V on all den dreckigen Bastarden des Reiches kam es auf den Fähigsten an.
Er zog sämtliche Ringe, die er sich im Laufe der Jahre mit unterschiedlichsten Posten für das Reich verdient hatte, an. Nur wenige Personen erinnerten sich an eine Zeit, in der er nicht hart arbeitete und dafür sorgte, dass nichts aus den Fugen geriet. Nur die Personen, die sich an das Chaos unter Kaiser Rivars Eroberungsfeldzügen erinnerten, kannten diese Zeit.
Ja, das Volk hatte sich über jeden Sieg und über die aufwendigen Paraden, die er nach dem Erlangen weiterer Kolonien für sein Reich veranstaltete, gefreut. Es gefiel ihm sogar, die Könige, Lords und Anführer, die er in die Knie gezwungen hatte, vor dem Senat zur Schau zu stellen, um sie daran zu erinnern, was mit ihnen bei einem Aufstand passieren würde.
Doch nur wenige erinnerten sich daran, wie verlustreich all diese Kriege gewesen waren.
Mit finsterem Blick betrachtete er sich im Spiegel und betrachtete die Falten, die im Laufe der Jahre immer tiefer geworden waren und die grauen Strähnen in seinen langen schwarzen Locken, die einst sein ganzer Stolz gewesen waren. Im Gegensatz zu denen, die es lieber vergaßen, erinnerte er sich an die Augen der eroberten Völker, die bis zum Hungertod besteuert worden waren, um diese Kriege zu bezahlen. Vor seinem geistigen Auge sah er immer noch die Schlachtfelder, die mit den Leichen von Jugendlichen übersät waren. Sie hatten keine andere Wahl gehabt, als zu kämpfen, um auch nur einen Anschein von Freiheit erlangen zu können.
Das waren die Tage, an denen er beschloss, Rivars Kriegslust ein Ende zu setzen. Der Mann, der auf dem Schlachtfeld unmöglich zu besiegen war, hatte andere Laster und Gelüste, die ihn durch seinen jahrzehntelangen Genuss nur noch gieriger gemacht hatten. Er wusste, dass er sich dies zunutze machen konnte.
Das Ablenkungsmanöver war einfach gewesen. Jedoch war es schwieriger, die anderen Kolonien davon abzuhalten, in einen Krieg auszubrechen, da sie bereits in der Vergangenheit Kriege geführt hatten. Eine Heirat für ein Bündnis zwischen ihnen löste dieses Problem. Aber der Kaiser gab sich nicht mit einer einzigen Frau zufrieden.
Er besaß einen kleinen Harem, als diese Ehe arrangiert worden war, aber die neue Kaiserin hatte gewisse Forderungen gestellt, sodass er seine Geliebten wegschicken musste.
»Vizekaiser Reyvan?«
Er erschrak und blickte in das Spiegelbild einer jungen Bediensteten, die hinter ihm stand. »Ja?«
»Die Zeremonie beginnt gleich.«
»Danke, Elena. Ich werde gleich da sein.«
Sie verbeugte sich und verschwand hinter dem Vorhang, der zum Bediensteteneingang seines Zimmers führte. Die Zeiten, in denen er ein Schwert an seiner Hüfte trug, waren lange vorbei. Er besaß nun lediglich einen Dolch, der versteckt werden musste, da der Kaiser niemanden erlaubte, in seiner Gegenwart bewaffnet zu sein. Selbst die Wachen mussten immer mindestens zwanzig Schritte von ihm entfernt stehen.
Außerdem konnte er nicht mehr auf einem Pferd reiten, wenn es sich nicht um eine kurze Strecke handelte und selbst das war eine Herausforderung für ihn. Er hatte zu viel Zeit in seiner Jugend auf dem Pferderücken verbracht, weshalb er nun unter chronische Rückenschmerzen litt und den kaiserlichen Magier regelmäßige Besuche abstatten musste, um eine Linderung der Schmerzen zu bekommen. Sie führten ihre Arbeit gut aus, aber auch die Magie hatte ihre Grenzen. Obwohl er mindestens zwanzig Jahre länger als die meisten Menschen gelebt hatte, begann er, sein Ende zu sehen.
