E ine unangenehme Kälte lag in der Luft.
Vielleicht fühlte er sich aber auch unbehaglich, weil es noch früh am Morgen war. Er war nicht gegen das Konzept des Aufstehens vor dem Morgenaufgang, aber er konnte sich trotzdem nicht daran gewöhnen. Er bevorzugte es, die ganze Nacht wach zu bleiben und den Morgen größtenteils zu verschlafen.
Allerdings hing nun sein Leben davon ab. Der Prinz war sich nicht sicher, warum Skharr ihn in seinem Kampf unterstützte. Obwohl er die Unterstützung des Mannes zu schätzen wusste, gab es keinen Grund für ihre Zusammenarbeit. Er schien einfach ein Barbar zu sein, der von seinem Leben gelangweilt war und sich auf jeden potenziellen Kampf auf seiner Reise einließ.
»Warum seid Ihr hier?«, fragte Tryam, während sie neben den Wachen der Königin ritten, welche sie begleiteten.
»Weil achtzehn kaiserliche Eliten darauf aus sind, Euch zu ermorden. Dadurch müssen wir die Stadt frühzeitig verlassen, um ihnen und jeder Falle, die sie uns stellen könnten, zu entkommen.«
»Nein, ich meine Euch. Leute mit Euren… besonderen Neigungen bleiben normalerweise auf der anderen Seite der Berge und kämpfen in Kriegen, die außerhalb des Einflusses des Reiches wüten.«
»Welche Neigungen habe ich Eurer Meinung nach?«
»Zum einen der Blutrausch. Ihr genießt die Hitze des Gefechts, den Kampf und das Blut, das von Eure Klinge fließt, nachdem Ihr einen anderen armen Kerl aufgeschlitzt habt. Außerhalb des Kaiserreichs gibt keinen Mangel an solchen Kämpfen. Sie würden Euch Schlösser, Frauen sowie Macht oder alles andere geben, was Ihr Euch wünscht. Allerdings nur, wenn Ihr so kämpft, wie Ihr es hier getan habt.«
Ein merkwürdiger Ausdruck überkam das Gesicht des Mannes, welches vom Fackelschein beleuchtet wurde und er bereute die Frage sofort.
»Ich weiß, ich sollte nicht neugierig sein«, gab er zu und trieb sein Pferd zu einem schnelleren Tempo an. »Aber es gibt nichts besseres zu tun, während wir zum Tor reiten. Oder besser gesagt, ich reite und Ihr geht. Wozu besitzt man ein Pferd, wenn man es nicht reiten will?«
»Man reitet nicht auf Brüdern.«
»Das Pferd … ist Euer Bruder?«
»Nicht durch Blut.«
Die Tatsache, dass der Barbar eine Klarstellung für nötig hielt, brachte Tryam zum Lächeln.
»Es gibt Kriege, in denen ich kämpfen könnte«, sagte Skharr schließlich. »Aber die Regeln ändern sich, wenn man in einem Krieg kämpft. Es sind Regeln, die nicht wieder in Kraft gesetzt werden können, wenn sie erst einmal gebrochen werden. Das Schlimmste aller Kreaturen kann so freigesetzt werden und … nun, wenn man Kriege gegen Magier führt, kann das Schlimmste schreckenerregend sein.«
Der junge Prinz nickte, als sie sich dem Tor näherten. Die Straßen waren noch leer, was das Vorankommen sehr erleichterte und die Wachen hielten stets ihre Stellung. Sie sahen sich ständig um, um sicherzugehen, dass sich hinter den Fenstern keine Attentäter, die mit einem einzigen Armbrustbolzen die Situation schlagartig ändern konnten, versteckten.
Glücklicherweise gab es kein Hinterhalt und sie erreichten ungehindert die Mauern, wo bereits eine Handvoll Wachen wartete. Die wartende Gruppe lehnte sich an einen nahe gelegenen Pfosten und gähnte so weit, dass es schien, als würde ihr Kiefergelenk jeden Moment nachgeben.
»Sind das die Scheißer?«, murmelte einer von ihnen. »Vielleicht der Riese, aber der Schwächling auf dem Pferd sieht aus, als sollte er sich am Rock seiner Mutter festhalten.«
»Der Schwächling kann Euch hören«, erwiderte Tryam.
