Kapitel 26

G lücklicherweise war ein Geleittrupp in Geron, was eine kleinere Stadt am Rande der Wüste war, bereit, sie in die Reichsstadt zu bringen.

Skharr erzählte dem Trupp, dass sie zwei Wachen waren, die so schnell wie möglich die Stadt erreichen mussten. Der Prinz entschied, dass dies die richtige Vorgehensweise war, nachdem er die Situation abgewogen hatte. Außerdem hatte dies den Vorteil, dass sie kein Gold für die Reise bezahlen mussten, solange sie sich den Wachen der Gruppe anschlossen.

Obwohl er befürchtet hatte, dass sie unterwegs angegriffen werden würden, konnte Tryam sich über einen friedlichen Verlauf der Reise freuen. Es schien Jahre her zu sein, seitdem er nicht mehr in einer lebensbedrohlichen Situation gewesen war. Jedoch sagte ihm sein Instinkt, dass sich dies ändern würde, wenn sie ihr Ziel erreichen würden.

Der Schlaf war erholsamer, als er erwartet hatte. Seltsamerweise hatte er sich wohlgefühlt, als er mit seinem neuen Schwert im Arm geschlafen hatte. Die beiden Gefährten wachten für ihre morgendlichen Übungen früh auf, aber je länger sie übten, desto mehr wurde ihm klar, dass der Barbar immer noch Schwierigkeiten mit dieser Waffenart hatte.

Seine Grundlagen waren gut und seine Fußarbeit war zwar fehlerfrei, aber er bewegte sich zu wenig mit den Hüften. Er verließ sich zu sehr auf die Kraft und Geschwindigkeit seiner Arme und Schultern. Trotzdem war Skharr immer noch der überlegene Krieger und er erinnerte sich oft daran, dass der Skharr auf dem Übungsplatz sich erheblich von dem Mann auf dem Schlachtfeld unterschied.

Aber das Schwert war eine feinere Waffe und an diese Feinheiten konnte sich der Mann nur schwer gewöhnen.

Die Reise in die Stadt hatte einige Wochen gedauert und der Krieger hielt inne, um die Weite des Landes zu studieren. Er kniff die Augen zusammen, während sein Blick über die gesamte Fläche schweifte.

Mitten durch die Stadt strömten drei Flüsse, die alle in den Ozean mündeten und auf denen Schiffe fahren konnten. Über sie führten riesige Brücken, die gut sichtbar waren, da ihre Bögen höher als die Mauern waren, die sie umgaben.

Von ihrem Standort aus schien die Stadt über die Mauern hinauszuwachsen. Sie erstreckte sich kilometerweit und ging fast nahtlos in die Bauernhöfe über. Diese Höfe nutzten die fruchtbaren Böden der Ebene, die endlos zu sein schien.

»Ihr habt noch nie die Reichsstadt gesehen?«, fragte Tryam und war interessiert an der Reaktion seines Begleiters.

»Nie.« Skharr schüttelte den Kopf. »Ich habe immer nur von ihr gehört. Man sagte mir, dass ein Mann mit meinen Fähigkeiten in der Arena eine Menge Geld verdienen kann. Doch mochte ich die Regeln des Blutsports noch nie.«

Der Prinz kniff die Augen zusammen und deutete auf ein großes, rundes Gebäude, das über die Mauern herausragte. »Dort ist er. Der Ort, an dem die Menschen zum ersten Mal dachten, dass ich ihr Kaiser werden könnte. Bei jedem Sieg jubelten tausende meinen Namen. Man kann leicht süchtig nach diesem Gefühl werden. So viele glauben an und drängen einen zum Sieg.«

Der Barbar schüttelte den Kopf. »Blutsport. Ich habe es nie verstanden.«

»In den meisten Zivilisationen sind sie verboten, aber die Botschafter all dieser Länder kommen, um zuzusehen und so laut wie die Menge zu jubeln. Natürlich tun sie es aber privat.«

Skharr erwiderte nichts darauf und schaute mit dem Kopf zur Seite, als wolle er an etwas anderes denken, während er sich der Gruppe anschloss, die weiter in die Stadt zog.

Sie war an sich schon beeindruckend. Die Mauern waren fast dreißig Meter hoch und in regelmäßigen Abständen von Türmen unterbrochen. Alle Gebäude rund um die Mauern waren etwa hundert Schritte entfernt, damit eine angreifende Armee keine Deckung vor den herabregnenden Pfeilen finden konnte.