Wegen dieser Tatsache machte er sich große Sorgen darüber, was mit dem Reich geschehen würde, wenn er nicht mehr da war. Natürlich waren bestimmte Vorkehrungen getroffen worden. Rivars rechtmäßiger Sohn, den seine Frau gezeugt hatte, wurde so erzogen, dass er genauso unfähig wie sein alter Vater war. Deswegen würde Rivars Tod nur dazu führen, dass diejenigen, die sich um das Wohlergehen des Reiches kümmerten, auch nach seinem Tod noch viele, viele Jahre ähnliche Arbeit wie bisher leisten würden.
Reyvan schüttelte den Kopf. Es war der perfekte Plan gewesen und es war wirklich sehr schade, dass sein eigenes Handeln ihm zum Verhängnis geworden war.
Er betrat den Thronsaal und einer seiner Gehilfen reichte ihm seinen Gehstock. Er sah ein wenig wie ein Zepter aus und trug das Symbol seiner Familie. Solange er ihn hielt, musste er jedoch wie die bewaffneten Wachen zwanzig Schritte Abstand einhalten.
Trotzdem half es ihm zu gehen, besonders an den schlechten Tagen.
Ein junger Mann stand bereits im Thronsaal und wartete auf die Ankunft des Kaisers. Der Vizekaiser wünschte, er könnte sagen, dass der Junge nicht der Abschaum seines Herrschers war, aber das Aussehen war zu markant. Rivar war mindestens sechzig Jahre älter als der Knabe, aber dank der Macht der Magie erinnerte er sich daran, wie der Mann ausgesehen hatte, als er noch jung und tatkräftig war.
Er war das Ebenbild des Jugendlichen, der auf ihn wartete, gewesen.
Es bedurfte keines Zaubers, damit er wusste, dass dieser Junge einer der Hunderte von Bastarden, die den Lenden des alten Kaisers entsprungen waren, war. Jedoch erforderte die Zeremonie einen Zauber zur Vergewisserung.
»Du musst das nicht tun, Junge«, flüsterte er, als er sich näherte. »Du kannst das luxuriöse Leben, das dein Vater für dich vorgesehen hat, weiterführen. Ganz egal, ob er dich öffentlich als seinen Erben anerkennt oder nicht. Der Zauberspruch einer alten Hexe wird dein Leben nicht zum Besseren wenden, sondern könnte es eher schwieriger machen.«
Mit seiner statuesken Größe sah der junge Mann wirklich beeindruckend aus. Sein langes schwarzes Haar fiel ihm über die Schultern und seine Muskeln zeichneten sich unter dem Gewand, das ihm für die Zeremonie zur Verfügung gestellt worden war, ab. Reyvan hatte seine Kampffähigkeiten bereits persönlich gesehen. Er war der einzige dreifache Champion in der kaiserlichen Arena. Diese Leistung vollbrachte er, bevor er überhaupt alt genug war, um einen Bart an seinem Kinn wachsen zu lassen. Das passierte natürlich im Kaiserturnier, welches das ritterliche Gegenstück zur tatsächlich kämpferischen Kaisermeisterschaft war. Der junge Mann hatte sich also in der höfischen Variante hervorgetan, aber er hatte keine wirkliche Kampferfahrung. Er musste sich nie mehr als einem blutrünstigen und aggressiven Gegner stellen. Dieser Rekord hatte fast achthundert Jahre lang gehalten, bevor ein Zwerg namens Yaragrim den Preis an sich gerissen und ihn fast ein Jahrzehnt lang gehalten hatte.
»Es ist mein Schicksal«, flüsterte der Junge und nickte entschlossen. »Von den Göttern verkündet und von allen Zeichen bestätigt. Ich muss an den Prüfungen teilnehmen. Es ist mein Geburtsrecht.«
»Alte Rituale und Gesetze haben keinen Platz in einer modernen Welt, Junge«, erwiderte der Vizekaiser. »Das musst du einsehen. Deine Präsenz wird den Frieden, der jahrzehntelang angedauert hat, nur stören.«
»Dann wird der Frieden eben gestört. Das ist der Wille der Götter.«
Er holte tief Luft und beruhigte sein schnell schlagendes Herz. Viele Leute hatten ihm gesagt, dass seine Vorliebe für rotes Fleisch und Wein seinen Tod bedeuten würde. Ein Jahr zuvor hätte er sein Ende noch mit offenen Armen empfangen. Das Alter tat ihm nicht gut.
»Wie viele werden sterben, weil du nicht in Frieden leben kannst?«
Der Junge drehte sich zu ihm um und öffnete den Mund, um zu antworten, aber keine Antwort kam aus seinem Mund. Er zuckte nur mit den Schultern, bevor er sich wieder dem Thron zuwandte.
