1

LUCA

„Hör zu, es ist echt ärgerlich, dass du dir dein Bein gebrochen hast, Jillian. Keine Frage. Aber du hast noch zweihundertfünf andere Knochen, die einwandfrei funktionieren“, erinnerte ich sie sachlich. „Ist dieser eine kleine Oberschenkelknochen wirklich ein Grund, die Reise nach Vegas mit deinem geliebten Chef abzusagen?“

Jillians stechender Blick verlor unter dem nebulösen Einfluss der Narkosemittel ein wenig von seinem Feuer. „Leck mich ... Boss .“

Ich seufzte und rutschte auf dem unbequemen Krankenhausstuhl neben ihrem Bett hin und her. „Du weißt, was ich meine. Mein Cousin Curtis ist gut darin, mir Dinge einzureden, und ohne dich als meine persönliche Assistentin, die meine Argumente mit einem schnellen Datenabgleich untermauert, könnte es passieren, dass ich aus Versehen mein ganzes Vermögen verschenke.“

„Wahrscheinlich könntest du es durchaus verkraften, etwas von diesem Geld zu verlieren“, murmelte sie. „Es ist ja nicht so, dass du es jemals ausgibst.“

Sie hatte recht. Ich war ein Workaholic und nahm mir selten Zeit, mein hart verdientes Geld auch tatsächlich auszugeben. Aber das war nicht der Punkt. Der Punkt war, dass ich häufig dazu neigte, mir von meiner Familie Geld aus der Tasche ziehen zu lassen, meist aus dummen Gründen oder für miese Investitionen. Meine beste Verteidigung war meine unbestechliche Assistentin, die es wie keine Zweite verstand, mich behutsam davon abzuhalten, voreilige Entscheidungen zu treffen.

„Ich brauche wenigstens ein zweites Paar Augen und Hände. Jemanden, der auf dem Tablet, das du immer bei dir trägst, Dinge nachschlagen kann. Jemand, der offiziell klingende Dinge sagt wie ‚Wir kümmern uns darum‘ und ‚Geben Sie uns etwas Zeit, um die Zahlen durchzugehen‘. So etwas in der Art. Dieses Resort ist ein verlockendes Angebot. Ich will mir nicht die Chance entgehen lassen, von Anfang an dabei zu sein, nur weil ich zu viel Angst hatte, es ohne meine Assistentin zu begutachten.“

„Du kannst ja eine Aushilfe einstellen“, sagte sie. „Persönliche Assistenten gibt es wie Sand am Meer, und außerdem gehört eine gewisse Resolutheit bei den meisten davon sowieso zur Grundausstattung.“

„Bist du verrückt? Eine Aushilfe? Ich ?“ Ich merkte, dass ich mich an der Vorderseite meines Hemds festgekrallt hatte und ließ meine Hand vorsichtig auf meinen Schoß sinken. „Da bräuchte es schon einen Wundertäter. Es gibt keine Aushilfe, die deinen Job machen könnte.“

Ein schwaches Lächeln umspielte Jillians Lippen. „Danke, Chef. Du schmeichelst mir.“

Das war allerdings nicht meine Absicht, und genau das war das Problem.

„Vielleicht können wir einen Rollstuhl für dich mieten ...“ Ich dachte über verschiedene Szenarien nach. „Wir nehmen den Privatjet, dann wäre das schon mal kein Problem ... und dann ... ich weiß nicht, wie gut das Bellagio auf Rollstuhlfahrer zugeschnitten ist, aber ich denke, es muss da doch barrierefreie Zimmer geben, oder? Bitte, Jill? Ich kaufe dir ein Pony. Oder einen Ferrari. Oder beides.“

Jillians Ehemann meldete sich endlich zu Wort, nachdem er sich die letzten Minuten zweifellos fast die Zunge abgebissen hätte. „Sie wird operiert, Luca. Gott im Himmel. Sie fliegt nicht mit dir nach Vegas auf deine verdammte Arbeitsreise.“

Ich schaute ihn an. Wahrscheinlich gab es in Vegas gute Ärzte für so etwas. „Aber sie könnte doch ...“

„Nein.“ Er ließ nicht locker. „Finde jemand anderen.“

„Wir haben diese Projektbewertung seit Monaten geplant“, argumentierte ich, bevor ich mich wieder Jillian zuwandte. „Du hast wahrscheinlich schon alles vorbereitet. Wie soll ich jemanden finden, der weiß, was er mit diesen Informationen anfangen soll? Ich hab's, wie wäre es, wenn wir dich per Videocall dazuschalten und du von hier aus mit ihnen sprichst? Ich kann dir ein richtig gutes Headset besorgen und du kannst ...“

Jillian stöhnte und lehnte ihren Kopf noch weiter in die Kissen zurück. „Siehst du, Murph? Ich hab's dir ja gesagt.“

Ich schaute zwischen ihr und ihrem Mann hin und her. „Dir was gesagt?“

Murphy starrte unbeirrt weiter auf sein Handy, auf dem er irgendein Candy-Crush-artiges Spiel spielte, das nervige Geräusche machte. Dann meinte er: „Dass du dich viel zu sehr auf die Arbeit konzentrierst und wahrscheinlich mal wieder Sex brauchst.“

„Wieso Schecks?“ Das ergab überhaupt keinen Sinn. Es sei denn, er sprach von der Investitionsmöglichkeit in diesem Resort. „Ich habe noch nicht entschieden, ob ich investieren werde.“

„Er hatte schon so lange keinen Sex mehr, dass er nicht einmal mehr weiß, was das Wort bedeutet“, murmelte Jillian und schüttelte den Kopf. „Wie traurig.“

„Bitte?“, fragte ich erstaunt. „Ach, ihr redet von Sex ?“

Murphy stieß ein Lachen aus. „Du hattest recht, Babe. Der Mann kann es kaum aussprechen.“