Ein breiter Wassergraben wurde von den Flüssen mit Wasser versorgt und die Brücken, die ihn überquerten, waren schon einige Jahrzehnte alt.

Die Reichsstadt war seit ihrer Umbenennung nicht mehr angegriffen worden. Allerdings wusste Tryam, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich das änderte, aber er hoffte, dass dann die Dinge anders laufen würden.

Natürlich wollte er sich nicht voreilig ausmalen, wie die Dinge verlaufen würden, aber als sie sich den Toren näherten, schien es möglich zu sein, dass er trotz aller Schwierigkeiten überleben könnte.

Skharr stoppte beim Hineintreten und kniff die Augen zusammen.

»Es kann… etwas zu viel beim ersten Mal sein«, sagte der Prinz beruhigend und klopfte ihm auf die Schulter. »Aber Ihr werdet es schon überstehen. So viele Kulturen vermischen sich miteinander, aber am Ende bilden sie ein gemeinsames Bild.«

Der größere Mann zögerte und neigte zustimmend den Kopf. »Das ist aber nicht das, was mich anhalten ließ.« Mit einer kleinen, unauffälligen Bewegung seines Kopfes zeigte er zur Seite.

Tryam lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Stadtwachen, die die Einreisenden beobachteten.

Einer trug nicht die gleiche Rüstung wie die anderen und besaß auch keine ähnliche Waffe. Darüber hinaus stellte er beim genauerem Hinsehen fest, dass es insgesamt zwei vertraute Gesichter waren. Beide hatten vor nicht allzu langer Zeit versucht, ihn zu töten.

Und doch fühlte es sich so an, als sei es schon lange her.

»Hauptmann Ingold«, flüsterte er und verzog das Gesicht, als der Mann ihn bemerkte und sich sofort versteifte.

Er fragte sich, ob die Elitewache ihn überhaupt entdeckt hätte, wenn Skharr nicht auf sie aufmerksam hätte. Aber es war egal. Tryam wollte nicht, dass ein Mann, der ihm immer noch einen Dolch in den Rücken rammen wollte, frei handeln konnte und wollte diese Angelegenheit schnell beenden.

Ingold tippte der anderen Wache auf die Schulter und mischte sich unter die Menge, um den beiden Neuankömmlingen zu folgen. Nur eines seiner Gruppenmitglieder war unter den Attentätern in der Gaststätte gewesen und war höchstwahrscheinlich auch das einzige Mitglied, welches überlebt hatte.

»Folgt mir«, sagte der Prinz entschlossen. »Ich kenne diese Stadt gut genug und wir werden einen Ort aufsuchen, an dem wir mit ihnen fertig werden können.«

Es war offensichtlich, dass dem Krieger einige Fragen durch den Kopf gingen, aber er sprach sie nicht aus und schnalzte nur mit der Zunge, damit Pferd ihm folgte. Die beiden anderen Tiere liefen hinter ihnen her. Tryam wusste nicht, was mit den Tieren passiert war, während sie auf sich allein gestellt waren, aber beide folgten Pferd, als wäre er ihr Anführer.

Sie entfernten sich von dem Reisetrupp, da ihre Abmachung nun erfüllt war und sie sich um andere Dinge kümmern mussten.

Nach einer kurzen Weile erreichten sie einen kleinen Platz, auf dem die Leute ihre täglichen Geschäfte an den unzähligen Ständen erledigten. In der Mitte war ein kleiner, einfacher Brunnen ohne jegliche Verzierung errichtet worden. Kinder warfen Kupferstücke hinein und hofften, dass ihre Wünsche in Erfüllung gehen würden. Der Prinz setzte sich auf den Brunnenrand und legte sein Schwert auf seinen Schoß.

Sofort verstand Skharr die Situation und trat zur Seite. Die beiden Männer kamen eilig näher und gingen zu dem Jungen, der ruhig und mit einem kleinen Lächeln auf dem Gesicht dasaß.

»Nochmals einen guten Tag, Hauptmann Ingold«, grüßte Tryam. Er sprach laut und zog damit sofort die Aufmerksamkeit der Leute auf sich, die in der Nähe standen.

Der Hauptmann hielt inne und schaut ihn mit zusammengekniffenen Augen an, weil er dachte, dass es sich um eine Falle handeln könnte. Jedoch konnte er keine Anzeichen dafür erkennen.

