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Nahrung und Nahrungsaufnahme

|81|Für ihre Nahrungsmittel, die Art, wie sie konsumiert werden, und ihre Konsistenz haben die Schwaben bemerkenswerte Bezeichnungen entwickelt.

|82|Das Ränftle und das Ribele

Bloß nix umkomme lasse! Dieses eherne Gebot gilt erst recht für das täglich Brot, für dessen Anschnitt das Schwäbische eine ganze Reihe von Bezeichnungen anbietet.

Schwaben schwätzen nicht überall gleich. Deutlich wird das am Brotanschnitt, zu dem sie alle paar Kilometer wieder anders sagen: Ränftle, Knäusle, Ribele, Ränkle und in Richtung Ostschwaben Scherzle. Bemerkenswert ist, dass diese Begriffe unterschiedliche Aspekte des Brotanschnitts zum Inhalt haben: seine Beschaffenheit, seine Form, die Art, wie er zustande kam und schließlich die Verwendung.

Beginnen wir mit der Beschaffenheit. Das Brot hat einen Außenrand, die Rinde, die an beiden Enden überrepräsentiert ist. Zu schätzen weiß man sie, solange das Brot frisch und kross ist. Aber keiner will sie mehr haben, sobald man sich die Zähne daran ausbeißt. Statt „Rand“ sagte man früher Ranft, und ein kleiner Ranft ist ein Ränftle.

Das Ränkle kommt vom Ranken. So bezeichnet der Schwabe ein großes, abgeschnittenes Stück Brot. Die ursprüngliche Bedeutung von Ranken aber ist „Krümmung“, woher auch das Verbum (empor-)ranken kommt. Die schwäbische Redewendung „Der kriegt de Ranke net“ ist gleichbedeutend mit schriftdeutsch „Der kriegt die Kurve nicht“. Das Ränkle spielt also in Anlehnung an den Ranken auf die Form des Brotes an.

Dasselbe gilt für das Knäusle, den kleinen Knaus, den man mit „Knubbel“ übersetzen kann. Er heißt auch Knauz, und die knauzigen Wasserwecken heißen mancherorts Knauzenwecken. Im Osten Schwabens kennt man das Scherzle, das nichts zu tun hat mit Scherz im Sinne von Spaß. Vielmehr ist es mit dem Schurz und mit dem englischen short (kurz) verwandt. Es hängt zusammen mit althochdeutsch skeran (abschneiden, scheren) und bezeichnet somit das Abgeschnittene.

|83|Nicht so ohne Weiteres zu erklären ist das Ribele, über dem man sich den Ribel zerbrechen kann. „Letzter Rest eines Brotlaibs“ erklärt Fischer das Substantiv Ribel. Es bezeichnet auch den „auf dem Reibeisen oder sonst in kleine Flocken zerteilten Teig“, aus dem die schwäbische Hausfrau ihre Ribelesuppe zubereitet. Ferner wird ein „kleiner Besen zum Geschirrputzen“ so genannt. Schließlich gibt es den Ribelesgrind und den Moschtribel, beides Synonyme für besonders eigenwillige Ausformungen des Schwabenschädels.

Was hat der Brotribel mit dem Moschtribel zu tun, der eher einer Runkelrübe gleicht? Die Frage muss offen bleiben. Woher aber kommt das Wort Ribel? Die Wörterbücher führen es auf reiben zurück, ohne zu erklären, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Das hat jedoch der Sprachforscher Werner König herausgefunden, der eine sehr schwäbische Erklärung liefert: Die harten Brotribel, die keiner mehr essen mochte, wurden zu Bröseln zerrieben, die dann beim nächsten Backvorgang erneut verwendet wurden. Bloß nix umkomme lasse.

|84|Healeskäs

Bibbeleskäs, Luggeleskäs, Healeskäs: Das sind drei klangvolle schwäbische Bezeichnungen für ein Molkereiprodukt, das in der Hochsprache „Quark“ heißt.

