Eine Metapher ist ein bildhafter Ausdruck, der einen anschaulichen Vergleich herstellt. Allerdings leidet manche schwäbische Metapher darunter, dass sie keiner (mehr) versteht.
Was ist eigentlich ein Häftlesmacher? Und warum wird, wer Alkohol lieber in Massen als in Maßen trinkt, ausgerechnet mit dem braven Bürstenbinder verglichen?
„Då musch aufpasse wie an Häftlesmacher.“ Dieses Sprachbild ist bemerkenswert, weil kein Mensch mehr weiß, was ein Häftlesmacher ist und worauf er seine geballte Aufmerksamkeit zu richten hat bzw. hatte. Denn der Häftlesmacher gehört einer längst ausgestorbenen Berufsgruppe an.
Mit den Brunnenputzern, Scheunendreschern, Säutreibern und Bürstenbindern verbindet ihn, dass sie alle auch heute noch, da diese Tätigkeiten wenn überhaupt, dann nur noch sporadisch ausgeübt werden, uns täglich zu Vergleichen dienen, die im Grunde keine sind. Denn keiner weiß so recht, warum ein Brunnenputzer wie ein Wilder schafft, ein Scheunendrescher unmäßig frisst, ein Säutreiber Schulden hat und ein Bürstenbinder säuft.
Auch das Schwäbische Wörterbuch hilft hier nicht viel weiter. Zum Säutreiber bemerkt es immerhin, dass dies ein „herumziehender Schweinehändler“ war, der „besonders aus Bayern“ stammte. Und neben der Redensart „Schulden wie ein Säutreiber“ dokumentiert es die gegenteilige: „Geld haben wie ein Säutreiber“. Beide Aussagen lassen nur einen Schluss zu: Der Säutreiber war unbeliebt, egal ob – oder weil? – er Geld oder Schulden hatte.
„Mühevoller Beruf“ lautet der einzige Kommentar zum Brunnenputzer. Somit bleibt es der eigenen Phantasie überlassen, sich auszumalen, wie schweißtreibend es war, den engen Schlund eines Brunnenschachts von Schlamm und allem möglichen Bewuchs zu befreien, um das Wasser sauber zu halten. Der Scheunendrescher wird zwar auch im Schwäbischen gerne bemüht, ist aber dem |115|schwäbischen Wortschatz fremd, der statt der Scheune die Scheuer kennt. In der Scheune zu dreschen war nicht nur anstrengend und äußerst staubig, sondern auch appetitanregend und verursachte gewiss einen gesunden Durst. Aber der bleibt in der sprichwörtlichen Redensart dem Bürstenbinder vorbehalten.
Der ist völlig schuldlos in den Ruf des Säufers geraten. Der Grund ist, dass das Verbum bürsten früher auch im Sinne von „bechern“ benutzt wurde. Und so fand man es im 16. Jahrhundert witzig, einen, der heftig bürstete, als Bürstenbinder zu bezeichnen.
Der Häftlesmacher fertigte nicht, wie manche meinen, Heftchen an, sondern Häftle oder hochdeutsch Haften. So hießen die kleinen Ösen, die mit den dazugehörigen Haken zum Schließen der Kleidungsstücke dienten. Ob dafür allerdings ein höheres Maß an Konzentration vonnöten war als für manchen anderen Beruf, darf bezweifelt werden.
Vielleicht musste der Häftlesmacher ständig aufpassen, dass seine winzigen Produkte nicht schneller verschütt gingen als sie hergestellt waren – etwa dann, wenn der Häftlesmacher einen netten Abend mit dem Bürstenbinder verbracht hatte.
Im Prinzip nehmen die Schwaben alles sehr genau. Aber auch das hat seine Grenzen. Wer die überschreitet, wer besonders kleinlich ist, den nennen sie Glufemichel.
„Du bisch a rechter Glufemichel!“ Gegen diese Aussage würde wohl kaum jemand eine Beleidigungsklage erheben, und wenn, dann käme er damit kaum allzu weit.
