Kapitel 22

D ie Kälte des anderen Raumes verschwand langsam, aber Skharr zitterte weiterhin. Seine gebräunte Haut fühlte sich immer noch kalt an und war in den letzten Minuten ein paar Töne blasser geworden. Als sie eine Höhle betraten, die auf die gleiche Weise wie die anderen beleuchtet war, entdeckte Tryam ein kleines Wasserbecken und sah ihn an.

»Wir müssen uns ausruhen«, beharrte der Junge, dessen Müdigkeit noch dadurch verstärkt wurde, dass er dem riesigen und verletzten Mann beim Gehen half.

»Wir können uns nicht ausruhen«, sagte der Krieger zum gefühlt tausendsten Mal. »Wir müssen das Ende dieses Verlieses erreichen und herauskommen.«

»Solange Ihr noch so viel Blut verliert, kommen wir nicht zum Ende.« Er stoppte ihn gewaltsam. »Ihr werdet nur verkümmern und sterben, wenn wir uns weiter vorantreiben. Wir können hier anhalten, ein flüchtiges Lager aufschlagen, etwas essen und einen der Heiltränke, die wir gekauft haben, benutzen. Der Trank wird Eurem Körper die Kraft entziehen, also müsst Ihr Euch ausruhen, bis Ihr wieder stark genug zum Aufbrechen seid. Ich werde Wache halten und wenn ich mich ausruhen muss, werdet Ihr übernehmen. Haltet Ihr das für vernünftig?«

Skharr warf ihm einen bösen Blick zu, aber entweder wusste er, dass Tryam recht hatte oder ihm fehlte die Kraft zum Streiten. Er sank einfach stöhnend zu Boden. Der Prinz kümmerte sich darum, ihr kleines Lager aufzubauen, während sein Gefährte seine Wunde versorgte.

Es war eine üble Verletzung, aber sie war sauber und auch nicht entzündet. Er säuberte die Wunde noch gründlicher und untersuchte sie sorgfältig, bevor er das Fläschchen mit der roten Flüssigkeit, dessen Anschaffung sie einen Arm und ein Bein gekostet hatte, herausholte. Tryam kannte die Wirkung der Tränke noch aus seiner Zeit als Kämpfer in der Arena. Härtere Schläge waren zwar nicht erlaubt, kamen aber manchmal vor. Heilmagier waren immer in der Nähe und bereit gewesen, die Personen, die versehentlich verwundet wurden, zu behandeln. Oder vielleicht war es auch absichtlich geschehen.

Der Trank wirkte wie ein Wunder und die Wunde schloss sich nach und nach. Skharr knirschte mit den Zähnen, da es ein schmerzhafter Prozess war. Sein Körper wurde gezwungen, die Arbeit von ein paar Monaten in kurzer Zeit zu erzielen. Aber nur, wenn er überhaupt überleben sollte.

Jedoch war die Verletzung innerhalb weniger Minuten geschlossen und ließ den Barbaren mit einem leichten Schweißfilm auf der Haut zurück. Er holte tief Luft und fuhr mit dem Finger über die neue, leuchtend rote Narbe, die noch eine Weile brauchen würde, um so auszusehen und sich anzufühlen wie der Rest seiner Haut. Schnell bedeckte er sie mit einem Tuch und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Höhlenwand.

Tryam wollte die Trinkschläuche mit dem Wasser aus dem Becken auffüllen, probierte aber zuerst das Wasser. Auf diese Weise ging er sicher, dass die Quelle nicht vergiftet oder anderweitig verunreinigt war. Womöglich war sie sauberer als der Rest der Festung. Vielleicht hatte der Yeti sie als Wasserquelle benutzt.

Es war ein beunruhigender Gedanke, aber er verdrängt ihn schnell und ließ sich neben dem größeren Mann nieder, um Trockenfrüchte und Fleisch aus seinen Beuteln zu nehmen. Er reichte Skharr etwas davon.

