A m Abend vor dem Ausbruch des großen Krieges war ich zu einer Supermodel-Party eingeladen, die in einer Wohnung in einer der Nebenstraßen der Chreschtschatyk stattfand, der schicksten Straße von Kyjiw. Supermodels waren keine da. Auf einem Tisch ein Brocken Cervelatwurst, Plastikbecher, Wein- und Wodkaflaschen. Eine Gruppe Freelance-Journalisten stand herum und suchte ihr Heil im Alkohol. Es fühlte sich an, als hätten wir den 2. September 1939. Im Fernsehen erschien Joe Biden und sprach das aus, von dem wir alle im Herzen bereits wussten, dass es geschehen würde: Wladimir Putin hatte den Befehl zum Einmarsch in der Ukraine gegeben.
Es war verdammt trostlos. Ich ging nach draußen, suchte mir eine Bar und begann zu trinken. Bis dahin war ich den breiten Boulevard nur mit dem Taxi entlanggefahren. Ich kam mit zwei ukrainischen Frauen ins Gespräch und erzählte ihnen, der Krieg werde in ein paar Stunden beginnen. Sie glaubten mir nicht. Als eine Art Trostpreis kaufte ich jeder von ihnen einen Burger, kehrte allein in meine Unterkunft zurück und wachte mit einem Kater auf. Ich habe schon schlimmere Kater erlebt, aber nicht am ersten Tag eines Krieges.
Fast alle meine ukrainischen Freunde, die ich sehr liebe, sind der Meinung, an Russland und der russischen Seele wäre irgendetwas außergewöhnlich falsch. Sie glauben, Putin wäre nur ein Monster von vielen im östlichen Sumpf. Bei aller Liebe und bei allem Respekt – ich bin da anderer Auffassung. Das hier ist der Krieg Wladimir Putins, genau wie es seine Kriege in Tschetschenien, Georgien und Syrien gewesen sind. Wie es sein Krieg ohne Panzer und Bomben gegen den Westen ist. Wie es seine Giftanschläge sind. Es liegt an ihm.
Ich hatte die BBC 2019 verlassen und befand mich als Freiberufler in Kyjiw, mein eigener Redakteur, mein eigener Chef, aber auch mein eigener Leibwächter. Aber ich hatte immer noch meinen orangenen Hut als Glücksbringer. In den fast drei Monaten, die ich von Mitte Februar bis Mitte Mai in Kyjiw zugebracht habe, hatte ich nur dreimal Angst. Das erste Mal, als ich nachts einen kleinen Film für Twitter drehte und mittendrin eine Luftschutzsirene losging; da muss ich in meinem Vortrag gestockt und ein Gefühl von Unsicherheit und Verwundbarkeit verraten haben. Ich tue immer mein Bestes, um so etwas zu verbergen. Irgendjemand twitterte: „Ruhe in Frieden, John Sweeney.“ Mein Sohn rief mich an, in seiner Stimme lag Angst. Ich versicherte ihm, dass ich ausgesprochen lebendig sei, aber ich machte mir Sorgen, dass meine Familie sich Sorgen machte, und in dieser Nacht schlief ich nicht besonders gut.
Ein weiteres Mal bekam ich Angst, als ich eine E-Mail erhielt, die sehr nach einem erfolgreichen Angriff auf sensible Daten aussah. Der Absender hatte seine Geodaten im Moskauer Kreml. Das war zu der Zeit, als ich meinen Podcast Taking On Putin vorbereitete, und ich verlor zwei volle Tage, weil ich meine E-Mail-Passwörter neu einrichtete und meine digitale Sicherheit verdoppelte, die natürlich nicht nur mich selbst, sondern auch meine Informanten schützt. Um Ihnen eine Vorstellung davon zu vermitteln: Ich habe einen dreizehnstelligen Code, mit dem ich mein Telefon entsperre. Erst zwei Tage später bekam ich eine Nachricht von einem befreundeten Computerfreak, dass es kein Phishing-Angriff gewesen war, sondern dass der von der Geolokation ermittelte Standort ein Schwindel und eine Täuschung gewesen waren, aber eine, die an Leute mit hohem Bekanntheitsgrad geschickt worden war, an Leute, die viele Follower auf Twitter haben und die Russlands geheimem Staat sehr kritisch gegenüberstehen.
