Viertes Kapitel
Franco
So herzig! Robins Kopf leuchtet mittlerweile rot wie ein Feuerwehrauto. Zuerst hat er kleine Flecken am Hals bekommen, mittlerweile hat sich sein komplettes Gesicht gefärbt. Zugegebenermaßen macht es Spaß, ihn aus dem Konzept zu bringen.
Als ich mein Hemd ausgezogen habe, hat er Schnappatmung bekommen, und als ich ihn gefragt habe, ob er mit mir Backgammon spielen will, hat er mich nur verwirrt angeschaut und auch jetzt kriegt er überhaupt nichts auf die Reihe. Man muss kein Schlaukopf sein, um zu kapieren, dass der Kleine gerade gamsig ist und folglich in meiner Mannschaft spielt.
Also mache ich munter weiter. Gerade habe ich meine Hand unter seine Shorts geschoben. Er ist sofort näher an die Tischplatte gerückt, damit ich mehr Spiel habe. Und wie er mich jetzt anschaut … jössas!
Diese Einladung nehme ich gerne an und lasse meine Finger noch weiter hochwandern, bis ich seine Unterhose erreiche. Es sind anscheinend Retro-Pants mit Beinchen. Der Stoff fühlt sich angenehm an und ist gespannt wie ein Flitzebogen. Bin also nicht der einzige an diesem Tisch, der gerade einen Ständer hat.
Lauter versaute Gedanken wirbeln nun durch meinen Kopf. Was ich nicht alles gerne mit ihm anstellen würde! Es ist schwer, der Versuchung zu widerstehen, und nicht noch tiefer zu greifen, um seinen Schwanz zu kneten. Himmelherrgott, wenn er noch einmal so lustvoll aufstöhnen würde wie vorhin, als ich meine Hand auf sein Knie gelegt habe, wär’s um mich geschehen …
So zuckersüß wie der Kleine ist, kriegt man ja schon vom Hinschauen Diabetes. Auf der einen Seite wirkt er anständig und klug – mit all seinen Weisheiten, die er immer von sich gibt, andererseits wirft er mir gerade einen total gierigen Blick zu, der dafür sorgt, dass sich mein Atem beschleunigt.
Kruzifix, was mache ich hier eigentlich?
Gerade noch rechtzeitig, bevor ich endgültig die Kontrolle über mich verloren hätte, komme ich zur Besinnung. Augenblicklich stoppe ich die Spielerei unter dem Tisch und ziehe meine Hand zurück.
Nur weil er aussieht wie ein feuchter Traum und noch dazu etwas in der Birne hat, ändert das doch nichts an der Tatsache, dass es idiotisch ist, was ich hier tue. So gerne ich jetzt auch weitermachen würde, ich kann nicht, ich darf nicht. Meine Lebensumstände lassen es nicht zu.
Ich richte mich auf. Als wäre nichts gewesen, befinden sich meine Hände jetzt wieder auf der Tischplatte. Ich würfle und mache den nächsten Spielzug. „Du bist dran.“
Er greift aber nicht zu den Würfeln, sondern legt seinen Kopf schief, um mich ausführlich zu betrachten. „Wohnst du auch hier in der Hütte so wie Rosa-Marie und ihre Mutter?“, will er wissen.
„Nein“, antworte ich und schlucke den Knödel, der sich blitzschnell in meinem Hals gebildet hat, runter. Mit der Frage hat er meinen wunden Punkt getroffen. „Lebe unten im Tal“, erkläre ich.
„In St. Josef?“
„Nein.“
„Ach so, wo denn?“
„Weiter weg.“ Ich presse die Lippen aufeinander. Mehr werde ich ihm zu diesem Thema ganz bestimmt nicht sagen und schicke ein Stoßgebet in den Himmel. Er möge bitte damit aufhören, mich auszufragen.
Nachdem wir ein paar Momente lang geschwiegen haben, beugt er sich über den Tisch und wirft mir einen geheimnisvollen Blick zu. „Weißt du, ich wohne unten im Josefhof. Bin noch ein paar Tage hier, bevor es wieder zurück nach Hause geht. Vielleicht magst du dich ja mal mit mir treffen. Abends. Wir könnten gemeinsam etwas unternehmen, hm?
