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Tätigkeiten

|63|Für das, was sie tun, benutzen die Schwaben zum Teil andere, bisweilen sehr eigenwillige Begriffe. Das gilt auch für ihre Sinneswahrnehmungen.

|64|G’luaget und g’loset

Los! Wenn ein Schwabe auf dieses Kommando hin nur die Ohren spitzt, statt sich zu bewegen, so ist das keine Gehorsamsverweigerung, sondern ein Missverständnis.

Die fünf Sinne der Schwaben unterscheiden sich nicht von denen anderer Menschen, wohl aber diverse Bezeichnungen für das, was die Schwaben mit ihren Sinnen tun.

Was die optische und akustische Wahrnehmung betrifft, sind die gesamtdeutschen Verben sehen und hören auch hierzulande üblich; ebenso schauen und horchen. Anders verhält es sich mit den Wörtern lugen und losen, die allerdings auch im Schwäbischen immer seltener gebraucht werden. So sind die noch vor nicht allzu langer Zeit geläufigen Imperative luag amål! und los amål! allenfalls noch in ländlichen Rückzugsgebieten zu hören.

Freilich lugt das Wort lugen gelegentlich auch aus schriftdeutschen Formulierungen hervor, aber eben nur als Kompositum und nie im Sinne des aktiven Schauens, das lugen bezeichnet. Wenn es dennoch den meisten bekannt vorkommt, dann wegen seiner auffälligen Ähnlichkeit zum englischen look, mit dem es in der Tat verwandt ist. Im Altenglischen hieß es locian, im Altsächsischen lokon, und da zeigt sich deutlich die Verwandtschaft zum althochdeutschen luogen, das die Schwaben beibehalten haben.

Angesichts dieser weitreichenden Verwandtschaft ist es umso erstaunlicher, dass lugen, wie das Grimm’sche Wörterbuch mitteilt, sich „von alters her im oberdeutschen, namentlich im alemannischen Sprachgebiete“ am häufigsten findet. Lugen im Sinne von „spähen“ ist noch lebendig im Wort Luginsland. So wurden früher die Wachtürme bezeichnet, und auch mancher Berg trägt diesen Namen.

|65|Im Gegensatz zu lugen ist losen ein Wort, das laut Grimm „der neueren Schriftsprache gänzlich unbekannt, und von jeher nur auf oberdeutsches Gebiet eingeschränkt“ ist. Dort sei es in Schriftwerken des 16. Jahrhunderts noch häufig zu finden gewesen, habe sich dann aber ganz in die Mundarten zurückgezogen, „wo es indes noch ein kräftiges Leben führt“.

Trotz der Ähnlichkeit zum sinnverwandten „lauschen“ sind die beiden Wörter nicht verwandt. Wohl aber gibt es eine Beziehung von losen sowohl zu laut als auch zum Leumund. Sie alle gehen zurück auf die indogermanische Wurzel kleu- (hören), aus der auch der altgriechische kleos (Ruhm) gesprossen ist. Der wiederum steckt in Namen wie Kleopatra oder Herakles, der sich im schwäbischen Schimpfwortkanon als Hergoless! wiederfindet.

Das ungläubige Erstaunen, das dieser Erkenntnisgewinn nun hoffentlich ausgelöst hat, pflegt der Schwabe mit einem triumphierenden „Gell, da glotsch!“ zu quittieren. Warum nicht „Gell, da luagsch?“ Antwort: Weil lugen aktiv ist, glotzen hingegen reaktiv. Das mag auch erklären, warum noch nie jemand auf die Idee gekommen ist, das Fernsehgerät Luge anstatt „Glotze“ zu nennen.

|66|Trappt und dappt

Die Schwaben kennen zwei stammesspezifische Gangarten, die zwar ähnlich lauten, die aber sehr verschiedene mentale Zustände andeuten: trappe und dappe.

