Kapitel 21

D ie stickige Luft des Verlieses hing über ihn wie eine Last, die er auf seinem Rücken tragen musste.

Tryam schätzte dieses Gefühl nicht. Das Unglücks-Rätsel hatte ihn dazu gebracht, sich zu fragen, ob die Festung und seine Reise als Lehre gedacht waren. Vielleicht sollte sie ihn zu dem Mann, der ein geeignet war, um ein Reich zu regieren, formen.

Vor allem eines, das er selbst nicht erobert hatte.

Skharr schien unter einer ähnlichen Erschöpfung zu leiden und bewegte sich nun etwas langsamer, während sie weiter durch die Gänge gingen. Der Prinz hatte bereits jegliches Zeitgefühl sowie Ortssinn verloren. Er nutzte die Zeit, um nach den Sinn dieser Reise zu suchen und hoffte, dass er sich so ablenken konnte. Es war möglich, dass sie schon meterweit unter der Erde waren und das Betreten des Verlieses einige Tage her war.

Aber nicht mehr als zwei Tage. Er war noch nie in der Lage gewesen, länger als zwei Tage am Stück auf den Beinen zu bleiben.

Selbst vor dem Eintreten hatte keiner von ihnen sich besonders gut ausgeruht und er spürte, wie die Müdigkeit immer größer wurde.

»Wohin gehen wir?«, fragte Skharr schließlich, nachdem sich das Schweigen zwischen ihnen lange genug hingezogen hatte. »Wir streifen seit mindestens einer Stunde durch diesen Tunnel.«

»Er wird ein Ende haben«, antwortete Tryam und atmete tief und langsam ein. »Ich weiß nicht warum, aber ich habe das Gefühl, dass mir dieses Verlies mit jeder Ebene und Prüfung eine Lektion erteilen will. Als würde es mich auf etwas vorbereiten.«

»Was lehrt es Euch?« Der Barbar zog eine Augenbraue hoch und musterte ihn, aber überließ ihm die Führung. »Die Langeweile, die Ihr empfinden werdet, wenn Ihr Eurem Rat bei der Debatte über die Vorteile von Steuererhöhungen oder -senkungen zuhören müsst?«

Der Prinz lachte, aber sein Begleiter lachte nicht mit. »Ich weiß es nicht. Es ist schon eine Weile her, dass wir uns ausgeruht haben. Ich glaube, wir könnten beide von einer Rast profitieren.«

»Wir können nicht aufhören, bis wir das Ende erreicht haben, wo auch immer es sein mag«, antwortete Skharr schnell. »Die Monster hier drinnen sind anders als alles, was ich je gesehen habe. Die Schattenkreatur, die auf die Antwort des Rätsels wartete, war … ich weiß nicht einmal, was dieser gottverdammte Sack voller Scheiße und Ärger sein soll.«

»Es könnte ein Betrachter gewesen sein«, sagte Tryam ihm.

»Ich habe noch nie von einem Betrachter, der das Leben aus einem Raum saugen kann, gehört. Es könnte einer gewesen sein, aber er wäre anders als alle anderen auf der Welt oder zumindest anders als die, welche beschrieben, gesehen oder getötet wurden. Obwohl das daran liegen könnte, dass ich nicht glaube, irgendetwas könnte solche Kreaturen töten. Zumindest keine menschenähnlichen Lebewesen.«

Der junge Prinz nickte und lehnte sich einen Moment an die Wand. Da sie kalt war, fühlte er sich sofort unwohl und richtete sich wieder auf, um weiterzugehen.

Schließlich schienen sie das Ende des Gangs gefunden zu haben und die Wände strahlten Kälte ab. Er zitterte leicht und schaute sich in einem Raum, der wie eine Höhle mit Eissäulen aussah, um.

Es wurde sofort klar, dass sie nicht allein waren. Eine klobige Gestalt mit strahlend weißem Fell lauerte darin. Sie war mindestens dreimal so groß wie Tryam und hatte einen kräftigen, riesigen Körper, der auf allen vieren ging.