»Prinz Tryam«, antwortete Ingold und verschränkte die Arme vor der Brust, während die Menge wegen der Identität des Jungen leise flüsterte. »Ihr hättet nicht in diese Stadt zurückkehren sollen.«

»Wäre ich nicht zurückgekehrt, dann wäre ich nur ein Feigling gewesen.« Er blickte auf sein Schwert und strich über den Knauf. »Stattdessen seid Ihr derjenige, der ein Feigling bleibt. Ihr seid nur am Leben, weil Ihr weggelaufen seid, während der Drache Eure Männer verschlang. Ihr dachtet nur an Euch selbst und habt sie dem Tod überlassen. Zufälligerweise weiß ich, dass feiges Handeln unter den Eliten des Kaisers schwer bestraft wird. Die Strafe dafür ist der Tod. Werdet Ihr Eure Buße tun oder muss ich sie selbst vollstrecken?«

Ingold starrte die schweigende Menge an und lachte. »Ich habe Euch immer gehasst. Ihr seid nur ein wehleidiger, rückgratloser Junge, der Prinz spielt. Wenn ich Euch in den Palast zurückkehren ließe, würdet Ihr nicht einmal bis zum Ende des Tages überleben. Ich tue Euch also wirklich einen Gefallen. Ein schneller Tod ist mehr, als Ihr eigentlich verdient. Niemar, lass’ den Berater des Thronfolgers wissen, dass Prinz Tryam zwar das Verlies, aber nicht die Rückreise überlebt hat.«

»Mein Herr.« Niemar salutierte kurz und verweilte, bis Ingold sein Schwert gezogen hatte, ehe er sich umdrehte, um seinen Befehl auszuführen.

Tryam lächelte und blieb sitzen, während Skharr die junge Elitewache am Kragen packte und mit dem Kopf gegen eine nah gelegene Wand knallte.

Es war schnell und leise getan. Der Prinz bezweifelte, dass einer der Anwesenden es bemerkt hatte, da sie so vertieft in den Konflikt zwischen ihm und dem Hauptmann waren.

»Ihr nennt mich einen Feigling, aber habt meine Männer als Köder benutzt«, erwiderte Ingold und hielt sein Schwert noch immer zum Angriff bereit. »Ihr habt nicht gezögert, Euch an der Bestie, die sie getötet hat, vorbeizuschleichen. Solch ein feiger Prinz würde niemals ein Verlies betreten, geschweige denn vollenden. Es ist meine Pflicht, ein Stück Gossenscheiße wie Euch vom Thron fernzuhalten.«

»So sehr, dass Ihr ihm einen Dolch in den Rücken rammen würdet?«, fragte er, während er aufstand, aber seine Waffe noch nicht zum Angriff vorbereitete. »Nein, wartet. Mein Gedächtnis hat mich einen Moment lang getrogen. Ihr habt einen anderen bezahlt, mir den Dolch in den Rücken zu stoßen, weil Ihr selbst nicht den Mut dazu hattet. Schluss jetzt. Hört auf, Euch hinter Eurer Feigheit zu verstecken, Ingold. Geht ehrenvoll in den Tod.«

Der Hauptmann hatte auf diese Gelegenheit gewartet, stürzte nach vorn und schwang seine Klinge auf den Kopf des Prinzen zu.

Stahl schabte über Leder und Tryam schwang seine nun gezogene Waffe, um den Angriff zu blocken.

Ingolds Überraschung war nur von kurzer Dauer. Er war ein erfahrener Krieger, weshalb er seine Klinge schnell zurückzog und nach dem Bauch seines Gegners schwang.

Der Schlag ging daneben. Der Prinz wich aus und hielt seine Klinge in einer gesenkten Verteidigungshaltung, während die Menge sich zurückzog, um den beiden Kämpfern den nötigen Raum zu geben. Ein paar der Anwohner eilten davon, um die Wachen zu benachrichtigen, doch schien es unwahrscheinlich, dass welche kommen würden.

Der Anführer der Elite hatte zweifellos dafür gesorgt, dass sie nicht zu Hilfe kommen würden.

Er parierte einen weiteren Schlag und kreiste langsam um den Mann, wobei er darauf achtete, Skharrs Anweisungen zu folgen und seinem Gegner keine Gelegenheit zum Angriff zu geben.

