Kapitel 11

E s war unfassbar. Das konnte ihnen nicht passieren, nicht jetzt. Er wurde nervös, da er unbedingt weiterreisen wollte, aber alles in der Stadt wollte ihn scheinbar so frustrieren, dass er in den Wahnsinn getrieben wurde.

Die Wachen hatten anscheinend die ganzen Geschäfte der Stadt verzögert und er hatte das Gefühl, dass ihnen diese Aufgabe Spaß bereitete.

Ingold holte tief Luft und spürte, dass sich seine Nervosität auf die Pferde übertrug. Es war ein Fehler gewesen, in die Stadt zurückzukehren, um das Nötigste für die Reise zu besorgen. Jedoch war keiner aus seiner Gruppe bereit, ohne die richtigen Vorräte in die Wüste aufzubrechen und er würde auch keinen seiner Männer mit leerem Magen und trockenem Mund in die Schlacht ziehen lassen.

Als er allerdings sah, wie die Sonne im Westen allmählich niederging, konnte er nicht fassen, dass sie diese höllisch verdammte Stadt noch nicht verlassen hatten.

Aus irgendeinem unerklärlichen Grund hielten die Wachen alle Personen, die die Stadt verlassen wollten, auf. Das hatte den Verkehr zu einem Kriechtempo gebracht und die festgehaltenen Karawanen und Gruppen füllten nun die engen Seitengassen.

Irgendwie hatte er zugelassen, dass er und seine Männer in die Sache hineingezogen wurden.

Die Hitze war unerträglich und das Gedränge der Menschen, die ebenfalls in dem Durcheinander auf den Straßen gefangen waren, machte dies zu einem der schlimmsten Momente seines Lebens.

Er hätte lieber eine Schlacht im tiefen Winter geführt, als mitten in einer Stadt zu sein, die er unbedingt verlassen wollte.

»Leider können wir uns keinen Weg aus diesem verdammten Ort erkämpfen«, brummte eine seiner Wachen vor sich hin. »Das würde die Straßen ziemlich schnell räumen, nicht wahr?«

»Alle Anwesenden sind Bürger des Kaiserreichs«, erinnerte sie eine andere. »Glaubst du, der Kaiser würde es gutheißen, wenn seine Elitewachen unschuldige Bürger aufschlitzen?«

»Ja, wenn er wüsste, dass diese Leute sich in die kaiserlichen Angelegenheiten einmischen«, bemerkte die erste Wache. »Da seine Eliten von ihrer Pflicht abgehalten werden, wird er es verstehen und sogar gutheißen. Diese Leute stehen dem üblichen Operieren des Reiches im Weg.«

»Unser Auftrag ist nicht im Namen des Kaisers und das weißt du«, erwiderte ihr Kumpane.

»Auch wenn der Kaiser nichts von unserem Vorgehen weiß, tun wir es zu seinem Nutzen sowie zum Nutzen des Reiches. Glaubst du wirklich, dass es jemanden stören würde, wenn wir mit Gewalt durch die Straßen ziehen? Es würde nicht einmal viele oder überhaupt Tote geben. Ein paar würden verwundet werden und der Rest würde so schnell vor uns weglaufen, dass wir sie nicht einmal verletzen müssten.«

Seine Männer waren immer wieder auf diese Debatte zu sprechen gekommen, während sie sich auf das Tor zubewegten. Ingold konnte sich nicht überwinden, sie zum Schweigen zu bringen. Eigentlich wusste er, dass solche Gedanken falsch waren und seine Wachen ohne seinen Befehl nicht handeln würden, aber ihm ging der gleiche Gedanke fast jede Minute durch den Kopf, während sie langsam vorankamen.

Glücklicherweise kamen sie endlich in den Schatten des Tores. Er stellte fest, dass die Wachen jeden, der die Stadt verlassen wollte, gründlich überprüften. Es war ein langsamer, äußerst genauer Prozess und die Torwachen führten ihn mit einer gelangweilten Präzision aus, als hätten sie ihn bereits den ganzen Tag lang getan.