Zwar gibt Fischers Schwäbisches Wörterbuch als erste Bedeutung von Glufemichel „täppischer, beschränkter Mensch“ an, aber heute ist die bei Fischer sekundäre Bedeutung „kleinlicher Mensch“ in den Vordergrund getreten. Kleinlich zu sein – das heißt, bei allem besonders genau hinzuschauen und das herausgegebene Kleingeld dreimal nachzuzählen – ist jedoch im Schwabenland nicht ehrenrührig.
Wie kommt das Wort Glufemichel zu jener Bedeutung? Was ist eine Glufe? Ursprünglich bezeichnete dieses nicht nur im Schwäbischen verbreitete Wort die Spange oder Fibel, die das Gewand zusammenhielt. Später reduzierte sich der Sinn im Schwäbischen auf „Steckoder Sicherheitsnadel“. Die Stecknadel aber sticht bekanntlich recht gemein, woraus sich der Sinn der Redensart „besser als a Gosch voll Glufe“ erschließt: Besser als etwas Unangenehmes.
In diesem Sinne wird man auch den Glufemichel begreifen müssen: Einer, der – etwa wenn’s ums Erben geht – auch der letzten Stecknadel die ihr gebührende materielle Bedeutung beimisst, und sei die noch so gering.
So viel zur Glufe. Doch was ist mit dem Michel? Ganz offensichtlich ist der Name des Erzengels Michael, der „Wer ist wie Gott?“ bedeutet, im Schwäbischen zum Synonym für einen Menschen verkommen, den man nicht unbedingt ernst nehmen muss. Und deswegen hänseln die Schwaben niemanden, sondern sie michelet. In eine ähnliche |117|Richtung weist die Redensart „mit jemand ’s Michele treibe“. Das bedeutet, jemandes Gutmütigkeit, die sich an der Grenze zur Einfalt bewegen kann, über Gebühr auszunutzen.
Der Michel kann also zum Trottel werden. Aber das ist kein schwäbisches, sondern ein gesamtdeutsches Phänomen, und das bereits nachweislich seit dem 16. Jahrhundert. Schon Sebastian Franck, ein früher Volkskundler, der aus Donauwörth stammte, setzte den Begriff „der teutsch Michel“ gleich mit einem groben, dummen Menschen.
Wie es dazu gekommen ist, dazu gibt es zahlreiche Theorien. Eine davon weist auf das mittelhochdeutsche Eigenschaftswort michel hin, das „groß“ bedeutete. Es sei als Sammelbegriff auf die Deutschen angewandt worden – wie „der Iwan“ auf die Russen – im Sinne eines klobigen, unbeholfenen Menschen.
Später verwandelte sich der deutsche Michel zum gutgläubigen, ehrlichen Biedermann, wie ihn die Regierenden schätzen. Denen könnte allerdings der schwäbische Glufemichel zum Problem werden, wenn er, außer zu kontrollieren, ob seine Frau noch alle Glufe im Nähkasten hat, auch noch im Landesrechnungshof säße.
Die Nasensekrete – vulgo: Rotz – dienen den Schwaben unter anderem dazu, zwei recht konträre Charaktere zu beschreiben, den Rotzlöffel und den Rotzraahenker.
Die unterschiedlichen Funktionen der verschiedenen Löffel-Arten sind normalerweise unschwer aus der jeweiligen Bezeichnung zu erkennen: Mit einem Suppenlöffel löffelt man die Suppe, mit einem Kaffeelöffel rührt man im Kaffee, und mit einem Schuhlöffel zieht man sich die Schuhe an. Was aber tut man mit einem Rotzlöffel?
Die meisten würden ihm, wenn das nicht verboten wäre, gern eine hinter die Löffel hauen – wobei diese speziellen Löffel eine Anleihe aus der Jägersprache sind, in welcher der Begriff „Löffel“ für die Hasenohren steht.