»Ich übernehme die erste Wachschicht«, wiederholte der Prinz. »Ihr müsst Euch ausruhen.«

Der Krieger nickte, blieb aber still, während er einen Bissen von seinem Essen nahm. »Euer schnelles Handeln mit dem Feuer war sehr hilfreich. Ich hätte nicht gedacht, dass Yetis irgendwelche Schwächen haben.«

Er zuckte mit den Schultern. »Es war eine Geschichte von Männern, die im Nordmeer auf Waljagd waren. Ich hatte nicht erwartet, dass einer von uns beiden das überleben würde.«

»Ihr habt nicht geglaubt, dass wir dieses Verlies überhaupt überleben würden«, erinnerte ihn sein Begleiter. »Ihr hattet ein bequemes Leben als Lord. Warum wolltet Ihr also an diesem gottverdammten, höllischen Ort sterben?«

Der junge Anwärter lachte trocken, während er an seinem Wasserschlauch nippte. »Ich weiß es nicht. Ich habe nicht darum gebeten, Thronfolger zu werden. Aber wenn ich darüber nachdenke, dass mein Bruder sich in Schwierigkeiten bringen könnte, die ich hätte verhindern können und es dennoch nicht tat … Vielleicht gab es doch einen Grund?«

»Ich habe keinen blassen Schimmer«, murmelte Skharr und knabberte an einer getrockneten Aprikose. »Manchmal stelle ich so lange Fragen, bis ein Gott sie mir beantwortet.«

»Glaubt Ihr, dass Ihr mit den Göttern sprechen könnt?«

»Ich glaube, wenn die Götter nicht antworten, ist es ihnen egal, was ich tue. Das gibt dem Wort Freiheit eine ganz neue Bedeutung, meint Ihr nicht auch?«

Ein weiteres Lachen war die einzige Antwort des Prinzen und die beiden wurden still. Der Krieger war erschöpft. Schon vor der Wirkung des Heiltranks war es ein verdammt langer Tag gewesen und sein Körper glitt langsam in den Schlaf. Es fühlte sich anders an als die Art von Schlaf, die er gewohnt war. Unruhiger Schlaf plagte ihn normalerweise mit Träumen von den verschiedenen Alpträumen, die er erlebt hatte.

Dieser war jedoch angenehm und friedlich. Er befand sich in einem dunklen Wald in der Nähe eines kleinen Flusses, in dem er mit seinem Bogen geangelt hatte. Er hatte ein paar Mal versucht, die Technik zweier Soldaten, an deren Seite er gekämpft hatte und die eine Forelle mit den Händen fangen konnten, anzuwenden.

Leider war er nie in der Lage gewesen, sie zu erlernen. Irgendwie konnte er sich im Wasser nicht schnell genug bewegen, um im richtigen Moment die Fische zu schnappen.

Die Flussströmung war schwach und die kleinen Fische hüpften von einem Becken, welches durch die Felsen entstanden war, in ein anderes, um ihren verschiedenen Fressfeinden zu entkommen.

Skharr blickte auf, als er hinter sich Hufe und Schritte hörte.

Instinktiv griff er nach dem Schwert auf seinem Rücken und war überrascht, als er es dort nicht vorfand. Der Bogen in seiner Hand war der alte, den er verloren hatte.

Das Gesicht des alten Mannes kam ihm bekannt vor. Skharr kniff die Augen zusammen, um den Mann zu beobachten, während dieser an den Zügeln seines Esels zerrte, da dieser von einem kleinen Grasfleck, der an einer Stelle, wo die Sonne durch die Bäume durchschien, wuchs, abgelenkt war.

»Das ist aber eine Überraschung«, sagte der alte Mann leise, kam näher und setzte sich auf einen Felsen neben ihm, wodurch der Esel nach Belieben grasen konnte. »Ich habe nicht erwartet, Euch in einer meiner Schöpfungen zu finden, TodEsser. Was führt Euch hierher?«

Es überraschte den Barbaren nicht, dass der alte Mann ihn in seinen Träumen besuchte. Auf dem Hof gab nicht viel zu tun, doch eigentlich zweifelte er an den Behauptungen aus seinem letzten Traum, dass der Hochgott Theros seine Tage damit verbrachte, Erde umzupflügen.