„Luca hat mich jeden zweiten Freitagabend zwei Stunden als ‚Privatfreizeit‘ einplanen lassen, aber es ist mindestens sechs Monate her, dass er das auch wahrgenommen hat“, sagte Jillian. „Nimm's nicht persönlich, Chef, aber das merkt man langsam.“

„Bitte? Und wie ich das persönlich nehme! Wie könnte ich das nicht persönlich nehmen? Außerdem, mach du dir mal keine Sorgen um mein Sexleben. Zu deiner Information: Ich hatte erst kürzlich eine sehr denkwürdige und befriedigende Begegnung ...“ Ich zermarterte mir den Kopf darüber, wann ich das letzte Mal Sex gehabt hatte, aber mein Gedächtnis ließ mich im Stich. Hm . „Ist doch auch egal, wann. Aber es war wunderbar .“

Die Wahrheit war, dass sie sich nicht geirrt hatte. Aber ich war nicht gerade ein Fan von unverbindlichem Sex. Ich wollte einen Ehemann, keine Affäre. Jetzt, wo ich über vierzig war, hatte ich genug von körperlichen Beziehungen ohne emotionale Intimität. Und es vom ersten Date bis zur Ehe zu schaffen, schien heutzutage unmöglich.

Murphy crushte munter weiter Candy mit seinen Fingern. „Du solltest dir eine von diesen Prostituierten besorgen, die sich als deine Assistentin ausgibt.“

Wovon zum Teufel sprach er da?

„Sowas gibt's?“, fragte ich. „Was für eine Prostituierte würde sich denn bitte als meine Assistentin ausgeben? Warum gibt es so etwas überhaupt?“

Jillian schnaubte. „Schwule Männer, die in Länder reisen, in denen es illegal ist, schwul zu sein, müssen oft kreative Wege finden, um ihre ... persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Also bringen sie Assistenten mit, die ihnen eigentlich nur mit ihrem Penis assistieren.“

Wenn ich mich weiter an mein Hemd klammern würde, bekäme ich definitiv ein paar nicht so freundliche Worte von meiner Haushälterin zu hören.

„Ganz sicher nicht“, sagte ich.

„Hab ich dir doch gesagt“, murmelte sie zu Murphy. „Dieses krampfhafte Festkrallen ist einwandfrei ein Symptom für sexuelle Frustration.“

„Warte“, sagte Murphy und schnippte mit den Fingern. „Weißt du, wer perfekt für ihn wäre? Marcel.“

„Machst du Witze? Auf keinen Fall. Marcel ist zu sexy“, sagte Jillian. „Mit ihm zu arbeiten, würde Luca den Verstand rauben.“

An der Stelle wurde ich hellhörig. „Ein sexy Assistent? Ich habe nichts gegen ein bisschen geraubten Verstand ...“

„Arbeitet er nicht für Grey Blackwood?“ Murphys Lippen pressten sich nachdenklich zusammen.

„Der milliardenschwere Risikokapitalgeber?“, fragte ich und spitzte die Ohren noch mehr. Wenn der Mann gut genug für Grey Blackwood war, dann war er viel, viel besser als jede Aushilfe.

Die beiden ignorierten mich.

„Grey ist mit seiner Mutter auf einer dreiwöchigen Kreuzfahrt. Sie wollte nicht, dass er Marcel mitnimmt. Der arme Mann genießt wahrscheinlich seine wohlverdiente Auszeit von jemandem, der so anspruchsvoll ist wie Grey Blackwood. Dieser Mann muss ein echter Tiger im Bett sein“, lallte sie, als die Schmerztabletten ihre Wirkung entfalteten.

Moment. Mooo-ment . Redeten wir über einen echten Assistenten oder einen dieser Sex-Typen?

Bevor ich nachfragen konnte, kam der Chirurg herein und forderte seine Patientin mit deutlichen Worten auf, sich auszuruhen, weil sie morgen früh operiert werden sollte.

„Entspannich, Luca!“, lallte Jillian fröhlich, während Murphy mich grimmig aus dem Zimmer begleitete. „Ich ruf gleich ma an und besorg dir 'n neuen Assistenten! Alles unner Kontrolle!“

Und so kam es, dass ich ein paar Stunden später in mein Flugzeug stieg und meinem neuen vorläufigen Assistenten gegenüberstand.

Der Mann war bildhübsch. Man kann es nicht anders sagen. Er war wunderschön, hatte eine schlanke Statur, ausgeprägte Wangenknochen unter der cremefarbenen Haut und leuchtende Augen mit tiefschwarzen Wimpern, die vielleicht sogar mit Mascara getuscht waren. Seltsamerweise trug er ein mit türkisfarbenen Pailletten besetztes Neckholder-Top, eine gut sitzende schwarze Röhrenhose und beigefarbene Ankle Boots.

Ich blinzelte das atemberaubende Wesen vor mir an, bis das späte Sonnenlicht etwas Unerwartetes aufblitzen ließ.

In seinen kurzen dunklen Haaren steckte ein filigranes, funkelndes Diadem mit Hunderten von Kristallsteinen.

Heilige Scheiße .

In ihrem Medikamentenrausch hatte Jillian eindeutig einen Callboy angeheuert, um mit mir nach Las Vegas zu kommen. Allerdings einen, der zufälligerweise jedes einzelne Kästchen auf meiner umfangreichen Liste von Sachen, die mich antörnen, abdeckte und – ich starrte wieder auf diese dunklen Wimpern und hätte fast meine Zunge verschluckt – noch ein paar Kästchen hinzufügte, von denen ich gar nicht wusste, dass sie mir fehlten.

Jillian würde definitiv einen Ferrari bekommen.