Er nahm an, dass dies auch der Fall war. Es lebten zu viele Menschen in dieser Stadt und eine schnelle Ausmerzung war normalerweise die beste Lösung für dieses Problem. Bei der Eroberung der Stadt war kein großer Teil der Bevölkerung gestorben, weshalb die Stadt schlichtweg weiter wuchs.

»Wozu haltet ihr uns auf?«, fragte Ingold, als die Wachen endlich auf sie zukamen. »Wir sind im kaiserlichen Auftrag hier und diese Verzögerung hat uns daran gehindert, die Befehle des Kaisers auszuführen.«

»Des Kaisers selbst?«, fragte eine der Wachen. »Ich dachte, ihr wärt die Gruppe, die vor der Stadt kampieren muss, weil der Prinz euch nicht mehr zutraut, ihn zu beschützen.«

Die Kameraden des Mannes kicherten und Ingold grinste, als ein paar seiner Männer hörbar nörgelten.

Er hob die Hand, damit seine Männer keine Antwort gaben. »Da wir nicht mehr benötigt werden, befiehlt der Kaiser, dass wir in die Hauptstadt zurückkehren. Wollt ihr verhindern, dass dieser Befehl ausgeführt wird?«

Die Wachen sahen einander an und endlich verstand er die Situation. Die Königin hatte dem Jungen wahrscheinlich geholfen, die Stadt zu verlassen und hielt sie absichtlich auf. Vermutlich glaubte die Frau, dass sie ihn verfolgen wollten.

Sie war schlauer, als er es ihr zugetraut hätte, da es ihn und seinen Männern den größten Teil des Tages gekostet hatte. Ein Wort von ihm an den Vizekaiser würde sie für ihre Taten büßen lassen, aber momentan musste er die Rolle des pflichtbewussten Dieners des Reiches spielen.

»Leider hat es in der Stadt eine Reihe von Raubüberfällen gegeben. So etwas ist ziemlich besorgniserregend, wie Ihr wisst«, erklärte der Anführer der Wachen und verschränkte die Arme. »Die Diebe wurden noch nicht gefasst, weshalb wir alle Personen, die die Stadt verlassen, durchsuchen, damit sie nicht entfliehen können.«

»Als Mitglieder der kaiserlichen Elite sollten wir nicht an einer solchen Durchsuchung teilnehmen müssen«, murmelte eine von Ingolds Wachen.

»Leider dürfen wir niemanden bevorzugt behandeln, auch nicht die … ähm, die den Befehl des Kaisers ausführen.« Die Stadtwachen tauschten erneut Blicke miteinander aus. »Ich fürchte, Ihr werdet Euch einer Durchsuchung unterziehen müssen, genau wie alle anderen.«

Ingold holte tief Luft, bevor er von seinem Pferd abstieg, die Arme hob und den Kopf schüttelte. Sie hatten keine Zeit, gegen diese Wachen zu kämpfen und es würde dem Vizekaiser zu viele Probleme bereiten, ihr Verhalten zu erklären und ihnen zu helfen. Obwohl der Vizekaiser dies in der Vergangenheit getan hatte. Der Mann hatte sehr starken Einfluss auf das Reich, aber selbst er besaß seine Grenzen.

»Wir müssen auch all Eure Männer durchsuchen.« Der Hauptmann forderte die Gruppe auf, abzusteigen und der Elite-Anführer nickte.

Er konnte sich vorstellen, wie er dem Mann die Kehle aufschlitzte, während er hellwach war. Eine seiner Eigenheiten war, dass er es genoss, die Augen seiner Opfer, die er tötete, zu sehen. Diese waren zuerst mit völliger Überraschung gefüllt, als könnten sie nicht glauben, dass ihr ganzes Leben in einem einzigen tödlichen Schlag enden würde und wechselten dann zu ausdrucksloser Akzeptanz. Manchmal wechselte der Blick zu Schmerz, vor allem wenn er sie mit einem Stich in den Bauch erlegte, damit der Moment länger anhielt.

