Es war kaum zu glauben.
Der M'Dok-Angriff auf die Hauptstadt lag inzwischen drei Tage zurück, und an Worfs Selbstverteidigungsunterricht nahmen mehr Tenaraner teil als jemals zuvor. Er hatte Gaius Aldus gebeten, ihm jemanden zu schicken, der bei den Lektionen half. Der Magna Romaner sollte an diesem Nachmittag kommen; er war ebenfalls ein Fachmann für unbewaffneten Nahkampf. Außerdem ist er ein Mensch, fügte der Klingone in Gedanken hinzu. Mit ihm kommen die Tenaraner bestimmt besser zurecht als mit mir.
Dennoch fanden die Einheimischen immer neue Gründe, den Kampf abzulehnen.
Nadeleen wiederholte die Frage, die sie Worf vor drei Tagen gestellt hatte. »Danke dafür, dass Sie diesen wichtigen Punkt ansprechen«, sagte der Klingone und spürte die volle Aufmerksamkeit der Klasse.
»Sie haben völlig recht, Nadeleen. Ein M'Dok-Krieger wäre wieder aufgesprungen und hätte erneut angegriffen. Deshalb müssen Sie sich so verteidigen, dass der Gegner am Boden bleibt. Mit dieser Technik möchte ich Sie heute vertraut machen.«
Er wählte eine junge Frau.
»Sie – wie lautet Ihr Name?«
»Arkanka, Sir.«
»Na schön, Arkanka, bitte kommen Sie zu mir.«
Die Tenaranerin stand auf und näherte sich langsam. Sie mochte einige Jahre jünger sein als Nadeleen, aber sie war ebenso groß wie Worf und wirkte kräftig genug. Sie hätte eine Chance gegen die M'Dok – wenn sie lernt, was ich ihr beizubringen versuche.
Der Klingone wandte sich wieder an die Gruppe. »Verschiedene Körperteile von Humanoiden – und das gilt auch für die M'Dok – reagieren besonders empfindlich auf Verletzungen. Wenn man dort hart genug zuschlägt, kann man den Gegner sogar töten.«
Die Tenaraner schauderten. Worf war viel zu sehr auf die Lektion konzentriert, um die wachsende Unruhe seiner Schüler zu bemerken. »Die meisten Stellen ignorieren wir aus zwei Gründen. Erstens: Ich beschränke mich darauf, Ihnen die Grundlagen der Selbstverteidigung zu zeigen; komplexe Einzelheiten würden Sie nur verwirren. Zweitens: Bei einem M'Dok muss der erste Schlag zum Erfolg führen – Sie bekommen keine zweite Gelegenheit. Deshalb wenden wir uns nun der Kehle zu.
Wenn die M'Dok angreifen, so strecken sie die Arme aus, weil sie das Opfer mit den Krallen packen wollen. Gleichzeitig heben sie den Kopf, um zuzubeißen. Sie rechnen damit, dass ihre entsetzten Gegner wie gelähmt sind, und deshalb achten sie nicht darauf, den Hals zu schützen. Anders ausgedrückt: Sie geben sich eine Blöße, die wir zu unserem Vorteil nutzen können. Ich zeige Ihnen jetzt, was ich meine. Arkanka, bitte strecken Sie die Arme aus und heben Sie den Kopf. Etwa so.« Worf nahm eine entsprechende Haltung ein.
»Einen Augenblick«, sagte die Frau. »Wollen Sie uns lehren, wie man mit voller Absicht jemanden verletzt?«
»Nicht ›jemanden‹. Einen Angreifer. Wahrscheinlich einen M'Dok-Krieger.«
Das leise Flüstern im Zimmer verwandelte sich in zorniges Brummen.
»Das kommt für uns nicht in Frage!«, entfuhr es Arkanka.