»Es ist mein Schicksal«, wiederholte er. »Es ist mein Geburtsrecht. Die Götter haben es so gewollt.«
Jemand hatte ihm diese Worte ins Ohr geflüstert und zwar so oft, dass er begonnen hatte, sie zu glauben.
Reyvan schüttelte den Kopf. Jedoch wurde die Unterhaltung unterbrochen, als das Erklingen der Trompeten die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf den Thron lenkten. Rivar selbst würde während der Zeremonie erscheinen, was sie nur noch offizieller machen würde.
Ein Herold nahm seinen Platz auf der Bühne ein, während zwei junge, zierliche Frauen mit lockigem schwarzem Haar dem Mann zu seinem Thron verhalfen.
Der Kaiser hatte eine besondere Vorliebe, die ihm in allen Ecken des Reiches erfüllt werden würde. Es machte keinen Unterschied, dass er Schwierigkeiten beim Gehen hatte und sein gesamtes Haar weiß geworden war und ihm sogar stellenweise ausfiel.
Der Kaiser war bereits fast zweihundert Jahre alt und die Magie besaß ihre Grenzen. Der Vizekaiser hatte dafür gesorgt, dass er selbst niemals so lange leben würde. Er weigerte sich, so lange zu leben, bis ihm die Zähne sowie Haare ausfielen und er sich nur noch mithilfe junger, reizvoller Frauen bewegen konnte.
Sogar die Augen des Mannes waren trüb geworden und es wurde für seine Magier immer schwieriger, den Grauen Star zu heilen.
Der Kaiser stöhnte leise und ließ sich schließlich auf dem Thron nieder, um sich zu entspannen. Als er es sich bequem gemacht hatte, nickte er dem Herold leicht zu.
»Die Prüfung von E’Kruleth Damari wird jetzt beginnen«, verkündete der Amtsträger, während er sich aufrichtete und laut genug sprach, dass alle Anwesenden im Thronsaal es hören konnten. »Eine Bestimmung durch Zauberei, um die Abstammung des Kandidaten für den Thron zu ermitteln. Der Kandidat, Lord Tryam Voldana, wird nun nach vorn treten.«
Die Wachen gingen zur Seite, um den Jungen in den Kreis zu lassen. Reyvan wusste, dass der Junge keine Waffe benötigte, um neben dem gebrechlichen Kaiser Rivar stark auszusehen.
Eine weiße Haarsträhne des Kaisers wurde abgeschnitten und von den jungen Frauen zu denjenigen, die für die Zeremonie zuständig waren, gebracht. Tryam wurde aufgefordert, sein Hemd auszuziehen. Er befolgte die Anweisungen und es kamen Dutzende von Kampfnarben, die seine blasse, marmorne Haut verunstalteten, zum Vorschein. Die Magier legten eine Strähne seines Haares in einen silbernen Kelch und sangen darüber, während das Haar des Kaisers hinzugefügt wurde.
Es herrschte Stille, während sie ihren Zauber fortsetzten, bis plötzlich ein Feuer in dem Kelch entfachte und mit einer Intensität, die zu hell war, um sie anzusehen, brannte. Keiner der beiden Magier schien beunruhigt zu sein und sie sangen weiter, bis die Flammen allmählich ausbrannten. Als Reyvan das Feuer genauer betrachtete, erblickte er violettfarbene Flammen, die langsam erloschen.
Als das Feuer vollständig erloschen war, sahen beide Magier den Herold an und nickten.
»Der Anwärter, Lord Tryam Voldana, hat die Prüfung von E’Kruleth Damari bestanden und besitzt wahrhaftig das Blut Kaiser Rivars«, erklärte der Mann mit Nachdruck. »Nun beginnt die Prüfung von O’Kruleth Demari. Er muss sich diesem kaiserlichen Erbe als würdig erweisen.«
Die Magier schütteten die Asche aus dem Kelch in ihre Hände und schwärzten sie mit ihr, während sie sich Tryam näherten. Einer stand vor ihm und der zweite hinter ihm. Der erste legte seine Hände auf die Brust des Jungen und der andere auf seinen Rücken. Reyvan konnte das Brutzeln und Brennen der Haut hören und riechen, aber der Schmerz schien den Kandidaten nicht zu beeinflussen. Als sie ihre Hände zurückzogen, waren vier Handabdrücke in seine Haut eingebrannt.
