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»G anz ehrlich, diesem arroganten BKA-Schnösel Sowa hätte ich gerne meine Meinung gegeigt«, murrte Brandt noch immer gereizt, als er und Aydin bereits wieder in ihrem Büro waren. »Der hat doch nur Informationen gesaugt, aber nichts Wertvolles beigesteuert.«
»Na ja, immerhin wissen wir, dass unterschiedliche Geschossformen genutzt wurden«, schien Aydin wie so oft etwas Positives zu suchen.
»Du Scherzkeks, dafür brauchen wir doch nicht das BKA. Da hätte ein Anruf bei den Kollegen in Frankfurt genügt. Aber diese subtilen Spielchen sind dir leider fremd.«
»Was für subtile Spielchen?« Aydin verzog das Gesicht, als könnte er Brandt nicht folgen.
»Der hat uns in die Eier getreten und wir haben uns noch artig bei ihm dafür bedankt. War klar, dass du das nicht gesehen hast. Du musst härter werden.«
»Was hat das damit zu tun? Bender hat die Besprechung anberaumt und die Kollegen vom BKA eingeladen.«
»Nicht ganz, die haben sich über das Präsidium selbst eingeladen. Du magst vielleicht auf der Polizeihochschule gewesen sein und intellektuell die meisten hier in die Tasche stecken, aber manchmal sind deine Naivität und Gutgläubigkeit echt rührend.«
»Du musst deine schlechte Laune nicht an mir auslassen«, reagierte Aydin eingeschnappt und presste die Lippen zusammen.
Natürlich hatte er damit auf seine Weise recht, Brandt war sauer und deshalb nicht wirklich diplomatisch. Die Besprechung hatte kaum neue Erkenntnisse gebracht und Brandt war wütend auf Bender, da sie seinen Vorschlag abgelehnt hatte. Er hatte eine kleine Runde gewollt, ohne das BKA und die vielen anderen Abteilungen, mit denen sie während ihrer Ermittlungen kaum Kontakt haben würden, aber Bender hatte sich dagegen entschieden. Und jetzt musste Aydin als Wutablassventil herhalten.
»Ich habe keine schlechte Laune«, versuchte er dennoch, diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen zu lassen, aber Aydin lachte, was Brandt nur noch mehr reizte. »Ich meine das ernst.«
»Dafür kenne ich dich zu gut. Du bist sauer. Aber das bringt doch nichts. Wir sollten uns lieber auf die Ermittlungen konzentrieren. Warum rufen wir Arndt und Elke nicht einfach an und stimmen uns mit ihnen ab. Immerhin leiten sie die Ermittlungen für die Kripo Lübeck.«
Kaum hatte Aydin das ausgesprochen, klingelte Brandts Bürotelefon.
»Brandt, Kölner Kriminalpolizei«, meldete er sich.
»Arndt hier. Ich dachte, ich rufe mal an.«
»Na, wenn das kein angenehmer Zufall ist!«, antwortete Brandt, seine Stimmung hellte sich merklich auf und er drückte den Knopf, damit der Anruf über Lautsprecher zu hören war. »Ob du es glaubst oder nicht, ich hatte gerade genau den gleichen Gedanken und wollte euch anrufen.«
»Eigentlich war es meine Idee. Hallo, Arndt«, machte sich Aydin bemerkbar.
»Und Kollege Brandt will wieder die Lorbeeren einheimsen, das sieht ihm ähnlich«, lachte Arndt. Brandt musste schmunzeln, weil er sich nun eingestehen konnte, dass er durch seine Wut tatsächlich etwas übers Ziel hinausgeschossen war.
»Ist Elke auch bei dir?«, fragte Brandt.
»Bin auch da, Jungs. Einer muss den Hanseaten ja bändigen«, antwortete Elke und Brandt konnte ihr Lächeln bei diesen Worten aus ihrer Stimme heraushören. Elke und Arndt arbeiteten seit einigen Jahren zusammen und soweit Brandt informiert war, waren sie seit dem vergangenen Jahr ein Paar.
»Gut, dann lasst uns noch mal alles auf den Tisch legen, was wir haben. Vielleicht ist vorhin in der Besprechung etwas untergegangen, es waren zu viele Leute. Mich würde interessieren, ob das BKA euch noch andere Hinweise geliefert hat, schließlich ermittelt ihr schon länger als wir. Wenn ich mich recht entsinne, wurde Nils Holm am 11. Juni ermordet. Richtig?«, sagte Brandt.
