M axim Borodin war ein brillanter Investigativ-Journalist, zweiunddreißig Jahre alt, leicht dandyhaft mit Fliege und Kammgarnsakko, der eigentlich in Jekaterinburg im Ural wohnte, aber eben erst seinen Traumjob in Moskau bekommen hatte. Er hatte sich durch seine Arbeit für den Pressedienst Nowi Den einen Namen gemacht und sich dabei den Zorn der rechtsextremen Monarchisten zugezogen, die sich über seine Berichterstattung rund um den heftig umstrittenen Film Mathilde empörten, der von der außerehelichen Beziehung des – im Juli 1918 zusammen mit seiner Familie von den Bolschewiken ermordeten – Zaren Nikolaus II . zu der Primaballerina Matilda Kschessinskaja handelt. Max erzählte, dass er 2017 von einem Rechtsaußen-Aktivisten eins mit einer Eisenstange übergezogen bekommen hatte.
Im April 2018 rief er eines Morgens um fünf Uhr in der Früh bei seinem Freund Wjatscheslaw Baschkow an und sagte: „Auf meinem Balkon stand gerade jemand mit einem Gewehr, und auf dem Treppenabsatz sind maskierte Männer in Tarnkleidung.“ Maxim wohnte im fünften und obersten Stockwerk seines Apartmenthauses. Für einen gut trainierten Scharfschützen wäre es ein Kinderspiel, sich vom Dach auf seinen Balkon abzuseilen. Als Maxim seinen Freund Baschkow ein paar Stunden später ein zweites Mal anrief, klang die Geschichte plötzlich ganz anders: Es waren nur ein paar Sicherheitsleute bei einer Übung gewesen. Einen Tag später wurde Maxims lebloser Körper auf dem Boden vor seinem Wohnhaus entdeckt. Die Polizei nahm die Ermittlungen auf und kam zu dem Schluss, dass er betrunken aus dem Fenster gefallen war und dass es sich um Selbstmord handelte.
Zumindest ist das das offizielle Märchen.
Eine andere Version von Maxims Tod geht wie folgt: Im Februar 2018 erhielten die russischen Söldner der sogenannten Gruppe Wagner den Befehl, ein Gebiet mit reichen Ölvorkommen in Syrien einzunehmen, das von der Freien Syrischen Armee (FSA ), den Gegnern Assads und Russlands, kontrolliert wurde. Die Söldner der Gruppe Wagner sind zu Recht als brutale Mörder, Vergewaltiger, Räuber und Folterknechte mit engen Verbindungen zum Kreml verrufen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich ist die Gruppe Wagner Putins Schattenarmee, gesteuert von einem seiner Günstlinge, Jewgeni Prigoschin, der im Jahr 1981 wegen Diebstahl, Betrug und Prostitution Minderjähriger zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Heute ist er ein Milliardär. Sein Spitzname ist „Putins Koch“, weil er eines von Putins Lieblingsrestaurants in Sankt Petersburg leitete. Offiziell verdient er sein Geld damit, dass sein Unternehmen für die Verpflegung der russischen Streitkräfte sorgt, wenn auch manche Ration seit Jahren abgelaufen ist. Im Verborgenen jedoch finanziert Prigoschin mutmaßlich Trollfabriken und Hackerlabore, die sich im Vorfeld der US -Präsidentschaftswahl 2016 Zugang zu den E-Mails der US -Demokraten verschafften und so nicht unwesentlich zu Donald Trumps Sieg beitrugen. Und Prigoschin wird eben auch verdächtigt, Hintermann der Gruppe Wagner zu sein, einem Sammelbecken für russische Ex-Soldaten, die für Geld erst im Donbass im Osten der Ukraine und dann in Syrien, Libyen, der Zentralafrikanischen Republik und in Mali mordeten. Benannt ist die Gruppe nach Hitlers Lieblingskomponisten; ihr Scheinanführer Dmitri Utkin trägt die Doppelrune der Nazi-SS als Tätowierung und wurde 2016 in Putins Gesellschaft fotografiert. Wenn es dem Kreml tatsächlich ernst mit der „Entnazifizierung der Ukraine“ wäre, sollte er zuerst einmal seine eigene Privatarmee hinter Schloss und Riegel bringen.
Die Wagner-Operation in Syrien endete in einem Desaster, weil die Freie Syrische Armee Unterstützung von den US -Streitkräften bekam. Als die Amerikaner die Wagner-Söldner auf die von der FSA kontrollierten Ölfelder vorrücken sahen, kontaktierten sie ihre Verbindungsmänner in der russischen Armee und forderten sie auf, ihre Leute zu stoppen. Die Warnung wurde nie weitergegeben, die Amerikaner eröffneten das Feuer, und ungefähr zweihundert russische Söldner kamen ums Leben. Ein Teil der getöteten Wagner-Männer kam aus Asbest, nicht weit von Jekaterinburg entfernt. Maxim Borodin interviewte Verwandte der Verstorbenen, die wütend und verzweifelt über den Tod ihrer Liebsten waren. Elena Matwejewa, Witwe von Stanislaw Matwejew, rief im Beisein des Journalisten den Kommandanten ihres Mannes an. Der nahm während des Gesprächs kein Blatt vor den Mund, nicht ahnend, dass Maxim zuhörte und den Anruf per Video aufzeichnete. „In einem Bataillon“, erzählte er ihr, „wurden auf einen Schlag zweihundert Mann getötet. Wir hatten nur AK 47, nicht eine einzige Flugabwehrrakete. Sie haben uns plattgemacht, haben uns mächtig eingeheizt. Die Yankees haben gesagt, ‚Achtung, Russen, wir kommen‘.“
Ich drehte für die BBC -Spätnachrichtensendung Newsnight einen kurzen Film über Maxims rätselhaften Tod, in dem Wjatscheslaw Baschkow sagt: „Maxim war freundlich, lustig, ich würde ihn niemals als selbstmordgefährdet einschätzen.“
Was Maxim tatsächlich widerfahren ist, wird sich wohl nie abschließend klären lassen, aber meine Arbeitshypothese lautet wie folgt: Das von den Amerikanern unter den Wagner-Männern angerichtete Blutbad war eine Demütigung für Prigoschin und seinen tätowierten Befehlshaber Utkin, aber sie arbeiteten hart daran, die Geschichte aus den russischen Schlagzeilen herauszuhalten; Maxims Bericht, untermauert durch das Video des gesprächigen Kommandanten, war ein weiterer Schlag ins Gesicht; Maxim besaß, weil er gerade erst als Reporter anfing, noch nicht das richtige Gespür für das extreme Risiko, das er einging; Als Maxim seinem Freund Baschkow morgens um fünf erzählte, dass ein Mann mit einem Gewehr bei ihm auf dem Balkon stehe, stand wirklich ein Mann mit einem Gewehr bei ihm auf dem Balkon; dasselbe gilt für die Männer in Tarnkleidung; die spätere Geschichte von der Übung der Sicherheitsmänner war eine durch Folter erpresste Lüge; die Wagner-Leute ermordeten Maxim, indem sie ihn aus dem Fenster warfen; die örtliche Polizei wollte nicht in ein Wespennest stechen.
Kurz darauf kamen in der Zentralafrikanischen Republik drei russische Investigativ-Journalisten unter rätselhaften Umständen ums Leben, die Nachforschungen zu mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen der Gruppe Wagner angestellt hatten. Die Botschaft war mehr als deutlich: Du bist ein Investigativ-Journalist mit dem Wunsch, früh zu sterben? Dann stell einfach die falschen Fragen zur Wagner-Gruppe.