Das Verbum „treten“ ist den Schwaben unbekannt. Sie sagen nicht „tritt ein!“, sondern „komm rei!“, worauf der so Gebetene „neigåht“ anstatt einzutreten. Das Fehlen des Wortes „treten“ im Schwäbischen ist die einfache Erklärung dafür, warum manchen Schwaben die Formel „Ich trete zurück“ fremd ist. Werden sie dennoch dazu gedrängt – schwäbisch: ’trappt – führt das eher dazu, dass sie zrucktrappet, wie „zurücktreten“ auf Schwäbisch heißt – allerdings in einem anderen, schmerzhaften Sinne. Den erkennt man daran, dass die Vergangenheit „ich habe zurückgetreten“ lautet und nicht „ich bin zurückgetreten“.

Einfacher ausgedrückt: „treten“ kann im Schwäbischen mit trappe übersetzt werden, aber nur, wo es die Bedeutung von „den Fuß (energisch) auf oder in etwas setzen“ hat. Richtet sich die Bewegung gegen eine Person, kann sie auch horizontal verlaufen, etwa, wenn man sie „in de Arsch trappe“ muss.

Trappe beschreibt also eine klare, zielgerichtete Bewegung – im Gegensatz zum unbeholfenen dappe. Den Unterschied zeigt folgendes Beispiel: Wenn ein Knabe in eine Drecklach (Pfütze) neitrappt, tut er dies energisch und in der vollen Absicht, andere zu beschmutzen. Wer hingegen neidappt, tut dies unabsichtlich und ist ein Bähmulle.

Das Verb dappe wurzelt in der „Tappe“, was laut Grimm ein breiter, weicher Tierfuß, eine Pfote oder Tatze ist, wobei dies Hinterwie Vorderpfote sein kann und im übertragenen Sinne Fuß wie Hand. Darum kann man auch mit den Händen drnebedappe, was für einen |67|Pianisten besonders peinlich ist. Wer dauernd drnebedappt, ist dappig. Das steht im Schwäbischen für einen Defekt in der Feinmotorik. Der tritt gerne mit zunehmendem Alter auf, wenn man alt und dappig wird.

Ein Glückspilz hingegen ist, wer aus Versehen an ein günstiges Sonderangebot oder einen gut situierten Lebenspartner nââdappt. Nââdappe darf man übrigens nicht verwechseln mit ââdappe, was das schwäbische Wort für „betatschen“ ist. Es böte sich nun an, diesen Aspekt genüsslich zu vertiefen. Dann hätte man ihn ausdappt, was aber als niveaulos gilt.

Wer mit den Füßen dappt, tut einen Dapper oder Däpper. Die auf Minimaldistanz reduzierte Schrittfolge, bei der ein Fuß vor den anderen gesetzt wird, nennt man in der Kindersprache „Hennadäpper“.

Auf die geistige Beweglichkeit bezieht sich der Tapp oder Dapp, der von dappig abgeleitet ist. Er wurde zum Depp, was aber noch gar nicht lange her ist: Grimms Wörterbuch kennt ihn noch nicht. Die neueren Lexika bescheinigen ihm, „oberdeutscher“ Herkunft zu sein. Das heißt, der Depp hat von Süddeutschland aus seinen Triumphzug in den ganzen deutschen Sprachraum begonnen – was aber leider nicht bedeutet, dass er ausgewandert wäre.

|68|Aufklaubt und ausnanderklaubt

Wo hent se au den aufklaubt?“ Deutlicher lässt sich eine Despektierlichkeit kaum formulieren. Denn aufklauben tut man nur, was auf dem Boden herumliegt.

Klauben ist mit Sicherheit kein Wort, das die Schwaben für sich gepachtet haben. Es ist zumindest im gesamten süddeutschen Sprachraum verbreitet. Das schwäbische klaube jedoch zeichnet sich aus durch den stammestypischen Urlaut au, der durch die fast geschlossenen Zahnreihen gestoßen wird. Er setzt den Unterschied zum bayerischen und österreichischen klaoben, welches akustisch kaum auseinanderzuhalten ist vom (z.B. christkatholischen) Glauben.