»Oh … Entschuldigung, mein Herr.«
Skharr grinste. »Nein, Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen. Ihr habt es offensichtlich ernst gemeint und es gibt keinen Grund, sich zu verstellen, nur weil der Scheißkerl, der seine Mutter geschwängert hat, zufällig etwas reicher ist als die meisten anderen Leute.«
Der Prinz verengte die Augen. Es ergab keinen Sinn, einen Streit zu starten. Die Männer würden ohnehin schon Ärger bekommen und er sollte sich nicht die Mühe machen, da sie die Konsequenzen nicht sehen würden.
»Zum Tor«, wies eine der Wachen an und forderte sie mit einem Winken zum Folgen auf. Tunnel führten durch die Mauern und in den Untergrund. Er war groß genug, damit ein Pferd hindurchgehen konnte, aber nicht ein Mensch auf einem Pferd. Tryam stieg ab und ging zu Fuß.
Die Wachen stießen eines der Tore auf. Es war gut in der Mauer versteckt und nicht erreichbar für eine Armee, die von außen angriff.
Ihre Pferde verließen zuerst den Tunnel und die beiden Männer folgten ihnen.
»Viel Glück auf Eurem Abenteuer, Prinz Tryam«, rief der Wachmann, als sie das Tor wieder schlossen.
Er nickte und vergewisserte sich, dass das Lastpferd ihm folgte. Skharr musterte das Tor, während es wieder mit der Mauer verschmolz.
»Es ist verschwunden«, stellte der Barbar überrascht fest. »Das muss Magie sein.«
»Oder geschickte Technik. Ich habe gesehen, was kluge Menschen mit ihren Händen und ihrem Verstand anstellen können. Manche Kräfte da draußen sind nicht nur von magischer Natur.«
Sein Begleiter nickte und klopfte seinem Pferd auf den Hals. »Gut, dann schlage ich vor, dass wir von hier verschwinden, bevor der Vorsprung, den wir zu Euren Möchtegern-Attentätern haben, sich in Luft auflöst, während wir den ganzen verdammten Tag mit Plaudern verbringen.«
»Seid Ihr sicher, dass Ihr zu Fuß mithalten könnt?«, fragte Tryam, als sie auf die Straße zugingen. »Vor allem, wenn die Sonne aufgeht und Ihr Euch zweifellos nach etwas Ruhe sehnen werdet.«
»Ich sage Euch mal was«, antwortete Skharr mit einer neutralen Miene. »Sobald ich zu müde zum Laufen bin, steige ich auf Pferd und wir setzen unseren Weg fort.«
»Auf … dem Pferd?«
»Ja, auf Pferd.«
»Warum habt Ihr Eurem Pferd keinen Namen gegeben? Alle Pferde verdienen einen ehrwürdigen, königlichen Namen.«
»Habe ich. Pferd.«
Tryam kniff seine Augen zusammen. »Ihr habt Euer Pferd … Pferd genannt?«
»Pferd ist ein königlicher Name. Jedes Pferd ist der Krone würdiger als jeder Mann, den ich je getroffen habe. Das macht Pferd zu einem königlicheren Namen als … jeden anderen.«
Der Prinz legte den Kopf schief und ließ sein Reittier in lockerem Tempo gehen. »Ich habe mein Pferd Yulroy genannt. Meine Mutter sagte, das sei der Name ihres Vaters. Er war ein berühmter Krieger und ein Held ihres Volkes. Sie hat mir nie erzählt, was ihn zu einem Helden machte, aber ich habe alle meine Pferde nach ihm benannt, auch wenn ich bisher nur zwei Hengste besaß.«
»Wie würdet Ihr eine Stute nennen, wenn Ihr eine hättet?«
»Wie würdet Ihr eine nennen?«
»Pferd. Die Genitalien ändern nichts am edlen Charakter des Tieres.«
Pferd schnaubte.