»Wie bitte?« Der Klingone holte tief Luft und versuchte es noch einmal. »Ich bin sicher, dass niemand von Ihnen seine hier erworbenen Kenntnisse gegen eine unschuldige Person einsetzt. Bitte denken Sie daran: Es geht um Selbstverteidigung.«
»Trotzdem«, warf Ingerment ein. »Bisher glaubten wir, damit sei alles in Ordnung – solange es nur darum geht, einen Gegner abzuwehren, ohne ihm Schmerzen zuzufügen. Aber jetzt wollen Sie uns etwas lehren, das wir nicht akzeptieren können.«
»Meinen Sie das im Ernst?«, fragte Worf fassungslos. »Sind Sie nicht bereit, alle Möglichkeiten zu nutzen, um sich zu schützen? Ich bezweifle, ob einige Judo-Würfe genügen, um die M'Dok aufzuhalten.«
»Dann kämpfen wir nicht gegen sie.« Mehrere Tenaraner erhoben sich und schritten zum Ausgang.
»Bitte erklären Sie mir das«, sagte Worf hastig, bevor auch die anderen Männer und Frauen aufstanden.
Ingerment ließ den Blick über seine Mitschüler schweifen und stellte fest, dass sie ihn als ihren Sprecher anerkannten. »Wir sind eher bereit, uns von den M'Dok verletzen zu lassen, als sie ganz bewusst zu verwunden.«
»Verletzen?«, brachte Worf hervor. »Die M'Dok verletzen nicht. Sie töten.«
»Meinetwegen«, erwiderte Ingerment trotzig. »Wir lassen uns eher von ihnen töten, als sie umzubringen.«
»Wir nehmen lieber den Tod hin, als die moralische Schande eines Mordes auf uns zu laden«, fügte Arkanka hinzu.
»Aber wenn nur einer von Ihnen überleben kann, entweder Sie oder der M'Dok …«, sagte Worf. »Ist es dann nicht besser, wenn das Katzenwesen stirbt?«
»Warum sollte ein M'Dok weniger Recht auf sein Leben haben als wir?«, fragte Nadeleen. »Wir alle sind vernunftbegabte Wesen – äußerliche Unterschiede spielen keine Rolle.«
Worf überlegte. »Sie gefallen mir weitaus besser als die M'Dok.« Diese Worte brachten ihm ein Lächeln der Tenaraner ein. Aber gleichzeitig begriff der Klingone, dass seine Schüler auf ihrem Standpunkt beharrten. »Was ist mit Nadeleens Reaktion vor drei Tagen? Wie würden Sie sich verhalten, wenn nicht Ihr eigenes Leben auf dem Spiel steht, sondern das eines hilflosen Kindes?«
»Jeder Tenaraner stirbt lieber, als jemand anders zu zwingen, für ihn zu töten«, antwortete Ingerment. »Wir alle empfinden auf diese Weise.«
»Sie alle?«, fragte Worf. »Melkinat nahm eine alte Waffe von der Wand und brachte damit einen M'Dok um.«
»Intelligente Wesen lassen sich manchmal zu irrationalen Reaktionen hinreißen«, erwiderte Nadeleen ruhig. »Was jedoch nicht bedeutet, dass derartige Verhaltensweisen richtig sind. Unsere Gesetze und Traditionen basieren auf Vernunft, nicht auf blindem Zorn.«
Worf schüttelte den Kopf. »Ich respektiere Ihre Einstellungen. Wenn alle Völker in der Galaxis Ihre Prinzipien teilten, gäbe es überall Frieden. Leider sieht die Wirklichkeit anders aus. Wir haben es nicht mit irgendwelchen theoretischen Überlegungen zu tun, sondern mit der Realität.«
»Das ist uns durchaus bewusst«, sagte Nadeleen. »Sie machen sich etwas vor, indem Sie nach einem Vorwand suchen, um primitiven Instinkten nachzugeben. Wir wollen nicht, dass Sie damit unsere Welt vergiften.« Sie stand ruckartig auf und ging zur Tür.
Die anderen folgten ihr. Worf bat die Tenaraner, im Zimmer zu bleiben, aber niemand achtete auf ihn. Ihr Starrsinn schürte das Feuer der Wut im Klingonen.
Hinter ihm lachte jemand.
