Kapitel zwölf

Oppositionsführer erschossen

D er Mann, der beinahe anstelle von Putin Herr des Kremls geworden wäre, Boris Nemzow, intelligent, mit wildem Haarschopf und voller Witz, der frühere theoretische Physiker, der zum demokratischen Politiker geworden war, war in Topform. Die Oligarchen hatten für Putins Olympische Winterspiele eine Straße von der Küstenstadt Sotschi hinauf zum Wintersportort in den Bergen gebaut, und zwar für die außergewöhnlich hohe Summe von fünf Milliarden Dollar. Im Dezember 2013, ein paar Wochen vor den Eröffnungsfeierlichkeiten, traf ich mich in Moskau mit Nemzow. Er witzelte: „Es wäre billiger gewesen, wenn man diese Straße mit Louis-Vuitton-Handtaschen gepflastert hätte.“

Ich erzählte Nemzow, dass ich Anatoli Pachomow, Bürgermeister von Sotschi und Putin-Anhänger, getroffen und ihn mit einer Frage herausgefordert hatte: Wie würde man mit homosexuellen Olympioniken umgehen? Pachomow hatte mir mit unbewegtem Gesicht geantwortet: „In Sotschi gibt es keine Homosexuellen.“

Die Behauptung Pachomows – ein Anklang an den Hit der Radio Stars aus dem Jahr 1977, No Russians in Russia – war absurd falsch, das war jedem klar, der auch nur das Geringste über das Seebad in Russlands tiefem Süden weiß. Nemzow hatte seine Freude an diesem Unfug: „Keine Homosexuellen in Sotschi? Unglaublich. Sagenhaft.“

Er kicherte und konnte sich kaum wieder beruhigen, sodass wir für unseren Film Putins Spiele der Sendereihe Panorama das Gelächter herausschneiden mussten, weil es so lange anhielt. Von allen Persönlichkeiten, die im Licht der Öffentlichkeit stehen und denen ich als Journalist begegnet bin, ist der Einzige, der an Nemzows Freude am Absurden heranreicht, der Dalai Lama – und der ist ein Gottkönig.

Als Nick Sturdee, Freelanceproduzent von Panorama , und ich versuchten, Geschichten aus erster Hand zu hören, bekam der Lack der putinschen Olympischen Winterspiele 2014 erste Kratzer. Wir fuhren in die Berge bis zu einem Kontrollpunkt mitten im Dorf Akhschtir östlich von Sotschi, nicht weit von der Grenze zu Georgien. Es ist ein Ort, der ziemlich im Nirgendwo liegt, nichts Besonderes, aber früher ist er nicht so hässlich gewesen wie heute. Hoch über dem Dorf sah man einen gewaltigen Steinbruch, in dem Kalkstein für die Bauarbeiten zu den Olympischen Spielen abgebaut worden war, jetzt sollte das riesige Loch in der Erde eine Mülldeponie werden. Den ganzen Tag donnerten Lastwagen am Kontrollpunkt vorbei. Ihre Motoren heulten auf, als sie sich im Schritttempo an unserem Auto vorbeibewegten, aber wir konnten es nicht wegfahren.

Die Soldaten waren vom FSB , und der Soldat, der die Führung innehatte, herrschte mich auf Russisch an, wir könnten nicht passieren. Aber um unsere Arbeit zu machen, mussten wir passieren. Die Dorfbewohner behaupten, dass die schicke 5-Milliarden-Dollar-Straße von Sotschi zum Wintersportort das Dorf von Sotschi abgeschnitten hat. Die Kinder hatten früher einen Schulweg von zwanzig Minuten, heute müssen sie eine Stunde lang eine verschlammte Straße hinunterfahren, weil die versprochene Zufahrtsstraße nicht gebaut worden ist.