Nun ergibt die Verbindung von Rotz und Löffel keinen nachvollziehbaren Sinn, egal ob man Löffel als Essbesteck oder als Ohrmuschel begreift. Das unterscheidet jenes Schimpfwort von den anderen, die mit Rotz- gebildet werden wie etwa die „Rotznas“ oder der „Rotzbue“. Beide vergleichen den so Betitelten mit einem kleinen Kind respektive Buben, das/der noch nicht mit dem Taschentuch umgehen kann oder will, aber dennoch eine vorlaute, freche Gosch hat.
Eine Steigerung in mehrfacher Hinsicht ist der Rotzaff. Damit können – im Gegensatz zum Rotzbue – auch Angehörige des weiblichen Geschlechtes bezeichnet werden, und auch hinsichtlich des Alters bietet dieses Wort einen erweiterten Spielraum.
Der Rotzlöffel – so viel ist jedem klar – ist mindestens so unverschämt wie der Rotzaff. Fügt man dem Letztgenannten ein -l- hinzu, dann wird er zum Rotzlaffen, und das ist gewissermaßen der Vater des Rotzlöffels, womit dessen Geheimnis gelüftet wäre: Das deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm lässt keinen Zweifel daran, dass |119|dieser Löffel nichts mit dem Essgerät zu tun hat, sondern ein kleiner Laffe ist und „ein früher zumal im oberdeutschen Sprachgebiete geläufiges Scheltwort“ war. Es bedeutete „Narr“. Tatsächlich findet sich solch ein Löffel in Sebastian Brants Narrenschiff aus dem Jahr 1494.
Bemerkenswert ist, dass das Wort Laffe höchstwahrscheinlich vom alt- und mittelhochdeutschen Verbum laffan (lecken) abstammt, das auch den (Ess-)Löffel hervorgebracht hat. Und Kluges Etymologisches Wörterbuch steht nicht an, den Rotzlöffel mit dem Zeitwort lecken in Verbindung zu bringen, woraus sich eine recht unappetitliche Deutung ergibt. Doch lassen wir mangels weitergehender Erkenntnisse dahingestellt, ob der Rotzlöffel nun ein kleiner Rotzlaffe oder ein Rotzlecker ist. Entscheidend ist seine oberdeutsche Herkunft.
Nicht nur oberdeutsch, sondern rein schwäbisch ist das Gegenteil des Rotzlöffels, und das ist der Rotzraahenker. Kein anderes Wort könnte einen trübseligen Zeitgenossen derart trefflich beschreiben.
Und es ist so bildhaft, dass es keiner weiteren Erläuterung bedarf.
Was bedeutet eigentlich Wasen? Diese Frage wird auf demselben gelegentlich erörtert – wenn auch lange nicht so intensiv wie die des Wasenbierpreises.
Mit dem Begriff Wasen verbindet man das Cannstatter Volksfest sowie das Volkslied „Aufm Wase graset d’Hase“. Dessen Text erweckt den Eindruck, dass sich auf dem Cannstatter Volksfestgelände sofort nach dem Einrollen der Bierzelte die Hasen für die restlichen 50 Wochen des Jahres breit machen.
Dieser Eindruck kann nur entstehen, weil viele den Wasen für ein Cannstatter Lokalspezifikum halten. Das aber ist nicht der Fall. Vielmehr ist Wasen ein verbreiteter Flurname, der zurückgeht auf das althochdeutsche waso. Das war eine Erdscholle mit Pflanzenbewuchs.
Daneben hatte Wasen weitere Bedeutungen. Ausgestochene Torf stücke etwa wurden so genannt. Ferner stand der Begriff Wasen für den fast gleichlautenden Rasen. Tatsächlich hält Kluges Etymologisches Wörterbuch es für denkbar, dass beide Wörter von einem gemeinsamen Ur-Wort wrason abstammen.