»Natürlich könnte er anders denken«, fuhr der Riese fort. »Er hat sein Leben als Apfelesser und Vater von unzähligen Fohlen aufgegeben, um sich mir auf diesem lächerlichen Weg anzuschließen.«
»Was?«
Skharr tätschelte den Hengst und kratzte seine Stirn. »Ich habe ihn bei einem Hof in der Nähe von Verenvan abgegeben. Dort sollte er seine Tage damit verbringen, durch die Felder zu streifen, zu fressen und zu vögeln. Jedoch ist er entkommen und hat zwei Tage später den Weg zurück zu mir gefunden.«
Nach ein paar Augenblicken lachte Tryam. »Nun, um Eure Frage zu beantworten, ich würde meine erste Stute Kalasha nennen. Das ist der Name meiner Mutter. Wenn es jemals eine Königin auf der Welt gab, die nie ihre Krone tragen durfte, dann war sie es.«
»Kalasha. Das ist ein schöner Name.«
»Das glaube ich auch.«
Der Krieger klopfte Pferd erneut auf den Hals. »Kommt mit. Ich werde Euch zeigen, warum TodEsser nicht auf Pferden reiten müssen, wenn sie die Welt bereisen.«
Er begann zu rennen und das Tier trabte hinter ihm her. Der Prinz lachte und trieb sein Reittier in den Trab, um mit ihm Schritt zu halten. Er rechnete damit, dass sein Gefährte bald langsamer werden würde, damit er sich etwas ausruhen konnte.
Es dauerte nicht lange, bis die Sonne am Horizont aufstieg und unbarmherzig auf die Landschaft herabloderte. Dennoch rannte der Barbar weiter. Tryams Pferd begann unter ihm zu schwitzen und zu hecheln und dem Lastpferd erging es nicht besser.
Skharr schwitzte und atmete schwer, aber er rannte trotzdem weiter. Er trug keine Rüstung und das meiste seines Gepäcks lag auf Pferds Rücken. Er verhielt sich so, als ob er die Hitze der Sonne oder irgendeine Art von Anstrengung in seinen Gliedern nicht spüren konnte.
Als schließlich einige Stunden vergangen waren, blieb ihnen nichts anderes übrig, als eine Pause zu machen.
»Die Pferde müssen sich ausruhen«, sagte Tryam entschlossen. »Ich weiß nicht, wie Ihr unter diesen Bedingungen stets weiterlaufen könnt, aber die Pferde können bei dieser Hitze ohne eine Pause nicht weitergehen. Es könnte sie noch umbringen.«
Der Barbar nickte zustimmend, stützte sich auf ein Knie und atmete tief ein, bevor er den Trinkschlauch aus seinem Beutel nahm und begierig daraus trank. Aus einem anderen Schlauch schüttete er etwas in einen kleinen Eimer und hielt ihn unter Pferds Maul, damit er trinken konnte.
»Seid ehrlich«, murmelte der potenzielle Erbe, als er abstieg und seinem Pferd ebenfalls Wasser anbot. »Ihr habt nicht-menschliches Blut in Euch, oder? Eure Größe deutet natürlich darauf hin, aber was genau seid Ihr? Ihr übersteigt selbst die Grenzen der einfachen Sterblichen.«
Der Riese lachte und tätschelte Pferd sanft. »Ich bin ein TodEsser. Das sollte alles andere erklären, was Ihr wissen wollt.«
»Wollt Ihr damit sagen, dass alle TodEsser Eure Stärke und Ausdauer besitzen?«
»Die meisten, aber nicht alle. Ein paar meiner Verwandten sind sehr faul, obwohl solche TodEsser, die nicht viel aus sich machen, meist jung sterben. Oder sie verlassen den Clan und schließen sich Handelskarawanen an. Diese leben von dem Ruhm, den andere TodEsser für unseren Clan erlangt haben. Es ist leider keine Seltenheit, auch wenn sie sich nie wieder beim Clan blicken lassen würden. Dennoch können sie ihren Lebensunterhalt für kurze Zeit verdienen, bis jemand vorbeikommt und ihre vermeintliche Stärke testet.«
»Ich nehme an, Ihr habt etliche Personen, die behaupten stark zu sein, getestet?«
Skharr zuckte mit den Schultern. »Nur wenn sie es verdienen. Ich bevorzuge, meine Stärke in einem Kampf mit reisenden Dieben zu testen.«
Tryam streckte und entspannte sich ein wenig, als seine Glieder sich lockerten. »Na dann los. Wir müssen in Bewegung bleiben. Die Karte verzeichnet eine kleine Siedlung in der Nähe eines Brunnens. Dort können wir unsere Wasservorräte wieder auffüllen. Wenn wir wieder aufbrechen, sollte es nicht lange bis zum Einbruch der Nacht dauern. Danach sollten wir diese verdammte Wüste endlich verlassen können.«
Sein Begleiter nickte und rollte mit den Schultern. »Nun gut. Nach Euch, Prinzchen.«
»Ich glaube, ich hätte meine Identität vor Euch verbergen sollen.«
»Ja, aber dann würde kein Vertrauen zwischen uns herrschen. Wollt Ihr mit einem Mann, dem Ihr nicht völlig vertrauen könnt, in ein Verlies gehen?«
»Das ist ein gutes Argument«, gestand Tryam, stieg wieder auf und schnalzte mit der Zunge, um die Pferde in Bewegung zu setzen.