Worf wirbelte herum. Ein junger Mann trat ihm entgegen, gekleidet in eine romanische Toga, an deren Säumen sich purpurne Stickereien zeigten. Die Sandalen waren mit silbernen und goldenen Fäden durchwirkt. Worf ärgerte sich darüber, dass er den Magna Romaner erst jetzt bemerkte, und das amüsierte Lachen interpretierte er fast als persönliche Herausforderung. Er versteifte sich unwillkürlich und wartete stumm, bis der Mann näherkam.
Der Romaner hob die Hand. »Ich bin Marcus Julius Volcinius, und ich weiß natürlich, wer Sie sind.« Als er merkte, dass der Klingone seinen Gruß nicht erwiderte, fügte er hinzu: »Oh, entschuldigen Sie. Ich habe Sie keineswegs ausgelacht! Meine Erheiterung gilt der … Ironie Ihrer Bemühungen.«
»Ironie?«, brummte Worf.
»O ja. Sie versuchen, innerhalb weniger Stunden maßgeblichen Einfluss auf eine lebenslange Indoktrination zu nehmen.« Marcus schüttelte den Kopf. »Damit ist ein Misserfolg vorprogrammiert.«
Worf deutete auf die Tür, doch seine Geste galt den Tenaranern. »Sie sind noch jung. Gerade deshalb habe ich sie ausgewählt.«
»Aber sie sind nicht jung genug! Wann wird ein Romaner zum Romaner oder ein Klingone zum Klingonen?«
»Bei Klingonen gibt es gewisse Rites de passage«, erwiderte Worf vorsichtig. »Danach gilt man als Erwachsener.«
Marcus nickte. »Ja, natürlich. In praktisch allen Gesellschaften existieren solche Rituale. Das meine ich nicht. Um meine Frage anders zu formulieren: In welchem Alter identifiziert sich ein Kind mit den kulturellen Werten seiner Umgebung?«
»Das hängt vom Kind ab – und der jeweiligen Kultur.«
Marcus' Lächeln wuchs in die Breite. »Jetzt sprechen Sie als Diplomat und nicht mehr als Krieger. Nun, meiner Ansicht nach läuft es auf folgendes hinaus: Je jünger die Kinder, desto besser die Aussichten, ihre Entwicklung zu beeinflussen.«
Worf runzelte die Stirn. »Sie meinen mehr, als in Ihren Worten zum Ausdruck kommt.«
»Hm, ja. Eine romanische Angewohnheit. Manchmal wählen wir Formulierungen, in denen sich wesentlich mehr Bedeutung verbirgt, als es zunächst den Anschein hat.«
»In dieser Hinsicht ist Marcus Volcinius besonders begabt.« Gaius Aldus war leise an die beiden Männer herangetreten und stand nun hinter Marcus. »Ich wurde an Bord der Zenturio aufgehalten, aber wie ich sehe, haben Sie den Unterricht schon beendet.«
»Unfreiwillig«, erklärte der Klingone. »Es ergaben sich weitere Probleme in Bezug auf die tenaranische Auffassung von Selbstverteidigung.« Er sah den anderen Magna Romaner an. »Vielleicht kann uns Marcus eine Lösung anbieten.«
»Da bin ich gespannt«, sagte Gaius.
Marcus deutete eine Verbeugung an. »Es ist mir ein Vergnügen, Sie wiederzusehen, Gaius.«
»Mir ergeht es nicht anders – obwohl es mich überrascht, Sie hier anzutreffen. Sie sollten auf der Zenturio sein; dort wären Sie niemandem im Weg.« Gaius hob plötzlich den Arm und hielt Marcus am Handgelenk fest. »Was führt Sie hierher?«
Marcus löste sich aus dem Griff und trug dabei einige blaue Flecken davon. »Sie sind nicht über alles informiert.«
Gaius Aldus straffte die Gestalt. »Ich bin Magister Navis und habe deshalb ein Recht darauf, über alle wichtigen Vorgänge informiert zu sein.«
Marcus lachte. »Sie nehmen archaische Titel viel zu ernst.«
»Na schön. Es bleibt Ihnen überlassen, was Sie von meinem Titel halten.« Erneut schloss er die Hand um Marcus' Unterarm und zog den Mann zu sich heran. »Nehmen Sie mich ernst. Ich frage noch einmal: Was machen Sie hier?«
Marcus Volcinius starrte auf die kräftige Hand hinab. Er wusste, dass Gaius diesmal nicht so einfach loslassen würde, und er wollte nicht wie ein Narr wirken, indem er vergeblich versuchte, sich aus dem festen Griff zu befreien.