»Mögen die Götter über ihn auf dem Stygischen Pfad wachen.«
Man reichte Tryam sein Hemd. Als er es anzog, schob er es allerdings vorsichtig über die Stellen, an denen die frischen Brandmale waren. Reyvan verließ den Thronsaal und ging einen der vielen Gänge entlang. Er fuhr mit den Fingern durch seinen Bart, um die Knoten, die sich gebildet hatten, zu bändigen.
Ein Mann kam ihm entgegen. Er trug das Gewand der kaiserlichen Wachen, doch das Zeichen des Adlers auf seinem Brustpanzer wies ihn als mehr als nur eine normale Wache aus. Er war der Oberbefehlshaber der Elitekrieger, die mit dem Schutz des Kaisers beauftragt waren.
»Es bestand nie ein Zweifel, oder?«
Der Vizekaiser hob eine Augenbraue hoch, als der Mann seinen Helm abnahm und ein Gesicht, das fast so alt und grau war wie sein eigenes, offenbarte. Jedoch war dieses Gesicht deutlich von weniger Krankheiten geplagt. Reyvan hatte ihn immer darum beneidet.
»Du hast den Jungen gesehen, Espin. Man kann über den alten Mann sagen, was man will, aber seine Saat ist stark und alle seine Bastarde besitzen seine unverwechselbaren Züge.«
Der andere Mann nickte und rückte näher, damit ihr Flüstern nicht gehört werden konnte.
»Die Würfel sind gefallen. Wir können nichts mehr tun, außer zu sehen, ob der Junge würdig ist oder nicht.«
»Ist er nicht. Irgendein … uraltes Gesetz, das von Primitiven geschrieben wurde, hat keinen Einfluss auf diese Tatsache. Aber in einem Punkt liegst du falsch. Cathos bleibt der Erbe, bis Tryam ohne die Male auf seiner Haut zurückkehrt. Bis dahin kann ihm viel zustoßen. Er wird unter den Schutz deiner Wachen gestellt, um ihn bei der Prüfung zu unterstützen und zu schützen. Sollten sie bei ihrer Aufgabe versagen, wäre das in der Tat eine Tragödie, nicht wahr? Sie wären gezwungen, sich in ihr eigenes Schwert zu stürzen, um der Schande zu entkommen. Aber es gibt keinen Grund, dass ihre Familien darunter leiden sollten, meinst du nicht auch?«
Der Oberbefehlshaber nickte, aber sein Gesicht blieb ausdruckslos. »Eine wahre Tragödie. Man würde Theaterstücke darüber schreiben und sie auf jeder Bühne des Reiches aufführen.«
»Ein unversehrtes Reich würde in der Tat trauern.«
* * *
»Attacke!«
Skharr stürmte nach vorn und hielt den bequemen Griff des Übungsschwertes in seinen Händen fester. Er schlug in die Richtung, in der Sera stand.
Die Gildenanführerin benutzte ihr Schwert, welches für sie mit seinem elfenbeinernen Griff ein vertrauter Griff war. Allerdings war es noch in der Schwertscheide und Sera behauptete, dass diese keinen Einfluss auf ihre Fähigkeit, gegen ihn zu kämpfen, haben würde. Bis jetzt hatte sie recht gehabt.
Er schlug hart von links zu und beobachtete, wie sie mit Leichtigkeit auswich und nicht mal ihre Klinge heben musste, um seine zu blocken. Er zog sein Schwert zurück, behielt das Gleichgewicht und kehrte den Schlag um, in der Hoffnung, dass er sie überraschen würde.
Diesmal änderte sie ihre Kampfhaltung und hob seine Klinge nach oben und über ihren Kopf. Ihre Bewegungen waren fließend und präzise. Er konnte nur einigen von ihren Bewegungen folgen, ehe ihr Schwert ihn von hinten traf. Sie hakte es hinter dem Knie seines Stützbeines ein und brachte ihn aus dem Gleichgewicht.
In der gleichen Bewegung drehte sie sich auf der Stelle und holte zu einem erneuten Hieb aus, um ihm auf der Stirn zu treffen. Es war kein harter Schlag, aber da er bereits aus dem Gleichgewicht gekommen war, fiel er zurück und konnte sich nicht mehr fangen, bevor er auf dem harten Boden landete und eine große Staubwolke aufwirbelte.
Als der Wind die Wolke weggeweht hatte, bemerkte er, dass sie über ihm stand und ihre Klinge nur eine Haaresbreite von seiner Kehle entfernt war.