»Es gibt einen zukünftigen Prinzen«, erklärte er, musterte das Wasser und wartete auf einen fangwürdigen Fisch. »Menschen wollten ihn töten, bevor er den Stygischen Pfad betreten konnte. Ich rettete ihm das Leben und nach einiger Zeit lernte ich sein Bestreben, seinen Platz als Erbe des Reiches einzunehmen, zu schätzen. Ich sollte ihn nur bis zu dem Eingang des Verlieses begleiten, aber…«

»Meine schöne Verteidigerin hat euch beide hineingejagt, oder?« Der alte Mann lachte, zog eine Pfeife hervor und stopfte ein paar getrocknete Blätter hinein, bevor er ein Wort murmelte und dadurch der Inhalt angezündet wurde. »Raucht Ihr? Es beruhigt die Nerven.«

»Ich bin nicht beunruhigt.«

»Da haben mir Eure Träume etwas anderes verraten. Viele Eurer Leiden könnten mit ein paar natürlichen Mitteln gelindert werden.«

»Getrocknete Blätter, die angezündet werden, sind natürlich?«

Der alte Mann stieß einen kleinen Rauchring aus und lächelte. »So natürlich wie das getrocknete Fleisch in Eurem Bauch. Aber genug davon. Ihr wurdet in ein Verlies gejagt und helft nun einem möglichen Prinzen, die Prüfungen zu bestehen. Euch ist doch klar, dass diese Festung gefährlich sein kann, oder?«

Skharr zuckte mit den Schultern. »Bis jetzt habe ich keine Beschwerden.«

»Nicht einmal in Bezug auf das Loch in Eurem Bein?«

»Da ist kein Loch in meinem Bein.«

»Da war eines.«

Er antwortete mit einem weiteren Achselzucken. »Ich habe schon Schlimmeres überlebt.«

»Ja, das habt Ihr wohl«, murmelte sein Gegenüber mit der Pfeife im Mund und bei jedem Wort stiegen kleine Rauchwolken auf. »Ich muss die Herausforderung also schwieriger machen. Ihr dürft nicht den Willen haben, ihm bei der letzten Herausforderung zu helfen.«

»Ich nahm an, dass dies der Fall sein würde. Es waren schließlich seine Prüfungen, die er zu bestehen hatte. Seiner Meinung nach sind es Lektionen, die er lernen muss, bevor er die Herrschaft übernimmt. Als ob jemand versucht, ihm etwas beizubringen.«

»Er ist ein kluger Bursche. Aber habt Ihr Euch über seine Frage nachgedacht?«

»Welche Frage?«

»Ihr erinnert Euch doch.«

»Ach, die Frage, ob er aus einem bestimmten Grund geboren wurde?«

Theros nickte langsam.

Skharr legte den Kopf schief. Er war zu müde gewesen, um bisher darüber nachzudenken, aber in diesem Traum war er bei erstaunlich klarem Verstand. »Nein, ich glaube nicht, dass ich wissen möchte, ob es einen bestimmten Grund für meine Geburt gibt.«

»Warum nicht?«

Nach kurzem Überlegen schüttelte er den Kopf. »Ich habe einmal eine Geschichte gehört. Sie handelte von einem Kind, aber ich war zu der Zeit bereits erwachsen gewesen, da es nicht die Art von Geschichte, die den Kindern des TodEsser-Clans erzählt wird, war. Einem Jungen wurde von klein auf gesagt, dass er für große Dinge bestimmt sei. Sein ganzes Leben lang strebte er nach diesen großen Dingen und ließ Familie, Freunde und große Lieben hinter sich, bis er schließlich König wurde. Ich weiß noch, wie ich dachte, dass der Junge trotz des glücklichen Ausgangs alles hinter sich gelassen hatte, um das zu werden, was er angeblich sein sollte. Das würde ich nie für mich wollen.«

»Aber Ihr würdet es für einen Prinzen wollen?«

»Ich halte den Jungen nur am Leben. Ich habe kein Interesse daran, ihm sein Leben und seine Bestrebungen vorzuschreiben. Das überlasse ich anderen.«

»Andere wie mich? Götter sind dafür bekannt, dass sie Menschen auf den ihrer Meinung nach richtigen Weg bringen wollen.«

Er kniff seine Augen zusammen. »Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr mich von einem Leben voller Frieden und Landwirtschaft abgewendet habt?«

Der alte Mann lachte.