Ich blickte dem FSB -Knecht in die Augen und sagte: „Präsident Putin hat dem Internationalen Olympischen Komitee versprochen, Journalisten würden in Sotschi willkommen sein.“ Nick übersetzte, und leichtes Unbehagen zeigte sich auf dem Gesicht des Soldaten. Er war jung, blond und trug eine mächtige Waffe. Aber er wollte sich nicht mit einem Fremden streiten, der den Präsidenten zitierte. Er nahm unsere Pässe und zweifelte unseren Status an: „Woher wissen wir, dass ihr wirklich Journalisten seid?“ Wir hatten keine russischen Presseausweise, denn obwohl wir unsere Anträge bereits drei Wochen zuvor eingereicht hatten, war das Außenministerium in Moskau nicht in der Lage gewesen, uns Ausweise auszustellen oder uns mitzuteilen, dass es Probleme gab.

Ein Dörfler ging vorbei und drückte mir etwas in die Hand: eine Visitenkarte von Robert Roxburgh, Pressesprecher des Internationalen Olympischen Komitees. Ich rief mit meinem Handy die Nummer auf der Karte an, teilte Roxburgh mit, dass das FSB uns die Pässe abgenommen hatte, und fragte ihn, was das IOC in dieser Angelegenheit zu tun gedenke. Er kritisierte uns, dass wir ohne russische Presseausweise nach Akhschtir gefahren waren. Ich erklärte, dass das Problem bei den Russen lag und nicht bei uns. Da behielt das FSB unsere Pässe ein, gestattete uns aber, den Kontrollpunkt zu Fuß zu passieren, damit wir die Dorfbewohner filmen konnten. Sie beschwerten sich über den Steinbruch, der Eigentum der Russischen Eisenbahnen sei, die ihrerseits dem Oligarchen Wladimir Jakunin gehörten, einem alten Kumpel von Wladimir Putin aus Sankt Petersburg.

Als wir zum Kontrollpunkt des FSB zurückkamen, sagte uns der Soldat, um unsere Pässe zurückzubekommen, müssten wir ein Dokument unterschreiben, in dem wir zugaben, dass wir illegal ins Grenzgebiet vorgedrungen wären. Ich rief erneut bei Roxburgh an. Er schnaufte und keuchte. Ein Ausweg ergab sich, als einer der Männer des FSB vorschlug, wir sollten auf ihrem Dokument mit „Ich weigere mich zu unterschreiben“ unterschreiben. Das taten wir und waren frei.

Arbeiter behaupteten, man habe sie um ihren Lohn betrogen. Nur wenige wollten das vor laufender Kamera sagen, aber der Elektriker Mardiros Demerchan war eine Ausnahme. Er sagte uns, als er sich beschwerte, habe ihn die Polizei wegen eines frei erfundenen Verdachts festgenommen. „Sie fingen an, mich zu verprügeln, ein Mann von der einen Seite und ein zweiter von der anderen Seite. Ich verlor beinahe das Bewusstsein und fiel hin, aber sie zerrten mich wieder hoch und drückten mich auf einen Stuhl. Einer von ihnen sagte: ‚Hast du jetzt genug, oder müssen wir dich noch weiter verprügeln?‘“

Demerchan behauptete, er sei gefoltert und mit einer Eisenstange vergewaltigt worden. Als er versuchte, Anklage gegen die Polizei zu erheben, verklagte man ihn wegen Verleumdung.