Maxims Ermordung beunruhigte mich zutiefst. Parallel zu meinem Newsnight -Beitrag hatte ich für die Website der BBC einen Online-Artikel verfassen wollen, bekam aber zu hören, dass das nicht ging. Wieder einmal merkte ich, dass die BBC - Kollegen dem System aus Stellvertreter-Mördern des Kremls zu viel Zweifel zugutekommen ließen. Und ich war nicht allein mit meiner Befürchtung, denn auch die Kollegen des ukrainischen Nachrichtendiensts der BBC kamen offen auf mich zu, besorgt darüber, dass der russische Nachrichtendienst der BBC und die BBC Moskau den Kreml in ihren Berichten mit Samthandschuhen anfassten. Ein Kollege sagte zu mir: „John, du bist der einzige Reporter, der dem Kreml richtig was anhängt, der einzige.“ Professor Donald Rayfield hat mir erzählt, dass der russische Nachrichtendienst der BBC zu Sowjet-Zeiten exzellent gewesen war, sich jedoch in den letzten Jahren gewandelt hatte: „Ich glaube, er wurde kompromittiert und infiltriert.“
Dieses Gefühl hatte auch ich. Ich hatte zudem das Gefühl, unter Druck gesetzt zu werden. Doch noch hielt mein Glück.
Als ich meinen Thriller The Useful Idiot über den Holodomor schrieb, widmete ich ihn Maxim Borodin und machte den Journalisten zu einer der Hauptfiguren. In meinem Roman stellt Stalins Geheimpolizei es so dar, als wäre die fiktive Figur Maxim Borodin aus dem Fenster im fünften Stock gesprungen. Was natürlich gelogen war. Ihre Männer hatten ihn kaltblütig ermordet.
Doch wer mit den Wölfen, alias dem Kreml, heult, dem bietet sich ein Kaleidoskop von Möglichkeiten. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass es Russlands geheimem Staat gelungen ist, führenden Köpfen in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien besorgniserregend nahe zu kommen. Wieder und wieder hat der Kreml westliche Demokratien in eine Art Matrjoschka-Spiel verwandelt. Öffne die Donald-Trump-Puppe und/oder die von Nigel Farage oder Jeremy Corbyn oder Matteo Salvini oder Marine Le Pen, und jedes Mal grinst dir Wladimir Putin entgegen.
Ein ganz klarer Fall von „nützlichem Idioten“ des Kremls ist Gerhard Schröder. Nach der verlorenen Bundestagswahl im Herbst 2005 legte er am 24. November sein Bundestagsmandat nieder und erklärte seinen Rückzug aus der Politik. Kurz danach wurde bekannt, dass er den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden der Betreibergesellschaft der Erdgas-Pipeline von Russland nach Deutschland durch die Ostsee übernehmen würde. Durch die neue Pipeline sollte russisches Gas zukünftig auf direktem Weg über die Ostsee nach Deutschland befördert werden. Die schwarze Magie des Kremls besteht darin, das Gas an den Transit-Ländern vorbeizuleiten und sie dadurch so sehr zu schwächen, dass sie dem russischen Bären nicht mehr die Stirn bieten können.
An dem privatwirtschaftlichen Konsortium, das heute als Nord Stream AG bekannt ist, hält der russische Staatskonzern Gazprom mit 51 Prozent die Mehrheit, weitere Gesellschafter sind deutsche, niederländische und ein französisches Energieversorgungsunternehmen. Schröders Aufgabe als Vorsitzender des Aufsichtsrats war, die Interessen der Aktionäre zu vertreten. Die Vereinbarung zum Bau der Ostsee-Pipeline war von den Aktionären erst im September desselben Jahres in Anwesenheit des damals noch amtierenden Bundeskanzlers Schröder und des russischen Präsidenten Putin in Berlin unterzeichnet worden. Dieser enge zeitliche Zusammenhang wurde in der deutschen Öffentlichkeit von Beginn an stark kritisiert Der US -amerikanische Demokrat Tom Lantos, ehemaliger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Kongress, sagte, er hätte Schröder gern einen „politischen Prostituierten“ genannt, „jetzt, da er von Putin dicke Schecks kassiert. Aber die Prostituierten in meinem Wahlbezirk fühlen sich beleidigt.“
Schröder bestritt stets, bereits im September 2005 etwas davon geahnt zu haben, dass ihm kurz danach ein privatwirtschaftliches Amt angetragen werden würde. In seinem Buch Entscheidungen: Mein Leben in der Politik legt er deshalb großen Wert auf die Feststellung, dass er erst im November 2005 und damit nach seinem Ausscheiden aus der Politik vom Vorstandsvorsitzenden der Gazprom gebeten worden war, den Aufsichtsratsposten zu übernehmen. Er habe das Angebot zunächst abgelehnt, weil er keine festen beruflichen Bindungen eingehen wollte. Erst als im Dezember 2005 Präsident Putin höchstpersönlich bei ihm anrief und ihn von der Bedeutung des europäischen Energieprojekts überzeugte, so Schröder, habe er sich bereit erklärt, den Vorsitz des Gremiums zu übernehmen.
Die öffentliche Debatte über die zeitliche Koinzidenz kommentierte Schröder dahingehend, dass er über die Unterstellungen „entsetzt“ sei. Spekulationen über einen Interessenkonflikt zwischen seiner politischen Entscheidung einer Unterstützung des Pipeline-Projektes als Bundeskanzler und seinem späteren Amt seien „in der Sache falsch und außerdem ehrenrührig“. Vielmehr legte er Wert auf die Feststellung, dass seine Unterstützung der Ostsee-Pipeline ausschließlich mit Interessen Deutschlands und Europas zu tun habe.
Seitdem häuften sich die Ämter Schröders. Bei Drucklegung dieses Buches war Gerhard Schröder Vorsitzender des acht Mitglieder umfassenden Aktionärsausschusses der Nord Stream AG , als einer von vier von Gazprom entsandten Vertretern. Daneben ist er Präsident des Verwaltungsrates der Nord Stream 2 AG . Diese Gesellschaft sollte eigentlich die mittlerweile fertiggestellte, aber wegen Putins Überfall auf die Ukraine Stand heute gestoppte und vielleicht nie in Betrieb gehende Parallel-Pipeline durch die Ostsee betreiben. Alle rund 140 Mitarbeiter des Unternehmens sind Presseberichten zufolge mittlerweile gekündigt.
Längere Zeit war Schröder auch Verwaltungsratsvorsitzender beim mehrheitlich staatlichen russischen Energiekonzern Rosneft. Igor Setschin, der CEO des Unternehmens, ist ein enger Vertrauter Wladimir Putins und war bis 2008 stellvertretender Leiter der russischen Präsidialverwaltung. In dieser Funktion war er verantwortlich für die Auflösung des staatlichen Ölkonzerns Yukos und dessen Übernahme durch Rosneft. Bis 2012 war er zudem stellvertretender Ministerpräsident der Regierung der Russischen Föderation. Bekannt wurde er zuletzt im März 2022 dadurch, dass seine von einer deutschen Werft gebaute 135-Meter-Luxusjacht Crescent , Wert ungefähr 600 Millionen Dollar, ausfahrbarer Helikopter-Hangar inklusive, von den spanischen Behörden festgesetzt wurde.
Von seinem Posten bei Rosneft trat Schröder erst im Mai 2022 zurück. Kurz zuvor wurde bekannt, dass sich das EU -Parlament dafür ausgesprochen hatte, Schröder wegen seiner diversen Verbindungen zu Russland auf die EU -Sanktionsliste gegen Russland zu setzen. Gleichzeitig wurde mitgeteilt, dass der ehemalige Bundeskanzler im Februar als einer von elf Aufsichtsräten für den Aufsichtsrat des russischen Staatskonzerns Gazprom nominiert worden sei, er aber auf jenen Posten bereits verzichtet habe, bevor er bei der Aktionärshauptversammlung am 30. Juni bestätigt werden konnte.