Natürlich wusste er, dass es keine direkte Antwort von ihm geben würde. »Was ist, wenn es einen Grund für Eure Geburt gab, Ihr aber nicht wisst, was es ist? Das Leben sollte Euch den Grund für Eure Bemühungen schon geben, so fragwürdig er auch sein mag. Das Wissen würde mich nur in meinen Träumen verfolgen. Es ist die Stunden meines Wachzustands nicht wert.«

Theros nickte. »Weisheit beginnt damit, dass man von ihrer Notwendigkeit weiß. Eine andere Form von Weisheit ist, wenn man weiß, dass man nicht alle Antworten auf die Fragen des Lebens suchen sollte.«

Der Wald verschwand und der Barbar zischte, sah sich um und griff erneut nach seinem Schwert. Diesmal war es da. Der kalte Stahl und Silber weckte ihn auf und er bemerkte, dass der Prinz ihn wachrüttelte.

»Ich kann meine Augen nicht mehr lange offen halten«, gab der Junge zu. »Ihr müsst die Wache übernehmen.«

Skharr nickte. Er fühlte sich zwar nicht völlig ausgeruht, aber er bezweifelte, dass er das jemals in einem Verlies sein würde. Für den Moment war er ausgeruht genug.

* * *

Es fühlte sich an, als hätte er gerade erst die Augen geschlossen und als er sie wieder öffnete, konnte er nicht ausmachen, wie viel Zeit vergangen war.

Diese Art des Aufwachens war interessant und Tryam blickte mit trüben Augen auf seine Umgebung. Er hatte eigentlich erwartet, dass ein Kampf auf sie warten würde, aber sie waren nur von Stille umgeben. Es war dieselbe Stille, unter der er sich mühsam wachgehalten hatte, bevor er schließlich aufgab als Skharr ihn wachrüttelte.

»Wie lange…«, fragte er.

»Woher soll ich das wissen?«, murmelte der Barbar. »Mindestens drei Stunden, schätze ich, aber das könnte auch falsch sein.«

»Ich fühle mich, als ob ich gerade erst eingeschlafen wäre.«

»Gewöhnt Euch an dieses Gefühl.« Skharr stieß sich von der Wand, an der er gelehnt hatte, ab, richtete sich komplett auf, streckte sich vorsichtig und untersuchte sein verletztes Bein. »Allerdings ist es am besten, nicht zu lange an einem Ort zu bleiben.«

Dagegen hatte der Prinz nichts einzuwenden und kam mühsam auf die Beine, streckte sich und gab seinem Körper einen kurzen Moment Zeit, die Steifheit zu verlieren. Obwohl er sicher war, dass er mindestens eine Woche lang schlafen konnte, fühlte er sich ein wenig besser als zuvor.

»Darf ich eine Frage stellen?« Er sah Skharr an und wartete darauf, dass der Mann an ihre mangelnde Zeit erinnerte.

Jedoch schien der Krieger, etwas nachdenklicher als zuvor zu sein und schüttelte den Kopf. »Ich kann einen freien Mann nicht vom Reden abhalten.«

»Wie ist es, als Barbar gesehen zu werden?«

Skharr starrte ihn mit gerunzelter Stirn an. »Wie meint Ihr das? Wie es ist, dass die Leute mich für unintelligent halten? Dass sie denken, ich besäße nicht mal den Anstand der zivilisierten Menschen aus den großen Städten?«

Der Prinz dachte kurz nach und schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist vielleicht das, was Euch ärgert oder was die Leute gesehen und Euch und Eurem Volk vorgeworfen haben, weil sie Euch fürchten. Wenn Ihr unter den Stadtbewohnern geht, wissen sie, dass ein Mörder unter ihnen weilt. Sie fühlen sich besser, wenn sie sich einen Spaß daraus machen können und diejenigen, die diese Angst in ihnen auslösen, verspotten.«