Der dritte Augenblick der Angst war, als Wladimir Putin das Treffen seines Nationalen Sicherheitsrats im Kreml abhielt, wenige Tage vor dem Krieg. Alles wurde im Fernsehen übertragen, damit die Welt es miterleben konnte. Putin war vollkommen im psychopathischen Bond-Bösewicht-Modus, hielt seine furchtsamen Ergebenen gute zehn Meter auf Abstand und knurrte Sergei Naryschkin, den Direktor des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR , an. Offiziell ging es darum, ob die Kriecher und Schleimer, die ihn umgaben, dem Herrn des Kremls zustimmen würden, dass die beiden östlichen Oblaste oder Gebiete, Donezk und Luhansk, als unabhängige Staaten anerkannt werden sollten. Inoffiziell war es eine Machtdemonstration Putins, dass Russland seine Einwilligung gab, die Ukraine zu verstümmeln, und darüber hinaus nagelte er seine Schergen öffentlich darauf fest, dass sie seine Vorgehensweise unterstützten und implizit damit auch seinen bevorstehenden Krieg. Aber Naryschkin – noch so ein alter Kumpel von Putin aus Sankt Petersburg und aus seinen frühen Tagen beim KGB , damals ein bedeutungsloser Niemand, der nur sehr wenig Zeit in der Geheimdienst-Zeche verbracht hatte – war irgendwie nicht linientreu. Als er aufgefordert wurde, die Verstümmelung der Ukraine zu genehmigen, begann Naryschkin – Boxernase, hager, gerötete Augen – zu stammeln. Es war, als würde ein Teil seines Verstandes allein bei dem Gedanken an einen unsinnigen Krieg aufbegehren.
Putin fuhr ihn an, er solle deutlich sprechen. Furcht zeigte sich auf Naryschkins Gesicht, als er spürte, dass sein Verrat durch das Stammeln für ihn nichts Gutes zu bedeuten hätte. Er überschlug sich fast, um sich zu berichtigen, sprang in seinem Redemanuskript drei oder vier Seiten vor und sagte, die abtrünnigen Republiken sollten als „Teil von Russland“ anerkannt werden. Putins Knurren veränderte sich zu einem sadistischen Grinsen, als er sagte, ein Anschluss an Russland stehe „nicht zur Debatte“. Wenn man jetzt auf einen anderen Film verweisen will, war es wie eine Szene aus dem Paten, wo der „capo di tutti i capi“, gespielt von Marlon Brando, eine Abweichung bemerkte und Gefolgschaft forderte.
Der Putin, den ich 2014 herausgefordert hatte, war ein anderer Mann gewesen, scharfsinnig, geistig beweglich, willens, sich auf einen schwierigen BBC -Reporter einzulassen, und sei es auch nur, um vollkommen gelassen zu lügen. Der Putin von 2022 war äußerst aggressiv. Aber Angst machte mir etwas anderes. Der Putin, dem ich 2014 begegnet war, hatte wie ein Frettchen oder ein Reptil ausgesehen, mit dünnem Gesicht – und schmal. Der Putin von 2022 sieht aus wie ein Hamster mit gefüllten Backen – krank. Er sieht aus wie ein Mann, der Steroide nimmt, und das machte mir große Angst.
Steroide gehören zu den Mitteln der modernen Medizin und sind gut als schmerzstillende Mittel einsetzbar. Bei Missbrauch können sie den Patienten allerdings außergewöhnlich aggressiv machen. Zum ersten Mal begegnete mir „roid rage“, die durch Steroide hervorgerufene Raserei, in den Neunzigerjahren als ich Recherchen zu einem Drogenbaron aus Liverpool anstellte, Curtis „Cocky“ Warren, und seinen Handlanger Johnny Phillips. Letzterer war ein Bodybuilder, der zu viel Steroide genommen hatte und so krankhaft aggressiv geworden war, dass er Drogenschulden eintrieb, indem er kleinere Dealer auf den Straßen von Toxteth vergewaltigte. Man verdächtigte ihn, 1995 David Ungi, einen rivalisierenden Gangster, erschossen und dadurch in Liverpool einen Bandenkrieg ausgelöst zu haben. Er starb daran, dass sein Herz regelrecht platzte. Der Gerichtsmediziner sagte aus, er habe in seiner gesamten beruflichen Laufbahn noch nie ein so krankhaft erweitertes Herz gesehen.