Die deutschen Medien haben über die Jahre unzählige Fotos von Schröder gemacht, wie er es auf Kosten des Kremls oder dessen Kumpane krachen lässt. Es besteht – ohne dass es bei Schröder diesbezüglich bisher Anhaltspunkte gibt – die Gefahr, dass solche Feiern in eine Falle führen können, in der kompromittierendes Material geschaffen wird. Hierüber sprach ich mit Chris Donnelly, der mir erklärte: „Das Ganze hat zwei Seiten. Einerseits lassen sich in den oberen Führungsetagen der Politik auf informeller Ebene viele Vereinbarungen und Übereinkünfte aushandeln. Man kann der Meinung sein, und das ist durchaus keine dumme Meinung, dass erfahrene Leute auf informeller Ebene sehr nützliche Übereinkünfte treffen und Beziehungen aufbauen können. In meiner Zeit bei der NATO waren die Meetings im Hauptquartier oft wahnsinnig formell und steif und äußerst unangenehm. Aber wenn ich dieselbe Gruppe von Russen abends zu mir nach Hause einlud und Jill [Chrisʼ Ehefrau] für uns kochte und wir ein paar Drinks nahmen, kamen Vereinbarungen zustande, die unter formelleren Umständen undenkbar gewesen wären. Das ist die eine Seite. Wenn man so etwas jedoch mit einem Land wie Russland machen will, muss man unbedingt wissen, dass die Leute, mit denen man verhandelt, professionell geschult sind und eine klare Strategie verfolgen. Bei dieser Art von Diplomatie also muss man ständig auf der Hut sein und sehr gut in dem, was man tut. Ansonsten wird man schnell über den Tisch gezogen.“
„Die gegnerische Seite, die Leute vom KGB , sind Profis darin, die Schwächen der Menschen zu erkennen?“, frage ich Chris.
„Jawohl. Sie sind ziemlich ausgebufft. Sie nutzen fröhlich Dinge wie Sex, Alkohol, Drogen, Macht. Und Stolz und Schmeicheleien und so weiter. Es geht nicht nur um Sex. Kompromat kann sehr viel raffinierter sein. Denken Sie an Kanzler Schröder und seine im Lauf der Jahre offensichtlich immer enger gewordene Freundschaft mit Putin. Er war viermal verheiratet, und alle vier Ehen sind kinderlos geblieben. Und dann hat ihm Putin geholfen, zwei Kinder aus einem Waisenhaus in Sankt Petersburg zu adoptieren.“
„Putin wusste also genau, was Schröder wollte?“
„Es muss nicht immer nur Sex oder Drogen oder Geld sein. Es kann etwas sehr, sehr Raffiniertes sein. Man muss den Hut ziehen vor so viel Professionalität.“
Tom Tugendhat, britischer Abgeordneter der Konservativen Partei und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Unterhaus, glaubt, dass man Putins Russland am besten als ein von seinem Geheimdienst gekapertes Land versteht. Alles wird durch das Prisma des Spionageapparats betrachtet. Kein Wunder also, dass die Agenten des Kremls – geschult darin, menschliche Schwächen zu erkennen, und mit Unsummen an Geld ausgestattet – in der Lage waren, so viele Politiker des Westens zu umgarnen und einzuwickeln, die meisten davon, aber bei Weitem nicht alle, am äußersten rechten Rand des rechten politischen Spektrums.
Die am äußeren rechten Rand stehende französische Politikerin Marine Le Pen musste während der Debatte vor der französischen Präsidentschaftswahl 2022 Präsident Macrons Spott über sich ergehen lassen, als er Putin als ihren „Banker“ bezeichnete. Ihre Partei, der euphemistisch benannte Rassemblement National (ehemals Front National), zahlt gerade ein Darlehen in Höhe von zwölf Millionen Dollar eines russischen Unternehmens zurück, gegen das die USA inzwischen Sanktionen verhängt haben. Wie viel Moskauer Gold genau in die Taschen der französischen rechtsextremen Bewegung geflossen ist, lässt sich, während ich das hier schreibe, nicht genau sagen. Aber es dürfte sich um eine beträchtliche Summe handeln.
Dasselbe gilt für den Italiener Matteo Salvini, Rechtsaußen-Wunderkind und Anführer der Partei Lega Nord. 2018 wurden drei Russen und drei Italiener, einer davon ein enger Berater Salvinis, im Moskauer Metropol Hotel – nur einen Goldbarrenwurf vom Kreml entfernt – heimlich bei einem Gespräch darüber aufgenommen, wie die Partei des damaligen stellvertretenden italienischen Premierministers und zugleich Innenministers von der russischen Großzügigkeit profitieren konnte. Eine solch finanzielle Zuwendung wäre ein eklatanter Rechtsbruch gewesen, da das italienische Wahlgesetz den Parteien verbietet, große Parteispenden von ausländischen Quellen anzunehmen. Gianluca Savoini, der langjährige Berater Salvinis, war am Tag zuvor mit meinem alten Freund Alexander Dugin, Putins Rasputin, fotografiert worden. Tags darauf wurde Savoini mitgeschnitten, wie er sagte: „Wir wollen Europa verändern. Ein neues Europa muss wieder so nahe an Russland heranrücken wie früher, denn wir wollen unsere Souveränität wiederhaben.“ Salvini war zwar nicht bei diesem Treffen dabei, doch er war zu diesem Zeitpunkt in Moskau. Vordergründig ging es bei den Verhandlungen der sechs Männer um ein mögliches Geschäft, bei dem ein großes russisches Petrochemie-Unternehmen Treibstoff für 1,5 Milliarden Dollar an den italienischen Energiekonzern Eni verkaufen sollte. Im Verborgenen sollten dabei über geheime Mittelsmänner fünfundsechzig Millionen Dollar Schmiergelder für die Lega abgezweigt werden.
Als Alberto Nardelli von BuzzFeed News Savoini mit dem Mitschnitt konfrontierte, antwortete der: „Entschuldigung, aber dafür ist mir meine Zeit zu schade.“ Aufgedeckt durch großartigen italienischen Journalismus, kam dieses Geschäft nie zustande. Doch es bleibt der Verdacht, dass der Kreml das „russische Dolce Vita“ seiner rechtsradikalen Busenfreunde finanziert hat.
Im Jahr 2000, nachdem ich aus Tschetschenien zurückgekehrt war und Wladimir Putin als Kriegsverbrecher titulierte, gab es in London zwei Personen des öffentlichen Lebens, die sich offen gegen diesen brutalen Krieg aussprachen, und ich bewunderte beide: Die eine war die Schauspielerin Vanessa Redgrave, der andere war der Labour-Abgeordnete Jeremy Corbyn.
Vanessa war ein Wunderwerk, sie verdammte Putins Handeln mit der puren Kraft ihrer Stimme. Sie stolzierte in das hölzerne Rund des Globe Theatre, einen Schlapphut auf dem rotblonden Haar, mit wehendem langem Mantel, einen schweren Stock in der Hand. Kaum stand sie vor uns, richtete sie den Stock auf uns, indem sie ihn in die Höhe schwang und langsam wieder sinken ließ, dann ein prüfender Stupser. Es war eine Herausforderung, eine Mutprobe, ein „Los, zeig, was du draufhast“. Der Observer -Fotograf Jon Reardon stand seinen Mann, ich hingegen nahm Reißaus und versteckte mich hinter dem Pressemenschen des Theaters.
Es gibt große Auftritte. Und es gibt Vanessa Redgrave, die einen Stock auf dich richtet.
Damals war sie zweiundsechzig, ein Alter, in dem man jedes Recht auf eine Gehhilfe und Stricknadeln hat, aber sie machte nicht den Eindruck, als wäre sie weich oder langsam geworden. Sie stieg zu den Göttern auf, um einen letzten Strahl von Aprilsonne zu erhaschen, und die Jahre fielen von ihr ab. Sie sah erstaunlich jung und lebendig aus, eine nicht zu unterschätzende lebendige Kraft.
Der Stock und der Schlapphut rührten daher, dass sie gerade die Rolle des Prospero in Der Sturm probte. Nach den Pressebildern bot sie mir an, mich im Auto zu ihrer Wohnung in Chiswick mitzunehmen. Es wurde eine regelrechte Achterbahnfahrt, als der kleine VW Polo abrupt anfuhr, mit einem Ruck wieder zum Stehen kann, nur um gleich darauf wieder loszusausen, während sie über das London Eye schimpfte, das wie ein „Raumschiff von Außerirdischen“ über dem Shell Building schwebte, und dann auf Tschetschenien zu sprechen kam.
Es gibt Autofahrten durch London. Und es gibt Autofahrten mit Vanessa Redgrave am Steuer.