Die Ausdauer des TodEssers wurde weiterhin in der Wüste getestet.
* * *
»Steht auf, ihr mit Ungeziefer übersäte Misthaufen, bevor ich dieses ganze verdammte Lager mit euch gehirnlosen Idioten darin niederbrenne!«
Seine Stimme schallte über ihr Lager und weit darüber hinaus. Da die Mauern seine Stimme zurückwarfen, wurde unterstrichen, dass seine Stimmung sehr mörderisch war.
Die Eliten sprangen auf, zogen ihre Waffen und waren bereit zum Kampf. Ingold überlegte, ob er ihnen ihren Wunsch erfüllen sollte, denn es war an der Zeit, dass er sie aus ihrer Bequemlichkeit, die er ihnen gewährt hatte, in die Realität zurückholte.
»Na los!«, schnauzte er und sah einen nach dem anderen an. »Will einer von euch fragen, warum euer Hauptmann euch so früh am Morgen ausschimpft? Oder wollt ihr einfach nur dastehen und mich anstarren, als ob ihr kein Gehirn habt?«
»Was ist passiert?«, fragte schließlich einer von ihnen.
»Es gibt Neuigkeiten aus dem Palast«, erklärte er genervt. »Unsere Beute ist uns in der Nacht entkommen. Der Prinz und seine barbarische Wache haben sich in der Dunkelheit der Nacht davongemacht und sind aus der Stadt verschwunden. Also stehen wir nun mit keinem Plan da. Was haltet ihr nun von denen, die dachten, wir bräuchten niemanden zur Bewachung des Tores?«
»Sich einfach aus dem Staub zu machen, sieht ihm gar nicht ähnlich«, murmelte eine der Wachen. »Er hat … keinerlei Kalkül. Er besitzt kein Gespür für die Machenschaften, die sich in seinem Umfeld abspielen.«
»Das dachte ich auch, aber jetzt reist er nicht mehr allein, nicht wahr?« Ingold ging an ihnen vorbei, um einen Trinkschlauch hervorzuholen und schüttete sich ein paar Schlücke davon in den Mund. »Dieser Barbar hat die ganze Situation verändert. Wir können nun nicht mehr sein übliches Vorgehen erwarten und das müssen wir in unseren Plänen berücksichtigen. Der erbärmliche, kleine Welpe wird es natürlich nicht weit bringen, aber wir stehen schon Stunden im Rückstand. Räumt das Lager zusammen und seid bereit zum Aufbrechen, bevor die Stunde um ist, sonst brenne ich es nieder. Mit euch, wie versprochen.«
Die Männer setzten sich sofort in Bewegung, aber waren an solche Drohungen gewöhnt. Sie waren nicht unbedingt leer, aber ihr Anführer wusste, dass er keinen Grund haben würde, sie wahr werden zu lassen. Alle würden unverzüglich tun, was ihnen befohlen wurde und sie würden bereit sein, die Verfolgung des Jungen aufzunehmen.
Es war hilfreich, dass sie bereits sein Ziel wussten. Aber wenn sie ihn für einen gesamten Tag aus den Augen verlieren würden, könnte das für sie alle ein böses Ende nehmen. Ein Scheitern würde von ihren Auftraggebern nicht gut aufgenommen werden.
* * *
Die Straßen lagen längst hinter ihnen. Zwar gab es noch einige, die zu ihrem Zielort führten, aber es ergab keinen Sinn, ihnen zu folgen.