Irgendwann in den frühen Jahren seiner Herrschaft stürzte Wladimir Putin beim Reiten vom Pferd und verletzte sich so schwer am Rücken, dass er tagelang außer Gefecht gesetzt war. Die naheliegende medizinische Behandlung wären Steroide. Aber der Missbrauch von Steroiden kann zu Nierenproblemen und Leberschäden führen, sogar zu Tumoren. Hat er Krebs? Besteht die Möglichkeit, dass Wlad der Giftmörder sich letztlich selbst vergiftet hat?
Möglich ist es. Und ein solches Schicksal wäre sowohl von einer düsteren Ironie als auch zum Lachen komisch, wenn der Patient im Kreml nicht über das größte Atomwaffenarsenal der Welt gebieten würde, wie rostig es auch immer sein mag. Aber so ist es.
Wenn Wladimir Putin irgendjemandem näher kommt, so erzählt man sich, muss derjenige sich zuvor zwei Wochen isolieren, regelmäßig PCR -Tests auf Covid machen und seinen Stuhl untersuchen lassen, damit die Ärzte im Kreml wissen, dass er bei guter Gesundheit ist. Proekt die herausragende investigative russische Webseite unter der Leitung von Roman Badanin, dem Reporter, der mir von Putins erster Geliebter Lady Krummbein erzählt hatte, auch bekannt als Swetlana Kriwonogich, veröffentlichte einen Artikel über Putins krankhafte Furcht vor Krankheiten und darüber, wie eine ganze Reihe von Ärzten ihm überallhin folgt. Proekt berichtete: „Der auf Tumorerkrankungen spezialisierte Chirurg Jewgeni Seliwanow ist einer der ärztlichen Begleiter Putins, die man am häufigsten sieht. Innerhalb von vier Jahren ist der Arzt fünfunddreißig Mal mit ihm oder zu ihm gereist und hat insgesamt 166 Tage mit dem Staatsoberhaupt verbracht.“
Wenn Putin erkrankt, verschwindet er nie von den Bildschirmen des russischen Staatsfernsehens. Das liegt an dem, was Proekt „gespeichertes Bildmaterial“ nennt: an der Ausstrahlung von zuvor aufgezeichneten Treffen zwischen Putin und seinen Untergebenen. Der Trick mit dem aufgezeichneten Bildmaterial erlaubt es ihm, von Zeit zu Zeit zu verschwinden, wenn er krank ist. Proekt hat auch einen weiteren Exklusivbericht darüber gebracht, dass sich Putin, besorgt über seinen schlechten Rücken nach dem Sturz vom Pferd, mit okkulter Medizin befasst. Es heißt, er habe in Geweihblut von sibirischem Rotwild gebadet, das berühmt für seine heilende Wirkung ist, obwohl das Verfahren, nach dem man die Flüssigkeit mit den magischen Kräften gewinnt, außerordentlich grausam ist. Aber das könnte natürlich auch einen Teil ihres Reizes ausmachen.