Healeskäsbrot – diese Nahrungsmittel-Bezeichnung klingt schwäbisch, bodenständig, ergo vertrauenerweckend und preiswert. Beim Aufstrich eines solchen Brotes – so viel ist klar – handelt es sich um eine Frischkäsezubereitung. Deren genauere Zusammensetzung werden die Healeskäsbrot-Verkäufer und -Verkäuferinnen auf Nachfrage sicher gerne preisgeben. Schwieriger wird es bei der Frage, woraus sich das Wort Healeskäs zusammensetzt. Das wissen oft nicht einmal mehr die Eingeborenen, die den Healeskäs nach Omas Rezept angerührt haben.

Der Healeskäs ist nichts anderes als zu Knollen gestockte Milch oder Quark, den manche noch mit süßer und/oder saurer Sahne und weiteren Zutaten verfeinern. Man nennt ihn auch Bibbeleskäs oder Luggeleskäs – lauter Bezeichnungen, die ebenfalls die Sinnfrage aufwerfen. Das Grundwort „Käse“ bedarf keiner weiteren Erläuterung. Was aber meinen die Bestimmungswörter Heale, Bibbele und Luggele?

Am ehesten zu erraten ist das Bibbele: Aus diesem Wort piept das „Küken“. Auf Lautmalerei geht auch das Luggele zurück, was deutlicher zum Vorschein kommt, wenn man es mit -ck- schreibt: Luckele. Wir erahnen den Ruf der schwäbischen Henne, die demnach nicht „gluck“ sagt, sondern nur luck und daher keine „Glucke“ ist, sondern, wie im Schwäbischen Wörterbuch nachzulesen, eine Luckel. Folgerichtig ist das Luckele ein kleines Huhn. Und damit erschließt sich der Sinn des Wortes Heale: Es ist das schwäbisch verkleinerte Huhn, das Hühnlein.

|85|Damit ist das Rätsel allerdings nur zum Teil gelöst. Denn unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Schafskäse ein Käse ist, der aus Schafsmilch gewonnen wird, erhebt sich die Frage, was Küken, die bekanntlich keine Milch geben, mit Käse zu tun haben. Oder sollte es sich um eine analoge Bildung zu Fleischkäse handeln, also um einen Käse, der aus Küken hergestellt ist?

Das ist natürlich nicht der Fall – ebenso wenig, wie das in manchen Gaststätten angebotene Seniorenschnitzel von Rentnern stammt. Vielmehr ist es für Senioren gedacht, und dasselbe gilt für den Bibbeles-, Luggeles- und Healeskäs. Damit hat man in der traditionellen Landwirtschaft die Küken gefüttert, damit sie besser gediehen.

Damit wäre der Healeskäs im Grunde gegessen. Allerdings: Wo ist denn eigentlich der Hähnles- oder Göckeleskäs geblieben? So könnte man(n) im Sinne der Gleichberechtigung durchaus fragen. Nun denn, es gibt ihn nicht, und es braucht ihn nicht. Denn das Wort Huhn kann auch Gattungsbegriff sein und damit ebenso den Hahn umfassen – im Gegensatz zur Henne. Als solche wird nur das ausgewachsene Weibchen bezeichnet. Aus diesem Grund kann es kein Hennele geben – und erst recht keinen Henneleskäs.

|86|Geigenknöpfle aus Mutschelmehl

Die schwäbische Hochzeitssuppe enthält unter anderem Geigenknöpfle. Die werden aus Mutschelmehl hergestellt. Diese Ingredienzien stellen viele vor ein Rätsel.

In einer Zeit, in der mehr Ehen geschieden als geschlossen werden, ist es im Grunde kein Wunder, wenn auch schwäbische Menschen nicht mehr in der Lage sind, die Zubehörteile einer echt schwäbischen Hochzeitssuppe aufzuzählen. Allerdings hat dieses Unvermögen weniger gesellschaftliche als sprachliche Ursachen: den schleichenden Verlust traditioneller Begriffe.

Das beweist der Blick in den schwäbischen Hochzeitssuppenteller. Darin schwimmen üblicherweise vier Arten von Einlagen, die je nach Region unterschiedlich sein und heißen können, wobei auch der bayerische Begriff „Knödel“ toleriert wird. Die klassische Kombination besteht aus Brätknöpfle, Grießknöpfle, Backspätzle und Geigenknöpfle. Drei dieser vier Sattmacher sind im aktuellen Wortschatz präsent: die Backspätzle, die Brät- und die Grießknöpf. Was aber sind und woraus bestehen Geigenknöpfle?