Wie auch immer: Als Wasen wurde eine grasbewachsene Fläche bezeichnet, „die für Anbau wenig geeignet ist, so das Überschwemmungsgebiet beiderseits von Flüssen, z.B. am Neckar“, wie Walther Keinath in seinem Buch über württembergische Flurnamen schrieb. Daher wurde der Wasen gerne für besondere Zwecke genutzt, etwa als Weideland, Spielfläche oder Exerzierplatz.
Auch die Hasen fühlten sich dort wohl, wenn man den zahlreichen Sprichwörtern glauben darf. Zumindest beweisen sie, dass das Reimpaar Hasen/Wasen fast so beliebt war wie Herz und Schmerz. An Botanik wies der Wasen die Wasenblumen, Wasenbeeren sowie |121|die kleine, runde, braune Wasenbirne auf, die auf Schwäbisch Wasebir heißt und nicht mit dem Wasenbier zu verwechseln ist.
Eine völlig andere Bewandtnis hat es mit dem Wasenfleisch. Das hängt mit einer weiteren Sondernutzung des Wasens als Schindanger zusammen. Dort entsorgte der Wasenmeister, der oft auch Scharfrichter war, verendetes Vieh. In Notzeiten wurde selbst dieses Wasenfleisch – also Aas – verzehrt.
Eine andere Bezeichnung für Aas war Luder. Insofern ist Wasenfleisch im ursprünglichen Wortsinn identisch mit dem Wasenluder, das sich in Fischers Schwäbischem Wörterbuch findet. Der übersetzt dieses längst vergessene „starke Schimpfwort“ mit „böses Weib“.
Heute, im Zeitalter der Boxen-, Party- und sonstigen Luder, schreit das Wort Wasenluder geradezu nach Wiederbelebung, wenn auch nicht unbedingt im Sinne von „böses Weib“. Eine semantische Annäherung an die anderen Luder wäre unproblematisch, da „Luder“ seine Bedeutung längst weiterentwickelt hat vom Aas zum Lockmittel der Jäger bis zum verlockenden, aber sündigen Weib. Seiner Wandlung zur verruchten schwäbischen Bierzelt-Venus steht damit nichts im Wege.
„So ein Lettegschwätz!“ Kürzer und deutlicher lässt sich im Schwäbischen die Verachtung für einen unqualifizierten Redebeitrag kaum ausdrücken.
Immer mehr Menschen leiden unter Logorrhöe. Dieses vortreffliche Fremdwort lässt sich am besten mit „Sprechdurchfall“ übersetzen. Und was dabei herauskommt, ist in aller Regel ein Lettegschwätz. Dieses Wort kennzeichnet sprachliche Äußerungen, die – egal ob dünn oder zäh fließend – entweder unsinnig oder widersinnig, in jedem Falle aber überflüssig sind und zu deren seuchenartiger Verbreitung die Medien maßgeblich beitragen.
So präsent daher der Begriff Lettegschwätz aus den geschilderten Ursachen ist, so wenig präsent dürfte vielen, die ihn im Munde führen, der Sinn des Wortes Letten sein. Das bedeutet ganz einfach „Lehm“. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Schwäbische zwei Ausdrücke für Lehm kennt, nämlich neben dem Letten auch den Leimen oder Leim, der nicht zu verwechseln ist mit dem gleichnamigen Klebstoff.
Leim ist die Ursprungsform des Wortes Lehm, der auch im Alt- und Mittelhochdeutschen schon leim hieß. Man findet ihn noch in Flurnamen wie Leimgrube. Das war oder ist die Entnahmestelle für das Rohmaterial, aus dem man irdene Töpfe oder Ziegel macht. Das zeigt, dass mit Leim(en) eine verwertbare Lehmart bezeichnet wurde, während der Letten etwas ist, mit dem man nichts anfangen kann: schlicht und einfach Dreck. Das Grimm’sche Wörterbuch bestätigt dies und teilt darüber hinaus mit, dass Letten, der althochdeutsch noch letto hieß, auch „Kot“ bedeuten kann, aber wohl nicht im organischen Sinne.
