Kapitel 14

D er Halt für die Nacht war kurz, da Ingold darauf bestand, die Zeit, die sie beim Verlassen der Stadt verloren hatten, wieder aufzuholen.

Er gönnte ihnen nur ein paar Stunden Rast, bevor sie sich wieder auf den Weg machten und einem Pfad, der durch die gottverlassene Wüste führte, folgten.

»Hauptmann?«

Er wusste, dass seine Männer für die Verzögerung aufkommen mussten, aber auch er würde darunter leiden. Jeder war müde sowie gereizt und er hörte noch mehr wütendes Murmeln als am Vortag.

Er war zwar selbst so verärgert und frustriert, dass er sich hätte beschweren können, aber er war ihr Anführer. Als solcher trug er die Verantwortung dafür, dass sie ihre Aufgabe korrekt erledigten und am Ende alle am Leben waren.

»Hauptmann?«

Sein Pferd schnaubte und wieherte nervös, als er an den Zügeln riss, um es zum Stehen zu bringen. Er drehte sich und sah den Mann, der seinen Gedankengang gestört hatte, an.

»Was?«

»Das solltet Ihr Euch ansehen.«

Die Sonne war gerade erst aufgegangen und hatte dabei die Kälte der Nacht vertrieben. Jetzt war die Welt so weit erhellt, dass er wieder weiter sehen konnte. Im Licht der Morgendämmerung erblickte er in der Ferne Vögel, die im Kreis flogen.

»Aas«, murmelte er. »Musstest du mich darauf hinweisen? Wahrscheinlich ist es ein Lebewesen, das verdurstet ist. Welches Interesse sollte ich daran haben?«

»Oder einige Banditen haben unsere Ziele gefunden und ihr Leben beendet«, antwortete ein anderer seiner Eliten. »Viele von ihnen sind in dieser Gegend auf Raubzug. Am besten überprüfen wir es, da sie wahrscheinlich wissen, dass sie verfolgt werden und versuchen werden, die Hauptstraßen zu meiden.«

So sehr Ingold den Mann auch beschimpfen wollte, das Argument des Mannes war gut. Der angebliche Prinz würde wahrscheinlich nicht auf die Idee kommen, die Straßen zu meiden, aber der schlaue Barbar hatte das Gespür für so etwas.

»In Ordnung.« Er trieb sein Pferd auf den offenen Sand. »Aber falls wir uns in der Wüste verirren und uns das Essen ausgeht, bist du der Erste, der gefressen wird.«

Die Gruppe lachte, was für ihn eine willkommene Abwechslung zu den Beschwerden, die er seit dem Beginn ihres Marsches hatte ertragen müssen, war.

Jedoch begannen die gemurmelten Beschwerten erneut, als die Hitze mit der stetig steigenden Sonne immer intensiver wurde.

* * *

Der Morgen wurde immer heller und klarer und Skharr stupste den Jungen mit seinem Stiefel an.

»Noch fünf Minuten«, murmelte Tryam und zog sich die Decke über die Schultern.

Am liebsten hätte er ihm einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf geschüttet, aber er wollte ihre Wasservorräte nicht verschwenden. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn erneut anzustoßen, aber dieses Mal war es etwas fester.

»Ich sagte, noch fünf Minuten!«

»Das ist mir scheißegal!«, schnauzte er. »Wenn Euer diamantenbesetzter Arsch nicht in den nächsten fünf Sekunden aufsteht, wird der nächste Versuch, euch aufzuwecken, ein Tritt sein, der Euch eine Rippe bricht!«

Tryam befolgte Skharrs Worte, aber er knurrte, als er aus dem Bett, welches er sich gebaut hatte, stieg. »Ich dachte, ich bezahle Euch, damit Ihr mich beschützt.«

»Ja und wenn ich Euch Euren Schönheitsschlaf gönnen würde, müsste ich Euch vor denen schützen, die Euch persönlich töten wollen. Das würde mich nur verärgern und Ihr wollt nicht, dass ich verärgert bin.«

»Ihr seid nicht gerade schon verärgert?«

»Schluss mit dem Geschwätz. Wir räumen unser Lager und ziehen weiter.«

Skharr gefiel es nicht, den Prinzen wie ein Kind behandeln zu müssen, aber seine harten Worte ließen den Prinzen schneller handeln, auch wenn er einige leise Flüche hörte.

Es gab keinen Grund, sich darüber aufzuregen, dass er mit der Situation unzufrieden war. Er war nicht seine Mutter und sie mussten weiterziehen, ob er nun verärgert war oder nicht.

Während sie sich auf den Weg machten, aß Skharr eilig eine spärliche Morgenmahlzeit. Sie bestand aus getrocknetem Rindfleisch und ein paar Schlucken Wasser und der Prinz verzehrte das gleiche Essen mit finsterem Blick.