Die Vorstellung, dass dafür eine Geige durch den Fleischwolf gedreht wird, fällt uns schwer, ist aber so abwegig nicht. Es kommt nur darauf an, was man unter Geige versteht. Da Geigenknöpf nur in der schwäbischen, nicht aber in der ähnlich strukturierten bayerischen Hochzeitssuppe auftauchen, liegt die Vermutung nahe, dass das Wort Geige im Schwäbischen noch andere Dinge bezeichnet als jenes mitunter als quälend empfundene Streichinstrument.

Tatsächlich gab es ein Gebäck, ein feines Weißbrot, dessen Form an eine Geige erinnerte und das deswegen auch so genannt wurde. Diese Geigen wurden zum Teil hartgebacken, um anschließend auf dem Reibeisen gegeigt, das heißt, zu Geigenmehl zerrieben |87|zu werden. Aus diesem Geigenmehl wurden dann die Geigenknöpfle hergestellt.

Nun mögen gestandene schwäbische Hausfrauen einwenden, dass man Geigenknöpf aus Mutschelmehl macht, was weniger gestandene schwäbische oder nichtschwäbische Hausfrauen erneut irritieren wird. Falls sie zufällig Fischers Schwäbisches Wörterbuch zur Hand haben, werden sie dort unter Mutschel die Erklärung finden „Weißbrot, in verschiedenen Arten, aber stets kleinen Stücken gebacken.“ Wie die Geige gab es wohl auch die Mutschel in unterschiedlichen Varianten – in Reutlingen gibt es sie noch, vor allem am Mutscheltag, dem Donnerstag nach Dreikönig. Doch anders als dieses Gebildbrot wurden Mutscheln anderswo ebenso wie Geigen hartgebacken, um dann zu Mutschelmehl zerrieben oder zerstoßen zu werden.

Man mag nun mit Recht fragen, warum die aus Mutschelmehl gefertigten Knöpfle nach den Geigen und nicht nach den Mutscheln benannt sind. Die Frage beantwortet sich vielleicht von selber, wenn man versucht, mit einer Gosch voll Hochzeitssuppe das Wort Mutschelknöpf auszusprechen.

|88|Gefahr für die Hutzel!

Auf die rote Liste der bedrohten Wörter muss man vielleicht bald die Hutzel setzen. Denn für das, was jenes Wort bezeichnet, ist kein Platz in einer faltenfreien Welt.

„Dörrobst“ – wie arm ist doch dieser standardsprachliche Begriff im Vergleich zu Hutzel! Zwar bezeichnet man damit im Schwäbischen streng genommen nicht die ganze Palette getrockneter Früchte, sondern in erster Linie die Birne, aber so eng sieht das auch der verbissenste Schwabe nicht – spätestens nach dem Genuss von Hutzelbrot.

Denn das enthält außer getrockneten Birnen ein ebenso großes Quantum an verhutzelten Zwetschgen und natürlich Rosinen. Die heißen auf Schwäbisch „Weinbeerle“ und sind, da es sich um getrocknete Trauben handelt, im Grunde gleichermaßen den Hutzeln zuzurechnen. Dasselbe gilt für die getrockneten Feigen, zumal die – obzwar keine hiesigen Gewächse – ebenfalls im schwäbischen Hutzelbrot zu Hause sind.

Nun bezeichnet der Begriff Hutzel – im Gegensatz etwa zu „Obst“ – nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe von Nahrungsmitteln. Vielmehr bezieht er sich auf einen äußeren Zustand, der das Ergebnis eines biologischen Prozesses ist – genau genommen eines Alterungsprozesses, der im Falle des Dörrobstes künstlich herbeigeführt ist. Diesen Prozess nennt man im Schwäbischen verhutzle. Das aber bedeutet nicht einfach nur „austrocknen“ oder „schrumpfen“. Vielmehr ist damit auch die dabei zu beobachtende Faltenentwicklung beschrieben.