In ihrer Wohnung zeigte sie mir einen offenen Brief, den die Initiatoren der Internationalen Kampagne für Frieden und Menschenrechte für Tschetschenien unterschrieben hatten, darunter auch Jelena Bonner, die Witwe des sowjetischen Dissidenten Andrei Sacharow, und sie selbst. Und dann begann sie zu reden, mit leiser Stimme, den Blick ins Leere gerichtet, eingehüllt in den Rauch ihrer Silk Cut : „Thomas Mann hat das Münchner Abkommen in einem Aufsatz heftig attackiert. Er sagte klipp und klar, dass Chamberlain die deutsche Opposition zerstört hat, die Hitler hätte aufhalten können. Ich fürchte, im Falle Russlands ist es nicht anders. Indem Putin das tschetschenische Volk in einem Genozid zerstört, sendet er uns eine Botschaft: ‚Seht genau hin, was wir mit Tschetschenien gemacht haben. Und, falls ihr Russen seid, seht genau hin, was wir mit Babitzki gemacht haben.‘“ Andrei Babitzki war ein Reporter, der für Radio Free Europe arbeitete und die Welt darüber informierte, was wirklich in Tschetschenien vor sich ging. Er wurde verhaftet, gefoltert und, schlimmer noch, Zeuge der Schreie anderer Gefolterter, darunter auch eine Frau im Todeskampf. Danach wurde er tschetschenischen Kollaborateuren übergeben, die Adam Denijew Treue geschworen hatten, dem Mann, den die tschetschenischen Exil-Regierung für die Ermordung von sechs Mitarbeiterinnen des Roten Kreuzes im Jahr 1996 verantwortlich macht. Babitzki wurde erst auf massiven internationalen Druck hin freigelassen.
„Babitzki“, fuhr Vanessa fort, „ist ein leuchtendes Beispiel für das, was noch gut ist in Russland.“ Die Zerstörung Tschetscheniens, die Verhaftung von Babitzki … „das alles sind Taten eines Faschisten. Für mich ist Putins Regime das eines Hitlers.“
Sie ärgerte sich darüber, dass Robin Cook, damals britischer Außenminister, und Tony Blair einen Kniefall vor Putin gemacht hatten: „Ich habe Mr. Blair getroffen. Er ist ein sehr attraktiver, einnehmender Mann. Ich fand die Verhaftung von Pinochet großartig und habe den Krieg gegen die Unterdrückung im Kosovo unterstützt. Cook und Blair glauben, sie könnten Putin im Zaum halten. Und sie machen denselben Fehler wie Franz von Papen, der glaubte, er könnte Hitler im Zaum halten.“
Bereits damals, im Jahr 2000, prophezeite Vanessa Redgrave, die bekanntermaßen zeitlebens eng mit der revolutionären Arbeiterpartei verbunden war, dass Putin in Zukunft Ärger machen würde: „Um die einfachen Russen dazu zu bringen, die tschetschenischen ‚Untermenschen‘ zu hassen, zeigte das Staatsfernsehen ‚tschetschenische Banditen‘, die russischen Soldaten die Kehle durchschnitten. Dass diese Bilder wieder und wieder vom russischen Fernsehen wiederholt wurden, ist der schlagende Beweis für eine Maschinerie des Hasses, die auf Hochtouren läuft.“
Lange wurden die Tschetschenen beschuldigt, die Mitarbeiterinnen des Roten Kreuzes ermordet und vier britische Ingenieure einer Telekommunikationsfirma geköpft zu haben: „Die Frage ist: Wer profitiert davon? Die Tschetschenen? Nein. Der Kreml? Ja.“
Sie machte eine kurze Pause, um sich eine weitere Zigarette anzustecken: „Ich habe mich wieder und wieder mit dem Holocaust beschäftigt, um herauszufinden, wie man ihn hätte stoppen können …“
Ein paar Leute begriffen haargenau, wer Wladimir Putin war, und zwar schon sehr früh. Auch Jeremy Corbyn war ein solch hellsichtiger Kritiker. Im Dezember 1999 unterstützte er einen Antrag des Parlaments, Putins Krieg in Tschetschenien zu verurteilen: „Dieses Haus verurteilt die russische Militäraktion in Tschetschenien und fordert den sofortigen Abzug der Truppen sowie eine politische, das Recht auf Selbstbestimmung anerkennende Lösung; es ist außerdem beunruhigt, dass das russische Verhalten teilweise von der Forderung nach Kontrolle der Öl- und Gaspipelines, die durch Tschetschenien verlaufen, motiviert ist; und es ist beunruhigt, dass sich die Kritik an Russland nicht ausreichend darauf fokussiert hat, Friedens- und Antikriegsgruppen in Russland zu unterstützen.“
Das macht Jeremy Corbyns späteren Verrat an der Anti-Putin-Koalition noch schändlicher. Im Jahr 2014 saß der Guardian -Journalist Seumas Milne einer Versammlung von Kremlkriechern im Waldai-Club in Sotschi vor, bei der Wladimir Putin als Hauptredner auftrat.
Nicht jeder beim Guardian hielt die Sache mit dem Waldai-Club für eine gute Idee. Luke Harding, der frühere Moskau-Korrespondent der Zeitung, schrieb, nach Waldai zu gehen, heiße, „eine Puppe im Marionettentheater des Kremls zu sein, mit dem einzigen Zweck, Putin gut dastehen zu lassen“. Milne und Harding gerieten während der Redaktionskonferenz heftig aneinander. Der Streit war in vollem Gang, als plötzlich Milnes Handy klingelte und Harding sagte: „Das muss der Kreml sein.“
Ein Jahr später wurde Corbyn zum Vorsitzenden der Labour-Partei gewählt und machte Milne zu seinem PR -Mann. Im Jahr 2018, nach dem Giftanschlag auf die Skripals im März, fragte Corbyn die damals amtierende Premierministerin Theresa May im Unterhaus: „Was haben Sie der russischen Regierung geantwortet, als sie um eine Probe des bei dem Anschlag in Salisbury verwendeten Wirkstoffes gebeten hat, um eigene Tests durchzuführen?“
Es war, als würde man verlangen, dass der Axtmörder seine Axt zurückbekommt. Eine Reihe von Hinterbänklern begehrte gegen die kriecherische und beschwichtigende Kreml-Politik ihres Vorsitzenden auf. Yvette Cooper verlangte, die von der UK -Regierung festgestellte Einmischung des russischen Staates müsse „unmissverständlich verurteilt werden“. Mehrere Labour-Abgeordnete unterschrieben einen Antrag, der besagte: „Dieses Haus sieht es als erwiesen an, dass der russische Staat die Schuld an der Vergiftung von Julia und Sergei Skripal trägt.“
Hinter den Kulissen schaufelte Milne seinem Chef ein noch tieferes Grab, indem er den Westminster-Journalisten in seiner Rolle als Sprecher des Oppositionsführers sagte: „Ich denke, die Regierung hat ganz klar Zugang zu Informationen aus geheimdienstlichen Quellen in dieser Angelegenheit, den andere nicht haben; wir alle kennen aber auch eine Geschichte bezüglich Massenvernichtungswaffen und Geheimdienstinformationen, die, freundlich ausgedrückt, problematisch ist. Der richtige Weg wäre also, wie ich meine, die Suche nach Beweisen; und die Einhaltung von internationalen Verträgen, vor allem in Bezug auf verbotene chemische Waffen, denn das war ein Chemiewaffenangriff, ausgeführt auf britischem Boden. Es gibt Prozesse, die es diesbezüglich einzuhalten gilt.“
Was Milne tat, war extrem schlau und zugleich extrem dumm. Sein Verweis auf Massenvernichtungswaffen war ein Seitenhieb auf den großen Irrglauben der Blair-Regierung, dass Saddam Hussein noch immer im Besitz der chemischen Waffen wäre, die er gegen die irakischen Kurden eingesetzt hatte. Aber Blair war längst Geschichte. Theresa May mag vielleicht sterbenslangweilig gewesen sein, aber sie war keine Lügnerin. Und, noch einmal, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nervengift von jemand anderem als von Russlands geheimem Staat – Inhaber: Wladimir Putin – an den Griff der Eingangstür zum Wohnhaus eines ehemaligen Offiziers des russischen Militärgeheimdiensts GRU geschmiert wurde, geht gegen null. Ein Großteil der britischen Öffentlichkeit sah Milnes Beschwichtigung als das, was sie war, und die Wähler, vor allem die traditionellen Labour-Anhänger aus der Arbeiterklasse, begannen, Corbyn den Rücken zu kehren und zwar in großem Stil. Ich halte Corbyn zugute, dass er im Jahr 2000 klar Stellung bezog, aber später hat er es sich mit mir verscherzt, vor allem, als er einen Kremlkriecher wie Milne zu seinem Pressesprecher ernannte, und dann endgültig, als er bei den Giftanschlägen von Salisbury vor dem Kreml buckelte. Corbyns Tragödie ist, dass seine Politik in den frühen 1970er-Jahren in eine Sackgasse geriet, als Kernanliegen der Linken wie das eines freien Palästina von der Macht der USA pulverisiert wurden. Als anfangs eitel Sonnenschein zwischen dem amerikanischen und britischen Establishment und Putin herrschte, war er gegen Putin. Als amerikanische und britische Politiker Putin als das zu sehen begannen, was er wirklich war, beschloss Corbyn, wenngleich mit zögerlicher schwacher Stimme, die eine oder andere Botschaft des Kremls nachzubeten. Allein deshalb, weil sein Kurs einfach nur darin bestand, sich stets in Opposition zu den Amerikanern zu befinden. Dadurch machte er sich jedoch zu einem weiteren nützlichen Idioten des Kremls. George Osborne und Peter Mandelson kuschelten aus reinem Eigennutz mit den Statthaltern des Kremls; Corbyn verlor seinen inneren Kompass wegen seiner politischen Ideologie, die so stark war, dass sie die Realität verzerrte.
