Marcel und ich genossen nicht nur die ganze Nacht den Körper des anderen, sondern unterhielten uns auch lange miteinander, bis er schließlich mitten im Satz einschlief. Ich erfuhr, dass seine Familie aus Kamerun stammt und dass seine Eltern in die USA gezogen sind, weil sein Vater für eine große Hotelkette arbeitete. Natürlich bin ich sofort hellhörig geworden, als er erwähnte, dass sein Vater in der Hotelbranche tätig ist, und dann habe ich jede Minute von Marcels wissendem Lachen genossen.
„Du bist so berechenbar. Aber ich finde es toll, wie leidenschaftlich du bist, wenn es um die Arbeit geht“, sagte er, während er mein Gesicht mit Küssen bedeckte und meine Brust mit Wärme durchflutete.
Ich hatte mich schon vor langer Zeit damit abgefunden, dass meine Art zu arbeiten an der Grenze zur Besessenheit war, und es hat mir nie etwas ausgemacht, wenn Leute wie Jillian mich deswegen gutmütig aufgezogen. Aber dass jemand diese Leidenschaft versteht und sogar schätzt, damit hatte ich nicht gerechnet.
Ich erzählte ihm, wie ich durch einen meiner Professoren im Studium zum Hotelgewerbe gekommen war und wie ich das Glück hatte, eine Erbschaft zu erhalten, die mir half, in meine erste Immobilie zu investieren. Wir tauschten uns über einige der Dinge aus, die wir seltsam fanden, wenn man mit einem solchen Reichtum durchs Leben geht. Er war zwar selbst nicht unanständig reich, aber er war immerhin die rechte Hand eines milliardenschweren Risikokapitalgebers.
Er erzählte mir mehr über seinen Job und Grey Blackwoods unaufhörliches Streben nach Erfolg, das auf Kosten seines Privatlebens ging. Dann hatte Marcel verschwörerisch eine Augenbraue gehoben und ich hatte ihm erklärt, dass es nicht einfach ist, ein Privatleben zu haben, wenn die Arbeit einen so sehr in Anspruch nimmt.
„Stimmt. Aber bei Grey ... Ich weiß nicht. Er ist ein großartiger Chef – der beste –, aber es fällt ihm schwer, anderen zu vertrauen, und es ist, als ob er den Erfolg braucht , um etwas aus seiner Vergangenheit wiedergutzumachen. Ich mache mir Sorgen, dass er sich nie wirklich ein Privatleben gönnen wird. Du hingegen hast wenigstens das Potenzial dazu“, sagte er auf seine neckische, kokette Art. „Vielleicht muss ich dich einfach zwingen, dich zu entspannen.“
Gott, wie sehr wollte ich, dass er das tut.
Aber zuerst mussten wir einen Tag voller Geschäftstermine hinter uns bringen. Das erste war ein Frühstücksmeeting zur Vorbereitung der Betriebsbesichtigung am Nachmittag.
Marcel beugte sich vor, als wir darauf warteten, in den Buffetraum geführt zu werden. „Warum haben sie die Besichtigung für die heißeste Zeit des Tages angesetzt? Wollen sie uns rösten, bis uns das Hirn aus dem Kopf quillt und du nicht mehr lesen kannst, was du da eigentlich unterschreibst?“
„So schlimm wird es schon nicht werden“, flüsterte ich zurück.
War es aber. Genauso schlimm wie erwartet.
„Ich habe eine bessere Investitionsidee“, murmelte Marcel zu mir, als wir aus der Limousine in die Wüstenhitze stiegen und langsam zu schmelzen begannen. „Es ist wie eine Autowaschanlage, nur dass man dort Sonnencreme aufgetragen bekommt.“ Er schaute mich von oben bis unten an. „Ich muss ehrlich sagen, ich habe diesbezüglich ein paar Bedenken.“
„Alles unter Kontrolle“, versicherte ich ihm. „Italiener sind zum Bräunen geboren.“
„Mpfh .“
Mein Cousin strahlte und wies mit einer Geste auf das weitläufige Resort, das zwanzig Minuten außerhalb der Stadt auf einem Stück staubig-braunem Ödland lag. „Ist es nicht großartig?“
Ich blinzelte in die Sonne, die auf dem blauen Spiegelglas des Hotelturms glitzerte. Etwa alle dreißig Sekunden erschien ein blinkendes Sonnenbild in der unteren rechten Ecke des Gebäudes und tänzelte seinen Weg zur rechten oberen Ecke, um einen komischen Sonnenaufgang nachzuahmen. Auf den Fotos war es ein statisches Bild und nicht der Spezialeffekt, der es in Wirklichkeit war.