Mitte März zog ich in ein anderes Quartier, in eine Wohnung mit Blick auf die Chreschtschatyk und mit einem Whirlpool, der tragischerweise nicht funktionierte. Ich war versucht, der Wohnung eine miese Bewertung zu geben, aber dann dachte ich mir, dass das mitten in einem Krieg nicht angemessen wäre. Stattdessen schmiss ich eine Party, zum Teil, um meine eigene Stimmung aufrechtzuerhalten, zum Teil, um meine britischen, amerikanischen und ukrainischen Freunde aufzumuntern. Aufgrund des Kriegsrechts war der Verkauf von Alkohol noch untersagt, und ich war ziemlich stolz, dass ich für meine Freunde mehrere Flaschen guten italienischen Rotwein hatte, irischen Whiskey, Wodka, Gin und Eierlikör. Mein Dolmetscher Eugene färbte den Gin mit Lebensmittelfarbe blau, und wir mixten daraus und aus dem Eierlikör Selenskyj-Cocktails. Die Gang zwang mich, welche davon zu trinken. Wie es schmeckte? Das Wort „widerwärtig“ reicht nicht aus. Sagen wir einfach, dass der Präsident besser ist als der Cocktail, den wir nach ihm benannten. Wlad der Fahrer brachte seine Kinder mit, und es war eigenartig und wunderbar normal, herumzualbern und Kinder zu Besuch zu haben, die zu viel Schokolade aßen und vor einem Fremden mit alberner orangener Mütze frech zu ihren Eltern waren. Einen Augenblick lang fingen wir an, den Krieg zu vergessen. Sweeney, du Idiot! Mein Telefon klingelte kurz – eine Freundin, nennen wir sie K, würde gleich eintreffen. Ich nahm mein Telefon, stieg in den Aufzug, fuhr nach unten und wurde von zwei vorbeikommenden Polizisten aufgehalten, die meinen Ausweis sehen wollten. Dummerweise hatte ich ihn oben in der Wohnung gelassen. Mein Unvermögen, mich auf Anhieb ausweisen zu können, und vielleicht auch meine geringe Verärgerung darüber machte einen Bullen argwöhnisch. Er wollte, dass ich zum nächstgelegenen Kontrollpunkt der Polizei mitkam, gleich in der Metro-Station Chreschtschatyk. Ich rief Eugene an, damit er meinen Pass brachte, und während wir alle warteten, traf K ein. Ich begrüßte sie, und dann ging das ganze Grüppchen – die beiden Polizisten, Eugene, K und ich – zum Kontrollpunkt, wo mein Pass mit der nationalen Datenbank der Ukraine abgeglichen wurde. Ich war ehrlich gesagt ein bisschen ungehalten und mürrisch (und der Selenskyj-Cocktail wird nicht gerade geholfen haben), und Eugene erinnerte mich an meinen eigenen Rat, dass man an Kontrollpunkten immer einen Witz reißen soll. K verkniff sich ein Lächeln. Meines Wissens arbeitete sie bis vor Kurzem für den oder direkt beim ukrainischen Militärgeheimdienst, oder sie tut es noch. Sie hätte nur einen Finger rühren müssen, und die Farce hätte ein Ende gefunden. Aber es war klüger und zeitsparender mitzumachen, und ich begann mit einem Lächeln auf den Lippen God Save The Queen zu singen. Bald fand das System mich, und wir durften gehen.
Als wir wieder auf der Party waren, redeten K und ich unter vier Augen, während die anderen systematisch alles tranken, was noch an Alkohol übrig war, und zur Musik von Boney M. rockten. K erzählte mir, sie kenne einen russischen Oligarchen, der dem Kreml sehr nahestehe. Der Oligarch hatte ihr vor wenigen Monaten erzählt, Putin habe Leberkrebs.
„Als ich ihn traf, hatte er gerade eine Behandlung mit Botox hinter sich“, sagte ich. „Sein Gesicht wirkte ein bisschen wie aus Plastik, aber seine Wangen sahen normal aus. Jetzt sieht er aus wie ein Hamster.“
„Das sind die Steroide“, sagte K.
„Stirbt er?“
„Das wissen wir nicht genau.“
Ich wandte mich wieder der Party zu, Asche im Mund.