Boris Johnsons Freundschaft mit Evgeny Lebedev – heute Baron von Hampton und Sibirien – und dessen Vater Alexander hat nichts mit politischer Ideologie zu tun. Die Bunga-Bunga-Partys, die die Lebedevs im Palazzo Terranova nahe Perugia in Mittelitalien schmissen, waren legendär: Unter den Gästen waren Peter Mandelson, Sarah Sands, damals Redakteurin der BBC -Radioshow Today , Amol Rajan, ehemaliger Herausgeber des Independent (dessen Eigentümer die Lebedevs sind) und nun ein aufgehender Stern am Himmel der BBC , Elton John, Shirley Bassey, Stephen Fry, Michael Gambon, Elizabeth Hurley, Rupert Everett, Ralph Fiennes – der in den James-Bond-Filmen M spielt –, Boris Johnson und sogar Nacktmodel Katie Price, wie James Cusick in einem hervorragend recherchierten Artikel für Open Democracy aus dem Jahr 2016 berichtete.
Sarah Sands und Amol Rajan sind zwei der wichtigsten Cheerleader von Evgeny Lebedev. Sands war Evgenys Redakteurin beim Evening Standard , bevor sie die Kontrolle bei der Nachrichtenshow Today , dem Aushängeschild von BBC Radio 4 , übernahm, wo sie inzwischen allerdings nicht mehr ist. Rajan arbeitet nach wie vor als Medienredakteur des Unternehmens und moderiert Today regelmäßig. Während Sands beim Standard sagte, Lebedev „hat einen exquisiten Geschmack“, sagte Rajan, als er noch beim Independent war, „er hat ein erschreckend gutes Gedächtnis und kann erschreckend scharfsinnig sein“.
Evgeny Lebedev. schrieb in der Mail on Sunday : „Verschiedene Zeitungen haben stalinistische Listen von ‚Volksfeinden‘ aufgestellt; einflussreiche Russen in Großbritannien, die, so wird impliziert, die Agenda des Kremls vorantreiben … Ich bin stolz darauf, mit Boris Johnson befreundet zu sein, der mich wie die meisten meiner Freunde in Umbrien besucht hat. Und so ungern ich es tue, ich muss Sie doch enttäuschen: Dort geschieht nichts, das Kompromat produziert.“
Wir haben das Wort des Sohnes eines ehemaligen KGB -Obersts.
In den Straßen von Perugia hingegen kursiert das Gerücht, dass auf diesen Partys alles erlaubt ist. Evgeny Lebedev ist ein Libertin, wie er im Buche steht, er spielt gern den Gesetzlosen und macht keinen Hehl daraus. Im Jahr 2012 führte Evgeny, der kurz zuvor den Independent gekauft hatte, für die BBC ein Interview mit dem Kremlkriecher und Präsidenten – sorry, Diktator – von Belarus, Alexander Lukaschenko. Der Sender schickte meine langjährige Kollegin Natalia Antelava mit, um Lebedev im Auge zu behalten, aber sein Thema irritierte sowohl sie als auch den Tyrannen aus Minsk.
„Was also halten Sie von Gruppensex?“, fragte Lebedev junior den Diktator. Der wich der Frage aus, während Natalia schwante, dass Evgeny Lebedev nicht „erschreckend scharfsinnig“, sondern vielmehr ein Narzisst und Dummkopf war. In seinem Palazzo gibt es eine Verkleidungskiste, aus der die Gäste blind ein Kostüm herausgreifen und tragen müssen, was dazu führte, dass ein äußerst prominenter Partygänger in einem Bondage-Anzug endete. Auch ein Analplug mit Wladimir-Putin-Gesicht wurde gesichtet. Attraktive Männer und Frauen in Hülle und Fülle, die jederzeit zu Diensten stehen. Katie Price, berichtete Jim Cusick, sprach dem Champagner etwas zu viel zu und holte ihre Titten für den damaligen Außenminister Boris Johnson heraus. Es gibt natürlich nicht die Spur eines Hinweises, dass Johnson den Bondage-Anzug trug oder gar den Analplug, und selbstredend gibt es auch keinen Hinweis, dass er beides gleichzeitig tat.
Dennoch ist es nicht völlig abwegig, dass die Lebedev-Partys unter der Hand ein gefundenes Fressen für den Nachrichtendienst von Russlands geheimem Staat waren. Erinnern wir uns, Alexander Lebedew war KGB -Agent in London, er verhalf Wladimir Putin zum Schlüssel für den Kreml, indem er Juri Skuratow ausspionieren ließ, dann entzweite er sich mit Putin wegen eines Zeitungsberichts über dessen Geliebte Alina Kabajewa, und inzwischen ist es ihm irgendwie gelungen, sich erneut die Zuneigung des Kremls zu erwerben. Denken wir nur an den Bericht des italienischen parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste, in dem gewarnt wird, dass Alexander Lebedew seinen Kontakt zu Russlands geheimem Staat womöglich nicht abgebrochen hat. Alexander Lebedew hat noch immer aktive Geschäfte – das heißt Geld – in Russland und, Berichten zufolge, auf der von Russland besetzten Krim. 2017 gab er in seinem Hotelkomplex in Aluschta, Krim, eine Gala für die Presse, um „ein Bild von der Krim zu korrigieren, das von voreingenommenen westlichen Medien verbreitet wird“.
Das Bild der russischen Invasion bedarf keiner Korrektur.
Während ich dies schreibe, Mitte Mai 2022, hat Alexander Lebedew noch keinen einzigen Kommentar zur aktuell stattfindenden russischen Invasion der Ukraine seit Februar getweetet.