Das schwäbische au kommt besonders schön zur Geltung in der Kombination aufklaube. Deren zwiefaches au erreicht eine lautmalerische Qualität, welche die Qual erahnen lässt, die das Aufklaube vor allem Personen mit Bandscheibenschäden bereiten kann.

Die Qual wird gelindert, wenn das, was aufklaubt wird, von Nutzen ist wie etwa Kartoffeln, Äpfel, Rossäpfel oder verlorene Gegenstände. Doch nicht nur nützliche Dinge werden aufklaubt, sondern auch nutzlose oder schädliche, mit dem Ziel, sie auszusondern. So quälen schwäbische Gartenbesitzer ihre Kinder gerne damit, sie Schtoiner aus den Blumenbeeten klauben zu lassen. Sie selber klauben nächtens die Nacktschnecken aus dem Salat, die für diese Mühsal mit ihrem Leben büßen müssen.

Das Bild mühsamer Tätigkeit, das klauben vermittelt, steckt in seinem Grundbegriff, den das Schwäbische Wörterbuch in Übereinstimmung mit dem Grimm’schen Wörterbuch definiert als „mit den Fingern einzeln auf-, zusammenlesen“. Grimm vermutet sogar einen Zusammenhang mit der „Klaue“, den Kluges Etymologisches Wörterbuch allerdings nicht bestätigt.

|69|Ob Sammeln von Verwertbarem oder Aussonderung von Unnützem: Das Klauben dient den Kardinaltugenden der Sparsamkeit und Ordnungsliebe, welche die Schwaben gerne für sich geltend machen, und passt daher besonders gut zu ihnen.

Ein weiteres Kompositum von klauben, das Verklauben, war im Übrigen vor der industriellen Verarbeitung von Hülsenfrüchten die Voraussetzung für den ungestörten Genuss der schwäbischen Leibspeise, der sauren Linsen. Man musste sie vor dem Einweichen von Hand verklaube, wollte man sich nicht die Zähne an den beigemengten Steinchen ausbeißen. Neben „auslesen“ kann verklaube im Schwäbischen einen weiteren Sinn annehmen, nämlich wenn die Obstwiese so bratzlet voll von Früchten liegt, dass man die schier net verklaube kann.

Dem Ordnen dient neben verklaube auch zeemaklaube (zusammenklauben). Man kann auch sich selber zeemaklaube, etwa nach einem schweren Sturz vom Fahrrad. Etwas völlig anderes ist das Ausnanderklaube, das zum Ziel hat, einem anderen etwas verständlich zu machen – wie diese Wortklauberei, die damit ein Ende haben soll.

|70|Rumg’rudlet

Ein im wahrsten Sinne rührendes schwäbisches Wort ist das Verbum rudle. Man spricht es eigentlich mit einem dunklen e nach dem u: ruedle – aber ja nicht rüdle!

Man kann etwas rudle oder in etwas rudle. Rudle kommt dem schriftdeutschen „rühren“ relativ nahe – aber nicht ganz. So muss man zwar einen Spätzlesteig rühren, bis er Blasen schlägt, aber im Spätzlesteig rudle kann auch der verbissenste Schwabe nicht. Denn dazu ist diese Masse zu zäh.

Damit steht fest, dass die Tätigkeit des Rudlens abhängig ist von der Konsistenz des zu rudlenden Materials. Es darf nicht zu fest sein. Ein Grenzfall ist beispielsweise der Kartoffelsalat. Wenn der so ist, wie er sein soll, nämlich schön schlonzig, dann kann man darin rumrudle. Andernfalls nicht, weil der Löffel stecken bleibt.

Das Rudle scheint früher das Berufsbild des Metzgers geprägt zu haben, wie die folgende Liedstrophe vermuten lässt: „Mei Schatz isch a Metzger, er rudlet im Blut,/Kurasch wie a Teufel, und Geld hat er gnug.“ Im Blut der frisch geschlachteten Schweine hat der Metzger g’rudlet, um das Gerinnen zu verhindern, was allerdings seit 1960 eine Chemikalie erledigt. Der Zweck des Blut-Rudlens war die Herstellung von Blutwurst.

