I n der Nacht zuvor hatte es keine Spur von dem frisch ernannten Prinzen gegeben. Er nahm das als einen Beweis dafür, dass alles planmäßig gelaufen war und schlief so friedlich, wie er es sich bisher nur wünschen konnte.
Ingold beobachtete, wie die Sonne langsam hinter den Stadtmauern hervorkam. Man hörte den üblichen Lärm der Bürger, die ihren Geschäften nachgingen.
Von dem Prinzen gab es immer noch keine Spur.
Er war mit der Erwartung, dass die Wachen, die mit dem Prinzen gegangen waren, mit der guten Nachricht zurückkehren würden, zu Bett gegangen. Allerdings krähte bereits der Hahn und es waren immer noch keine der Wachen oder ihre Männer erschienen, wodurch ihm klar wurde, dass etwas schiefgelaufen war. Die Stadt war noch nicht in Aufruhr versetzt, weil ein Sohn des Kaisers ermordet wurde, aber es gab auch keinen Aufschrei wegen eines Mordversuchs. Er war sich nicht sicher, was am ehesten die Aufmerksamkeit der Bürger auf sich ziehen würde.
Der Vater des Jungen war zwar nicht übermäßig beliebt, aber einige Leute würden trotzdem versuchen, eine Szene zu machen, um sich bei ihrem Herrscher beliebt zu machen. Adlige und dergleichen waren sonderbar, wenn es um solche närrischen Reaktionen ging.
Das Ausbleiben von neuen Meldungen begann ihn zu nerven und er ignorierte die schläfrigen Bediensteten, die ihm ein Frühstück anboten.
»Aufstehen, ihr faulen Maden!«, brüllte er, als er den Raum, in dem die Wachen schliefen, betrat. Alle befanden sich in dem Raum, der vor der für den Prinzen reservierten Kammer lag. Immerhin sollten sie ihn mit ihrem Leben beschützen.
Sobald sie seine Stimme hörten, sprangen sie von ihren Pritschen auf und nahmen ihre Waffen in die Hand. Einige hatten dies in Sekundenschnelle getan und waren bereit für einen Kampf.
Sie waren die Elite des Kaisers und er hatte nichts anderes von ihnen erwartet.
»Alles in Ordnung, Hauptmann?«
»Nein«, schnappte Ingold, schenkte sich Wasser ein und trank es schnell aus. »Wir haben die ganze Nacht nichts vom Prinzen gehört. Also müssen wir ihn aufsuchen und herausfinden, was mit ihm passiert ist.«
»Sind keine Neuigkeiten nicht ideal?«, fragte eine der Wachen, obwohl sie bereits ihre Rüstung anzog.
»Eher unwahrscheinlich. Es hätte zumindest irgendeine Nachricht geben müssen. Das Ausbleiben der Neuigkeiten macht mich langsam nervös. Wir müssen dafür sorgen, dass der Prinz … sicher ist.«
Die Männer tauschten keine Blicke aus, während sie sich weiter vorbereiteten. Sie wussten, warum sie angeheuert wurden und die Zeit im Kaiserpalast lehrte sie, dass selbst in dieser Stadt die Wände Ohren hatten. Es ergab keinen Sinn, Dinge, die sie bereits wussten, laut auszusprechen.
* * *
Es war ein Segen, dass er die Nacht in der Zivilisation verbringen konnte, aber Skharr hatte Lust auf etwas ganz anderes, als sie zur Gildenhalle liefen. Die vergangene Nacht war lang gewesen und der Junge, den er im Gasthaus kennengelernt hatte, hatte ihm verschwiegen, warum jemand ihn töten wollte, egal wie viel Alkohol er getrunken hatte.
Der Junge betonte lediglich, dass er einen Mann wie den Barbaren an seiner Seite auf dem Stygischen Pfad haben wollte, nachdem alle Krüge, die der junge Mann nur kaufen konnte, ausgetrunken waren.
Man konnte auf jeden Fall über ihn sagen, dass er viel Alkohol vertragen konnte, auch wenn sein Aussehen am nächsten Morgen darauf hindeutete, dass er nicht gewohnt war, so viel in einer Nacht zu trinken.
»Warum können wir nicht einfach … ein wenig warten?«
Der Krieger sah ihn finster an und klopfte ihm grob auf die Schulter. »Der Attentäter arbeitet nicht allein, wenn er sich lieber selbst umbringt, bevor er Informationen preisgeben kann. Er wusste, wo er Euch finden konnte, also würde ich sagen, dass es viele weitere gibt, die seine Rolle übernehmen könnten. Also bleibt man am besten in Bewegung und da wir heute Morgen noch etwas zu erledigen haben, wird es gleich zwei Zwecke erfüllen.«
Tryam stöhnte leise, rieb sich die Schläfen und wandte sich instinktiv von der hellen Morgensonne ab, die bereits auf sie niederbrannte.