Das Ungeheuer sah sie sofort, richtete seine leuchtend gelben Augen auf sie und fletschte seine riesigen Zähne, als es sie als Eindringlinge einordnete. Der Prinz wusste, was es war, noch, bevor er die Hörner, die sich um die Ohren wanden, erblickte.

»Was sollt Ihr Eurer Meinung nach diese Lektion sein?«, fragte Skharr, während er seinen Bogen von der Schulter nahm und ein paar Pfeile aus seinem Köcher zog.

»Dass es nie klug ist, sich mit einem verdammten Yeti anzulegen«, antwortete Tryam, ließ sein Gepäck fallen und griff nach seinem Schwert. Er erinnerte sich an ein paar Männer, die darüber gesprochen hatten, dass sie Yetis im hohen Norden bekämpft hatten. Sie waren größtenteils Fischer und erzählten, dass die Kreaturen eine Todesangst vor Feuer hatten und sie sich niemals ohne brennende Fackeln von ihren Schiffen entfernten.

»Was macht Ihr da?«, fragte der Barbar, als der Junge plötzlich in seinem Gepäck kramte, anstatt seine Waffe zu ziehen.

»Ihr müsst es ablenken!«, rief er und kramte hektisch in seinen Beuteln herum. »Und haltet es von mir fern. Dreht es vielleicht weg von mir, falls Ihr könnt.«

»Soll ich ihm ein gottverdammtes Schlaflied singen, wenn ich schon dabei bin?« Der Mann scherzte natürlich und er spannte einen der Pfeile an der Sehne ein, während er sich von der Stelle, an der Tryam noch immer seine Sachen durchwühlte, entfernte.

Der Yeti entschloss schnell, dass er die größere Bedrohung darstellte und begann, auf allen Vieren aggressiv vorzustürmen. Er stieß ein Brüllen, das den ganzen Raum erzittern ließ, aus.

Skharrs erster Pfeil wurde schnell abgeschossen, bevor die Bestie überhaupt reagieren konnte. Obwohl er tief eindrang, war nicht genügend Kraft, um den Schädel zu durchbohren, dahinter gewesen.

Das Projektil machte sie nur noch wütender. Nun stürzte sie sich auf ihn und senkte dabei ihren Kopf, um ihn mit ihren Hörnern aufzuspießen.

Er sprang hastig aus dem Weg, rollte sich über die Schulter ab und kam mit einer erstaunlichen Geschicklichkeit, die für einen Mann seiner Größe unerwartet war, wieder auf die Füße. Ein weiterer Pfeil war bereits eingespannt und nachdem er sich kurz Zeit nahm, um richtig zu zielen, flog dieser auf seinen Gegner zu.

Dieser Pfeil bohrte sich tiefer in den Körper des Tieres und rotes Blut sickerte in das weiße Fell, als sich der Pfeil fest unter seinem rechten Arm verankerte.

»Was? Hast du schon genug, du großer haariger, arschgesichtiger Verlies-Schwanz?« Skharr brüllte und schoss einen weiteren Pfeil ab. »Oder denkst du, der TodEsser kann dir noch mehr beibringen? Hast du überhaupt ein Hirn irgendwo in diesem gottverdammten, hässlichen, pelzigen Stein, den du Kopf nennst?«

Tryam hatte endlich seine Fackel gefunden. Während aber seine Finger immer kälter wurden, war der Zündstein nur schwer auffindbar. Sein ganzer Körper war angespannt und steif, da er das Bedürfnis hatte, seinem Gefährten, der das Monster bloß ablenken konnte, zu helfen.

Ein Schmerzensschrei ertönte, doch dieses Mal war er nicht von der Bestie. Der Prinz sah auf und wurde blass, als er sah, dass Skharr gefangen worden war. Er war auf dem Eis ausgerutscht und sein Bein war von einer der Klauen des Yetis aufgespießt worden. Der Bogen war ihm aus der Hand gefallen, also zog er stattdessen sein Schwert und seinen Dolch und stach beides in den Finger des Ungeheuers, bis sich die Klaue von der Hand löste.