„Du meinst also … ein Rendezvous?“
„Ja, ein Date.“
Die Erleichterung darüber, dass er aufgehört hat, nach meinem Wohnort zu fragen, ist nur von kurzer Dauer, denn der Vorschlag, den er gerade gemacht hat, schnürt mir die Brust zu. Ein Date mit Robin ist nämlich leider genau das, was ich will, nur kann ich nicht einwilligen. Einmal mehr verfluche ich die Situation, in der ich gerade stecke. Es ist zum aus der Haut fahren! Private Treffen abseits meiner Arbeit sind halt nicht möglich und es wäre riskant, gegen die Regeln zu verstoßen.
„Leider, das geht nicht“, erwidere ich daher. „Tagsüber kannst du mich gerne hier auf der Hütte besuchen, aber  abends … nein, da kann ich nicht.“
„Oh, okay … yo, alles klar.“ Der irritierte Unterton in seiner Stimme ist nicht zu überhören.
„Tut mir leid.“
„Kein Problem. Sorry, dass ich überhaupt gefragt habe.“ Abwehrend hält er die Hände hoch.
Sakra noch einmal, gerade gab es noch dieses heiße Knistern zwischen uns. Jetzt ist es wie weggeblasen. Von einer Sekunde auf die andere ist es so, als hätte sich eine unsichtbare Wand zwischen uns aufgebaut. Zu unserer Stimmung passend hat sich jetzt auch eine große Wolke vor die Sonne geschoben. Während sich der Himmel verfinstert, trifft mich ein kühler Windstoß. Ich suche also mein Hemd, das ich mir schnell wieder überziehe.
„Bin dann wieder im Stall. Muss arbeiten“, erkläre ich.
„Ist jut“, erwidert er leise und schiebt dabei die Unterlippe vor, wodurch sich sein beleidigter Gesichtsausdruck nur noch verstärkt. „Muss ja auch wieder hinunter ins Tal.“
Dass er keine Freudensprünge macht, nachdem ich ihm einen Korb gegeben habe, ist nur allzu  verständlich. Mein Gott, wie gerne ich ihm erklären würde, warum wir uns nicht treffen können! Hat ja überhaupt nichts mit ihm zu tun, ganz im Gegenteil. Was gäbe es Schöneres, als mit einem klugen und feschen Burschen wie Robin auszugehen? Nur wie soll ich das bitte anstellen, solange ich nicht frei bin?
Ihm die Wahrheit auf den Tisch knallen? Das kommt nicht infrage. Damit würde ich ihn nur noch mehr verschrecken und dann gäbe es erst recht kein Rendezvous. Dazu kommt, dass ich mit der Chefin und Rosi ja vereinbart habe, dass wir mein Geheimnis vor den Gästen für uns behalten. Und daran halte ich mich.
„Hör zu, Robin“, fange ich das Gespräch schließlich noch einmal an, „glaub mir, trotzdem würde ich dich gerne wiedersehen. Wär schön, wenn du mich tagsüber noch einmal hier besuchen kommen würdest.“ Seinen skeptischen Gesichtsausdruck ignorierend, fahre ich fort: „Hast ja gesagt, dass du noch einige Tage in St. Josef bleibst. Wir könnten auch hier heroben etwas unternehmen, eine Runde spazieren oder so, hm?“
„Yo, mal gucken.“ Er zuckt mit den Schultern.
„Wie wär‘s morgen?“
„Vielleicht, weiß noch nicht.“ Er weicht meinem Blick aus. Dann winkt er der Chefin zu, die gerade an uns vorbeiläuft, und deutet ihr, dass er zahlen möchte.
„Wär echt schön“, murmle ich.
Als die Chefin an unserem Tisch erscheint, drückt Robin ihr das bereits abgezählte Geld in die Hand. „Tschüss Franco“, sagt er und die Enttäuschung schwingt in seiner Stimme mit. Als er sich von mir abwendet und die Terrasse verlässt, würde ich ihm am liebsten nachrufen, dass er bleiben soll. Ich beiße mir aber auf die Lippe, denn es hat schlichtweg keinen Sinn.
Im Stall bereite ich später die Futterrationen für die Viecher vor und würde am liebsten mit Anlauf meinen Kopf gegen die Wand dreschen. Noch mehr Kummer kann ich in meiner derzeitigen Situation echt nicht gebrauchen. Weil die Kopf-Wand-Variante total belämmert ist, trete ich stattdessen fest gegen einen Heuballen und bleibe darin stecken .