»Ich weiß, in welcher Gefahr ich mich befinde.«
»Obwohl Ihr immer noch nicht erklärt habt, warum andere Eure Eingeweide sehen wollen.«
»Die Leute wollen ständig mit ihren Klingen Adlige aufschlitzen.«
»So, wie Ihr es gestern Abend gesagt habt.«
Der Junge schien fest entschlossen zu sein, den Grund nicht zu verraten. Allerdings würde ihn Skharr für seinen eigenen Seelenfrieden zur Rede bringen müssen. In der Vergangenheit hatte er zu viel Zeit damit verbracht, sich von politischen Situationen, in die er geraten war, zu entfernen. Diese hätten vermieden werden können, wenn er sich einfach um seine eigenen Angelegenheiten gekümmert hätte.
Zwar hatte es ihm mehr als nur einen kleinen Reichtum eingebracht, aber letztendlich war es das alles nicht wert.
Im Gasthaus wartete Pferd auf ihn und er hatte nicht vor, wieder ohne Waffen in einen Kampf zu geraten.
Sein Schwert hing über seiner Schulter und würde wahrscheinlich nicht gezogen werden, es sei denn, er würde in einen Kampf verwickelt. Ein Dolch hing an seiner Hüfte, falls etwas Kurzes und Böses notwendig war. Die engen Gassen der Stadt bereiteten ihm Sorgen, denn jeder, der eine Armbrust besaß, konnte sie von oben beobachten und schießen, bevor jemand etwas tun konnte.
Glücklicherweise kamen sie bald an der Gildenhalle an und seine Sorgen um die Sicherheit des jungen Mannes verschwanden allmählich.
Nicht ganz, natürlich. Der Attentäter, der sich in der Nacht zuvor selbst umgebracht hatte, war sehr verzweifelt gewesen. Skharr wusste, dass verzweifelte Männer dumme Entscheidungen trafen.
»Bleibt dicht bei mir«, warnte Skharr in einem strengen Ton.
»Warum?«
»Weil ich nicht Euer Schutzschild sein kann, wenn Ihr nicht in der Nähe seid und ich selbst versucht sein werde, Euch zu töten, wenn ich Euch hinterherrennen muss.«
Tryam nickte und untersuchte die Umgebung interessiert. »Zur Kenntnis genommen. Aber wenn Ihr mich selbst tötet, werdet Ihr nicht bezahlt.«
»Das wird sich schon lohnen.«
Der junge Mann lachte und schüttelte den Kopf, als sie aus der prallen Sonne in den Schatten der Halle traten. Sie war nicht ganz so beeindruckend wie ihr Gegenstück in Verenvan, das wesentlich größer und mit seinen Details ein Unikat war. Die Gildenhalle von Citar war zwar an sich ein großes, stabiles Gebäude, aber nichts hob sie vom Rest der Stadt ab.
Gruppen von Söldnern hatten sich um das Gebäude versammelt, um sich zu unterhalten, Aufträge anzunehmen und Geschäfte zu besprechen. Somit erregten die zwei weiteren Kämpfer keine Aufmerksamkeit, als sie das Gebäude betraten.
»Ich glaube, die Gildenhallen sind absichtlich so gebaut, dass es im Innenraum kühler als draußen ist«, murmelte Skharr, als er den plötzlichen Temperaturwechsel um sich herum spürte. »Überall anders, müssen sie das Gebäude verzaubern, um das zu erreichen.«
»Warum glaubt Ihr, dass dieses nicht verzaubert ist? »
Er zuckte mit den Schultern. »Ich bezweifle, dass sie in der Lage oder bereit dazu wären, jedes einzelne Gebäude der Stadt zu verzaubern und die Magie noch aufrechtzuerhalten.«
Eine Person bemerkte ihre Ankunft sofort, aber glücklicherweise war es ein vertrautes Gesicht.
Sera winkte ihnen zu und bat den Mann, mit dem sie sich unterhielt, zu warten, bis die beiden anderen Männer zu ihnen kamen.
»Nun, es ist schön, dich lebend und einigermaßen unversehrt zu sehen«, rief sie, als beide in Hörweite waren. »Obwohl ich nicht erwartet hätte, dass du so schnell ein Straßenkind findest.«
»Ich bin kein Straßenkind«, brummte Tryam.
Sie nickte lediglich und schien nicht sehr überzeugt. »Was ist seine Geschichte?«
»Zwar habe ich noch nicht alles erfahren können, aber wie es aussieht, braucht er jemanden, der sich mit Verliesen auskennt. Zufälligerweise bin ich genau für diese Art von Abenteuern der richtige Mann.«
Diese Aussage überraschte seinen Begleiter und er starrte den nun lachenden Skharr
an.