Die Grundform rudle ist ebenso kombinierfähig wie das Verbum rühren. Will ein Schwabe zwei Substanzen miteinander vermischen, etwa seine Suppe und das hinzugefügte Maggi, dann verrudlet er sie. Man kann das Maggi auch in die Suppe neirudle – aber nicht umgekehrt. Es sei denn das Maggi befände sich bereits vor der Suppe im Teller.

Während ver-, nei- und das in Fischers Schwäbischem Wörterbuch ebenfalls genannte umrudle jeweils einen bestimmten Zweck verfolgen |71|– in den angeführten Beispielen führt es zum Verzehr der Suppe –, hat das Kompositum rumrudle eine andere Qualität: Es ist nicht zielgerichtet. Wer in der Suppe rumrudlet, lässt indirekt erkennen, dass er keine Lust hat, sie zu essen. Kinder rudlet absichtslos in der Drecklache rum, weil ihnen das Rumrudle als solches Spaß macht. Im Dreck rumrudle kann man auch im übertragenen Sinne, wobei dahinter dann allerdings schon eine Absicht steckt – notabene eine böse.

Das Wörterbuch der Brüder Grimm kennt rudeln in mehreren Bedeutungen, wovon die der Bildung von Rudeln vernachlässigbar ist. Als Nächstes nennt es rudeln im Sinne von „aufrühren“ und stellt Zusammenhänge her zum mittelhochdeutschen rüeden (lärmen) oder zu rodeln – aber nicht in der Bedeutung von Schlitten fahren, sondern von rütteln, schütteln, rühren, regen.

Ferner weist Grimm auf die Identität von rudeln und rudern hin, die ins Mittelhochdeutsche zurückreicht. Diesen Zusammenhang hält Fischer aus lautgesetzlichen Gründen für den richtigen. Für diese Erklärung spricht im Übrigen zudem die Beobachtung, dass die Schwaben anfangen zum rudle, wenn ihnen das Wasser am Hals steht.

|72|Nauf-, raa-, naa- und neig’langt

Wenn Hochsprachler meinen, die Schwaben könnten ihnen nicht das Wasser reichen, haben sie völlig Recht. Denn die Schwaben reichen einem nichts: Sie langen.

Lang mr au amål des G’sälz raa, i lang net nauf!“ So bittet die Hausfrau ihren Mann, dem sie grad bis unter die Achsel langt. Das Beispiel zeigt, dass das Zeitwort langen im Schwäbischen die Verben „reichen“ und „greifen“ ersetzt, wobei diese beiden Begriffe nicht beliebig austauschbar sind. Denn die Frau greift ihrem Mann nicht unter die Achsel – wozu auch? –, sondern sie reicht ihm bis dorthin.

Nauflange bedeutet also „hinaufreichen“ in räumlicher Hinsicht, während raalange dasselbe ist wie „herunterreichen“ (= heruntergeben). Es darf nicht verwechselt werden mit naalange, das wiederum die räumliche Ausdehnung angibt: „Mei Konfirmandeââzügle langt mr fei bloß no bis zu de Knui naa.“

Das aber ist nicht die einzige Bedeutung von naalange. So ist in Fischers Schwäbischem Wörterbuch nachzulesen, dass man naalange auch als „hinuntergreifen“ verstehen kann, und zwar „speziell einer Weibsperson unter die Röcke“. Damit ist das Ziel dieser Variante des Grapschens eindeutig definiert. Das ist hingegen nicht der Fall bei dem unschärferen nââlange (hinanlangen = hingreifen). Dessen Angriffspunkt bleibt unbestimmt, aber die Absicht nicht minder unsittlich.