Da aber beim Schrumpfen nicht nur das Obst Falten wirft, sondern auch der Mensch, wird der Begriff Hutzel im Schwäbischen auch auf Menschen, genauer gesagt, auf alte Frauen angewandt, |89|was damit zusammenhängen könnte, dass „die Hutzel“ weiblich ist. Das männliche Gegenstück ist das Hutzelmännle, das durch Eduard Mörike zwar zu literarischem Ruhm gelangt, aber keineswegs seine Wortschöpfung ist. In der Volksprosa ist allerdings die weibliche Hutzel produktiver als das Hutzelmännle. Davon zeugt eine Reihe von Redensarten wie etwa „Wenn d’ Bir (Birne) zur Hutzel worde isch, hat ma lang drââ.“

Nun ist allerdings schon seit geraumer Zeit eine ganze Schönheitsindustrie damit beschäftigt, dem menschlichen Verhutzelungsprozess mit Cremes, Lotionen, dem Wurstgift Botox oder, wenn’s sein muss, mit Nadel, Faden und Skalpell Einhalt zu gebieten. Frauen und in steigendem Maße auch Männer wollen faltenfrei bleiben bis an ihr seliges Ende, wenn ihnen der Embalmer die verblichenen Gesichtszüge glättet.

Eine ähnliche Entwicklung könnte auch auf dem Lebensmittelsektor drohen. Nicht nur dass die Politik eine Pseudo-Ästhetisierung von Agrarprodukten betreibt, indem sie etwa die zulässige Maximalkrümmung der Gurke diktiert: Auch die Verbraucher achten immer stärker auf Äußerlichkeiten, verschmähen Äpfel und Birnen, sobald die bloß die kleinste Druckstelle aufweisen. Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur faltenfreien Hutzel – und die ist dann keine mehr.

|90|Manche mögen’s schlunzig

Wie lieben die Schwaben ihren Kartoffelsalat? Antwort: schlunzig. Das ist erstaunlich, denn in anderen Zusammenhängen erregt dieses Wort Ekel und Abscheu.

Die legendäre Sparsamkeit der Schwaben hat ihrem Kartoffelsalat einen besonderen Pfiff verliehen. Der äußert sich in einer glitschigen Gleitfähigkeit, deren Qualität heute mit dem neuschwäbischen Begriff Schlunzfaktor bewertet wird. Die traditionsverwurzelte schwäbische Hausfrau wird das schlichter ausdrücken und sagen: „Dr Kartoffelsalat muss schlunzig sei.“ Da das u fast wie o gesprochen wird, schreibt man das Wort auch schlonzig.

Wie wird ein Kartoffelsalat schlunzig? Durch Spätzlesbrühe! Es gibt Menschen, welche die klassische schwäbische Kombination von Spätzle und Kartoffelsalat anstatt mit Soße lieber mit Hohn und Spott übergießen. Die werden sich schütteln, wenn die Schwäbin, die bekanntlich nichts umkommen lässt, ihre vom Spätzlesteig mehlgesättigte Spätzlesbrühe statt in den Ausguss in den Kartoffelsalat schüttet.

Was die einen ekelt, begeistert die anderen. Zitat aus einer Kochanleitung im Internet: „Und exakt dieses Mehl (im Spätzleswasser) und die darin enthaltene Stärke sind es, die den Schlunzfaktor in ungeahnte kulinarische Höhen treiben.“ Da sich aber nicht alle Köchinnen und Köche der Mühe unterziehen wollen, neben dem Kartoffelsalat auch noch Spätzle zu produzieren, empfehlen die Ratgeber, etwas Mehl in kaltem Wasser aufzulösen und diese Mixtur in einer heißen Fleischbrühe aufzukochen, die dem Kartoffelsalat zugegeben wird.