»Was meint Ihr damit?«, fragte der Junge.
»Fandet Ihr es nicht seltsam, dass ich, ohne auch nur zu zögern, bereit war, Euch in ein Verlies zu folgen?«
Tryam nickte und schien sich zu wundern, wie er diese Tatsache nicht wahrgenommen hatte.
»Der hier ist nicht der Hellste«, bemerkte Sera.
»Das stimmt nicht. Er ist klug genug. Aber letzte Nacht wollte ihn jemand ermorden und er hat den größten Teil der Nacht damit verbracht, seine Sorgen wegzutrinken. Also ist er heute nicht in seinem besten Zustand.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Somit kann ich annehmen, dass du uns auf unserer Rückreise nach Verenvan nicht begleiten wirst?«
Skharr schüttelte den Kopf. »Ich werde unseren Adligen begleiten und versuchen, ihn am Leben zu halten.«
»Es ist besser so.« Die Gildenanführerin verzog ihr Gesicht. »Die Stadtwache ist viel mehr als üblich an den Räubern interessiert. Sie diskutieren mit der Gilde, weil sie die Gefangenen behalten wollen, also muss ich hier bleiben, bis die Situation geklärt ist. Dadurch sollten wir zu dem, was ich dir bereits schulde, noch mehr Geld bekommen.«
»Wenn ich bis dahin nicht zurück bin, kannst du meinen Teil mit dem Rest deiner Männer teilen«, sagte Skharr und drückte ihre Schulter mit seiner Hand. »Wenn ich allerdings bereits zurückgekehrt bin, muss ich mir ihre Zuneigung auf andere Weise erkaufen. Vielleicht mit ein paar Runden Alkohol.«
Die Frau schmunzelte. »Dafür würden sie es sowieso ausgeben. Pass’ auf dich auf. Ich möchte nicht deinen Tod betrauern müssen, Barbar.«
Er nickte, obwohl er nichts versprechen konnte und sie das wusste. Freiwillig ein Verlies zu betreten, würde nie sicher sein.
Er nickte einem Gildenmeister zu, der sich ihre vereinbarten Bedingungen angehört und begonnen hatte, den Vertrag vorzubereiten.
»Seid ihr beide ein Liebespaar?«, fragte Tryam, als der Krieger begann, ein paar Schriftrollen auf dem Schreibtisch anzusehen, während der Gildenmeister arbeitete.
»Nein«, antwortete er.
»Wäre sie also offen, mit anderen intim zu werden?«
Er sah von dem Vertrag, der gerade aufgesetzt wurde, auf und zuckte mit den Schultern, um der Frage auszuweichen. »Möglicherweise. Aber ich bezweifle es.«
»Warum? Ist sie eine Prinzessin, die auf einen echten Prinzen wartet, der sie von einem Leben als Söldnerin befreit?«
»Eigentlich könnte sie eine Prinzessin sein, obwohl ich mir nicht sicher bin, wie die ganze Situation funktionieren würde. Aber nein. Ich rate Euch davon ab, denn wenn Ihr sie verärgert, muss ich Euch vor ihr retten. Allerdings habe ich nicht die Absicht, gegen jemanden, der so geschickt wie die Gildenanführerin Sera Ferat ist, zu kämpfen. Sie hat mir einiges beigebracht und ich wäre nicht darüber erfreut, mich mit ihr messen zu müssen, wenn sie die Absicht hat, mich zu töten.«
Tryams Gesicht zeigte sich Überraschung, was darauf hindeutete, dass er zumindest Seras Namen kannte.
»In Ordnung.«
»Nun, unterschreibt hier …« Skharr deutete auf eine Zeile in der Schriftrolle und der Gildenmeister reichte Tryam eine Feder. »Und ich werde Euch beim Aufsammeln Eures Besitzes begleiten.«
»Dann müssen wir zum Palast der Königin gehen«, antwortete der junge Mann und kritzelte wie aufgefordert seinen Namen. Die Tintenfarbe war zuerst schwarz und wurde sofort rot. Der Gildenmeister nahm die Schriftrolle in die Hand und versiegelte sie mit Wachs. »Und wenn Ihr wirklich befürchtet, dass meine Wachen mich töten wollen, dann solltet Ihr wissen, dass es noch achtzehn weitere von ihnen gibt. Sie werden wahrscheinlich nicht erfreut sein, dass ich nicht mehr an ihren Diensten interessiert bin.«
* * *
Es schien auf jeden Fall die Art von Lokal zu sein, die Tryam besuchen würde.