Auf dem statischen Bild hatte die Sonne nicht auch noch eine blinkende Werbegrafik für All-you-can-eat-Rippchen gezeigt.
„Das ist doch mal was“, murmelte Marcel.
„Geurteilt wird später, schon vergessen?“, murmelte ich zurück.
Gestern Abend hatte Marcel zwischen unseren Schäferstündchen darauf bestanden, sich auf die Meetings des Tages vorzubereiten. Als er den Prospekt für das Sunnies-Resort-Konzept herausholte, hob er abschätzig eine Augenbraue. „Ist das dein Ernst? Warum fährst du überhaupt zu diesem Treffen?“
Ich wiederholte Curtis' Argumentation, dass das Resort für sich allein genommen gut genug gelaufen war, um in die Umwandlung in ein weltweites Franchise-Unternehmen zu investieren, aber dass ich natürlich zahlreiche Vorbehalte hatte.
„Die solltest du auch haben“, hatte er gesagt. „Denn ich bezweifle, dass irgendjemand in dieser Monstrosität von einem Hotel übernachten will ...“
Jetzt, wo wir hier standen und auf das pompöse Ungetüm blickten, wurde mir langsam klar, dass Marcel recht hatte.
„Ihr müsst euch das Wasserspiel in der Lobby ansehen“, fuhr Curtis fort und führte uns durch die automatischen Glastüren in den viel kühleren Empfangsbereich.
„Oh, wie schön“, sagte Marcel mit einem aufrichtigen Lächeln. „Alkohol.“
Tatsächlich kam eine Frau in einem Bikini mit einer Sunnies-Cartoon-Sonne über jeder Brust mit einem Tablett voller fruchtiger Schirmchengetränke auf uns zu.
„Sunnie-Punsch?“, bot sie mit einem breiten Lächeln an.
„Nein, danke“, sagte ich so höflich wie möglich.
„Von mir aus gerne“, sagte Curtis und erwiderte das Lächeln der Frau mit einem schmierigen, aufgesetzten Grinsen. „Danke, Püppchen.“
Marcel sah mir in die Augen, als ich zusammenzuckte und im Stillen versuchte, ihm zu sagen, dass Curtis und ich nicht blutsverwandt waren. Als ob das den Fremdschämfaktor irgendwie mindern würde.
Marcel lehnte ebenfalls höflich ab, da unser einziger Zweck hier darin bestand, eine nüchterne Geschäftsbewertung vorzunehmen – buchstäblich wie figurativ.
Das Wasserspiel war nicht viel mehr als ein oberirdisches Becken mit einer Wasserrutsche aus Plastik und kunstvoll platzierten Steinen aus Fiberglas an den Rändern. Zwei weitere junge Frauen in Sunnies-Bikinis planschten und warfen einen Wasserball hin und her und versuchten, den Enthusiasmus aufrechtzuerhalten, was zu einer so ruhigen Tageszeit sicherlich nicht einfach war.
Marcel packte mich am Arm und neigte seinen Kopf nach links. Eine andere Frau im Bikini mit einem weiteren Tablett mit Pappschirm-Drinks bahnte sich auf Rollschuhen ihren Weg durch die Lobby, wobei sie auf dem auf den Boden gemalten Dielenweg blieb und mit ihrer freien Hand sämtlichen Strandbesuchern in der Nähe zuwinkte, die in der klimatisierten Lobby waren, sprich, niemandem.
Das war ein absoluter Reinfall.
Ich warf Marcel einen Blick zu und zischte: „Tu so, als ob dir schlecht ist, ich bitte dich.“
„Oh, auf keinen Fall. Wenn wir schon mal hier sind, brauche ich ein komplettes Bild für meine Memoiren.“ Er schürzte seine Lippen und sah sich weiter um. „Du bezahlst mir nicht genug dafür, nur damit du es weißt.“
„Ich bezahle dich überhaupt nicht“, erinnerte ich ihn.
„Exakt.“
„Kommt, ich zeige euch den Pool“, sagte Curtis und ging auf die Glastüren auf der gegenüberliegenden Seite der Lobby zu. „Das ist der beste Teil.“
Wir folgten ihm zurück in die unbarmherzige Sonnenhitze.
Marcel reichte mir eine eiskalte Flasche Wasser, die er aus dem Nichts hervorgezaubert hatte. „Viel trinken, sagt der Arzt“, mahnte er. „Ich habe später noch etwas mit dir vor.“
Ich war erleichtert, als ich ihn das sagen hörte. Obwohl wir eine unglaubliche Nacht miteinander erlebt hatten, war ich mir nicht sicher, ob er noch eine weitere mit mir verbringen wollte. Aber seine Worte und sein Blick, der gleichzeitig liebevoll und heißer war als die Sonne, die auf uns niederbrannte, machte mich ganz benommen.