Außerdem gefiel ihm die Vorstellung, dem Magister Navis zu demonstrieren, wie wenig er wusste. »Ich zeige es Ihnen«, sagte er. »Kommen Sie.«
»Bitte entschuldigen Sie uns, Lieutenant«, wandte sich Gaius an Worf. »Wir sprechen später miteinander.«
»In Ordnung«, bestätigte der Klingone.
Marcus führte Gaius zu einem einstöckigen Haus mit zwei Räumen. Beide dienten als Klassenzimmer: Tenaranische Kinder saßen dort an in Reihen aufgestellten Tischen, und Besatzungsmitglieder der Zenturio unterrichteten sie. Die Magna Romaner trugen ähnliche Kleidung wie Marcus – allerdings fehlten die purpurnen Stickereien an der Toga, und die Sandalen waren nicht mit Gold und Silber geschmückt.
Sie gingen an den offenen Türen vorbei, und Volcinius lächelte, als er die Verblüffung in Gaius' Gesicht sah.
»Bei den Göttern, Marcus, das geht zu weit!«, brachte Gaius Aldus zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Sie sind nicht befugt, Angehörige der Crew mit derartigen Aufgaben zu betrauen.«
Marcus gab keine Antwort, verharrte an einer geöffneten Tür und nickte in Richtung der Klasse. Die Lehrerin stellte gerade eine Frage, und ein etwa sechsjähriger Junge sprang auf, nahm Haltung an und sagte laut: »Nomen Romanum bezieht sich auf die romanische Macht, die den ganzen Planeten Magna Roma dominiert.«
»Sehr gut, Tullius«, lobte die Lehrerin, eine Frau in mittleren Jahren, die sich sehr gerade hielt und wie eine Patrizierin wirkte. »Du darfst dich wieder setzen.«
Tullius lächelte glücklich, nahm Platz und saß wie die übrigen Schüler: aufrecht und mit steifem Rücken.
Die Lehrerin wandte sich an ein anderes Kind. »Antonia, beende den von mir begonnenen Satz und übersetz ihn ins Tenaranische: ›Roma locuta est …‹«
Ein kleines, kaum fünf Jahre altes Mädchen stand auf, hob den Kopf und intonierte in einem Singsang: »Roma locuta est; causa finita est. Das heißt: ›Rom hat gesprochen. Damit ist der Fall abgeschlossen.‹«
»Ausgezeichnet, Antonia. Weiß jemand, was das bedeutet?«
Gaius wandte sich ab.
»Kommen Sie«, sagte Marcus. »Es gibt noch mehr zu sehen.«
Er führte seinen Begleiter hinter das Gebäude, und dort erhob sich eine Wand, die den Blick auf den Rest des Geländes verwehrte. Sie bestand aus dem gleichen Material, das an Bord von Starfleet-Raumschiffen benutzt wurde, um Räume zu unterteilen.
»Die Tenaraner verwenden Stein und Holz als Baumaterialien«, stellte Gaius fest.
»Ja. Diese Wand haben wir errichtet. Um dahinter ungestört zu sein.«
Die darin eingelassene Tür bestätigte ihren fremden Ursprung – sie öffnete sich erst, als Marcus »Aperi!«, sagte. Daraufhin glitt sie zur Seite, und die beiden Männer traten durch den Zugang, der sich hinter ihnen wieder schloss. Die Barriere umgab einen drei- oder viertausend Quadratmeter großen Bereich, auf dem romanische Truppen exerzierten.