Der Umstand, dass dieses Verfahren bei manchen Menschen Appetitlosigkeit auslösen mag, korrespondiert auf verblüffende |91|Weise mit den Assoziationen, die das Adjektiv schlunzig auslöst. Schwäbischen Feinschmeckern lässt es das Wasser im Munde zusammenlaufen – aber nur in Zusammenhang mit dem Wort „Kartoffelsalat“. Denn der ist gut, wenn er schmierig und glitschig ist, womit die Bedeutung des Wortes schlunzig wiedergegeben wäre. Als weitere Synonyme nennt Fischers Schwäbisches Wörterbuch darüber hinaus „schlüpfrig, gallertartig, schleimig“. Außerhalb Schwabens bedeutet dieses Wort übrigens „schlampig“.

Angesichts dieser Synonyme ist es nicht weit von den kulinarischen Höhepunkten in die Niederungen der Massenverpflegung: Ebenfalls zum Küchenschwäbisch gehört das Substantiv Schlonz, zu dem der Ehinger Philologe Hermann Wax in seiner „Etymologie des Schwäbischen“ eigene Beobachtungen beisteuert: „Der Schlonz ist ein undefinierbarer schleimiger Fraß, Suppe; ein nachlässig gekochter Fraß, so beklag(t)en sich oberschwäbische Internatsschüler (Konvikt Ehingen) in den 60er- bis 80er-Jahren über ‚den Schlonz‘, den es bisweilen zum Essen gegeben haben soll.“

So beweist auch die Wortfamilie Schlonz/schlunzig die Richtigkeit der Einstein’schen Erkenntnis, dass halt doch alles arg relativ ist.

|92|Supfle, sutzle, suggle, sürfle

Das Repertoire der Geräusche, die bei der Aufnahme flüssiger Nahrung entstehen können, ist außerordentlich breit. Dem trägt die schwäbische Mundart Rechnung.

„So, hat ma g’sugglet!?“ Jeder Schwabe, der einmal im Ungeschick eine Flüssigkeit über Gewand, Tischtuch oder Teppich verkleckert hat, kennt diese Frage. Sie ist deutlich milder als das barschere „Hasch g’sauet!“

Dass suggle als eher nachsichtig empfunden wird, liegt am Hauptwort Suggel, das ebenso wie Sutzel ein Schwein bezeichnet, aber eben keine ausgewachsene Sau, sondern bloß ein Säule, präziser gesagt: einen Sau-Säugling, wie man aus gutem Grund statt Suggel und Sutzel sagen darf. Denn in Suggel und Sutzel steckt saugen, das im Mittel- und Althochdeutschen noch sugen bzw. sugan hieß. Und Säugling kommt von säugen, das ebenfalls auf saugen zurückgeht.

Damit verwandt ist auch das gleichbedeutende englische „to suck“. Das dazugehörige Hauptwort lautet sucker (Sauger). Es ist deswegen erwähnenswert, weil auch in Fischers Schwäbischem Wörterbuch noch ein Sucker verzeichnet ist. So nannte man das mutterlose Lämmchen, das mit der Flasche gesäugt wurde.

Auch wenn das Verbum suggle vermittels des Saugschweins die Bedeutung von „besudeln“ angenommen hat, so hat sich daneben die ursprüngliche erhalten, die Fischer mit „fortwährend saugen“ wiedergibt. Für das „fortwährend“ ist das -l- verantwortlich, das aus dem alten sugen den Iterativ suggeln – schwäbisch: suggle – gebildet hat.

Aus suggeln dürfte sich sutzeln und daraus zutzeln entwickelt haben, denen das genüssliche Schmatzen der Suckelnden, Sutzelnden und Zutzelnden anzuhören ist, egal ob sie sich an der Mutterbrust oder an der Austernbar betätigen. An letzterer wird auch gerne |93|gesüffelt, wobei nun jeder, der den vorletzten Absatz eingesogen hat, weiß, dass auch das -l- in süffeln eine Wiederholung ausdrückt. Sie bezieht sich auf das Grundwort saufen, das ebenfalls mit saugen verwandt ist.

Aus saufen wiederum hat sich supfe gebildet, das eine Art Schlürfen bezeichnet. Mit dem Satz „I muß bloß amol schnell de Schaum absupfe“ rechtfertigt sich der Schwabe dafür, dass er bereits vor dem obligaten Zuprosten den Mund ans Bierglas führt. Absupfle mit -l- dauert wegen der Wiederholung etwas länger.