Skharr hatte gemeint, dass dies ihren Gegnern nur erleichtern würde, sie zu finden.
Das Reisen abseits der bekannten Straßen verlangsamte sie etwas, aber sie konnten quer durch Gebiete, um die diese Straßen normalerweise führten, gehen. Es war nicht sehr schwierig, sich in der Wüste zurechtzufinden, da die Sonne sowie Sterne ihnen jederzeit zeigten, wo sie sich befanden.
Tryam zwang sich, nicht zu oft aus seinem Wasserschlauch zu trinken. Sie hatten zwar angehalten, um ihre Vorräte wieder aufzufüllen, aber wegen der Hitze und der trockenen Luft war es schwierig, dem Durst nach Wasser zu widerstehen.
Ein paar Schlucke hier und da waren alles, was er sich erlaubte. Skharr schien das Gleiche zu tun und selbst die Ausdauer des Kriegers war langsam erschöpft. Er hatte ihr Tempo fast auf ein normales Gehtempo gebracht.
Jedoch waren sie laut der Karte gut vorangekommen. Sie konnten sich eine kleine Rast erlauben, zumal es bereits dunkel geworden war.
Ohne auch nur ein Wort zu sagen, brachte der Barbar ihre kleine Truppe zum Stehen. Nach ein paar Minuten, in denen sie die Umgebung musterten, öffneten die beiden Gefährten ihre Beutel. Die Sonne färbte den Himmel bereits nicht mehr blau, sondern leuchtend rot, was bedeutete, dass sie den eisigen Abend unter freiem Wüstenhimmel ertragen mussten.
Tryam war etwas überrascht, dass Skharr ihnen erlaubte, anzuhalten. Er hatte angenommen, dass sie die gesamte Nacht reisen würden.
Jedoch fügte er sich, ohne Skharr infrage zu stellen. Er stieg aus dem Sattel und nahm dem Lastpferd den größten Teil des Gepäcks ab, damit sich beide Tiere beim Essen ausruhen konnten.
Der Barbar war jedoch noch nicht bereit, sich für den Tag niederzulassen. Er hatte begonnen, seine Rüstung anzulegen, so lächerlich es auch erschien.
»Was macht Ihr da?«, fragte Tryam und brach endlich das Schweigen zwischen ihnen.
»Ich … meine Lehrerin, die mir den Schwertkampf beibrachte, sagte, ich müsse jeden Tag üben. Normalerweise übe ich morgens, aber da wir vorhin zu beschäftigt waren, muss ich es jetzt tun. Habt Ihr Lust, Euch mir anzuschließen?«
Verblüfft starrte der Prinz ihn an. Er konnte nicht verstehen, wie der Mann den ganzen Tag rennen konnte und immer noch die Energie zum Üben in voller Rüstung besaß.
Dennoch wollte er sich von dem Krieger nicht übertreffen lassen. Tryam saß den größten Teil des Tages im Sattel, weshalb ihn das Anregen seiner Durchblutung durch etwas Sport reizte.
Er zog seine Rüstung schnell an, während er bemerkte, dass Skharr nicht den Bogen oder die Äxte, sondern das Schwert aus seinem Bündel nahm.
»Aber warum müsst Ihr trainieren?« Tryam zog sein Schwert und schwang es hin und her, um seine Handgelenke zu lockern. »Ihr seid ein Veteran, also könnte ich mir vorstellen, dass Eure Ausbildung in der Vergangenheit liegt.«
»Ich war nie gut mit dem Schwert«, erklärte sein großer Begleiter. »Ich habe immer die Axt bevorzugt oder, wenn keine vorhanden war, einen Hammer. Ich beschloss, dass es an der Zeit war, dies zu ändern und meine Lehrerin war einverstanden.«
Er nahm eine hohe Deckung ein und machte eine Vielzahl von langsamen Schlagbewegungen, bei denen er die Klinge aus fast jedem Winkel kraftvoll schlug.
Der Prinz erinnerte sich an die Ausbildung, die er absolviert hatte. Die Adlerdeckung war ein guter Anfang und er ahmte die Bewegungen nach. Sein Körper begann sich bei den verschiedenen Bewegungen ein wenig zu entspannen.