»Ich bin ein TodEsser«, antwortete der Krieger schlicht, als ob das die Frage beantworten würde. Als er bemerkte, dass dies nicht der Fall war, fuhr er fort. »Der Clan existiert seit vielen Generationen. Wenn man Geschichten über Barbaren hört, sind sie immer über diesen oder jenen Clan, der darüber spricht, was er vollbracht hat. Es wird darum gekämpft, wer die besten Krieger, die besten Heiler, die gerissensten Pferdediebe oder die begehrtesten Söldner hat.«

»Sie dürfen ihre Streitigkeiten austragen, weil wir TodEsser uns am liebsten von anderen fernhalten. Wenn wir an diesen Versammlungen teilnehmen, lernen die Jünglinge der anderen Clans, in unserer Gesellschaft den Mund zu halten. Die Älteren versuchen natürlich ihr Bestes. Jedes Mal, wenn ich an solchen Veranstaltungen oder Festen zum Handeln teilnahm, war es das Gleiche. Die Leute, welche ihre Lektion bereits gelernt hatten, wiesen die Jugendlichen an, ihre Prahlerei zu unterlassen, bis wir es nicht mehr hören konnten.«

»Ich bezweifle, dass die jungen Leute gehorcht haben. Krieger sind oft von Natur sowie von Beruf aus streitlustig.«

»Das tun sie selten.« Skharr stoppte, da er glaubte, in der Nähe ein Kratzen gehört zu haben. Er drehte sich um, um erneut danach zu lauschen, aber das Geräusch wiederholte sich nicht. »Es gab einen Kampf, vielleicht zwei, wenn die Älteren und Erfahreneren die Lektion im Eifer des Gefechts vergessen hatten. Für uns war es eine gute Möglichkeit, unsere Fähigkeiten zu verfeinern. Es gibt Barbaren und dann gibt es TodEsser.«

»Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr über ihnen steht?«

»Ich meine, dass wir zu einer ganz anderen Gattung gehören. Leider verstehen die Menschen oft nicht die Unterschiede und sehen alle, die anders sind, als eine Einheit an und beurteilen sie daher gleich. Zu ihrer Verteidigung sei gesagt, dass die anderen Clans es nicht schaffen, sie eines Besseren zu belehren. Das ist gut für sie und ich habe mit ein wenig Überlegung gelernt, dass es auch für mich gut ist.«

»Ihr meint, dass Ihr vorgebt, ein Barbar zu sein, während Ihr gebildet sprecht.«

»Die Überraschung in ihren Augen ist ziemlich befriedigend.« Der Krieger hatte sein Gepäck genommen und schaute, welche Sachen noch übrig waren. Tryam wusste natürlich, was er denken würde. Sie hatten ihre Trinkschläuche mit genügend Wasser aufgefüllt, um ein paar Tage durchzuhalten, aber ihr Essen würde nicht so lange reichen. »Ich werde es Euch so erklären, dass Ihr es versteht. In jedem Menschen steckt ein Barbar, der darauf wartet, freigelassen zu werden. Dies passiert zu einem Zeitpunkt, an dem Ihr entscheiden müsst, was ihr akzeptieren werdet. Den Tod, eine Niederlage oder die Entfesselung der Wut, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.«

»Das habe ich schon einmal gehört. Es ist ein Geisteszustand, den man erreichen muss. Einer meiner Lehrer nannte es die Illusion des Friedens.«

Skharr nickte. »Erst dann werdet Ihr begreifen können, was den Unterschied zwischen Euch und den Männern oder Monstern, gegen die Ihr kämpft, ausmacht. Die Clanmitglieder lernen das, während sie heranwachsen. Für uns TodEsser ist es so überlebenswichtig wie die Milch unserer Mütter. Selbst da wird eine TodEsser-Mutter ihr Kind zwingen, um ihre Zitze zu kämpfen. Wir wachsen mit dem Wissen auf, diesen Bereich unseres Geistes immer wieder anzustreben und mit ihm so vertraut wie mit dem Atmen zu werden.«