Andere fielen einfach tot um oder umklammerten ihre offene Wunde und krümmten sich vor Schmerz.

Nachdem er die Wache gemustert hatte, beschloss er, dass sie sich vor Schmerz krümmen würde, wenn ihre Eingeweide aus ihrem Körper flossen. Der Mann würde wissen, warum er getötet wurde, weswegen es keine Verwirrung geben würde. Er würde vollkommen begreifen können, was mit ihm geschah und warum. Diese Erkenntnis würde der letzte Gedanke, der ihm durch den Kopf ging, sein.

Bedauerlicherweise würde dies nicht heute passieren. Vielleicht wäre es passiert, wenn sie sich allein in der Wüste aufhielten. Dort gäbe es keine Zeuge, die aussagen könnten, dass es sich nicht um eine Gruppe von Banditen handelte. Banditen wüteten nämlich in den Wüstengebieten und den Bergen, was den Menschen dort das Leben erschwerte.

Außerdem waren Banditen dafür bekannt, dass sie Patrouillen, die sie finden und töten sollten, effektiv verfolgten. Es wäre perfekt.

Aber das war für ein anderes Mal. In der Zukunft würde es viele Gelegenheiten für seine unbedeutende Rache geben. Im Moment mussten sie den Prinzen finden und seinem Leben ein Ende bereiten.

Und noch dem des Barbaren. Er bezweifelte, dass er dem Mann ein paar Münzen geben könnte, damit er sich nicht einmischte und mit dem Rest seines Volkes in den Bergen verschwand.

Auch diesen Mord würde Ingold genießen. Er musste ein außerordentliches Maß an Rache an ihm ausüben, da er nicht der Typ war, der die Art von Verletzung, die er erlitten hatte, vergaß. Ihn vor den Augen seiner Elitesoldaten Faustschläge zu geben, würde dem Mann ein langsames, schmerzhaftes Ende, welches viele in der Wüste fanden, bereiten.

»Ihr seht aus, als wolltet Ihr durch die Wüste reisen«, bemerkte die Wache und gab den übrigen Männern ein Zeichen zum erneuten Aufsteigen. »Es ist bedauerlich, dass es sehr viele Diebe unter uns gibt. Ich bitte Euch zu verstehen, dass wir alle durchsuchen, die durch unsere Tore kommen.«

»Und wie Ihr seht, haben wir kein Diebesgut dabei«, schnappte Ingold kalt.

»Aber woher sollen wir wissen, dass Ihr kein Diebesgut unter Euren Sachen habt?«

»Beschuldigt Ihr meine Männer und mich des Diebstahls?«

»Es werden hier keine Anschuldigungen gemacht. Wir führen lediglich eine Diskussion, guter Mann. Von Wache zu Wache.«

»Von Wache zu Wache?«, fragte Ingold und trat einen Schritt vor. »Wir werden uns auf den Weg machen. Ihr könnt uns aufhalten, wenn Ihr wollt oder Ihr könnt uns durchlassen. Seid bloß sicher, dass Ihr die richtige Wahl trefft.«

Der Hauptmann der Wache hob die Hände und ein Lächeln lag auf seinen Lippen. »Nun gut, dann geht weiter. Macht Euch auf den Weg und habt eine gute Reise. Man weiß nie, was sich einem in den Weg stellen wird.«

Er lächelte gezwungen und sprang auf sein Pferd. Ja, seine Fantasie ging mit ihm durch, als er sich in den Sattel setzte. Ein Stich in den Bauch würde genügen, insbesondere wenn er danach die Wunde mit Honig füllte und ihn den Ameisen zum Fraß überließ. So würde er den selbstgefälligen Hurenficker töten.