Die Mondlichtung erwähnte ich dem FSB gegenüber nicht. Es ist meine Übersetzung des russischen Lunnaja Poljana (Mondfeld), eine Geheimbasis hoch oben in den Bergen, nur mit dem Hubschrauber zugänglich; es klingt wie das Versteck eines Bösewichts aus einem James-Bond-Film. Sie ist in einem früheren Nationalpark errichtet worden und offiziell eine meteorologische Forschungsstation, scheint aber eine streng geheime Skihütte des Präsidenten zu sein. Der Umweltaktivist Jewgeni Witischko ist zur Mondlichtung hinaufgewandert und berichtete uns: „Wladimir Putin gefiel es, und er beschloss, sich dort ein Landhaus zu bauen.“ Witischko engagierte sich dagegen, dass in der Nähe weitere Landhäuser errichtet würden: „Man muss etwas gegen dieses Ferienhaus-Fieber tun – und genau das tun wir. Deshalb hat uns das Gericht für schuldig befunden.“ Witischko bezog sich darauf, dass er wegen Sachbeschädigung angeklagt war, weil er angeblich ein Graffito auf einen Zaun gemalt hatte, was er bestreitet. Nachdem Witischko in unserem Panorama -Bericht Putin’s Games aufgetreten war – er traf diese Entscheidung selbst, er wusste, dass es seinem Aktivismus zugutekommen würde –, wurde er zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Bei den Berichten für Panorama verfuhr ich gerne so, dass ich alles auf die Spitze trieb, sodass, wenn die Verantwortlichen im Sender mich ausbremsten – sie kippten mir stets kalte Milch in den Tee –, dennoch etwas Interessantes für die Fernsehzuschauer übrig blieb. Ich schlug vor, den Teil unseres Panorama -Berichts Putin’s Games , der von der Mondlichtung handelte, mit Filmmusik von John Barry aus Capsule In Space zu unterlegen, mit dem Stück aus dem Bond-Film Man lebt nur zweimal , wo die SMERSH -Satelliten die sowjetischen und amerikanischen Satelliten verschlingen. Es ist ein brillantes und gruseliges Riff. Die Befehlsempfänger von der BBC waren über den ganzen Rest der Folge so fürchterlich erschrocken, dass irgendwie vergessen wurde, diesen Teil abzuschwächen, und er blieb drin.

Dass uns der FSB in Gewahrsam genommen hatte, der Zorn der von der Außenwelt abgeschnittenen Dorfbewohner, die Folterung des Elektrikers, die Verhaftung und Verurteilung des tapferen Grünen standen für mich sinnbildlich für Putins Spiele: die Obrigkeit tat so, als wäre sie sehr freundlich, doch hin und wieder war sie nicht wachsam genug, und man konnte einen kurzen Blick auf den Polizeistaat erhaschen, der die Machtlosen beraubt und den Mächtigen dient.

Boris Nemzow verabscheute Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine, die Besetzung der Krim und die getarnte Invasion der Gebiete um Donezk und Luhansk in der Ostukraine. Im Frühjahr 2014 feuerte er auf seiner Facebook-Seite folgenden Schuss geradewegs in Richtung Kreml ab:

Putin hat in der Ukraine einen Bruderkrieg vom Zaun gebrochen. Diese grausame Dummheit eines wahnsinnigen KGB -Mannes wird Russland und die Ukraine teuer zu stehen kommen: Wieder einmal werden auf beiden Seiten junge Männer den Tod finden, Müttern und Ehefrauen werden die Söhne und Männer geraubt, Kinder zu Waisen gemacht. Auf die verödete Krim werden keine Touristen mehr kommen. Zweistellige Milliardenbeträge in Rubeln werden Alten und Kindern genommen und in die Kriegsmaschinerie geworfen, und anschließend sogar noch mehr Geld, um das räuberische Regime auf der Krim finanziell zu unterstützen … Der Ghul braucht einen Krieg. Er braucht das Blut des Volkes. Russland kann sich darauf freuen, international isoliert dazustehen, es kann sich freuen auf die Verelendung seines Volkes und auf Repression. Mein Gott, warum sollten wir derartig verflucht sein??? Wie lange können wir das noch ertragen?!