Tryam nickte, während er alles in seinen Beuteln verstaute. »Es ist eine Technik, die man lernen kann, oder?«

»Vielleicht. Es ist eine Sache, diese Denkweise in einer verzweifelten Situation als gelernte Technik zu benutzen, aber eine ganz andere, wenn sie einem in jeder Situation natürlich zufällt, meint Ihr nicht auch? Letztendlich unterscheiden sich die Clans von den TodEssern dadurch, dass sie den Wahnsinn beschwören können, wenn sie ihn brauchen. Wir beschwören die Vernunft, wenn wir sie brauchen.«

Der Prinz sah nachdenklich aus, während er sein Gepäck über seine Schulter warf und seine Waffen prüfte. »Wollt Ihr damit sagen, dass Eure Vernunft und Anstand die wahre Schau ist?«

»Das müsst Ihr selbst herausfinden.«

Er erschauderte. Wenn er darüber nachdachte, war er sich nicht sicher, ob Skharr schon einmal in seiner Anwesenheit seine wahre Natur voll entfaltet hatte. Unter keinen Umständen wollte er das Ziel davon werden. Der Mann war ein intelligentes Wesen, aber es war ihm beigebracht worden, dies zu verheimlichen. Vielleicht hatte er es sich auch selbst beigebracht.

Es war die Inspiration für Ungeheuer aus Kindergeschichten und vielleicht noch furchterregender als der Drache, dem er gegenübergestanden hatte. Er konnte sich nur vorstellen, wie eine Horde von Kämpfern wie er von den Bergen herunterkam.

Der Gedanke daran war nicht weniger erschreckend, aber er würde diese Situation bedenken müssen, wenn er jemals Kaiser werden sollte. Es wäre interessant, TodEsser an seiner Seite zu haben. Wenn einer von ihnen bereits so fähig war, würde eine Gruppe von ihnen vielleicht ausreichen, um sogar den Vizekaiser zum Schweigen zu bringen.

»Kommt jetzt.« Skharr knurrte vor Ungeduld. »Es ergibt keinen Sinn, den ganzen Tag oder Nacht mit Gesprächen zu verbringen.«

Sie folgten dem Tunnel und der Barbar wirkte viel nachdenklicher und sogar ruhig und gebändigt. Es konnte sein, dass sein Bein noch nicht ganz verheilt war. Zwar humpelte er nicht, aber er konnte die Schmerzen auch verbergen.

Der Tunnel endete ziemlich plötzlich, als sie um eine Ecke bogen und sie standen am Eingang eines großen Raumes. Die Größe des Raumes verschlug ihm fast das Atmen. Vor ihnen befand sich ein kleiner Felsvorsprung, der jedoch abrupt endete. Der einzige Weg vorwärts war eine schmale Brücke ohne Geländer, die zu einem dunklen Bereich, welcher nicht von dem Licht um sie herum durchdrungen werden konnte, führte.

»Ihr wisst, dass Ihr Euch der letzten Prüfung allein stellen müsst?«, fragte Skharr, während er die Brücke studierte. Tryam konnte sehen, dass es ihm diese Worte viel Mühe kosteten. »Diese letzte Prüfung ist für Euch und nur für Euch.«

Er nickte und holte tief Luft, doch irgendwie gelang es ihm nicht, seinen Magen zu beruhigen. »Ich weiß.«

»Nun, wenn Ihr Euch aufmacht, werde ich zumindest da sein, um Euch viel Glück zu wünschen.«

»Glaubt Ihr an Glück?«

»Nein, aber es ist eine nette Geste, wenn man einen Freund in sein mögliches Verderben schickt.«

»Ihr gebt mir eine Menge Trost«, scherzte der Prinz und betrat die Brücke. Er war erleichtert, dass sein Begleiter ihn noch nicht verlassen musste.

»Ich bin nicht hier, um Euch zu trösten, sondern nur, um Euch so weit wie möglich zu bringen.«