Es fühlte sich wie eine Aufwärmung an und er stellte mit Interesse fest, dass Skharr wesentlich geschickter als viele Soldaten mit dem Schwert umging.
Andererseits bestand die Ausbildung der meisten Soldaten darin, wie man die Speere anderer senkt und auf das Speerende trat.
Nach ein paar Minuten dieser Übung unterbrach Tryam und streckte seine Arme. »Wie wäre es mit einem kleinen Übungskampf, jetzt, wo wir aufgewärmt sind?«
Der Barbar nickte und nachdem er die Scheide über sein Schwert gestülpt hatte, drehte er sich und nahm die gleiche hohe Deckung wie zuvor ein. Der junge Mann tat es ihm gleich und ihm wurde zum ersten Mal bewusst, wie groß sein Übungspartner war.
Sein Gegner wagte den ersten Schritt nach vorn und schlug mit seiner Klinge nach unten. Der Prinz wich zurück und versuchte, die Klinge zur Seite zu drücken, während er versuchte, einen Gegenangriff auf Skharrs ungeschützte Flanke zu starten.
Doch der Riese hatte sich bereits bewegt und Tryam hatte nur einen kurzen Moment, in dem er bemerkte, dass sein Gegner nun einer leicht angewinkelten Position stand, bevor die Klinge des Barbaren hinter ihn glitt und sich in seiner Kniekehle einhakte. Es brachte ihn aus dem Gleichgewicht und zu Boden, als die Waffe ihm ins Gesicht schlug.
Die Situation war noch schlimmer für Tryam, da er konnte spüren, dass der Mann sich bei seinen Hieben zurückhielt.
Die harte Landung raubte ihm den Atem. Er lag auf dem Rücken und erschrak, als das Schwert gegen seinen Hals drückte.
»Ich dachte, Ihr wärt nicht besonders gut mit dem Schwert«, murmelte Tryam und nahm die angebotene Hand des Mannes an, um wieder auf die Beine zu kommen.
»Das war ich nicht«, gab Skharr zu. »Aber ich habe von den Besten gelernt.«
»Gildenanführerin Ferat?«
»Höchstpersönlich. Sie ist eine Klingenmeisterin und eine der besten Kämpferinnen, die ich je gesehen habe. Ich schäme mich nicht, zuzugeben, dass sie mir mehr als nur ein paar blaue Flecken zugefügt hat, während sie mich unterrichtete.«
»Also sollte ich lieber sie als Lehrerin anheuern.«
»Das wäre zu empfehlen, aber bis dahin muss ich ausreichen.«
Der junge Prinz hob sein Schwert und ging in Stellung. »Ihr solltet Euch nicht unter Eurem Wert verkaufen. Wie habt Ihr das gemacht? Ich meine, das Treffen meiner Kniekehle und meinem Kopf in einer einzigen Bewegung.«
»Es ist einfach, aber es erfordert etwas Übung.« Skharr schwang sein Schwert und zeigte ihm die Bewegungen. Danach trat er zur Seite, schwang das Schwert nach oben und schlug gegen Tryams Kniekehle, wo er beim letzten Mal härter zugeschlagen hatte. Von dort aus setzte er den Schwung für den Schlag gegen den Kopf fort.
»Das werde ich mir merken müssen«, murmelte der Junge.