Michael Weiss ist ein Freund von mir, ein New Yorker, halb jüdischer, halb irischer Abstammung. „Ich kann nachts die Bar kaputt schlagen und morgens die Schäden bezahlen“, lautet einer seiner Sprüche. Während der Covid-Lockdowns haben wir einen simplen Unterhaltungs-Podcast veröffentlicht, Two Boozy Hacks (Zwei versoffene Schmierfinken ), bei dem wir auf unterschiedlichen Seiten des Großen Teichs tranken und die Welt in Ordnung brachten, Trump, den Brexit, Putin und so weiter. Als Reporter ist Mike lange in den finsteren Korridoren der US -Geheimdienstler unterwegs gewesen. Er arbeitet an einem langersehnten Buch über den russischen Militärgeheimdienst, die GRU , und kennt in der Ukraine die richtigen Leute.
Im April erzählte er mir, dass er gehört habe, Putin habe Krebs. „Sag ich doch!“ oder etwas Ähnliches erwiderte ich darauf. Aber nach der Geschichte, die er gehört hatte, litt Putin an Blutkrebs. Mike hatte mehr Quellen, also stellte ich ihm den Kontakt zu einem Typen her, den ich vor langer Zeit in einem Pub kennengelernt hatte. Der Name des besagten Typen ist Ashley Grossman, und er ist Professor für Neuroendokrinologie an der Universität Oxford. Er sagte: „Einige meiner Freunde und ich haben uns sein Gesicht angesehen. Es ist in den letzten paar Jahren viel runder geworden. Das würde am besten zu Lymphdrüsenkrebs passen. Eine normale Behandlung dagegen wäre Prednison, ein Steroid. Zu den Nebenwirkungen würden unter anderem Stimmungsschwankungen, Aggression und Verwirrung gehören. Man nimmt am Bauch zu, im Nacken und im Gesicht. Falls er also Prednison nimmt, könnte das sein sprunghafteres Verhalten in den letzten Monaten erklären.“
K sprach von Leberkrebs, Mike hatte man von Blutkrebs berichtet, und Ash und seine Leute in Oxford dachten an Lymphdrüsenkrebs. Mit Blut hängen alle drei Krankheiten zusammen. Ash überlegte weiter: „Schilddrüsenkrebs ist leicht zu behandeln. Blutkrebs ist auch behandelbar, aber Lymphdrüsenkrebs ist sehr viel ernster, insbesondere, wenn sich an der Wirbelsäule Metastasen gebildet haben. Ich hatte gelesen, seine Wirbelsäulenprobleme hätten damit zu tun, dass er vom Pferd gestürzt ist, aber falls er Metastasen an der Wirbelsäule hätte, ist das eine sehr ernste Diagnose. Ein zusätzliches Problem besteht darin, dass die Qualität der Medikamente in Russland dürftig ist, selbst für jemanden wie ihn.“
Ich erzählte Ash, dass Putins Gesicht bei unserer Begegnung 2014 ausgesehen habe wie das eines Reptils, er heute aber aussehe wie ein Hamster.
„Das könnten die Steroide sein“, sagte Ash. „Putin sieht aus wie ein anderer führender Politiker in früheren Jahren: 1963 hatte JFK ein Hamster-Gesicht, weil man ihn gegen die Addison-Krankheit mit zu viel Steroiden behandelt hat.“ Weil Ash tatsächlich ein Medizinprofessor ist, fügte er noch hinzu, dass Putin nicht sein Patient sei und dass seine Äußerungen nur auf Beobachtungen aus der Ferne beruhten.
Mike arbeitete seine Story für das New Lines Magazine aus, und sie verursachte weltweit Aufsehen. Er führte die Geschichte von einem Telegram-Kanal namens „General SVR “ an, scheinbar von einem aus dem russischen Auslandsgeheimdienst ausgeschiedenen Offizier. Der sagt, dass Putin sich demnächst einer nicht näher bestimmten Krebsoperation unterziehen soll. Während er unter dem Messer liegt, wird Nikolai Patruschew, ein einundsiebzigjähriger Ex-KGB -Mann, den Laden schmeißen. Aber Mike setzte noch eins drauf und trieb eine Tonaufzeichnung des Oligarchen auf, von dem K gesprochen hatte. Die Geschichte klang ein wenig anders, aber nach meiner umfangreichen Erfahrung verleiht ihr das eher mehr als weniger Glaubwürdigkeit. Ein Risikokapitalanleger aus dem Westen hatte den Oligarchen Mitte März ohne seine Erlaubnis aufgezeichnet. Mike gab ihm den falschen Namen „Juri“. Juri ist kein glücklicher Mensch. Er sagt, Putin habe „Russlands Wirtschaft vollkommen ruiniert, ebenso die Wirtschaft der Ukraine und viele weitere – vollständig ruiniert. Es gibt ein Problem mit seinem Kopf … Ein Irrer kann die ganze Welt durcheinanderbringen.“
Der Oligarch verriet, was er über Putins Gesundheit wusste: Er sei „schwer erkrankt an Blutkrebs“.