Anstatt jedoch den tödlichen Schlag auszuführen, zog sie das Schwert zurück und reichte ihm die Hand.
»Wie habe ich dich geschlagen?«, fragte sie.
Skharr klopfte den leuchtend gelben Staub, der auf seiner Kleidung lag, ab. »Indem du irrsinnig schnell bist? Ist es das, was diese Klingenmeister euch beibringen?«
Sera schüttelte den Kopf. »Nein. Du bist irrsinnig schnell. Na ja, zumindest für deine Größe. Aber du hast zu lange mit einem Hammer oder einer Axt gekämpft und musstest deshalb deine Kraft in jeden Schlag mit einer unausgeglichenen Waffe stecken. Schwerter sind ausgeglichen, zart und präzise. Selbst ein Kind kann gut mit einem Schwert umgehen.«
Sie hatte nicht Unrecht. Das Langschwert aus dem Turm und das Schwert des Klingenmeisters waren exquisit. Da er sie aber nicht beherrschte, hatte er widerwillig beschlossen, sie zu verkaufen, um Geld für die Waffe, die er bei den Zwergen in Auftrag gegeben hatte, zu bezahlen. Er hatte sie durch eine viel einfachere, aber dennoch gut geschmiedete Klinge ersetzt. Allerdings zog er es immer noch vor, während dem Üben ein Übungsschwert zu benutzen. Sie hatte darauf bestanden, dass sie nicht wirklich in Gefahr war.
»Was würdest du mir also empfehlen?«, fragte er, hob das Holzschwert hoch und musterte die Schneide sorgfältig.
»Effizienz«, antwortete sie einfach, schwang das Schwert in hohem Bogen über ihren Kopf und dann in zwei kühnen Bewegungen auf beiden Seiten nach unten. »Wenn man von der Schulter aus schwingt, ist der Schlag kraftvoller und in manchen Fällen ist das bei einer unausgewogenen Waffe auch notwendig. Aber beim Schwert verringert sowie verlangsamt das fehlende Gewicht am Ende der Klinge die Wirksamkeit deines Hiebes. Noch wichtiger ist, dass es jedem erfahrenen Kämpfer zeigt, was du tust und zwar so rechtzeitig, dass er reagieren kann. Das ist der Grund, warum du die Klingenmeister, denen du begegnet bist, nur mit verzweifelten Mitteln, die sie nicht von jemandem erwarten würden, selbst wenn sie deine Bewegungen lesen und vorhersehen könnten, besiegen konntest. Sie erwarteten eine Art Falle und fanden etwas Einfaches und gleichzeitig Effektives.«
Skharr nickte, während sie mit einfachen, langsamen Bewegungen demonstrierte, wie sie ihr Gleichgewicht und ihre Deckung aufrechterhielt.
Er ahmte sie vorsichtig nach. Ihre Bewegungen waren ein wenig seltsam und seine Muskeln wehrten sich, da sie in gelernte Muster zurückfallen wollten, aber in den letzten Wochen des Trainings mit dem Schwert war er mit diesem Kampfstil vertrauter geworden.
»Manche Menschen sind nicht dafür geschaffen, die Kunst der Klingenbeherrschung zu perfektionieren«, meinte Sera. »Ich würde sagen, nachdem ich dich eine Axt und einen Hammer schwingen gesehen habe, dass du zu sehr daran gewöhnt bist, dich auf deine natürliche Stärke und Schnelligkeit zu verlassen. Nur so hast du bisher jeden Feind, der das Pech hatte, in deine Reichweite zu kommen, überwältigt. Oder auf deine Geschicklichkeit im Umgang mit dem Bogen oder anderen Wurfwaffen, wenn deine Gegner weit genug entfernt sind. Das hat dir bisher das Überleben ermöglicht, aber der Lauf der Zeit bleibt der unbesiegte Sieger. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind ist ihm ausgesetzt, so auch du. Du kannst es natürlich hinauszögern, indem du deine Technik bis dahin perfektionierst.«
Es war frustrierend. Langsame, präzise Bewegungen waren nicht das, was er ausführen wollte, wenn er eine Waffe in der Hand hielt. Dennoch wollte er das Schwert beherrschen oder zumindest in der Lage sein, die Bewegungen und Taktiken derer, die es beherrschten, vorauszusehen. Die letzten Begegnungen mit den beiden Klingenmeistern hatte er nur knapp überlebt und er wollte für die dritte besser vorbereitet sein.