»Warum helft Ihr mir?«, fragte Tryam schließlich, als sie durch die zunehmende Hitze reisten.

Er kniff seine Augen zusammen. »Warum nicht? Euer Geld ist so gut wie die von jedem anderen.«

»Ihr tut es also nicht, um Euch bei einem Mann, der eines Tages Kaiser sein könnte, beliebt zu machen?«

»Ein Junge, der eines Tages Kaiser sein könnte«, korrigierte er ihn.

Der Prinz lachte. »Ja, das stimmt wohl.«

»Warum wollt Ihr Kaiser werden? Was hat Euch dazu getrieben?«

Der Prinz hielt inne und konzentrierte sich einen Moment lang auf den Sand. »Ich weiß, dass es nicht das Volk war, was mich dazu gebracht hat. Was mich überzeugt hat, war die Einladung meines Bruders zu einem Gespräch im kaiserlichen Palast. Er ist mein Halbbruder und der derzeitige Erbe. Er sagte, er wolle mich zu meinem Erfolg in der Kampfarena beglückwünschen. Allerdings wusste ich, dass er sich ein Bild von mir machen wollte, da es bereits Gerüchte gab, dass ich ihn ablösen wollte.«

»Und das Treffen mit Eurem Bruder hat Euch davon überzeugt, seinen Platz einzunehmen? Wie das?«

»Das ist schwer zu erklären.« Tryam zuckte mit den Schultern. »Ich dachte eigentlich, dass er wie mein Vater ein zukünftiger Held wäre, aber er war nur ein aufgeblasener Arsch. Er schimpfte über die Bediensteten, als ob er dachte, so etwas würde mich beeindrucken. Soweit ich das beurteilen kann, ist er ein gewalttätiges Arschloch, das mit den gleichen Vorlieben meines Vaters erzogen wurde und er lässt sich vom Vizekaiser zu leicht manipulieren.«

»Wer ist der Vizekaiser?«

»Der älteste und treuste Berater des Kaisers. Wenn ich wetten müsste, wer hinter dem Attentat auf mich steckt, würde ich viel Geld auf ihn setzen.«

Skharr nickte langsam. »Euer Vater lässt sich von seinen Lastern verleiten, weshalb er leicht manipulierbar ist. Der Vizekaiser würde nicht wollen, dass sich das mit seinem Nachfolger ändert.«

»Ich wusste über den Verfall des Reiches Bescheid, aber mein Vater hatte nur etwa fünf Jahrzehnte Zeit, um das Reich in den Schmutz zu ziehen. Mein Bruder wird mit Leichtigkeit zwei Jahrhunderte davon haben. Ich … viele sprachen davon, dass die Götter es so gewollt haben, aber letztendlich … wusste ich, dass das Reich einen weiteren Kaiser wie Rivar nicht überleben würde.«

»Ist das Reich wirklich wert, gerettet zu werden?«

Tryam dachte einen Moment über die Frage nach und es war lobenswert, dass er sich seine Antworten gut überlegte, anstatt einfach die Worte anderer zu wiederholen oder mit seiner Antwort seinen Begleiter befriedigen zu wollen.

»Nicht in seinem jetzigen Zustand«, antwortete er schließlich. »Es müsste ein paar Änderungen, welche zu einigen Konflikten führen würden, geben. Aber ich denke, dass sie den Verfall und die Zerstörung unter der Herrschaft meines Bruders verhindern würden. Unter seiner Herrschaft würden sich die Konflikte zwar verzögern, aber sie würden heftiger als alles, was wir seit der Absetzung der alten Magier erlebt haben, ausfallen.«

Der Barbar dachte darüber nach und schüttelte den Kopf. »Ihr seid ein gebildeter kleiner Mistkerl, nicht wahr?«

»Ist das so schlimm?«

»Nein, aber ich frage mich, ob Ihr nicht ein bisschen zu jung seid, um das Gewicht der Welt auf Euren Schultern zu tragen.«

»Im Moment kann ich mich nur bemühen, am Leben zu bleiben. Ich werde allein in das Verlies gehen.«

»Alleine?«

»Soweit ich weiß, kann ich nur auf diesem Wege den Pfad vollenden. So wurde es mir zumindest mehrfach gesagt. Es gibt keine Möglichkeit, das, was ich finden soll, zu erreichen, wenn ich eine Gruppe an meiner Seite habe.«

Er runzelte die Stirn. »Ich bin mir nicht sicher, ob mir das gefällt, aber wenn es der einzige Weg ist. Zumindest kann ich Euch lebendig zum Verlies bringen.«

»Das ist alles, was ich momentan von Euch verlangen kann. Ihr habt mir bereits zweimal das Leben gerettet.«

Der Prinz war sich seiner Grenzen zu bewusst und das gefiel Skharr nicht. Als er ein Junge war, hatte er kaum etwas anderes, das nicht mit Frauen und Kämpfen zu tun hatte, im Kopf. Der Junge, der vor ihm stand, tat jedoch so, als müsse er die Welt vor sich selbst retten. Es schien, als dachte er, dass es keine anderen, die bereit wären, diese Pflicht zu übernehmen, gäbe.