Doch täte man dem Kompositum nââlange unrecht, wollte man es auf seine obszöne Bedeutung reduzieren. Denn das nââlange zeichnet auch den schwäbischen Schaffer aus, der bekanntlich „richtig nââlangt“ – also: kräftig zupackt. Von einem guten Kabarettisten wiederum erwartet man, dass er „ordentlich neilangt“, was Politiker und Großkopfete ââlangt. Damit sind wir bei ââlange angelangt. Was dieses Verb ââlangt, steht es hier für das Schriftdeutsche „anbelangt“.

|73|Daneben bedeutet es „anfassen“ und spielt eine wichtige Rolle in der Erziehung der Kinder, denen man beizeiten beibringt, dass sie die vielen bunten Fläschchen und Schächtelchen in Großmutters Medikamentensammlung vielleicht ââgucke, aber auf keinen Fall ââlange dürfen. Für Kinder wie Erwachsene gilt: Wer gegen die ihm aufgelegten Berührungsverbote verstößt und in irgendwelche Tabuzonen langt, muss mit der bodenständigen Drohung rechnen: „I lang dr glei oine!“ Hier entspricht lange dem schriftdeutschen „verabreichen“.

Eine wichtige Rolle im schwäbischen Wortschatz spielt lange im Sinne von „ausreichen“. Die Urangst der Gastgeberin, der Kuchen „könnt’ net lange“, hat den Hefezopf geboren. Der Superlativ von „net lange“ lautet: „Des langt net rum und net num“; das seltener gehörte Gegenteil ist das klanglich beeindruckende: „Des langt lang.“

Bemerkenswert ist zudem, dass langen neben seiner räumlichen und abstrakten auch eine zeitliche Dimension hat: „Wenn-e schpring, langt’s mr no auf de Zug.“ Und sowieso langt’s jetzt langsam.

|74|Rum- und numdalgt

„Du sollsch dei Weckle esse und net in de Finger rumdalge!“ Diese elterliche Zurechtweisung erschließt auch Nichtschwaben den Sinn des Wortes dalge.

Das schwäbische Verbum dalge und seine Komposita verdalge und rumdalge sowie das dazugehörige Adjektiv dalgig oder dalget haben geradezu eine lautmalerische Qualität. Sie lassen das Bild von Fingern entstehen, die ohne bestimmte Zielsetzung auf eine Masse einwirken, die durch das Rum- oder Rum- und Numdalge an Form verliert und dalgig wird. Dalge ist daher nicht ganz dasselbe wie „kneten“, denn beim Kneten kann die Knetmasse an Konsistenz gewinnen und sogar Gestalt annehmen, was bei dalge definitiv nicht der Fall ist.

Dalge und verdalge kann man alles, was elastisch, aber nicht flüssig ist. Der Hund verdalgt die tote Maus und das Kleinkind die Banane. Der Nicht-mehr-Raucher dalgt die Zigarette in den feuchten Fingern, bis die Papierhülle aufweicht. Der Romeo, der am vereinbarten Treffpunkt seiner Julia harrt, dalgt den Nelkenstrauß in den Händen, bis der ganz lummelig ist. Und wenn die Julia dann endlich bei ihrem Romeo eingetroffen ist, dalgt er an ihr herum, vorausgesetzt, sie hat die dafür erforderliche Mindestmenge an Gewebe auf den Knochen.

Sieht man vom letzten Beispiel ab, ist das Ergebnis des Dalgens ein im Grunde unerwünschtes: Das Objekt wird dalgig oder bleibt verdalgt, und diesen Zustand lehnen die Verbraucher ab. Ein dalgiges Brot etwa bietet Anlass, vom Bäcker das Geld zurückzufordern, wobei in diesem Fall der dalgige Zustand nicht durch Dalgen erzielt wurde, sondern durch zu kurzes Backen. Die Nudeln hingegen werden dalgig, wenn man sie zu lange kocht.

|75|In diesen beiden Fällen sind es Teigprodukte, die dalgig geworden sind. Und der Umstand, dass das Kneten des Teiges im Mittelhochdeutschen talgen hieß – wovon das schwäbische dalgen abzuleiten ist –, gibt Anlass zur Frage, ob dieses Wort sprachgeschichtlich mit dem Teig verwandt ist, zumal man einen teigigen Menschen als dalgeten Siech bezeichnet. Doch diese Verwandtschaft scheint nicht gegeben zu sein. Fischers Schwäbisches Wörterbuch sieht einen Zusammenhang mit dem Talg, der aber im Oberdeutschen unbekannt war. Möglicherweise geht dalgen zurück auf eine indogermanische Wurzel dhelg-, die „schlagen“ bedeutete. Aber das sind Vermutungen.