Damit erhebt sich für die, die es ganz genau wissen wollen, die Frage, auf welche Art von Letten der Begriff Lettengeschwätz Bezug |123|nimmt: auf den minderwertigen Lehm, mit dem nichts anzufangen ist, oder auf Straßenkot?
Die Antwort ergibt sich aus der Verwendung des Wortes, das nichts und niemanden in den Schmutz zieht, sondern lediglich einen Qualitätsmangel rügt: Es geht um die Wertlosigkeit einer Rede. Deshalb dürfen wir hier den Letten im Sinne von schlechtem Lehm zugrunde legen, der zu nichts taugt – der aber auch keinen Schaden anrichtet, wenn er nicht gerade als Schlammlawine über einen hereinbricht.
Allerdings leben wir in einer Zeit des Wertewandels: Was früher als wertlos galt, ist längst zum Wertstoff umgedeutet worden, wie die blühende Müllwirtschaft beweist. Deswegen wird man nicht umhinkommen, auch das Lettegschwätz neu zu bewerten. Schließlich beweisen tagtäglich Legionen von Schwätzern, deren über Nachrichten und Talkshows verbreitete Emissionen die Menschen bis in den Schlaf verfolgen, dass Letten und damit auch das Lettegschwätz doch große Erfolge und fette Erträge einbringen kann – vor allem, wenn der Letten noch durch eine ordentliche Portion Bockmist angereichert wird.
Sagt ein Schwabe zu einem anderen „Du Dippel“, so will er ihm mitteilen, dass er ihn für dumm oder zumindest extrem ungeschickt hält, nicht aber für einen Deppen.
Ein Dippel ist ein Simpel. Der Simpel ist recht simpel zu erklären, er ist vom lateinischen (simplex = einfach) auch in den schwäbischen Wortschatz geraten, um Menschen besonders schlichten Gemütes zu kennzeichnen.
Wenn der Simpel von simplex abstammt, dann muss, so könnte man kalauern, der Dippel von duplex (zweifach) kommen, zumal er sich in Fischers Schwäbischem Wörterbuch Düppel schreibt und gleichbedeutend ist mit dem Duppeler. Dann wäre der Dippel doppelt so dumm wie der Simpel, und die nächste Stufe wäre wahrscheinlich der Tripel oder Dreifach-Simpel.
Aber so einfach ist die Sache nicht. So steht die Bedeutung „dummer Mensch“ bei Fischer weit hinter der ersten, die er für Düppel angibt, und die lautet „Drehkrankheit der Schafe“. Die wird übrigens ausgelöst durch den sprichwörtlichen Drehwurm (Coenurus cerebralis).
Der Name Düppel für diese Krankheit ist zurückzuführen auf das Verbum düpple oder duppele (schwankend gehen), einer Iterativbildung zu dem Verbum duppen (unsicher, schwankend, ängstlich gehen). Es ist also das Schwanken respektive der Schwindel, was dieser Wortfamilie zugrunde liegt. Und daher bedeutet duppelig, düppelig oder dippelig „schwindelig, benommen“ oder ganz einfach „dumm“. Und düpelhirig ist laut Fischer einer, der den Düppel im Hirn hat.
Bemerkenswert ist übrigens, dass im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm der Düppel zwar verzeichnet ist, auch als „Tölpel“, aber |125|ohne die Bedeutung „Drehkrankheit der Schafe“, die Fischer nennt. Daher liefern Fischer und Grimm unterschiedliche Erklärungen für die Redensart „einem den Düppel bohren“. Grimm sieht darin die analoge Bildung zu „einem den Esel bohren“, die vermutlich auf eine Handbewegung zurückgeht.