»Na, dann los«, murmelte er und holte tief Luft. »Wir werden uns in einer besseren Situation befinden, wenn wir losziehen und ein gutes Tempo für den Tag vorlegen. Mal sehen, ob Euer Pferd mithalten kann.«

Pferd schnaubte.

»Es gibt keinen Grund, gemein zu sein«, erwiderte er.

»Was hat er gesagt?«, fragte Tryam.

»Nichts Wichtiges.«

* * *

»Ein einfacher, verdammter sowie zimperlicher Adliger ist tatsächlich in der Lage, uns so viel Ärger zu bereiten«, murmelte einer der Elitesoldaten.

»Es ist nicht der Adlige, der dafür verantwortlich ist.« Ingold korrigierte den Mann schnell und hob die Hand, um die Gruppe anzuhalten. »Es ist die verdammte, barbarische Ausgeburt aus den Bergen. Ich freue mich bereits darauf, ihn als leckere Mahlzeit für die Krähen zu servieren. Wo wir gerade von einer leckeren Mahlzeit für Krähen sprechen …«

Er ließ seine Stimme verstummen. Da noch kein Geruch von verwesendem Fleisch in der Luft lag, mussten die Leichen erst kürzlich verstorben sein und aufgrund der großen Anzahl musste ein kleines Gefecht stattgefunden haben.

»Steigt ab und untersucht die Toten«, befahl er und die Gruppe befolgte seine Worte schnell. Sie bedeckten ihre Gesichter und wedelten mit den Armen, um die versammelten Aasfresser zu vertreiben. Die meisten Aasgeier ergriffen die Flucht, aber einige waren schon vollgefressen und konnten nur noch unbeholfen in Sicherheit hüpfen. Zweifellos hatten sie vor, zu ihrer Mahlzeit zurückzukehren, sobald die Eliten weiterzogen.

Zum Glück dauerte die Inspektion nicht lange.

»Das sind keine Menschen«, rief einer seiner Männer und untersuchte die Leichen genauer. »Soweit ich das beurteilen kann, handelt es sich bei den kleineren Leichen um Goblins und bei den größeren um Orks. Es sei denn, unserem Barbaren sind plötzlich Stoßzähne aus dem Mund gewachsen.«

»Was zugegebenermaßen sehr unwahrscheinlich ist.« Ingold grunzte und musterte die Leichen mit seinem geübtem Blick. »Zehn Orks, alle bewaffnet und zusammen mit sieben Goblins im Kampf besiegt. Ich denke, unser junger Prinz hat noch ein paar weitere Männer, die ihm helfen, angeheuert. Er und der Barbar wären nicht in der Lage gewesen, sie alle allein zu töten.«

Zustimmende Worte war von seinen Männern zu hören.

»Wahrscheinlich haben sie ein paar barbarische Banditen gefunden und sich ihnen angeschlossen«, fügte ein anderer hinzu. »Soweit ich weiß, wüten viele barbarische Gruppen in dieser Gegend.«

»Dann müssen wir uns auf einen härteren Kampf, als bisher angenommen, einstellen.«

»Hauptmann Ingold, hier drüben.«

Er lief zu einem seiner Männer und seine Aufmerksamkeit fiel auf die Spuren am Boden, die trotz des ständigen Windes, der über den Sand fegt, noch sichtbar waren.

»Drei Pferde«, sagte eine Elite leise. »Und keine anderen Spuren, die wegführen. Glaubt Ihr, sie haben einen Weg gefunden, den Rest ihrer Zahl zu verschleiern?«

»Das ist durchaus möglich«, murmelte er und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Vor allem, wenn die anderen, die sich ihnen angeschlossen haben, mit der Wüste vertraut sind und so wissen, wie sie ihre Spuren verwischen können. Aber wenigstens haben wir jetzt einen Weg, dem wir folgen können. Steigt auf und überlasst den Aasfressern ihr Festmahl.«

Die Gruppe gehorchte ihm und stieg in ihre Sättel, bevor sie aufbrach. Ingold blickte finster drein, als er neben den Spuren herlief. Jemand schien zu Fuß zu gehen und dies war äußerst merkwürdig in der Wüste. Vielleicht hatte einer der Barbaren vergessen, seine Spuren zu verwischen oder der Prinz hatte einen seiner Bediensteten mitgebracht.

»Nein«, murmelte er. »Dafür ist er nicht der Typ.«