Mike ist übrigens nicht zu hundert Prozent überzeugt, dass die Geschichte stimmt. Es könnte eine von den russischen Eliten verbreitete Fehlinformation sein, „weil die sein Regime untergraben wollen“. Christo Grosew von Bellingcat hat berichtet, dass der FSB die Anweisung hat, alle derartigen Geschichten über Putins schlechten Gesundheitszustand als Fehlinformation zu behandeln. Was logischerweise die ungewollte Konsequenz nach sich zieht, dass sie anfangen, daran zu glauben. Mein Schluss ist, dass Putin tatsächlich an einer ernsten Erkrankung leidet. Ende Mai behauptete der Telegram-Kanal „General SVR “, dass Putin in der Nacht zum 16. Mai operiert wurde. Putin war, so die Geschichte, für jeden außer seinem getreuen Handlanger, Leiter der Nationalen Sicherheit Patruschew, unerreichbar. Die Gerüchteküche in Moskau hat eine fünfte Krebsart hervorgebracht: Unterleibskrebs.
Welche der fünf Möglichkeiten – Leberkrebs, Blutkrebs, Lymphdrüsenkrebs, Schilddrüsenkrebs, Unterleibskrebs – ist es nun? Wir wissen es nicht. Rufen Sie sich in Erinnerung, geschätzter Leser, Russland unter Putin bedeutet ein Regime der Undurchsichtigkeit. An klare Fakten ist nur schwer heranzukommen. Das gesamte System des Kremls arbeitet daran zu verhindern, dass unumstößliche Tatsachen zusammengetragen werden können – nicht zuletzt dadurch, dass es diejenigen vergiftet, die diese Tatsachen sammeln. Es tut mir leid, aber Sie müssen bedenken, dass Unklarheit und das Unvermögen, klar zu sehen, normal sind, wenn man versucht, den schlechten Gesundheitszustand eines russischen Autokraten zu verstehen.
Gegen Ende April hatte Putin mit seinem Handlanger General Sergei Schoigu, dem russischen Verteidigungsminister, eine Unterredung, in der er ihn anwies, das Stahlwerk von Mariupol, die letzte Bastion der ukrainischen Armee in der belagerten Stadt, nicht anzugreifen. Innerhalb weniger Tage wurde das Stahlwerk dann von russischer Artillerie zertrümmert, und nach einer Waffenruhe, ausgehandelt von der UN und dem Internationalen Roten Kreuz, gestattete man den meisten der überlebenden ukrainischen Soldaten schließlich den Abzug, aber auf russisches Staatsgebiet. Ihr Schicksal ist zu dem Zeitpunkt, da ich dies schreibe, ungewiss. So viel zu Putins Ehrlichkeit. Doch das Bemerkenswerteste an dem Plausch mit Schoigu war Putins Körperhaltung. Er setzte sich mit dem General an einen lachhaft kleinen Tisch, von der Art, auf die man ein Schachbrett stellen würde. Eine Seite seines Körpers schien wie erstarrt, mit der rechten Hand umklammerte er mit aller Kraft den Tisch. Das erinnerte mich daran, wie meine Großmutter, Granny Sweeney, sich früher an allem festhielt, damit sie nicht hinfiel.
Er ist kein gesunder Mann. Und das wirft eine Frage auf: Würde Wladimir Putin, im Wissen, dass er nicht mehr lange zu leben hat, uns alle töten?