Würde Russlands geheimer Staat es wagen, die Privatsphäre eines, sagen wir, britischen Außenministers zu verletzen, der gerade auf einer Bunga-Bunga-Party im Anwesen eines ehemaligen KGB -Obersts einen draufmacht? Ein ehemaliger MI 6-Offizier meinte zu der seltsamen Freundschaft zwischen Johnson und den Lebedevs, Vater und Sohn: „Wenn Boris zu Besuch im Palazzo der Lebedevs ist und mit jemandem vögelt, ist es mehr als wahrscheinlich, dass irgendwer das filmt … Stellen Sie sich vor, Putin würde in der Moskauer Wohnung eines britischen Geschäftsmanns eine Frau flachlegen, und ich wäre noch in meinem alten Job: Ich würde mich sofort wie eine Zecke auf diese Geschichte stürzen und mich festbeißen.“
Zwei Jahre nach der Katie-Price-Sache war Boris Johnson erneut zu Gast im Anwesen der Lebedevs, pikanterweise direkt nach einer anlässlich des Skripal-Giftanschlags anberaumten NATO -Versammlung. Sowohl 2016 als auch 2018 gelang es Johnson, der damals noch Außenminister war, seine Leibwächter von der Metropolitan Police abzuschütteln. Die Beamten sind stets an seiner Seite, um ihn vor Terroranschlägen zu beschützen, doch sie haben noch eine zweite, diskretere Aufgabe: den britischen Staat davor zu schützen, von einem seiner Diener verraten zu werden. Wenn sie in London zurückbleiben, während der Außenminister unter einem russischen Dach weilt, können die Personenschützer von der Metropolitan Police ihrer Aufgabe nicht mehr richtig nachkommen. Die Insider-Journalisten Adam Boulton von Sky News und Gordon Carera von der BBC berichteten beide, dass Boris Johnson wegen seines fragwürdigen Verhaltens die Kontrolle über den MI 6 verloren habe. Das Außenministerium veröffentlichte ein dubioses Dementi.
Das wahre Ausmaß der Freundschaft zwischen den Lebedevs und Boris Johnson bleibt im Dunkeln. Im Jahr 2020 jedoch machte Johnson, inzwischen Premierminister, den Vorschlag, Evgeny zu einem Mitglied des House of Lords, dem Oberhaus des britischen Parlaments, zu ernennen. Das für die Überprüfung der Kandidaten zuständige Komitee lehnte die Nominierung auf Anraten der Sicherheitsbehörden ab. Dieser Rat wurde später zurückgenommen, und Evgeny „Gruppensex?“ Lebedev wurde Baron von Hampton und Sibirien. Wie ich in meinem Artikel für die Byline Times schrieb, war die Berufungskommission für das House of Lords hochgradig alarmiert wegen dieses dramatischen Sinneswandels und wartete sehnlichst auf den Russlandbericht des Geheimdienst- und Sicherheitsausschusses, der erst mit deutlicher Verzögerung veröffentlicht wurde. Sein Inhalt trug nicht gerade zur Beruhigung der Berufungskommission bei. Der Bericht stellte fest: „Das Ausmaß, in dem russische Auswanderer ihre Kontakte zu Geschäftsleuten und Politikern des Vereinigten Königreichs nutzen, um Einfluss in UK zu nehmen, ist ***: Es wird als weitgehend erwiesen angesehen, dass der Geheimdienst und die Wirtschaft Russlands untrennbar miteinander verflochten sind. Die Regierung muss *** die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um dieser Bedrohung zu begegnen und der Straffreiheit der Putin-nahen Eliten entgegenzuwirken.“
Die Sternchen sind Platzhalter für sicherheitsrelevante Details. Somit tappen wir, anders als vielleicht der Kreml, weiter im Dunkeln.
Kaum in den Adelsstand erhoben, würgte der Baron von Sibirien seinen Kritikern in der Mail on Sunday eins rein: „Zu all denen, die sich über meinen russischen Hintergrund das Maul zerreißen, sage ich: Ist es nicht erstaunlich, dass der Sohn eines KGB -Agenten und Einwanderers der ersten Generation in diesem Land zu einem vollständig integrierten und leistungsstarken Mitglied der britischen Gesellschaft geworden ist? Was für ein Erfolg für unser System. Finden Sie nicht?“
Manch einer würde antworten: „Njet, Baron, njet.“
Professor Donald Rayfield sagte mir: „Ist Evgeny Lebedev ein potenzielles Sicherheitsrisiko? Ja. Vor allem wegen der Rolle seines Vaters, der ständig in Russland ist. Sie dürfen nicht vergessen, es ist schwierig, sich aus dem KGB zu verabschieden. Sie haben dafür kein Prozedere.“ Evgeny Lebedev legt großen Wert darauf zu betonen, dass er Putin nicht getroffen hat, doch laut Rayfield ist das Problem damit nicht aus der Welt. „Man muss Putin nicht getroffen haben, um sich in seinem Griff zu befinden. Vor zwanzig Jahren hätten die britischen Behörden Evgeny Lebedev niemals einen ständigen Wohnsitz zugestanden, geschweige denn einen Platz im House of Lords. Evgeny bildet sich viel darauf ein, Eigentümer des Independent zu sein, der allerdings immer wieder auf die Linie von Russia Today einschwenkt und suggeriert, dass Putin nicht unser Feind ist.“
Ist es denkbar, dass Johnson ein Opfer von kompromittierendem Sex-Material war? Ja, durchaus. Der ehemalige MI 6-Offizier sagt dazu: „Boris Johnson kann sich durchaus kompromittiert haben. Niemand glaubt, dass er im Palazzo nur zu Gast war, um Orangensaft zu schlürfen.“
Für openDemocracy schrieb Jim Cusick, dass Evgeny Lebedevs Hund – ein weißer Barsoi namens Wladimir – im November 2018 unter mysteriösen Umständen starb.
„Lebedev“, so Cusick, „hat Freunden erzählt, er glaube, dass der Hund vergiftet worden sei und dass ihm Moskau damit eine Botschaft schicke.“
Wer Evgenys Hund umbrachte und warum, ist ebenfalls eine hochinteressante Frage. Ist es denkbar, dass Russlands geheimer Staat Evgeny eine Botschaft schicken wollte? Ja, ist es.
Für Byline Times kontaktierte ich die Lebedevs und Downing Street 10, bekam aber nie eine zitierfähige Antwort.
Das Auseinanderbrechen der Europäischen Union ist eines der großen Ziele des Kremls, und aus dieser Sicht war der Brexit ein großer Erfolg für Russland. Der frühere russische Botschafter in London, Alexander Jakowenko, brüstete sich, Russland habe die Briten „zermalmt“, nachdem bei der Volksabstimmung im Jahr 2016 die Befürworter des Austritts aus der EU gewonnen hatten. In seinem Buch Shadow State berichtete Luke Harding, dass Jakowenko in einem Gespräch mit einem Diplomatenkollegen sagte: „Wir haben die Briten zermalmt. Sie liegen am Boden und werden für lange Zeit nicht mehr aufstehen.“
Diese Bemerkung führt unmittelbar zu der Frage, ob Russlands geheimer Staat finanziell seine Finger im Spiel hatte, um den Brexit durchzusetzen. Eine Frage, der ich während meiner letzten Jahre bei der BBC mehrfach nachgegangen bin, wobei mir meine Hartnäckigkeit leider auch zu neuen „Freunden“ verholfen hat, allen voran Nigel Farage und Arron Banks. Farage war dermaßen erbost über meine Berichterstattung, dass er persönlich einen Brief beim Sender vorbeibrachte, in dem er forderte, interne Ermittlungen gegen mich einzuleiten. Für den Daily Telegraph schrieb er, meine Berichterstattung bereite ihm „mehr Leid als jede andere in fünfundzwanzig Jahren Politik“.
Ihren Anfang nahm die Geschichte mit dem gewaltsamen Tod von Arkadiusz Jozwik, einem vierzigjährigen polnischen Arbeiter in Harlow, Essex, im August 2016, kurz nach der Brexit-Abstimmung. Ich drehte direkt nach dem Verbrechen einen Beitrag für BBC Newsnight – der Film ist auf YouTube unter dem Titel Harlow: A town in shock over killing abrufbar. Darin wird berichtet, dass sich Jozwik mit ein paar Freunden auf einem öffentlichen Platz der Stadt befand, um etwas zu trinken, als sein Telefon klingelte und er auf Polnisch zu sprechen begann. Das weckte die Aufmerksamkeit einer englischen Jugend-Gang, jemand rief „Scheiß Pole“, und Arkadiusz wurde von einem Fünfzehnjährigen mit einem Faustschlag niedergestreckt. Beim Sturz kam er mit dem Kopf auf einem niedrigen Stein auf, zog sich eine Schädelverletzung zu und starb. Natürlich war es Totschlag, aber kurz nach der Brexit-Entscheidung war die Atmosphäre zwischen Einheimischen und Ausländern derart vergiftet, dass die Polizei von Essex im Fall von Arkadiuszʼ Tod auch in Richtung Hasskriminalität ermittelte. Ich interviewte einen polnischen Freund des Verstorbenen, der sagte, Farage habe „Blut an den Händen“. Mein Kommentar lautete, dass Nigel Farage sich gegen eine solche Behauptung heftig verwehre. Mein Bericht zeigte zudem die ungeschönte Realität des Stadtplatzes, das rowdyhafte Verhalten und die Angst der Bürger vor den jugendlichen Banden.