Zwar sind alle diese Wörter miteinander in Sinn und Herkunft verwandt, doch drücken ihre kleinen lautmalerischen Unterschiede jeweils ein anderes Geräusch aus und damit eine andere Art der Resorption. Eine weitere Variante ist das schöne sürfle, über dessen Herkunft das Grimm’sche Wörterbuch wenig Habhaftes mitteilt, außer dass es oberdeutsch ist – und dass es das sparsame, bedächtige Trinken kennzeichnet, das Gegenteil also von saufen. So mag man mit Blick auf den Anfang dieses Kapitels zum Schluss kommen: Wer sürflet, suggelt nicht.

|94|Mampf!

Mampf! Ohne jene lautmalende Silbe wäre der deutsche Comic entschieden ärmer. Sie wurzelt im Verbum mampfen – und das ist schwäbischen Ursprungs.

Wenn Donald Duck oder einer seiner zahlreichen Verwandten sich mit Eifer und Appetit aufs Essen stürzt, betont stets der Schriftzug Mampf! das Geräusch- und Lustvolle dieser Handlung. Mampf! ist der um ein Ausrufezeichen erweiterte Wortstamm des lautmalenden Verbs mampfen. Die – lange Zeit umstrittene – Idee, auf solch einfache Weise Laute ins Schriftbild zu rücken (Ächz! Stöhn! Grunz!), hatte die Kunsthistorikerin Dr. Erika Fuchs. Sie hat die Micky-Maus-Hefte seit deren Erscheinen in Deutschland (1951) jahrzehntelang ins Deutsche übertragen.

Infolge ihres Wirkens ist seit einem halben Jahrhundert jedem Kind im deutschen Sprachraum der Verbalstamm Mampf! und daneben natürlich auch das Verbum mampfen bestens vertraut. Umso überraschter werden ehemalige Kinder, die mit Mampf! groß geworden sind, feststellen, dass im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm mampfen nicht als Stichwort aufgeführt ist. Man findet es unter „pampfen“, wo ein Hinweis die Varianten „bampfen“ und mampfen als schwäbisch ausweist.

Beide bedeuten laut Schwäbischem Wörterbuch „mit vollem Mund gierig essen und kauen“. Dasselbe gilt für mumpfen, von dem es noch die Erweiterungsformen mumpfele oder mumpfle gibt. Fischer ordnet sie dem Eigenschaftswort mumpf („schwammig, ohne Festigkeit“) zu. Davon abgeleitet ist die Mumpfel, ein wunderschönes Wort, mit dem in bestimmten Gegenden das Weiche im Brot bezeichnet wurde. Es klingt in der Tat, als spreche jemand mit dem Mund voller Brotmasse – die übrigens, wenn noch nicht ausgebacken, mumpfig ist.

|95|Ähnlich unbeholfen artikuliert, wer die Lippen über die Zähne zieht oder wer keine Zähne mehr hat. Deshalb beschreibt Mumpfel auch den Mund „bei zahnlosen alten Weibern“, wie Fischer es ausdrückt. Dann existiert noch der Mumpfel, Maskulinum, und der ist verwandt mit dem Hampfel und Arfel. In allen dreien steckt das Adverb „voll“ und ein jeweils anderer Körperteil: ein Mundvoll, eine Handvoll, ein Armvoll. Von diesem Mumpfel gibt es sogar die Verkleinerung Mümpfele.

Damit wäre wohl hinreichend nachgewiesen, dass mampfen im Schwäbischen über eine ansehnliche Verwandtschaft verfügt. In die gesamtdeutsche Jugendsprache vorgedrungen ist es laut Küppers Illustriertem Lexikon der Umgangssprache um 1920 und wurde 1935 von den Soldaten übernommen. Die haben es weiterverarbeitet zu Wörtern wie Mampfgeschirr, Mampfkübel etc., die auch bestehen blieben, als es nichts mehr zum Mampfen gab.

Als nach dem Krieg mit dem Wirtschaftswunder die Micky Maus in die Bundesrepublik einzog, war die Zeit reif für den Lautwert Mampf! Und der ist seither in aller Munde.