, zögernd – und doch war es der intensivste, erotischste Kuss, den sie je erlebt hatte. Ihre Knie drohten nachzugeben. Furcht und Misstrauen schmolzen dahin, ihr mühsam errichteter Schutzschild brach in sich zusammen.
„Hart“, flüsterte sie und versuchte, das Pochen ihres Herzens zu ignorieren. „Wir sollten wirklich nicht … Ich finde …“ Sie bebte vor Begehren. „Das ist vielleicht ein Fehler.“
„Ich weiß.“ Er bedeckte ihren Mund mit ihren Lippen, sein Kuss wurde tiefer, fordernder. Sie spürte, wie er die Arme um sie legte, ihren Körper an sich presste.
Es war so gut. So richtig.
Die Menschenmenge auf den Startbahnen war vergessen, nur Hart existierte für Suzanne. Seine Lippen schürten ihre Leidenschaft, seine Berührungen ihr Verlangen. Und seine Arme hielten sie fest, sicher, geborgen.
Wie hatte sie sich nach diesem Moment gesehnt.
Plötzlich begann sein Piepser zu tönen.
Er beobachtete sie vom Hangar aus, verborgen vor ihren Blicken. Dieser verdammte Hart Branson. Alles war glattgelaufen, bis er auf der Bildfläche erschien. Aber eigentlich war es ihre Schuld. Ihre und die des verfluchten FBI-Agenten, der einfach nicht aufgab. Übereifrig, ja verbissen war dieser Typ. Und nun hatte er die Bescherung. Branson wurde gefährlich, er würde alles ruinieren, wenn sie ihn nicht zu Fall brächten.
Besucher liefen an ihm vorbei. Sie lachten und kommentierten die Vorführungen. Ein Jugendlicher fragte ihn etwas. Er antwortete freundlich, wobei er Hart und Suzanne nicht aus den Augen ließ.
Die Spannung fraß an seinen Nerven, heizte seine Wut an. Er hatte recht behalten. Er hatte geahnt, dass sie kommen und Branson um Hilfe bitten würde. Die anderen hatten ihm widersprochen und gemeint, Suzanne würde niemals nach Three Hills zurückkehren. Und sie waren im Irrtum.
Gemächlich schlenderte DeBraggo um eine der zu besichtigenden Cobras herum, während er Suzanne, den Offizier und den anderen Mann auf Beobachtungsposten im Blick behielt. Er zupfte an seinem angeklebten Schnurrbart, zog den Schirm seiner Baseballkappe tiefer und rückte die Sonnenbrille zurecht.
Es gab zu viele Spieler in diesem Match, mittlerweile wusste er nicht mehr, wer wen belauerte.
Suzanne ging in ihrem Wohnzimmer auf und ab, blickte durch die Glastüren hinaus auf die nächtliche Wüste, lief wieder zurück.
Es war spät. Hart würde nicht mehr anrufen. Umso besser. Was zwischen ihnen geschehen war und noch geschah, war verhängnisvoll.
Sie machte sich einen Kaffee, trat an die gläserne Schiebetür und starrte in die Nacht. Warum rief er nicht an?
Sie aß ein paar Schokokekse, trank noch eine Tasse Kaffee und lief unruhig umher. Wo war er?
Schließlich schaltete sie die Lampen aus, verriegelte die Türen und ging ins Schlafzimmer. Als sie die Schranktür öffnete, um ihr Negligé herauszuholen, schrie sie entsetzt auf.
Kleidungsstücke lagen am Boden. Die Brusttasche der gelben Seidenbluse war nach außen gestülpt. Jemand war im Bungalow gewesen.
Sie fuhr herum und nahm den Raum in Augenschein. Einige Gegenstände waren verschoben. Durch ein offenes Fenster, das zuvor geschlossen gewesen war, wehte Nachtluft herein. Ob jemand unter dem Bett lag? Hinter der Badezimmertür stand?
„Bitte nicht“, wimmerte sie, zu verängstigt, um sich zu rühren.
Kein Laut war zu hören. Sie waren weg. Vermutlich durch das Fenster. Erleichtert atmete sie auf. Wer mochte das getan haben? Hart gewiss nicht, sie waren zusammen gewesen.
Aber nicht die ganze Zeit, flüsterte eine Stimme in ihr. Er wurde abberufen, und sie war danach noch etwa zwei Stunden auf dem Militärgelände geblieben.
Sie stürzte ans Telefon, griff nach dem Hörer – und legte wieder auf. Vielleicht war ein Komplize von ihm hier eingedrungen, während Hart sie in den Armen hielt.
Als Hart endlich in seine Wohnung zurückkehrte, war die Sonne längst untergegangen, und er fühlte sich gründlich erschöpft. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen, besonders weil zu allem Überfluss auch noch General Walthorp seine Dienste in Anspruch genommen hatte. Der Truppenhauptmann des Generals war plötzlich krank geworden, und so hatte Walthorp kurzerhand Hart angewiesen, eine Flugvorführung der Blackhawks für den Tag der offenen Tür zu leiten.
Chief Carger war der Schütze in dem Blackhawk, den Hart flog. Das hatte seine Nerven strapaziert, obwohl er gar nicht wusste, warum eigentlich. Er war bislang immer gut mit dem Chief ausgekommen.
Hart dachte daran, wie Carger mit Suzanne gesprochen hatte, und das ärgerte ihn. Doch es lag wohl nur an seinem Argwohn. Jemand vom Cobra Corps hatte Verrat und Betrug begangen, und dieser Mann konnte eben auch der Chief sein.
Nach der Vorführung hatten mehrere Journalisten Hart interviewt, und anschließend beantwortete er die schier endlosen Fragen des Publikums. Schließlich konnte er diese Verpflichtungen auf Cowboy abladen, als er erneut abgeordert wurde.
Er blickte zum Telefon und überlegte, ob er Suzanne noch anrufen sollte. Er entschied sich dagegen. Sein Drang, mit ihr zu sprechen, hatte nichts mit dem vorliegenden Fall zu tun.
Hart seufzte und legte sich aufs Bett, ohne sich die Mühe zu machen, sich auszuziehen. Er zwang sich, nicht an Suzanne zu denken.
Major Lewis hatte ihn in sein Büro gerufen, ihm zunächst für den Beitrag seines Teams zum Erfolg der Veranstaltung gratuliert und ihm für den Extra-Einsatz für Walthorp gedankt. Dann folgte die schlechte Nachricht. Aus Washington hatte wieder jemand angerufen. Dieses Mal wurden Fragen nach Harts Privatleben gestellt.
Hart hatte bloß gelacht. Auf dem Gebiet gab es nicht viel zu berichten. Sein Privatleben fand praktisch nicht statt.
Außer, was Suzanne betraf.
Er ignorierte die leise Stimme in seinem Inneren, wälzte sich herum und drückte das Gesicht ins Kopfkissen.
Eine Stunde später fand er sich schließlich mit der Tatsache ab, dass er nicht schlafen konnte. Er stand auf, setzte sich an den Schreibtisch und schaltete den Computer an. Das Erste, was er sah, war eine Nachricht vom Senator.
Hart verwünschte sich, weil er seine E-Mails nicht eher abgerufen hatte, und holte die Nachricht auf den Bildschirm.
Forschen Sie im Fall „Jaguar Loop“ AUF KEINEN FALL weiter, und vertrauen Sie NIEMANDEM! stand da.