»Wie … wie gefällt dir das, du scheußliche Höllenbrut?«, rief er, während er sich langsam aufrichtete. Trotz seiner streitlustigen Herausforderung konnte er sein Gewicht nur auf ein Bein stützen. »Vielleicht solltest du zurück in die Scheißhure kriechen, die dich geboren hat oder dich einfach selbst ersticken, indem du deinen Kopf in deinen eigenen Arsch steckst.«

Die einzige Reaktion des Monsters war ein grollendes Brüllen, als es seine verstümmelte Hand betrachtete.

Schließlich fand Tryam den Zündstein, der unter seinem Essen versteckt war. Er zog ihn heraus und schlug ihn gegen den Stahl seines Schwertes. Funken sprühten, während das Monster und der Barbar sich darauf vorbereiteten, erneut aufeinander loszugehen.

Skharr blutete sehr stark aus der Wunde an seinem Bein und würde nicht mehr lange durchhalten.

Zur Erleichterung des Jungen entzündete ein Funke die Fackel und er sprang auf, um sie in die Höhe zu halten.

Ihm war sofort klar, dass es nicht ausreichen würde, sie einfach nur zu schwenken. Der Yeti war voll und ganz darauf aus, Skharr zu töten, weshalb die relativ kleine Flamme seine Aufmerksamkeit nicht auf sich zog.

»Verdammt!«, schrie der Prinz, holte sein Schwert und stürzte sich auf die Bestie, als diese wieder zu dem Barbaren rannte.

Sie sah die Flammen gerade noch rechtzeitig und blieb stehen, als er näher kam. Angst schimmerte in ihren gelben Augen, als sie die Flammen anstarrte und einen Schritt zurückwich.

Plötzlich lehnte es sich nach vorn und stieß ein grauenerregendes Brüllen aus. Ein kalter Windstoß kam Tryam entgegen und stieß ihn einen Schritt zurück.

»Es versucht, das Feuer zu löschen«, rief der Krieger und versuchte, wieder in den Kampf zu humpeln.

Diese Beobachtung war ziemlich offensichtlich und der junge Kandidat schüttelte den Kopf, als er sich zurückzog und nach kurzem Überlegen die Fackel nach dem Yeti warf.

Bevor dieser ausweichen konnte, landete sie auf seiner Schulter und die Flammen griffen auf sein Fell über. Ein weiteres Brüllen erschütterte den Raum und Eiszapfen stürzten von der Decke herab. Die Kreatur rannte wild im Kreis und konnte das Feuer, welches sich in den Rest ihres Fells fraß, nicht stoppen.

Skharr stürmte im richtigen Moment nach vorn, kam nah an den ablenkten Yeti heran und vergrub sein Schwert tief in seiner Brust.

Die Kreatur versuchte weiterhin, die Flammen zu löschen, aber sie sank mit einem schmerzhaften Grollen langsam zu Boden, als das Feuer unerbittlich ihren Körper verbrannte.

Der Barbar blieb stehen und sah mit zusammengekniffenen Augen zu, um ihren Tod sicherzustellen, ehe er seine Waffe aus ihr herauszog und den Flammen auswich.

»Kommt schon.« Er zischte und drückte auf sein Bein. »Wir müssen hier raus, bevor wir in diesem gottverdammten Raum erfrieren.«

»Wir müssen Euer Bein versorgen«, antwortete Tryam, während der Barbar ein Stück Stoff um die Wunde band.

»Wenn wir nicht in Lebensgefahr sind, werden wir das auch tun. Jetzt hört auf zu quasseln und helft mir.«

Der Prinz schüttelte den Kopf und sammelte sein Gepäck und den Bogen des Mannes auf, bevor er seinem Begleiter half, die eisige Höhle zu verlassen.