Ein gutes Jahr nachdem ich ihn interviewt hatte, wurde Nemzow, der sich damals vor Lachen kaum hatte halten können, erschossen, am 27. Februar 2015, auf einer Brücke über die Moskwa, keine hundert Meter vom Kreml entfernt. Ich erinnere mich, wie ich meinen Produktionsleiter von Panorama , Andrew Head, anrief und ins Telefon schluchzte. Heute, sieben Jahre später, ist noch immer niemand als Auftraggeber der Ermordung angeklagt worden. Nemzow ist ein außergewöhnlicher Mensch gewesen, der freundlichste, witzigste und menschlichste Russe, dem ich je begegnet bin. Sein brutales Ende hatte zur Folge, dass ich in einer tiefen Depression versank. Ich hämmerte einen Thriller über das moderne Russland in die Tasten, Cold , und widmete ihn drei Menschen aus Russland, mit denen ich zusammengetroffen war und die erschossen worden waren: Anna Politkowskaja, Natalja Estemirowa, Boris Nemzow.

In der London Review of Books stellte Keith Gessen Überlegungen zu Nemzows Facebook-Beitrag gegen den Krieg in der Ukraine an und schrieb nach dessen Ermordung: „Er wurde wegen seines Widerstandes gegen den Krieg getötet. Von Anfang an haben Kritiker davor gewarnt, dass der Krieg in der Ukraine irgendwann auch in Moskau ankommen würde. Ganz gleich, wer auf der Brücke abgedrückt hat – jetzt ist der Krieg da.“

Nemzow war kein Dummkopf. Er ahnte, was ihn erwartete. Einen Monat vor seiner Ermordung bloggte er, seine Mutter, damals 87 Jahre alt, fürchte, Putin werde ihn töten lassen. Ob er selbst Angst davor habe, wollte jemand wissen. „Ja, nicht so sehr wie meine Mutter, aber schon …“ Aber wie es nun einmal seine Art war, fuhr Nemzow fort: „Das war nur ein Scherz. Wenn ich Angst vor Putin hätte, würde ich nicht im gleichen Berufsfeld arbeiten wie er.“

Es war kein Scherz. Zwei Wochen vor seiner Ermordung sagte er seiner alten Freundin, der Journalistin Jewgenia Albaz, er befürchte, man könnte ihn umbringen, legte aber auch die Gründe dar, warum das nicht geschehen würde: Er war ein hohes Tier im Kreml gewesen, stellvertretender Ministerpräsident, und ihn zu töten, würde einen blutigen Präzedenzfall schaffen.

Hier irrte Nemzow. Er wurde mehrmals in den Rücken geschossen, in einem der am sorgfältigsten von Überwachungskameras erfassten Bereiche der Welt. Die offizielle Darstellung lautete, ein Müllwagen habe den Kameras des Kremls die Sicht genommen, sodass sie den oder die Mörder nicht aufnehmen konnten. Aufmerksame Leser werden es bereits begriffen haben, aber um jedes Missverständnis auszuschließen: Die offizielle Darstellung ist völliger Schwachsinn. In meiner mehr als vier Jahrzehnte langen Tätigkeit als Reporter bin ich nirgendwo häufiger von Polizisten aufgehalten worden als vor dem Kreml. Man kommt keine fünf Meter weit, ohne dass wieder ein Bulle deinen Pass sehen will. Die Vorstellung, dass Nemzow ermordet worden ist und keine einzige Kamera des Kremls entscheidendes Beweismaterial aufgezeichnet haben soll, ist absurd. Putins Pressesprecher Dmitri Peskow rieb Salz in die Wunde: „Putin hat festgestellt, dass dieser grausame Mord alle Kennzeichen eines Auftragsmordes trägt und extrem provokativ ist … In politischer Hinsicht stellte er für die gegenwärtige russische Führung oder für Wladimir Putin keinerlei Bedrohung dar. Wenn wir die Popularität mit der von Putin und der Regierung und so weiter vergleichen, war die von Boris Nemzow nur geringfügig höher als die eines durchschnittlichen Bürgers.“

Um noch einmal jedes Missverständnis auszuschließen: Nemzow stellte sehr wohl ein Problem für Wladimir Putin dar. Die eine Person, die von seinem Mord profitierte, war der Herr des Kremls.