„Himmel, Arsch und Zwirn“, fluche ich, als ich ihn wieder herausziehe und die Halme, die sich an den Ösen meiner Stiefel verfangen haben, abschüttle.
Lucki schaut mich erschrocken an. Mähhh , mähhh macht sie.
„Lucki, brav“, beruhige ich sie und streichle ihren Kopf, denn die Ziege kann wirklich nichts dafür, dass in mir gerade alle Sicherungen durchbrennen.
Vernünftig betrachtet ist die Sache völlig klar. Ich steigere mich in etwas hinein. Was soll ich denn mit Robin? Nur mal angenommen, ich würde gar nicht in dieser beschissenen Lebenssituation stecken, wäre es trotzdem unsinnig. Worauf würde das Rendezvous denn hinauslaufen? Auf schnellen Sex und nicht mehr, denn in ein paar Tagen ist er sowieso wieder fort. Sicher, mit Robin zu schlafen, ist ein total geiler Gedanke, aber ich war noch nie ein Kerl, der es auf schnelle Abenteuer abgesehen hat. Wenn schon möchte ich ihn richtig kennenlernen. Egal von welcher Seite ich die Sache also betrachte, ist klar, dass es das Klügste wäre, endlich nicht mehr an ihn zu denken.
Wiedersehen werde ich ihn sowieso nicht. Als ich ihn vorhin danach gefragt habe, hat seine Reaktion ja nicht gerade vielversprechend geklungen. Ich lasse mich ins Heu sinken und vergrabe meinen Kopf unter meinen Händen. Aber wie soll ich die Sache gut sein lassen, wenn der hübscheste Bursche der Welt ausgerechnet zu unserer Hütte kommt und mich nach einem Rendezvous fragt – und sich mein Herzschlag beschleunigt, sobald ich an ihn denke? Himmelherrgott, noch nie habe ich mich zu einem Fremden so hingezogen gefühlt und ich kann nichts anderes tun, als ihm beinhart einen Korb zu geben. Es ist verdammt unfair!
Nach ein paar weiteren Minuten des Grübelns springe ich plötzlich auf. Was, wenn er es sich anders überlegt und morgen doch wiederkommt? Darauf sollte ich vorbereitet sein. Eilig zimmere ich also in meinem Kopf einen Plan zusammen. Irgendwie muss es doch möglich sein, mich zumindest für ein oder zwei Stunden von hier abzuseilen. Ja, wieso denn nicht? Die Chefin ist total nett und Rosi sowieso. Es könnte mir also gelingen, zumindest hier heroben mit Robin für eine Weile alleine zu sein.
Ich arbeite weiter und behalte dabei die Tür im Auge. Als Rosi mit einem Eimer voller Küchenabfälle an der Ziegenkoppel vorbeiläuft, mache ich: „Xs, xs.“
Sie schaut her. „Was ist denn, Franco?“
„Komm schnell mal her!“
Sie kippt die Abfälle auf den Komposthaufen und kommt dann zu mir.
„Glaubst du, wäre es möglich, dass ich morgen, wenn Robin wieder vorbeikommen sollte … na ja, dass ich dann eine Zeitlang mit ihm von hier verschwinde?“, frage ich.
Sie kichert. „Also doch, du und der Robin? Mei, hab’s mir ja gleich gedacht.“ Im nächsten Moment wird ihr Gesichtsausdruck aber ernst und sie fährt in einem geheimnisvollen Flüsterton fort: „Aber das verstößt doch bestimmt gegen die Auflagen, oder?“
„Natürlich tut es das, aber, aber …“ Ich gestikuliere, während ich nach einer geeigneten Erklärung suche. „Es gab doch erst letzte Woche eine Kontrolle. Warum sollten sie denn ausgerechnet morgen wiederkommen?“
„Hm, stimmt auch wieder.“ Sie macht eine wegwischende Handbewegung. „Ja, und die Mama wird auch nichts dagegen haben, sicher nicht.“
„Du meinst also, ich könnte wirklich, sagen wir, für zwei Stunden oder so …“
„Jo sicher, Franco.“
Ich spüre, dass mein Herz einen Hüpfer macht, als ich begreife, dass mein Plan aufgehen könnte. Als sie sich umgedreht hat und wieder zurück zur Hütte läuft, rufe ich ihr nach: „Tust du mir noch einen Gefallen, Rosi?“
„M-hm, was denn?“
„Könntest du für morgen einen Picknickkorb vorbereiten?“