Ingold stürzte sich auf ihn und stach mehrere Male mit seinem Schwert zu, da er den Prinzen überwältigen wollte. Allerdings wurde er zurückgedrängt und Überraschung sowie Frustration waren ihm ins Gesicht geschrieben.

Tryam hinterließ eine kleine Wunde an seinem Arm als Abschiedsgeschenk.

Auch wenn es sehr verlockend war, den Mann noch wütender zu machen, unterließ er die weiteren Sticheleien, die ihm einfielen. Die Demütigung des Hauptmanns würde nicht in Form eines verbalen Kampfes erfolgen.

»Scheiße!«, brüllte Ingold und setzte zu einem neuen Angriff, der wieder auf den Bauch des Jungen gerichtet war, an. Er stürmte vorwärts, doch der Prinz wich dem Schlag mit Leichtigkeit aus und ließ den Mann an ihm vorbeirennen.

Im Vorbeigehen schwang die Elite wild mit ihrem Schwert. Da aber der Brunnen näher war, als der Mann erwartet hatte, konnte er sich nicht einfach wieder umdrehen, sondern musste darum kämpfen, nicht sein Gleichgewicht zu verlieren und ins Wasser zu stürzen.

Sein Atmen stockte, als der kalte Stahl von Tryams Schwert gegen seinen Hals drückte und er drehte sich langsam um.

Mit wachsamem Blick wartete er auf den tödlichen Schlag, aber als dieser ausblieb, drückte er das Schwert mit seinem eigenen zur Seite.

Die zuschauenden Leute schwiegen und sahen zu, wie der Prinz mit dem Hauptmann spielte.

»Ich bin enttäuscht, Ingold«, flüsterte er und war sich sicher, dass der Mann seine Überlebenschance berechnete, wenn er weglaufen sollte. »Wenn ich den Thron besteige, werde ich bessere Männer für meinen Schutz finden müssen.«

Das brachte den Mann zum Ausrasten. Er schrie und stürzte sich auf den Prinzen, der mit großer Gewissheit auf ihn wartete. Dies zeigte nur, wie sehr der Prinz die Situation unter Kontrolle hatte.

Der Junge fing den wilden Schlag ab, schob die Waffe seines Gegners beiseite und verkürzte den Abstand zwischen ihnen. Er schob seine Klinge in die Kniekehle des Hauptmanns und riss sie mit einem Ruck nach oben, um das Bein des Mannes beinahe abzutrennen und ihn von den Beinen zu reißen. Sein Gegner stöhnte auf, als er mit dem Rücken auf das raue Kopfsteinpflaster traf.

Tryam stach mit seiner Waffe nach der Brust seines Gegners, doch Ingold fing die Klinge mit seiner Hand.

Der Blick des Hauptmanns fiel auf Skharr, der über seinen bewusstlosen Mann stand und er schüttelte den Kopf.

»Nein«, flüsterte er.

»Die Zeiten, in denen ich mich einen Dreck darum scherte, was nutzlose, madenhirnige, arschleckende Lakaien wie Ihr denken, sind vorüber, Ingold«, sagte Tryam. Seine Stimme war leise und ruhig, sodass nur sie beide sie hören konnten. »Ich werde Kaiser werden und alle vernichten, die versuchen, mein Volk für ihre persönliche Bereicherung zu benutzen. Darauf habt Ihr mein Wort. Im Gegensatz zu Eurem Wort, bedeutet meines etwas.«

Er drückte das Schwert nun weiter nach unten und es glitt durch die Finger des Mannes in seine Brust. Der Hauptmann konnte nichts mehr antworten, sondern keuchte nur und sah in den Himmel, bevor seine Augen ausdruckslos wurden und sein Körper erschlaffte.

Der junge Prinz nahm nur vage wahr, dass sich schwere Schritte näherten. Plötzlich rief jemand aus der Menge.

»Tryam! Prinz Tryam!«

Andere folgten dem Ruf und bald riefen alle seinen Namen.

»Prinz Tryam! Prinz Tryam!«

Skharr lachte und streckte seine Hand aus, um ihn zu beruhigen.

»Ich glaube, sie mögen Euch«, scherzte er, als der Prinz sein blutbeschmiertes Schwert an der Rüstung des Eliteanführers abwischte. »Ich gehe mal davon aus, dass ich ein wenig dazu beigetragen habe.«

»Mehr als nur ein wenig«, antwortete Tryam und klopfte dem riesigen Mann auf die Schulter. »Kommt. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass ich mit meinem Bruder spreche.«