Fischer hingegen übersetzt „einem den Düppel bohren“ als „ihn zu Verstand bringen“ und deutet das Bohren völlig richtig als „trepanieren“ (den Schädel aufbohren). So berichtet Hermann Wax in seiner „Etymologie des Schwäbischen“, dass schwäbische Schäfer bis 1920 noch ganz offen und später heimlich den drehkranken Schafen den Dippel gebohrt haben.
In den Bereich der Erkrankungen, allerdings der menschlichen, gehört der Wochedippel. Das ist eine auch heute gelegentlich noch zu hörende schwäbische Bezeichnung für Mumps. Sie erklärt sich daraus, dass diese Kinderkrankheit ungefähr eine Woche dauert.
Während der Wochedippel für die Medizin längst kein Problem mehr darstellt, ist gegen die sporadische und erst recht die permanente menschliche Dippelhaftigkeit kein Kraut gewachsen. Die Mitmenschen müssen sie ertragen. Dem vom Düppel befallenen Schaf hingegen droht die Notschlachtung.
Schwaben haben eine etwas missverständliche Form, ihr Unwohlsein auszudrücken. Sie sagen dann nämlich, ihnen sei’s liederlich – selbst wenn sie grundsolide sind.
„Mir isch’s hundsliedrig.“ Äußert ein Schwabe diese Klage, sollte man diskret nach der Nummer des Notarztes suchen. Denn liedrig – die rein schwäbische Variante des den Schwaben ebenfalls vertrauten liederlich – bezeichnet hier keinen akuten Anfall von Leichtfertigkeit, sondern ein heftiges Unwohlsein, gekennzeichnet von Kopfschmerzen, Übelkeit und Appetitlosigkeit.
Während liederlich im Schriftdeutschen verhaltensbedingte Negativ-Eigenschaften wie „sorglos“, „ausschweifend“ und „schlimm“ bezeichnet, beschreibt es im Schwäbischen auch einen physischen Zustand. Es fällt auf, dass das Schwäbische Wörterbuch als Erstbedeutung von liederlich „geringfügig, unbedeutend, ohne Ansehen“ vermerkt. Erst die zweite („haltlos, unzuverlässig“) gleicht der schriftdeutschen. Die dritte ist wieder rein schwäbisch: „übel, elend, schwach“.
Wenn Nichtschwaben über die erste und dritte Bedeutung irritiert sind, könnte das daran liegen, dass man beim Adjektiv liederlich mehr oder weniger bewusst das Substantiv „Lied“, und auf dem Weg über das Lied eine fröhliche Leichtigkeit des Seins assoziiert, welche Gefahr läuft, in Leichtsinn abzugleiten. Und das ist das genaue Gegenteil jenes Zustandes, den der Schwabe mit liedrig beschreibt.
Diese semantische Schere lässt sich ganz einfach damit erklären, dass liederlich nichts mit dem Lied zu tun hat. Frühere Dichter und Denker, die sich den Kopf über jenes Wort zerbrochen haben, leiteten es von „Luder“ ab, da das schriftdeutsche liederlich in der Tat alle Kriterien des menschlichen Luders erfüllt, dessen |127|Ursprungsbedeutung der Tierkadaver ist. Also haben sie es lüderlich geschrieben. Doch die heutigen Sprachwissenschaftler lehnen diese Erklärung ab.
Aber von irgendeinem Haupt- oder Zeitwort muss liederlich abstammen, was allein schon die schwäbische Version liederig beweist: Dessen Adjektiv-Endung -ig wurde ebenso wie das -lich in liederlich an ein Grundwort gefügt, das übrig bleibt, wenn man -ig und -lich streicht und lieder- lauten müsste. Das könnte ein „entrundetes“ lüder- sein und dürfte dann doch von einem Luder abstammen, so wie „künstlich“ von „Kunst“.
Als Lösung des Rätsels bietet sich ein althochdeutsches Wort an, das ludara oder ludera lautete. Das hatte nichts mit dem späteren Luder zu tun, das auf althochdeutsch „luoder“ zurückgeht. Vielmehr bedeutete es „Lumpen, Windel“. Hängt man an den Lumpen ein -ig, kommt „lumpig“ heraus, das gleichbedeutend ist mit dem schwäbischen liedrig, während das schriftdeutsche liederlich dem Adjektiv „lumpenhaft“ entspricht.