Curtis muss mein glückliches Lächeln falsch gedeutet haben. „Ich weiß, oder? Ist es nicht toll? Sieh dir die Palmen überall an!“
„Ja, ansehen, bloß nicht anfassen“, warnte Marcel.
Ich warf einen Blick auf einen Baum in der Nähe. Er war aus Metall. „Warum zur Hölle würde jemand ...“
Ich hielt den Mund, als ich sah, wie Marcel den Kopf schüttelte. „Was Mr. Bernardi fragen will, ist, ob Sie bereits die Bilanzen geschickt haben?“, fragte er Curtis freundlich, während er die vielen leeren Stühle beäugte. „Oder zumindest die Belegungszahlen.“
Curtis verzog das Gesicht. „Es ist noch sehr neu. Das muss sich erst noch herumsprechen. Ich bin mir sicher, dass diese Zahlen kein genaues Bild vom Potenzial dieses Resortkonzepts vermitteln würden, aber ich habe ein gutes Gefühl dabei. Und jeder weiß, dass erfolgreiche Geschäftsleute nach ihrem Bauchgefühl handeln. Stimmt's, Luca?“
Eine Sirene heulte laut auf, woraufhin Marcel zusammenzuckte und sich an meinem Arm festhielt. Ich griff nach seiner Hand, um ihn zu beruhigen, als auf den Alarm eine Blechdosenstimme folgte. „Hai gesichtet! Alle raus aus dem Wasser!“
Die Titelmelodie von Der weiße Hai dröhnte aus den Lautsprechern, während die wenigen Kinder und Erwachsenen in der Nähe vor Angst schrien und sich aus den hüfthohen Schwimmbecken drängten. Ein kleiner Junge stolperte und schürfte sich das Knie auf dem Zementdeck des Pools auf und brach prompt in lautes Schluchzen aus.
Marcel und ich starrten uns an, während Curtis vergnügt gluckste. „Funktioniert jedes Mal.“
Marcel beugte sich vor und flüsterte: „Wir könnten jetzt Sex in der riesigen Hotelbadewanne haben, wo ich das gefährlichste Raubtier im Wasser wäre. Stattdessen sind wir hier und machen ... was auch immer wir hier eigentlich gerade machen.“
Plötzlich und völlig unerwartet hatte ich einen dieser lebensverändernden Aha-Momente.
Warum zum Teufel sollte jemand, der Millionen von Dollar hat, draußen in der glühenden Hitze von Vegas herumstehen und ein lächerliches Hotelkonzept bewerten, wenn er in einer luxuriösen Bellagio-Suite mit einem schönen Mann nackt und willig in seinem Bett ... äh, seiner Badewanne liegen könnte?
Ohne einen Moment zu zögern, wandte ich mich an meinen Cousin. „Curtis, Marcel hat recht. Ohne diese Zahlen kann ich keine genaue Einschätzung vornehmen. Ich werde heute Nacht in Vegas bleiben, falls du sie in den nächsten Stunden aufgetrieben bekommst. Ansonsten schaue ich sie mir gerne im Büro an.“
Ich ergriff Marcels Hand und zog ihn zur Lobbytür, wobei ich ihn fast aus den Schuhen riss.
Er stieß ein amüsiertes Lachen aus und winkte dem verblüfften Curtis freundlich zu.
„Ciaoi!“, sagte er und schenkte mir ein breites, schadenfrohes Grinsen. „Hat dich der drohende Haiangriff abgeschreckt?“
Mir wurde ganz schwindlig, als mir klar wurde, dass ich den ganzen Rest des Tages mit diesem lustigen, sexy und einnehmenden Mann verbringen konnte. „Nein. Du bist der Metallpalme des Todes zu nahe gekommen und ich hatte Angst, du könntest dich daran versengen.“
Marcel hüpfte vor mir herum und drehte sich zu mir um. „Können wir heiraten? Ich wollte schon immer mal in Vegas heiraten. In Filmen und Liebesromanen heißt es, dass das tatsächlich möglich ist.“
Wir lachten beide, als wir durch die Lobby gingen und auf der anderen Seite wieder herauskamen, um mit der Limousine zurück zum Bellagio zu fahren.
Aber so lustig und weit hergeholt die Idee bei Tageslicht auch klang, sie schlug irgendwie Wurzeln und grub sich für den Rest des Nachmittags und Abends tief ein.
Und als wir am nächsten Morgen in Vegas aufwachten, waren wir verheiratet.