Die polizeiliche Untersuchung des Mordes am inoffiziellen Führer der russischen Opposition verlief genau so, wie aufmerksame Leser es erwarten würden: Die Moskauer Polizei preschte in die falsche Richtung davon. In der Nacht nach dem Mord durchsuchte sie Nemzows Wohnung und beschlagnahmte seine Computerfestplatten. Natürlich – das Opfer war der Feind. Die in Russland geborene amerikanische Reporterin Julia Ioffe sagte voraus, was geschehen würde: „Wir können sicher sein, dass die Untersuchung zu keinerlei Ergebnis führen wird. Bestenfalls wird ein bedauernswerter Trottel als mutmaßlicher Schütze vor einen Richter gezerrt, als Sündenbock für jemanden, der weitaus mächtiger ist. Wahrscheinlicher ist es, dass die Ermittlungen scheitern werden, unter fortgesetzten Versicherungen, alle würden schwer daran arbeiten, und niemand wird je zur Rechenschaft gezogen werden.“ Der Kreml, schrieb sie, sei bereits dabei, den Leuten „Sand in die Augen zu streuen“.

Kluge Leute in Moskau waren unterschiedlicher Auffassung darüber, wer den Auftragsmord angeordnet haben könnte. Nemzow war ein langjähriger Dorn in Wladimir Putins empfindlicher Flanke. Aber wie Anna Politkowskaja vor ihm übte auch er unumwunden Kritik an dem psychotischen tschetschenischen Kollaborateur Ramsan Kadyrow. Der oppositionelle russische Aktivist Ilja Jaschin hatte den Verdacht, Kadyrow habe Nemzow töten lassen. Es gab Gerüchte, Offiziere des FSB hätten eindeutige Beweise gefunden, dass der tschetschenische Satrap den Mord in Auftrag gegeben habe, und wären frustriert gewesen, dass Putin nach Tagen der Unentschlossenheit anordnete, ihre Untersuchungen abzuschließen.

Ich sage meinen ukrainischen Freunden immer wieder: Es gibt ein anderes Russland. Das Problem liegt darin, dass die Alternativen zu Wladimir Putin entweder tot sind oder zumindest nicht sehr lebendig.

Im Dezember 2016 war ich zurück in Moskau und beschäftigte mich mit einem der intellektuellen Schwergewichte von Wladimir Putins Russland. Mit seinem langen Haar und Bart und dem typisch slawischen Aussehen wird Alexander Dugin, damals 54 Jahre alt, verschiedentlich als „Putins Hirn“ oder „Putins Rasputin“ bezeichnet. Zu dieser Zeit hatte er seine eigene kreml-freundliche Fernsehshow, die die russisch-orthodoxe Überlegenheit propagierte. Stellen Sie sich eine Sendung vor, in der mit Goebbels-artiger Rhetorik Hymnen gesungen werden, und Sie bekommen eine Ahnung von dieser Gehirnwäsche. Dugin ist Verfechter des Eurasianismus, der Ideologie, dass Russland ein einzigartiges Land ist, das sowohl Europa als auch Asien umfasst und sich infolgedessen hochhalten und sich von den verlockenden, schwächenden Krankheiten der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fernhalten muss. Das ist herkömmlicher Faschismus, verpackt in hochtrabendes Geschwätz, aber abgesehen davon wird weithin angenommen, dass Dugin das Vertrauen des Kremls genießt. Als ich ihn traf, hatte der Westen Sanktionen gegen ihn verhängt, wegen der Heftigkeit seiner Äußerungen zugunsten der russischen Invasion der Ukraine und seiner Weigerung, die nationale Unabhängigkeit der Ukraine anzuerkennen. Zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2016 hatte Putins Krieg im Donbass erst 10000 Menschenleben gekostet.