»Aber Ihr könnt doch auch mit dem Schwert umgehen, oder?«, fragte der Barbar, während sie weiter kämpften. »Eine Ausbildung?«
»Ja, aber nicht ganz so, wie Ihr es erwarten würdet. Ich trat mit vierzehn Jahren der Armee meines Vaters bei. Allerdings war ich nur Knappe und kämpfte mit ihnen in ein paar Feldzügen, bis ich siebzehn war. Danach nahm ich bei den Turnieren in der kaiserlichen Arena teil und kämpfte dort drei Jahre lang, wobei ich jedes Jahr die Goldmedaille gewann. Damals war ich noch viel athletischer.«
»Eine Arena?«
»Ja …« Er unterbrach, als er sich schnell bewegen musste, um einem Schlag gegen den Kopf auszuweichen, aber stattdessen bekam er einen Stoß in den Bauch. »Die Schaukämpfe und blutigen Sportarten sind am beliebtesten, aber ich habe bisher nur beim Kaiserturnier teilgenommen und nicht bei der Meisterschaft, wo man einem einzigen Gegner gegenübersteht und viel strengere Regeln gelten. Töten ist nicht erlaubt, aber das Verwunden seines Gegners. Am Ende waren meine Siege… Verdammt!«
Skharr lachte, als er den jungen Angreifer wieder aufhalf. »Ihr müsst daran denken, dass Ihr mit mehr als nur Eurem Schwert kämpfen könnt. Ein schneller Tritt gegen die Knie Eures Gegners wird den Kampf ebenso sicher beenden wie ein Hieb gegen die Kehle.«
»Und Ihr habt Euch dazu entschieden, mir die Beine wegzutreten«, brummte Tryam. »Das weiß ich zu schätzen, aber das müsst Ihr mir auch noch beibringen.«
»Sehr gerne. Aber Ihr habt mir gerade erzählt, was mit Euch nach Eurem dritten Sieg in der Arena passiert ist.«
Er richtete sich auf und klopfte den Staub aus seiner Rüstung. »Als ich die Goldmedaille zum dritten Jahr in Folge mit den meisten Siegen über die anderen neuen Ritter gewonnen habe, behaupteten viele, ich sei der wahre Erbe des Reiches, welches meinem Vater gehört.«
»Wahrscheinlich wollten sie, dass Ihr Euch an ihre Unterstützung erinnert, wenn Ihr den Thron besteigen solltet.«
»In der Tat. Es verging ein Jahr, in dem ich lernte, richtig aufzutreten und die edlen Künste des Überredens und der Arschkriecherei zu beherrschen.«
»Arsch …«
»Arschkriecherei.«
Skharr nickte. »Ich habe noch nie gehört, dass es jemand so nennt.«
Der junge Prinz lachte. »Das Dasein des Adels besteht eher aus der Kunst der Arschkriecherei und das Verteidigen gegen diejenigen, die andere Ärsche geschickter küssen als man selbst. Falls ich Kaiser werden sollte, werde ich wohl etwas weniger damit zu tun haben. Allerdings muss man sich ziemlich viel hinunterbeugen und das Küssen erlauben.«
»Das ist ein … sehr anschauliches, geistiges Bild.« Der Barbar zuckte zusammen und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich würde lieber mit meinem Stahl handeln.«
Er seufzte. »Ja, ich muss zugeben, dass der Geschmack von Arsch am Morgen ziemlich schrecklich ist. Man muss unter so viel Scheiße leiden, wenn man ein Königreich friedlich regieren will. Da erscheint einem Herrscher das bloße Töten von Personen, die einem missfallen, als große Verlockung.«
Sein Begleiter stoppte und trank einen Schluck aus seinem Wasserschlauch. »Ja, aber letztlich wird man daran erinnert, dass die Untertanen eines Kaisers weit in der Überzahl sind.«
Das war ein gutes Argument und Tryam nutzte den Moment, um ebenfalls ein wenig Wasser zu trinken. »Glaubt nicht, dass Eure Spielchen mich täuschen, Barbar. Ihr mögt einer der Besten bei gewalttätigen Handlungen und ein Barbar von Geburt sein, aber meine Augen sagen mir, dass Ihr in mehr als einer Hinsicht gefährlich seid. Ich habe bemerkt, wie Ihr mit manchen wie ein dummer Ochse und mit anderen wie ein gelehrter Mann gesprochen habt. Eure listige Art ist mir nicht entgangen. Außerdem habe ich beobachtet, wie Ihr die Reaktion anderer registriert. Wenn ich Euch als Mentor gehabt hätte, würde mein Leben jetzt anders aussehen.«
»Ich stimme Euch zu.« Skharr nickte und sein Blick fiel auf die immer dunkler werdende Wüste um sie herum. »Ihr hättet Euch nämlich nicht dazu entschlossen, den Thron Eures Vaters anzustreben. An Eurer Stelle würde ich nun die Scheide Eures Schwertes abnehmen.«
Der Kandidat sah ihn erstaunt an. »Warum? Glaubt Ihr wirklich, ich würde es riskieren, Euch im Training zu verletzen, auch wenn es lediglich ein Unfall wäre?«
»Nein, aber die anderen hinterhältigen Arschlöcher, die Ihr absichtlich verletzen wollt, kommen näher.«