Bemerkenswert ist hingegen, dass das Grimm’sche Wörterbuch der deutschen Sprache ein Verbum dalken aufführt, und das bedeutet „schwerfällig, ungeschickt, kindisch reden“. Das hat allerdings, auch wenn’s zunächst so aussieht, nichts mit dem englischen „talk“ (sprechen) zu tun, sondern hängt nach Grimm mit der zähen Materie zusammen, die auch Gegenstand des Dalgens ist. Demnach wäre dalken ein dalgiges Daherreden. Insofern spricht alles dafür, einen Großteil der allabendlichen Talkshows umzutaufen in Dalgshow.

|76|Nach gruebet grublet

Wenn ein Schwabe endlich einmal seine Ruhe hat, was nicht so häufig vorkommt, dann hockt er da und gruebet. Man kann auch sagen: Dann ist er rübig.

Rübig ist wohl eines der eigenartigsten schwäbischen Eigenschaftswörter. Wie hat man sich einen Menschen vorzustellen, der rübig ist? So schön wie einen Rübengeist? Oder so erdverwurzelt wie eine Rübe?

Er kann beides sein – oder eins oder keins von beidem. Denn rübig hat in diesem Falle nichts mit der Rübe zu tun, sondern mit der Ruhe. Gibt der Schwabe sich ihr anheim, so ruht er dennoch nicht. Das liegt nicht an seiner angeblichen Rastlosigkeit, sondern an seiner Mundart. Und in der heißt „ruhen“ gruebe.

Auch dieses Wort ruft merkwürdige Vorstellungen hervor, und das nicht nur unter Nichtschwaben. Denn wer im Schwäbischen Wörterbuch unter grube nachschlägt, findet dort die naheliegende Übersetzung „eine Grube ausgraben“. Dazu gibt es noch die Iterativbildung gruble, und die bedeutet „mit den Fingern graben, bohren, stieren“. Man kann sowohl in der Erde als auch in der Nase oder im Brotlaib gruble – wobei hier die umgekehrte Reihenfolge empfohlen sei.

Der Gedanke, dass der Schwabe erst dann Ruhe findet und die Schwäbin erst dann Ruhe gibt, wenn er oder sie in der Grube liegt, entspricht zwar voll und ganz dem Schwaben-Image, nicht aber der Etymologie des Wortes gruebe. In Fischers Schwäbischem Wörterbuch findet man es unter grue, was „ruhen, ausruhen“ bedeutet.

Wenn man nun weiß, dass der Anfangsbuchstabe g- in schwäbischen Wörtern oft einem schriftdeutschen ge- entspricht, so gelangt man in diesem Fall zu geruen, dem dann nur noch das -h- fehlt, um |77|als geruhen erkannt zu werden. Dieses basiert tatsächlich auf ruhen – im Gegensatz zum heute noch gängigen allergnädigsten „geruhen“, das aber mit „Ruhe“ überhaupt nichts zu tun hat, sondern mit „ruchlos“ und „verrucht“ verwandt ist.

Verfolgt man das andere geruhen zurück ins Mittelhochdeutsche, findet man geruowen. Und dieses -w- hat sich im Schwäbischen erhalten, wenn auch leicht verändert als -b-: geruoben – gruobe, wobei das abgeschwächte -o- heute mangels einer einheitlichen schwäbischen Rechtschreibung von den einen als -a-, von den anderen als -e- und von den Dritten gar nicht geschrieben wird: gruaba, gruebe, grube.

Mit der Wortgeschichte von gruebe ist dann schließlich auch das Geheimnis des Eigenschaftsworts rübig so gut wie gelüftet: Es geht zurück auf ein früheres rüwig und ein mittelhochdeutsches riuwec. Und da es daneben die mit ge- verstärkte Form geruowec gab, muss man sich nicht wundern, wenn im Schwäbischen auch noch die Variante grübig überlebt hat, die manche grüebig, griebig oder griabig schreiben.