»Das stimmt. Die Vorgehensweise ist okay für uns. Leider hat uns das BKA bisher wenig genutzt. In der aktuellen Fallakte, die Willy euch zuschicken wird, findet ihr sämtliche Hinweise seitens des BKA.«
»Sehr gut. Und Bender schickt euch unsere Fallakte. Erzählt doch noch mal, was ihr genau wisst.«
Natürlich hatte Brandt vorhin in der Besprechung jede Menge Details erfahren, aber er fand, es könnte nicht schaden, wenn er es ein zweites Mal von Arndt und Elke persönlich hörte. Die beiden Lübecker wechselten sich bei der Erzählung ab und am Ende musste Brandt ernüchtert feststellen, dass auch sie keine wirklich heiße Spur hatten.
Danach schilderten er und Aydin den Stand ihrer Ermittlungen. Arndt und Elke hörten aufmerksam zu und stellten immer wieder Fragen.
»Wenn wir ehrlich sind, gibt es doch einige Ungereimtheiten«, begann Arndt, nachdem Brandt seine Erzählung beendet hatte. »Weder beim Lübecker Mord noch beim Frankfurter war es notwendig, dass der Täter eine Person aus dem familiären Umfeld entführen musste, um die Zielperson in die tödliche Falle zu locken. Und dann gibt es noch das Rätsel der abweichenden Geschossform beim Frankfurter Mord. Würde so wirklich ein Profi vorgehen? Spricht das nicht eher für einen Amateur, der bei seinen Plänen plötzlich mit unerwarteten Ereignissen umgehen musste?«
»Unerwartet?«, hakte Aydin nach.
»Profis halten sich immer an ihren Plan, sie wissen, wie sie ihr Opfer töten müssen, es kommt auf keinen Fall zu einer Abweichung vom Plan. Aber Amateure neigen zur Improvisation, wenn sie das Gefühl haben, dass sie ihren Plan nicht durchziehen können. Ich glaube wie du, Arndt, wir können ausschließen, dass es sich um einen Auftragsmord handelt«, erklärte Brandt.
»Das denke ich inzwischen auch. Ein bedauerlicherweise gutes Beispiel für einen Auftragsmord, der von Profis durchgeführt wurde, ist der Mord an dem Georgier vor Kurzem in Berlin. Er wurde aus kurzer Distanz erschossen. Bestimmt habt ihr davon gehört«, sagte Arndt.
»Wer hat das nicht. Ein Bekannter vom Nachrichtendienst geht davon aus, dass Russlands Geheimdienst GRU dahintersteckt. Das Schlimme ist, dass unsere Nachrichtendienste nichts davon mitbekommen haben, das untermauert die hohe Professionalität und die Annahme, dass der russische Geheimdienst damit zu tun hat. Den Täter wird man niemals finden, der ist doch längst in Russland untergetaucht«, antwortete Aydin.
»Ein politischer Mord, durchgeführt von russischen Behörden in Deutschland, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen«, war Arndts trockener Kommentar. Brandt konnte darüber ebenfalls nur den Kopf schütteln. Dass so etwas in Deutschland möglich war, war erschreckend. In den USA beispielsweise würde es sicher nicht passieren, dass die Russen einen Mord ohne Zustimmung der amerikanischen Geheimdienste durchführen könnten, dachte Brandt. Deutschland war in der Hinsicht ein Entwicklungsland. Leider.
»Gut, wenn wir uns darauf einigen, dass es kein Auftragsmord war und dass kein Geheimdienst dahintersteckt, stellt sich die Frage, welcher Täterkreis infrage kommt. Holm war bedeutender SPD-Politiker in Schleswig-Holstein, Lau war Mitglied der CDU. Man könnte meinen, dass es sich um einen rechtsextremen Hintergrund handelt, aber wenn ich richtig informiert bin, ist das Opfer in Frankfurt Mitglied der AfD«, brachte Brandt das Gespräch wieder auf ihren aktuellen Fall zurück.