»Vom Schiff?«
Marcus grinste. »Sehen Sie genauer hin.«
Gaius kniff die Augen zusammen. Die Soldaten waren Mädchen und Jungen, die ältesten von ihnen fünfzehn oder sechzehn. Plötzlich begriff er. »Tenaraner!«
Marcus lachte entzückt. »Genau! Junge Tenaraner! Und sie finden Spaß an der Sache, viel Spaß. Na, was halten Sie davon?«
Die Kinder und Jugendlichen trugen alte romanische Rüstungen und Waffen, marschierten in Reih und Glied über den Platz und reagierten auf die lateinischen Befehle des romanischen Offiziers. Auf seine Anweisung hin blieben sie ganz plötzlich stehen und stampften mit den Stiefeln. Eine neuerliche Order in Latein erklang: Die jungen Soldaten drehten sich zu Gaius und Marcus um, klopften mit der Faust auf die Brust und streckten den Arm zum romanischen Gruß. »Salvete!«, riefen sie wie aus einem Mund.
Gaius wandte sich um und ging zur Tür. Als sie sich nicht öffnete, knurrte er ein zorniges »Auf!« Der Zugang blieb geschlossen. Er versuchte es mit dem lateinischen Wort und ahmte Marcus nach: »Aperi!« Nichts geschah.
Hinter ihm kicherte Marcus. »Das Identifikationsmodul ist nicht auf Ihre Stimme programmiert, Lieutenant.«
Gaius blieb reglos vor der Wand stehen, und seine volltönende Stimme hallte über den ganzen Paradeplatz, als er donnerte: »Wenn Sie die Tür nicht sofort für mich öffnen, breche ich das verdammte Ding auf!«
»Wir säen Veränderung«, sagte Volcinius. »Und zwar überall auf dem Planeten. Im Verlauf der nächsten Jahre wachsen diese Kinder heran und nehmen immer mehr Einfluss auf die Entwicklung Tenaras. Einige von ihnen wird man in die Saavtas wählen, und andere schaffen eine Streitmacht.«
»Militär?«
Marcus nickte, und in seinen Augen leuchtete Stolz. »Nach dem Beispiel der romanischen Legionen. Beim nächsten Mal brauchen sie nicht mehr unsere Hilfe, um einen Angriff abzuwehren. Aber was noch wichtiger ist: Die von uns ausgebildeten Saavta-Mitglieder …« Er zögerte kurz und suchte nach den richtigen Worten. »Sie werden die Struktur dieser Gesellschaft und vielleicht auch die der Föderation verändern.«
»Sie sind ein Narr, Marcus.« Gaius schüttelte traurig den Kopf. »Ich weiß nicht, woher Sie die Idee für diesen Unfug nahmen, aber er hört jetzt auf. Sie beenden den Unterricht in den Schulen, kehren zur Zenturio zurück und nehmen alle Lehrer mit.«
Marcus schmunzelte hintergründig. »Sie verstehen noch immer nicht, oder? Sie haben mir nichts zu befehlen. Ich bin Seianus' Vetter, und er hat mich hierhergeschickt – meine Anweisungen stammen von ihm. Er ist voll und ganz mit meinen hiesigen Maßnahmen einverstanden. Außerdem: Sie sind Plebejer, und deshalb rate ich Ihnen, vorsichtiger zu sein. Selbst in der heutigen demokratischrepublikanischen Zeit kann das Leben außerordentlich unangenehm werden, wenn man Mitglieder bestimmter Familien beleidigt.«
»Der Captain ist bestimmt nicht mit dem einverstanden, was Sie hier anstellen.«
»Glauben Sie, Gaius?«
»Es wird sich bald herausstellen, was Lucius Aelius Seianus davon hält.« Gaius berührte seinen Insignienkommunikator. »Zenturio! Beamen Sie mich an Bord – und zwar schnell!«
Als Gaius Aldus auf der Plattform im Transporterraum rematerialisierte, nahm der Techniker hinter der Konsole Haltung an, klopfte sich mit der Faust an die Brust und streckte den Arm aus.
Gaius achtete überhaupt nicht darauf. Mit langen Schritten durchquerte er das Zimmer, marschierte durch den Korridor und hielt auf den nächsten Turbolift zu. Er ignorierte die Grüße der Besatzungsmitglieder, denen er unterwegs begegnete, starrte einfach durch sie hindurch. Seine Gedanken galten einzig und allein den Vorgängen auf Tenara – und ihren möglichen Konsequenzen.