Er unterbrach, als ein tiefes Horn im Lager ertönte. Er verzog das Gesicht, als er feststellte, dass die Sonne auf seiner Haut brannte, obwohl es erst ein paar Stunden nach Sonnenaufgang war.
»Es wird heute sehr heiß werden«, äußerte Sera, während sie ihr Schwert an den Gürtel hängte. »Wenn es etwas gibt, das ich an der freien Natur genieße, dann ist es, dass wir diejenigen, die uns schaden wollen, schon Kilometer vorher sehen können.«
Sie hatte schon wieder nicht Unrecht. Sie waren in einem hektischen Tempo gereist, um der Gruppe, die sie in den letzten Tagen verfolgt hatte, voraus zu sein. Im Osten waren bereits Staubwolken zu sehen und so wussten sie, dass ihre Verfolger in Bewegung waren.
»Sie werden uns heute einholen«, merkte Skharr an, als sie zu ihrem Lager zurückkehrten, das die anderen in Vorbereitung auf den bevorstehenden Marsch schon abgebaut hatten. »Wir müssen in einer vorteilhaften Position sein, wenn sie uns einholen.«
»Es ist ein wenig schwierig, eine Karawane von Händlern in eine vorteilhafte Position zu bringen.«
»Sie haben uns bei unseren nächtlichen Zwischenstopps nicht überholt, obwohl sie es hätten tun können.« Er reichte ihr das Übungsschwert, hob seines auf und warf es sich zusammen mit dem Köcher und Pfeilen über den Rücken. Sein Kriegsbogen war bereits gespannt und auf Pferds Rücken geschnallt, allzeit bereit.
»Was sagt dir das?«
»Sie sind nur leicht bewaffnet und ausgerüstet. Sie nutzen vor allem ihre Schnelligkeit, um ihre Beute zu überholen und danach zu überwältigen. Sie sind nicht an einem fairen Kampf interessiert. Wenn wir ein paar von ihnen verletzen können, bevor sie sich trauen, uns anzugreifen, werden sie vermutlich nicht angreifen, sondern ihre Leute versorgen und sich eine weniger aggressive Beute suchen.«
»Woher weißt du das?«
»Die westlichen Clans sind ziemlich berechenbar. Die Anzahl ihrer Leute muss streng überwacht werden und das schließt sinnlose Kämpfe, vorwiegend welche, die so nah an der Wüste sind, aus.«
»Wenn du ihr Gruppenführer wärst, was würdest du tun?«
Skharr musterte die Umgebung und zeigte in die Richtung, in die sie bald reisen wollten. »Sie werden versuchen, uns in diese Schlucht zu drängen. Dort werden sie uns in die Enge treiben und von oben mit Pfeilen und Speeren angreifen. Sobald unsere Krieger tot sind, werden sie hinunterklettern, um den Rest zu erledigen.«
»Wäre dein Clan auch so vorgegangen?«
»Nein. Mein Clan lebt in den Bergen.« Er hob den Finger und deutete weiter westlich auf die Bergkette, die sich in der Ferne erhob. »Ihre Opfer sind die Leute, welche die Pässe und Pfade begehen. Wir verfolgten niemanden, sondern warteten, bis sie zu uns kamen. Dann ließen wir von den Felsen aus Pfeile auf sie herabregnen. Allen Kriegern wurden von klein auf beigebracht, wie man diese hinaufklettert.«
»Das erklärt wohl auch dein Geschick mit dem Bogen.«
»Wenn man lernt, bei Wind, Regen, Graupel und Schnee auf etwas zu schießen, das sich hundert Meter unter einem befindet, während man dazu noch auf einem instabilen Fels sitzt, dann entwickelt man diese Fähigkeiten.«
Sie lachte. »Nun, ich hoffe, dass die gleichen Fähigkeiten uns davor bewahren werden, auf ähnliche Weise angegriffen zu werden. Ich würde dich persönlich dafür verantwortlich machen.«
»Das könnte euch alle umbringen. Ich habe vor, nach dieser Reise ein langes und glückliches Leben zu führen.«
»Und ich habe vor, dich jeden wachen und schlafenden Moment deines neuen Lebens heimzusuchen, wenn ich hier draußen in dieser verdammten Wüste sterbe.«
»Gute Gesellschaft ist nie etwas, worüber man traurig sein muss.«
»Glaube mir, ich wäre keine gute Gesellschaft.«