Ingold hatte viel über den Jungen gehört. Allen Berichten nach war er ein beeindruckender Kämpfer, aber sein Können beschränkten sich auf die eher höfische Form der Schwertkunst. Dazu waren einige seiner Eigenschaften ein wenig zu bürgerlich für einen angehenden Kaiser.
Dadurch waren bestimmte Leute daran interessiert, dass er die Prüfung nicht überlebte. Die meisten wollten dafür sorgen, dass er noch vor Beginn seiner Reise starb. Obwohl es viel einfacher schien, das Verlies die Tat vollbringen zu lassen und es würde dies auch sicherlich tun.
Jedes Jahr starben etliche Abenteurer bei dem Versuch, Verliese zu erforschen. Er hatte nie verstanden, warum sie es überhaupt versuchten. Er nahm an, dass einige verzweifelt genug und andere arrogant genug waren, um gegen berüchtigte Monster zu kämpfen.
Jedoch musste man am Leben sein, um die dadurch gewonnenen Vorteile genießen zu können. Dies schafften so wenige, dass man das Gefühl bekam, es lohne sich nicht.
Tryam musste sich aber durch solche Taten beweisen und es schien, als müsste sich der bürgerliche Junge durch die Tavernen und Gasthäuser der Stadt saufen, um bei der Sache zu bleiben. Allerdings waren sie an einem Ort namens Goldene Oase zu einem sehr plötzlichen Halt gekommen, also hatte er sich wohl nicht unbedingt durch unterschiedliche Lokale getrunken.
Er bemerkte, dass sie hineingetreten und nicht wieder aufgebrochen waren, da ihre Pferde noch im Stall standen.
»Was kann ich für meine Herren tun?«, fragte der Wirt und trocknete sich schnell die Hände, während er auf die Gruppe zukam. »Wir haben nicht genug Platz an einem Tisch für Euch alle, aber wir könnten zwei zusammenschieben, wenn Ihr es wünscht.«
»Wir sind nicht hier, um Eure Kost zu verspeisen«, antwortete Ingold scharf. »In Eurem Stall habt Ihr drei Pferde, die Mitgliedern unserer Gruppe gehören. Wir müssen sie wiederfinden, bevor wir unsere Geschäfte fortsetzen können. Wenn Ihr uns sagen könntet, wo sie sind, werden wir weiterziehen.«
»Ich weiß nicht, wie Gasthäuser in Eurer Heimat funktionieren«, murmelte der Mann, »aber hier ist es nicht üblich, die Informationen der eigenen Gäste offen zu teilen. Egal, wer sie finden möchte. Wenn Eure Kameraden Euch finden wollen, werden sie das auf ihre Weise tun.«
Ingold kniff die Augen zusammen. Er hatte geahnt, dass sich die Bürger dieser Stadt schwertun würden, aber hatte auf ein anderes Verhalten gehofft.
»Ich komme aus der Kaiserstadt. Wenn dort Leute von jemanden mit dem kaiserlichen Adler auf der Brustplatte befragt werden, reden sie üblicherweise. Diejenigen, die es nicht besser wissen, ziehen den Zorn des Kaisers auf sich.«
»Falls der Zorn des Kaisers nun auf mir liegt, weiß er, wo er mich finden kann«, antwortete der Gastwirt. »Bis dahin müsst Ihr mit Eurer Gruppe das Gasthaus verlassen. Es sei denn, Ihr möchtet doch hier speisen.«
Ein paar seiner Männer griffen zu ihren Waffen, da sie wahrscheinlich beabsichtigten, den Mann einzuschüchtern und so die gewünschten Informationen zu bekommen.
Er konnte auch die abrupten Geräusche der anderen Gäste, die mit ihnen im Gemeinschaftsraum saßen, wahrnehmen. Ihr Herrscher war in dieser Gegend kein beliebter Mann und einige der Gäste schienen Adlige, die ihre Familienwappen in der einen oder anderen Form trugen, zu sein.
Wegen der offensiven Geste der Wachen legten sie ebenfalls ihre Hände an ihre Waffen.
Schnell hob er seine Hand, um seine Männer zu stoppen und die Situation nicht eskalieren zu lassen. Er konnte bessere Dinge in seinem Leben tun, als in eine Schlägerei verwickelt zu werden.
»Sollten unsere Kameraden wieder hierherkommen, richtet ihnen aus, dass Hauptmann Ingold nach ihnen gefragt hat.« Nun winkte er mit seiner Hand, damit seine Männer wussten, dass sie sich entfernen und das Gasthaus verlassen sollten, bevor es noch schlimmer wurde.
»Ich werde tun, was ich kann«, erwiderte der Gastwirt und schien von der ganzen Angelegenheit unbeeindruckt zu sein, während er sich wieder dem Abwasch des Geschirrs widmete.