Marcus hatte natürlich recht: Gaius war Plebejer. Während der imperialen Epoche auf Magna Roma hätte das bedeutet, dass er und seine Familie nicht die geringste Rolle spielten, dass er keine Ehre für sich beanspruchen durfte. Auch die Republik gab ihm und seiner Familie keine wichtige Stellung, aber die Ehre wurde ihm nicht länger vorenthalten. Gaius beschloss, sie zu verteidigen. Sie war alles, was er hatte – abgesehen von Jenny.
Er zog sich in sein Quartier zurück, schaltete dort den Kom-Schirm ein und setzte sich mit dem Captain in Verbindung. Der Computer fand Seianus im Bereitschaftsraum – der Kommandant nahm dort banale Verwaltungspflichten wahr. Die Störung schien ihn zunächst zu verärgern, doch Seianus' Miene erhellte sich, als er feststellte, wer ihn zu sprechen wünschte. »Gaius! Du bist an Bord? Solltest du nicht auf Tenara sein und dem Sicherheitsoffizier der Enterprise dabei helfen …«
»Es müssen einige wichtige Dinge erörtert werden«, unterbrach Gaius den Captain. »Jetzt sofort.«
Seianus runzelte die Stirn. »Im Augenblick bin ich sehr beschäftigt. Hat es nicht Zeit bis heute Abend?«
»Nein. Es handelt sich um eine sehr dringende Angelegenheit.«
Seianus nickte und wurde übergangslos ernst, als er das Vibrieren in der Stimme seines Ersten Offiziers hörte. »In Ordnung. Ich erwarte dich im Bereitschaftsraum.«
Das Bild auf dem Kom-Schirm verblasste.
Gaius seufzte und streifte die Starfleet-Uniform ab. Langsam und mit großer Sorgfalt zog er die für zeremonielle Gelegenheiten bestimmte Galauniform an. Sie hatte sich seit vielen Jahrhunderten nicht verändert. In dieser Kleidung waren Magna Romaner aufgebrochen, um die ganze Welt zu erobern – mit Erfolg. Zuerst kam die Tunika, darüber eine schwere Brustplatte mit metallenen Epauletten. Gaius fügte einen Rock hinzu, an dem Stahlplättchen klirrten, griff dann nach Helm und Umhang. Schließlich schnallte er sich den Gürtel um, an dem ein kurzes und breites Schwert hing – sowohl ein Schmuckstück als auch eine wirkungsvolle Waffe.
Er prüfte sein Erscheinungsbild im hohen Wandspiegel, rückte Rüstung und Schwert zurecht, nickte zufrieden, nahm Haltung an und hob den ausgestreckten Arm.
Jetzt fühlte er sich für die Begegnung mit Seianus bereit. Gaius verließ die Kabine und machte sich auf den Weg zur Brücke.
Die Besatzungsmitglieder in den Korridoren grüßten ihn erneut. Zuvor begegneten sie ihm mit jenem Respekt, der dem Ersten Offizier und stellvertretenden Kommandanten der Zenturio gebührte, doch jetzt würdigten sie auch die ehrenvolle Uniform. Gaius ging langsamer, bemerkte die Grüße und erwiderte sie ernst. »Salve«, sagte er ruhig. »Salve.«
Kurze Zeit später öffnete sich die Tür des Turbolifts, und Gaius Aldus betrat die Brücke, Verkörperung des Ewigen Romas, Roma Aeterna. Es wurde plötzlich still im Kontrollraum, und die anderen Offiziere sahen neugierig auf, als Gaius übers Deck schritt und im Bereitschaftsraum verschwand.