Auf dem Platz gab es zwar Überwachungskameras, aber die Audioqualität der Aufnahmen war so schlecht, dass die Kriminalbeamten den Vorwurf der Hasskriminalität fallen lassen mussten und den Jugendlichen wegen Totschlags anklagten. Das Gericht befand ihn für schuldig. Bei Urteilsverkündung wurde eine Erklärung von Arkadiuszʼ Mutter Ava verlesen: „Ich vermisse ihn jeden Tag. Es gibt Momente, in denen ich nicht mehr weiterleben möchte. […] In solchen Momenten kann ich meine Tränen nicht zurückhalten.“
In der Revisionsbegründung, mit der die Verteidigung eine mildere Strafe für ihren fünfzehnjährigen Mandanten zu erwirken suchte, war zu lesen, dass Arkadiusz während des Kampfs vor dem tödlichen Faustschlag einen rassistischen Ausdruck verwendet habe. Diese Behauptung war niemals vor Gericht zur Sprache gekommen, sondern eine Behauptung, die erst nach der Verhandlung verstärkt aufkam. Gleichwohl ergriff Nigel Farage die Gelegenheit beim Schopf und ging zum Angriff über, indem er meine Berichterstattung als Verleumdung bezeichnete. In seiner Talkshow bei LBC Radio sagte Farage: „Ich erwarte eine Entschuldigung, und sollte ich keine bekommen, werde ich nächstes Jahr wohl ernsthaft ins Grübeln kommen, ob mir weiterhin danach ist, Rundfunkgebühren zu bezahlen.“ Die Daily Mail sekundierte mit einem Artikel mit der Überschrift Die große Hasskriminalität-Lüge .
Ein BBC -Sprecher sagte: „Die Berichterstattung der BBC zeigte, wie andere Medien auch, dass die polizeilichen Ermittlungen auch in Richtung einer rassistisch motivierten Tat gingen, und unser Bericht ließ auch Stimmen aus der Bevölkerung zu Wort kommen, die unterschiedliche Meinungen äußerten, darunter unsoziales Verhalten als mögliche Erklärung.“
Farage bekam weder eine Entschuldigung von der BBC noch von mir.
Ekaterina „Katya“ Paderina, geboren in Russland, war bei ihrer Ankunft in Portsmouth so arm, dass sie, wenn sie sich am Southsea Beach – der nicht gerade Saint-Tropez ist – sonnte, mit Butter anstatt mit Sonnenmilch eincremte. Einmal bat sie einen vorbeikommenden Handels-Matrosen, Eric Butler, der doppelt so alt war wie sie, ihr mit der Butter zu helfen, und schon bald waren sie verheiratet. Als das glückliche Paar auf den Stufen des Standesamts in Portsmouth stand, trat Butler ihr, wie er mir später erzählte, versehentlich auf den Saum ihres Kleides und sagte: „Entschuldige, Liebes.“ Sie erwiderte: „Ich liebe dich nicht, und in Russland bin ich auch nicht mit dir verheiratet. Wenn du mir was tust, bekommst du die ganze Macht Russlands zu spüren.“
Kurz darauf stattete, so Butler weiter, ihnen die Special Branch, ein Sonderkommando der Metropolitan Police, einen Besuch in ihrer Wohnung in der Nähe der Marinebasis Portsmouth ab, hob den Teppich an und fand einen großen Vorrat an Dollar. Dann hatte Katya eine Affäre mit dem Parlamentsabgeordneten von Portsmouth, Mike Hancock. Einmal schlug sie Butler so heftig mit einem Lampenschirm, dass die Polizei Anklage gegen sie erhob. Sie ließen sich scheiden. Bald schon heiratete sie Arron Banks, der später acht Millionen Pfund, die größte politische Einzelspende aller Zeiten in Großbritannien, an die Leave.EU -Kampagne der Brexit-Befürworter überwies.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Im Jahr 2014 stand Arron Banks neben Nigel Farage auf dem Rasen vor seinem Anwesen, das er neckisch „Downtown Abbey“ nennt, und erklärte, er werde die EU -Austrittspartei UKIP mit einer Million Pfund unterstützen. Auch danach floss und floss das Geld, der Brexit-Entscheid kam, und die Briten taten genau das, was der Kreml wollte, und stimmten für den Austritt aus der EU . Hat der Kreml die Wahl beeinflusst? Niemand kann das mit Sicherheit sagen. Aber es gibt unzählige Ungereimtheiten.
Bei mir läuteten die Alarmglocken, als ich Banksʼ James-Bond-artiges Versteck in der Catbrain Lane in Bristol aufsuchte. „Catbrain“ ist die örtliche Bezeichnung für die lehmige Erde der Region, der Begriff passt aber auch sinnbildlich auf die ganze Arron-Banks-Nummer. Im Jahr 2017 saß er in einem unfassbar geschmacklosen Headquarter direkt neben einem zweispurigen Kreisverkehr und leitete mehrere Versicherungen mit niedrigen Prämien und teuren Zusatzpaketen, von denen die vielleicht bekannteste „Go Skippy“ war. Banks vergleicht sich fröhlich mit David Brent, dem unsympathischen Boss aus der BBC -Comedyserie The Office .
Alles, was Arron Banks macht, ist so undurchsichtig und klebrig wie Catbrain-Lehm. Aus dem Handelsregister geht hervor, dass Banks 37 verschiedene Firmen gegründet hat, wobei er jedes Mal seinen Namen leicht variierte: Aron Fraser Andrew Banks, Arron Andrew Fraser Banks, Arron Fraser Andrew Banks und Arron Banks. 2013 legte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft von Baker Tilly, einer seiner Firmen, ihr Mandat nieder, und zwar mit der Begründung, dass „die Geschäftsbeziehung zerbrochen ist, weil die Firma es versäumt hat, uns detaillierte Informationen zur Verfügung zu stellen, sodass wir unserer Aufgabe nicht mehr nachkommen können“. Banks behauptet, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft habe wegen eines Interessenkonflikts die Zusammenarbeit beendet.
Einige der anderen Firmen von Banks gerieten in unruhige Gewässer. Banks war Geschäftsführer von African Compass Trading, die das Potenzmittel Star 150 verkaufte, eine Art pflanzliches Viagra. Ihr Slogan lautete: „Es ist ganz natürlich, dass jeder Mann im Bett ein Superman sein möchte.“ Die MHRA , die medizinische Aufsichtsbehörde Großbritanniens, konfiszierte laut eigenem Bekunden 2014 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens bei einer Adresse in Bristol Star-150-Pillen im Wert von 50000 Pfund. Anschließend stellte sie die Ermittlungen ein und verzichtete auf eine Strafanzeige. Banks sagte gegenüber unserem Investigativ-Team von der BBC – dessen Leiterin Innes Bowen ist, während Phil Kemp die Lauferei erledigt und ich ein nettes Gesicht mache –, er habe 100000 Pfund in das Business investiert, aber die Geschäftstätigkeit sei wegen zu „harter“ Konkurrenz eingestellt worden.