Und so hat dieses Wort bewiesen: Es gibt keinen Begriff, der so liedrig wäre, dass man darüber nicht eine Abhandlung schreiben kann.
Wenn ein Schwabe sich für andere abdagglet, ohne dass es ihm gedankt wird, kommt er sich daggelhaft vor und droht: „Für ui han-e ’s letscht Mal da Daggl g’macht!“
Der Dackel ist im schwäbischen Sprachschatz prominenter vertreten als jede andere Hunderasse. Allerdings ist seltsam, dass der Dackel dabei ziemlich dumm dasteht, obwohl er keineswegs als dumm gilt.
Als Daggl bezeichnet der Schwabe einen Trottel, bisweilen auch sich selber, etwa wenn er sich umsonst abdagglet oder wenn er, von der Bürokratie gehetzt, von einem Amt aufs andere dagglet. In diesen Wörtern schwingt noch eine gewisse Gutmütigkeit mit, die aber beim Grasdaggl, Halbdaggl und erst recht beim Saudaggl endet.
Zwar tut man auch dem Esel Unrecht, wenn man seine Gattungsbezeichnung auf Dummköpfe überträgt. Aber angesichts des Starrsinns jenes Grautieres ist dies eher nachvollziehbar als im Falle des Dackels. Dem kann man eine Neigung zum Wadenbeißen unterstellen, nicht aber zur geistigen Trägheit.
Also stellt sich die Frage, ob das Schimpfwort Daggl mit all seinen Ableitungen tatsächlich auf den Dackel zurückgeht – zumal diese Hundebezeichnung noch nicht sehr alt ist. Früher hieß diese Rasse wegen ihrer speziellen Verwendung „Dachshund“ und seit Anfang des 18. Jahrhunderts im Oberdeutschen „Dächsel“, woraus sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts der „Dackel“ bildete. Der aber hat sicher nichts zu tun mit dem Schimpfwort „die Dakkel“, das 1897 in Ulm bezeugt ist und eine „dumme Weibsperson“ bezeichnete. Denn im „Versuch eines Ulmischen Idiotikons“ aus dem Jahr 1787 finden wir die Adjektive dakelt und undakelt, beide im Sinne von „tölpisch“.
Bemerkenswert ist ferner, dass in Fischers Schwäbischem Wörterbuch als erste Bedeutung für Dackel der „Blödsinnige“ genannt |129|ist, dass mit der Verkleinerungsform Dackele schwachsinnige Kinder bezeichnet wurden – „in mitleidigem Ton“ wohlgemerkt –, und dass das Adjektiv dackelig für „kretinhaft“ stand. Damit wird immer klarer, dass der Daggl nichts mit dem krummbeinigen Jagdkameraden zu tun hat. Für eine „schwächliche, ängstliche, blöde Person“ kennt das Schwäbische Wörterbuch übrigens auch den ähnlich klingenden Ausdruck Dachtel, und als Nebenform von Dackel werden auch Dattel und Dättel genannt.
Wenn man davon ausgeht, dass das -(e)l am Ende dieses Wortes eine Verkleinerungsform ist, dann müsste das Grundwort dagg oder dack heißen. Tatsächlich findet sich im Wörterbuch der Tiroler Mundarten das Wort tagg, „ungeschickter Mensch, Mann, Weib“, von dem das Verb taggelen abgeleitet ist. Das bedeutet „läppisch tun“, „im Wasser, Schlamm herumfahren“, „stotternd, gebrochen reden“.
Damit ist erwiesen, dass der Daggl kein Dackel ist – und umgekehrt; auch wenn weder ein Dackel noch ein Daggl diesen Erkenntnisgewinn zu ästimieren wissen wird.