Seianus blickte vom Schreibtisch auf, als sich das Schott mit einem leisen Zischen schloss. »Gaius. Willkommen.« Dann sah er die Uniform und neigte erstaunt den Kopf zur Seite. »Warum so förmlich, Gaius?«
»Du hast Captain Jean-Luc Picard darauf hingewiesen, dass ich seit langer Zeit deine Ehre und dein Leben schütze«, begann Gaius. »Ein großes Kompliment für mich.«
Seianus musterte ihn. »Es ist die Wahrheit.«
»Jetzt halte ich es für meine Pflicht, dich zu warnen: Deine Ehre ist in Gefahr.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich verstehe.« Die Worte klangen neutral, die Stimme kühl. Jetzt sprach nicht mehr Seianus, seit vielen Jahren Gaius' bester Freund, sondern ein romanischer Patrizier, der von einem Plebejer Auskunft verlangte. »Vielleicht kannst du mir erklären, was du meinst.«
Gaius ging nicht darauf ein. »Marcus Volcinius ist in Zhelnogra. Er leitet ein Programm, das die Kinder den Traditionen Tenaras entfremden und sie an die prärepublikanischen Bräuche Magna Romas gewöhnen soll.«
»Oh.« Seianus nickte, stand auf und trat ans breite Fenster heran. »Ich höre.«
»Marcus glaubt, die von ihm geschaffenen … Romaner werden irgendwann einmal eine wichtige Rolle spielen, und offenbar geht es dabei nicht nur um Tenara. Er behauptete sogar, nach deinen Befehlen zu handeln.«
»Ja.«
»Stimmt das etwa?«
»Verhörst du mich? Verlangst du von mir, dass ich dir die Gründe für meine Entscheidung erläutere?« Seianus wurde nun ganz und gar zu einem Patrizier, und in seiner Stimme hörte Gaius Spott.
»Ich berufe mich dabei auf unsere Freundschaft, auf das, was uns verbindet.«
Seianus maß seinen Ersten Offizier mit einem durchdringenden Blick. »Nun gut. Marcus handelt in meinem Interesse – und in dem von Magna Roma.«
»Wie soll das möglich sein?«, entgegnete Gaius. »Was Marcus auf dem Planeten anstellt, steht im krassen Gegensatz zu den Gesetzen Tenaras und der Föderation. Sein Verhalten ist unehrenhaft.«
»Unehrenhaft?« Seianus schüttelte ärgerlich den Kopf. »Nein, es ist nicht unehrenhaft, sondern notwendig.«
Gaius verschränkte die Arme. »Erklär mir das.«
Seianus nahm wieder Platz und lächelte. »Erinnerst du dich an die Kriegsspiele unserer Kindheit? Ich war der Kaiser, und du bist in die Rolle meines Generals geschlüpft.«
Gaius nickte. »Damals brauchten wir nicht die Konsequenzen unserer Entscheidungen zu fürchten. Wir konnten uns Fehler erlauben und sogar sterben – alles fand nur in unserer Phantasie statt.« Seianus hielt den Blick des Ersten Offiziers fest. »Erinnerst du dich daran?«
»Ja.«
»Nun, mein Freund, dies ist kein Spiel mehr. Die M'Dok, Romulaner und Ferengi halten sich nicht an irgendwelche Regeln. Sie werden uns vernichten, wenn wir ihnen nicht zuvorkommen, wenn wir nicht von allen Methoden Gebrauch machen.«
Gaius schüttelte den Kopf. »Von allen Methoden? Nein. Ohne Ehre gewonnene Schlachten ergeben sinnlose Siege. Denk nur an unseren Triumph über die Romulaner bei Adhara. Du hast den Überlebenden freien Abzug gewährt und ihnen damit wahre romanische Ehre gezeigt.«
»Die Romulaner kehrten in ihre Heimat zurück – um uns später noch einmal anzugreifen«, erwiderte Seianus. »Ich war ein Narr.«
»Nein. Du warst ein Held. Und jetzt hast du dich verändert. Du legst deinen Entscheidungen egoistische Motive zugrunde und strebst nach persönlichem Ruhm. Das dient nicht dem Wohl der Föderation.«
Seianus stand abrupt auf. »Nein! Jetzt habe ich in erster Linie die Interessen der Volcinii-Gens und unserer Welt im Sinn. Unterstütze mich, Gaius Aldus! Hilf mir! Es soll dein Schaden nicht sein.« Er schmunzelte. »Ich bitte dich nicht um etwas, das dir fremd ist. Diene mir weiter so, wie du mir bisher gedient hast.«
»Du sprichst von der Vernichtung unserer Feinde«, sagte Gaius behutsam. »Wie willst du dabei vorgehen? Picard hat den Oberbefehl über die hiesige Mission – und er wird keinen Krieg gegen die M'Dok zulassen.«
»Da hast du recht«, entgegnete Seianus.