Ein Kalauer, der typisch für Banks ist. Katya Banks fuhr eine Zeit lang einen Wagen mit dem Nummernschild „XMI 5 SPY “. Zuerst lacht man, dann wird einem mulmig zumute, dann lacht man wieder. Er ist ein lustiges altes Ekel, doch nicht wenige, die politisch ganz anders ticken als er, mögen ihn als Mensch irgendwie. Das trifft auf die brillante Journalistin Carole Cadwalladr zu, gegen die er gerade eine Verleumdungsklage laufen hat. Oder auf Martin Fletcher, der wegen eines Artikels für den New Statesman vier Stunden bei ihm zubrachte. „Als glühender Remainer“, schrieb Fletcher, „habe ich erwartet, eine tiefe Abneigung gegen diesen Mann zu empfinden, aber nein, ich finde, er ist entwaffnend humorvoll und offen. Wir haben fast vier Stunden verplaudert. Ob er einfach nur großzügig mit seiner Zeit umgeht oder es genießt, wenn man ihm Aufmerksamkeit schenkt, kann ich nicht sagen.“
Banks’ Anti-Establishment-Einstellung wurzelt in der Zeit, als er eine Reihe von zwielichtigen, drittklassigen Privatschulen durchlief und immer wieder flog – einmal wegen einer Kneipentour und ein andermal, weil er die Bleiverkleidung vom Dach gerissen hatte oder so was in der Art.
Und was Arron Banks, der dem Brexit acht Millionen gespendet hat, radikal von seinesgleichen unterscheidet, ist die Tatsache, dass es, wenn man einen näheren Blick auf sein Firmenimperium wirft, nicht nach Big Money riecht. Weit gefehlt. Seine erste große Pressekonferenz hielt er in besagtem „Downtown Abbey“ ab – dem Old Down Manor –, einem Herrenhaus über dem Bristolkanal, das er von dem Musiker Mike „Tubular Bells“ Oldfield gekauft hatte. Doch als wir 2017 im Rahmen unserer BBC -Newsnight -Nachforschungen seine Bücher unter die Lupe nahmen, fanden wir heraus, dass es mit einer beachtlichen Hypothek belastet ist. Damals wohnte er tatsächlich in einem sehr viel kleineren Haus weiter unten an der Straße, das ebenfalls mit einer beachtlichen Hypothek belastet war. Seine Versicherungsfirmen waren, wie gesagt, nicht gerade erstklassig, schwammen weder in Geld, noch erzielten sie ein hohes Prämienaufkommen. Er besaß ein paar Diamantenminen in Afrika, aber auch bei denen lief es nicht rund. Weder förderten sie viele noch große Diamanten zutage. Wie also konnte es sich Banks leisten, so großzügig zu Leave.EU sein?
Und dann gab es da noch die „Männer mit Schnee auf ihren Stiefeln“. (Ein Bezug auf den Mythos aus dem Ersten Weltkrieg, als die Geschichte kursierte, dass in Schottland Männer angekommen seien, am Schnee auf ihren Stiefeln als Russen erkennbar, um die Briten im Kampf gegen die Deutschen zu unterstützen – eine Art säkulare Wundererscheinung.) Im September 2015 kam bei der UKIP -Jahrestagung „ein dubioser Typ namens Oleg“ von der russischen Botschaft auf Banks zu, wie er in seinem von einem Ghostautor verfassten Buch The Bad Boys of Brexit beschreibt. Oleg „wurde uns als Erster Botschaftssekretär vorgestellt – mit anderen Worten: der Mann des KGB in London“, schreibt Banks. Das führte zu einem Lunch mit dem russischen Botschafter Alexander Jakowenko, bei dem der Alkohol in Strömen floss.
„Unser Gastgeber wollte Insider-Informationen zur Brexit-Kampagne und quetschte uns über die möglichen Auswirkungen eines Pro-Brexit-Ausgangs des Referendums für Europa aus. Die diplomatischen Beziehungen verbesserten sich erst, als unser neuer Freund eine ganz besondere Überraschung aus dem Hut zauberte. Es war eine Flasche Wodka, die, wie er behauptete, ‚eine von dreien war, die für Stalin persönlich produziert worden waren‘.“
„Von den ‚Männern mit Schnee auf ihren Stiefeln‘ gab es kein Geld“, sagte Banks zu Newsnight . Allerdings spielte er die Anzahl der Treffen zwischen seiner Gruppe, Leave.EU , und der russischen Botschaft herunter: Es waren insgesamt elf.
Im Gespräch mit unseren Newsnight -Team hatte er immer wieder eine lustige Antwort parat. Als wir ihn auf seine politischen Spenden und die afrikanische Viagra-Geschichte ansprachen, wich er der Frage aus und konterte: „Seit dem Referendums-Ausgang und meiner Unterstützung von Donald Trump bin ich unzählige Male aus politischen Gründen von den ‚Mainstream‘-Medien und Institutionen, die gegen den Brexit sind, angegriffen worden. Also überrascht es mich kein bisschen, dass Newsnight mit seinem ganz eigenen abgeschmackten ‚News of the World‘-Journalismus zu guter Letzt ins gleiche Horn stößt.“ Es überrasche ihn nur, meinte er abschließend, dass Newsnight , nachdem einige ihn beschuldigt hätten, „ein russischer Spion zu sein … und Teil einer weltweiten Verschwörung, um die Demokratie zu untergraben, so lange gebraucht hat, ebenfalls auf mich loszugehen! BBC Fake News, wie es leibt und lebt!“
Allmählich fragten sich die Menschen, woher die acht Millionen Pfund kamen. Nach britischem Gesetz müssen Spendengelder an politische Parteien oder Organisationen aus Quellen im Land stammen, nicht aus dem Ausland. Die Wahlkommission belegte Leave.EU mit einer Geldstrafe und forderte die National Crime Agency auf, Ermittlungen einzuleiten. Später entlastete die Strafverfolgungsbehörde Banks, und die Wahlkommission ging mit ihm einen Vergleich ein, woraufhin Banks behauptete, er sei „vollkommen rehabilitiert“.
2018, lange bevor er durch die NCA entlastet wurde, gab Banks Andrew Marr ein Interview, der damals noch bei der BBC war. Um zu beweisen, dass die acht Millionen von seinen eigenen Firmen stammten, nicht aus dem Ausland, nicht aus Russland, schickte er dem Team der Andrew Marr Show einen ganzen Stapel E-Mails. Da sie keine Zeit hatten, ihn durchzuackern, leiteten sie die E-Mails an mich weiter. In einer Mail von Banks an einen Handlanger stand: „Bitte sämtliche Hinweise auf Ural Properties und vertrauliche Informationen, z.B. die Kontonummern, von denen das Geld überwiesen wurde, herausstreichen.“
Fasziniert stellten wir weitere Nachforschungen an. Was hatte es bitte schön mit diesen ominösen Ural Properties auf sich? Und wer besaß sie? Und was umfassten sie? War das etwas, woran die Männer mit dem Schnee auf den Stiefeln interessiert sein könnten? Der Ural ist ein Gebirgszug, der grob gesagt das Ende des europäischen Russland und den Beginn Sibiriens markiert. Wir nahmen die Dienste einer Website in Anspruch, SourceMaterial, die Konten von Ural Properties in Gibraltar aufspürte und die Informationen an Newsnight weiterleitete. Die Firma war faktisch im Besitz von Arron und Katya Banks und war wiederum Eigentümerin zweier Wohnungen in Gunwharf, Portsmouth, mit Blick auf die schmale Küstenstraße, die zum Royal-Navy-Stützpunkt führte, etwas, das die Männer mit Schnee auf den Stiefeln interessiert haben dürfte, sehr sogar. Davon abgesehen waren sie auch ein attraktives Geschäftsobjekt.
In der Andrew Marr Show auf Ural Properties angesprochen, gab Banks wie üblich keine substanzielle Antwort, sondern ging sofort zum Gegenangriff über: „Das hier ist jetzt schon die siebte [Newsnight -]Sendung, die darauf abzielt, meinen Namen und den Brexit durch den Schmutz zu ziehen. Ich habe wiederholt erklärt, dass ich meine Steuern in Großbritannien zahle und die Gelder aus diesem Land kommen. Die NCA hat alle relevanten Bankkonten gesichtet und konnte zurückverfolgen, woher das Geld stammt. Sobald diese Angelegenheit erledigt ist, werden wir eine Ehrenrunde hier im Fernsehstudio drehen und freuen uns schon jetzt darauf, von John ‚Trot‘ Sweeney oder der immer so ‚professionellen‘ Kristy oder Emily interviewt zu werden.“
Um irgendwelchen Gerüchten vorzubauen: Ich bin und war niemals Trotzkist oder Kommunist.