Solche Erkenntnisse lassen sich übrigens nicht durch ein rübiges Grübeln gewinnen, sondern nur durch ruheloses Gruble in den einschlägigen Wörterbüchern.

|78|Pfitzauf und Mädlesfitzeler

Was ist der Unterschied zwischen fatzen und fitzen beziehungsweise pfitzen? In beiden Fällen schnellt etwas, aber im Falle von fitzen und pfitzen tut’s weh.

Überdehnt man ein Gummile, wie der Gummiring auf Schwäbisch heißt, dann fatzt es. Trifft es dabei die Hautoberfläche, entsteht ein brennender Schmerz: Es fitzt oder pfitzt. Jemanden mit einem Gummile zu fitzen oder pfitzen ist ein beliebter Kindersport, der das Prädikat „pädagogisch wertvoll“ verdient, dient er doch dem Aggressionsabbau, ohne dabei krankenhausreife Opfer zu hinterlassen.

Folgt man Fischers Schwäbischem Wörterbuch, sind fitzen und pfitzen zwei verschiedene Wörter, deren diverse Bedeutungen sich jedoch in einem Punkt berühren. So lautet die erste von fitzen „mit der Spitze einer Peitsche, Gerte oder dergleichen einen leichten, aber scharfen Schlag geben“, und bei pfitzen ist an dritter Stelle angegeben „mit der Gerte, Peitsche leicht schlagen, siehe fitzen“.

In dieser Bedeutung muss die Vergangenheit von pfitzen mit „haben“ gebildet werden: „Der håt mi pfitzt.“ In seiner ursprünglichen Bedeutung „eine rasche Bewegung machen, emporschnellen, schnell entweichen“ verlangt pfitzen im Perfekt jedoch das Hilfsverb „sein“: „D’ Maus isch ins Loch neipfitzt.“

Das Beispiel zeigt, dass von pfitzen auch Komposita gebildet werden. Zum Beispiel aufpfitzen: Daraus ist der Pfitzauf abgeleitet, eine beliebte schwäbische Mehlspeise, die aufgeblasen daherkommt, aber innen hohl ist. Ursprünglich bezeichnete Pfitzauf einen pulverhaltigen Sprühteufel, der nach Entzünden kurz aufpfitzte. Die Bedeutung „stark in die Höhe gehendes Backwerk von Milch, Eiern, Mehl“ ist, Fischer zufolge, nachrangig.

|79|Auch die Wortfamilie von fitzen ist eine genauere Betrachtung wert. Schließlich verdanken wir ihr so markante Wörter wie Mädlesfitzeler und Ohrenfitzeler. Der Mädlesfitzeler ist laut Fischer einer, der „immer den Mädchen nachläuft, am liebsten in ihrer Gesellschaft ist“, während der Ohrenfitzeler dasselbe ist wie der Ohrenwuseler oder wie der Ohrwurm (forficula auricularia) im Schwäbischen sonst noch heißt.

Doch was bedeutet Fitzeler eigentlich? Was tut ein Fitzeler? Antwort: Er fitzelt. Das ist laut Fischer dasselbe wie fitzen, und das bedeutet unter anderem „reizen“. Demnach reizt der Ohrenfitzeler das Ohr. Das tut er, indem er in den Gehörgang eindringt. Auf welche Art und Weise der Mädlesfitzeler die Mädchen reizt, ist jenem Wort allerdings nicht zu entnehmen, zumindest nicht auf den ersten Blick. Und schlägt man im Wörterbuch der Brüder Grimm unter fitzen nach, wird es heikel. Denn dort ist, wenn auch mit Fragezeichen, die Möglichkeit angedeutet, dass fitzen von einem anderen Verbum abzuleiten ist, das ebenfalls mit fi- anfängt und ursprünglich einmal „reiben“ bedeutet hat. Doch aus Anstandsgründen sei darauf verzichtet, diese Spur weiter zu verfolgen.