Dann berichtete er Gaius, was er in Bezug auf Captain Picard und die Enterprise zu unternehmen gedachte.
»Ein kühner Plan«, kommentierte Gaius.
Seianus lächelte erneut.
»Es ist der Plan eines Wahnsinnigen, der sich nicht um das Leben anderer intelligenter Wesen schert«, fuhr Gaius fort. »Ich diene dir nicht länger. Du hast keine Ehre.«
Seianus versteifte sich, als er diese Worte vernahm. »Und du bist kein Magna Romaner. Du bringst Schande auf deine Uniform.«
»Auf diese Uniform?«, fragte Gaius. Er zog das Schwert, und Seianus wich einen Schritt zurück, tastete nach dem Insignienkommunikator. Gaius Aldus holte kurz aus – das kleine Gerät löste sich vom Pulli des Captains und fiel zu Boden. Gaius starrte den Kommandanten voller Verachtung an und ließ die Waffe sinken. »Ganz im Gegenteil: Du bist es, der diese Uniform entehrt. Ich verlasse dich jetzt, um die Regierung Magna Romas von deiner Verschwörung zu informieren.«
»Ich bin ruiniert«, sagte Seianus, und Kummer zeigte sich in seinen Zügen.
»Nein«, widersprach Gaius sanft. »Du bist gerettet.«
Er tastete nach Seianus' Hand …
… und der Captain sprang vor, griff nach dem Schwert und rammte es Gaius in den Bauch.
Der Erste Offizier stöhnte wie ein riesiges Tier, das nach Luft schnappte. Er schloss die Hand um Seianus' Unterarm und versuchte, das Schwert aus der Wunde zu ziehen, aber der Captain trat einen Schritt näher, stemmte sich mit dem ganzen Gewicht gegen das Heft und hob Gaius an.
Gaius' rollte mit den Augen, und sein Blick brach. Seianus ließ die Leiche langsam zu Boden sinken.
»Ich werde dich vermissen, alter Freund«, sagte er und kniete neben dem Toten. »Aber wir sind im Krieg.«
Er löste Gaius' Finger vom Unterarm, schloss sie um das Schwertheft und hielt sie dort fest, bis sie sich versteiften und kalt wurden.
Schließlich stand er auf, nahm ein Tuch und wischte sich die Hände ab. Er griff nach dem Insignienkommunikator, befestigte ihn wieder am Uniformpulli und klopfte kurz auf das kleine Gerät.
»Sicherheitsabteilung.«
»Im Bereitschaftsraum ist es zu einem Zwischenfall gekommen. Schicken Sie jemanden, der Ordnung schafft.«
»Ja, Sir.«
Seianus überlegte kurz. »Anschließend möchte ich mit Jenny de Luz von der Enterprise sprechen.«
»Captain Seianus?« Jennys überraschtes Gesicht zeigte sich auf dem Bildschirm. »Wie ich hörte, haben Sie eine Nachricht für mich.«
»Ja, Jenny, das stimmt.« Seianus zögerte und wählte seine Worte mit aller Sorgfalt. »Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Magister Navis Gaius Aldus sein Leben Magna Roma widmete.«
Jenny blinzelte verwirrt. »Ich verstehe nicht ganz …«
»Unser lieber Freund Gaius Aldus«, sagte Seianus sanft, »hat sich selbst das Leben genommen. Er gab seine Seele dem Staat.«
Allmählich begriff Jenny, was diese seltsame Formulierung bedeutete. Sie öffnete den Mund, brachte jedoch keinen Laut hervor. Die junge Frau starrte Seianus entsetzt an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Ich weiß, was Sie jetzt empfinden, Jenny«, murmelte der Magna Romaner. »Gaius war mein ältester und bester Freund. Ich bin hier, wenn Sie mich brauchen.«
Seianus winkte und unterbrach die Verbindung.
Und du wirst mich brauchen, dachte er. Schon sehr bald.