Dugins Masche war die Behauptung, die größten Gefahren für die westliche Zivilisation lägen im schwächenden Liberalismus und im islamistischen Extremismus. Andere sympathisierten mit dieser Ansicht, darunter auch Präsident Donald Trumps Chefstratege Steve Bannon. 2016 schienen Trump und Bannon die Herren des Universums zu sein. 2014 hatte Bannon, damals noch Chef des ultrarechten Nachrichtenportals Breitbart News, seine Ansichten bei einem rechtsgerichteten Treffen im Dunstkreis des Vatikans dargelegt und behauptet, der sogenannte Islamische Staat habe einen Twitter-Account darüber, wie er „die Vereinigten Staaten in ‚Ströme von Blut‘ verwandeln“ wolle.

„Glauben Sie mir, das wird nach Europa kommen“, fügte er hinzu. „Obendrein stehen wir heute meiner Meinung nach am Beginn eines globalen Krieges gegen den islamischen Faschismus.“

Wenn man sich dem Kreml darin anschließt, wie er den „islamistischen Faschismus“ in, sagen wir mal, Aleppo bekämpft, besteht die Gefahr, dass man letztendlich Partei für den russischen Faschismus ergreift. Über dieses Risiko schien Alexander Dugin nicht nachdenken zu wollen. Mein Interview mit ihm in Moskau nahm kein gutes Ende.

Als Erstes tat er die Wahrscheinlichkeit, dass die Russen anlässlich der Präsidentschaftswahl 2016 die amerikanische Demokratie hackten, als „gleich null“ ab.

Sweeney: Die Leute fragen sich, wie es mit Wladimir Putins Verpflichtung zur Demokratie steht.

Dugin: Passen Sie auf. Ihr könnt uns keine Demokratie beibringen, denn ihr versucht, jedem Menschen, jedem Staat, jeder Gesellschaft das westliche amerikanische oder sogenannte amerikanische Wertesystem aufzudrängen, ohne zu fragen … und das ist komplett rassistisch. Sie sind ein Rassist.

Sweeney: Es ist doch so: Wenn man Wladimir Putin gegenüber kritisch ist, kann man als Leiche enden.

Dugin: Auch wenn man mit Wikileaks zu tun hat, kann man ermordet werden.

Sweeney: Und ist Julian Assange tot?

Dugin: Nein.

Sweeney: Einen Moment, bitte berichten Sie mir doch von Boris Nemzow. Er ist hundert Meter vom Kreml entfernt ermordet worden.

Dugin: Von Putin? Sie glauben, Putin hat ihn ermordet?

Sweeney: Er war ein Putin-Kritiker. Können Sie mir sagen, wie viele amerikanische Journalisten unter Barack Obama gestorben sind? Das können Sie nicht, oder?

Dugin: Das ist eine vollkommen alberne Unterhaltung. Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, aber ich möchte nicht weitermachen.

Dann riss sich Dugin das Ansteckmikrofon ab und beendete das Interview.

Und wir hatten uns so gut verstanden …

Später postete er auf seinem Blog einen Beitrag für seine 20000 Follower, mit einem Foto von mir, und beschuldigte mich, ich würde „Fake News“ erzeugen: „Ich habe einen BBC -Korrespondenten rausgeworfen, einen berüchtigten Mistkerl! Einen totalen Schwachkopf … John Sweeney. Sein Name sagt schon alles: er ist ein ‚globalistisches Schwein‘. Sie machen eine Fake-News-Dokumentation darüber, wie die Russen geholfen haben, dass Trump Präsident wurde, und ihr einziger Beweis besteht darin, dass Putin beim KGB gearbeitet hat. Völlige Idioten. Keinerlei journalistische Fähigkeiten! Propagandisten im Nazi-Stil. Haltet euch von denen fern!“

Das ist die Sprache der neuen Weltordnung.

Wo immer ich von nun an in Russland hinging, war mir jemand auf den Fersen.