»Das stimmt. Dennoch sollten wir einen rechtsextremen Hintergrund nicht ausschließen. Ludwig Wolf galt als gemäßigter AfD-Politiker. Er hat sich dafür eingesetzt, den völkischen Flügel der AfD aus der Partei auszuschließen.«
»Was ist mit Islamisten? Gibt es einen Grund, warum Islamisten diese Politiker ermorden sollten? Habt ihr da etwas herausgefunden?«, fragte Brandt. Da sie selbst noch am Beginn ihrer Ermittlungen standen, konnte es nicht schaden, zu erfahren, ob die Lübecker Kollegen Hinweise darauf hatten.
»Es klingt skurril, aber in der Tat hat sich Wolf vor einigen Jahren dafür stark gemacht, dass in Offenbach eine Moschee gebaut wird«, antwortete Arndt, sehr zur Überraschung von Brandt.
»Jemand von der AfD macht sich für den Bau einer Moschee stark?«, fragte Aydin sichtlich überrascht.
»Nicht ganz. Damals war Wolf noch in der CDU aktiv, erst vor einigen Jahren ist er zur AfD gewechselt«, erklärte Elke.
Das ergab für Brandt deutlich mehr Sinn und brachte eine andere Frage mit sich, die er sogleich stellte: »Was ist mit Holm? Stand er auch mit der islamischen Szene in Deutschland in Kontakt?«
»Nicht wirklich. Aber die SPD hat sich letztes Jahr gegen den Bau einer Moschee in der Altstadt gestellt, was ein Motiv für eine islamistische Tat sein könnte. Aber es steht im Widerspruch zu Wolf.«
»Nicht unbedingt. Vielleicht hat ein Islamist es ihm übel genommen, dass er zur AfD gewechselt ist«, gab Aydin zu bedenken. »Es wäre interessant zu wissen, ob Klaus Lau Verbindungen zur Islamszene hatte oder sich kritisch geäußert hat. Ich werde Fischer bitten, sich darum zu kümmern.«
»Gute Idee, mach das. Dann nehmen wir auch die Islamisten in unseren Verdächtigenkreis auf«, antwortete Arndt, aber wirklich überzeugt klangen seine Worte nicht. Brandt wurde das Gefühl nicht los, dass Arndt den Täter in rechtsextremen Kreisen vermutete.
»Wir dürfen die Option Einzeltäter nicht außen vor lassen«, wandte Elke ein. »Es wäre doch möglich, dass eine einzelne Person, die einen Hass auf Politiker hegt, wahllos Jagd auf sie macht. Das würde auch erklären, warum es zu Fehlern bei den Morden kommt.«
»Das wäre möglich, aber ich kann mir schwer vorstellen, dass der Täter quer durch Deutschland reist, um wahllos Politiker zu töten«, entgegnete Brandt. »Der logistische Aufwand wäre zu groß. Einzeltäter halten sich oft an Orten auf, die sie gut kennen. Das mit den Islamisten passt irgendwie auch nicht. Immerhin wissen wir, dass die Person, die Zoe entführt hat, nicht wie ein typischer Islamist aussieht.«
»Wir haben den Täter nur von hinten gesehen, mit einer Jacke, und sicherlich wird er sein Gesicht verdeckt haben. Daraus zu schließen, dass er kein Islamist ist, finde ich etwas schräg«, erwiderte Aydin.
»Gut. Der Punkt geht an dich«, gestand Brandt ein.
Aydins Telefon klingelte, er ging kurz an seinen Schreibtisch und nahm das Gespräch an.
»Echt? Brandt und ich sind gerade in einer Telko mit den Lübecker Kollegen, sollen wir euch dazuholen?«
Brandt vermutete, dass sich die Frankfurter Kollegen endlich meldeten, da sie leider nicht an der Besprechung hatten teilnehmen können.
»Gut, ich ruf euch gleich an und hol euch in die Telko«, mit diesen Worten beendete Aydin das Gespräch.
»Sind das die Frankfurter Kollegen?«, fragte Brandt.
»Genau. Ich hol sie in unsere Telko. Ich denke mal, das ist auch in eurem Sinne«, antwortete Aydin.
»Na klar. Vielleicht haben sie ja neue Hinweise, die uns helfen können«, stimmte Arndt zu.
Aydin wählte die Nummer der Kollegen und holte sie so in die Telefonkonferenz.
»Hallo miteinander. Linus Rosenbaum und Axel Krause am Apparat«, hörten sie die Begrüßung der Frankfurter Kollegen. Brandt kannte die beiden von verschiedenen Polizeiveranstaltungen.
Das Frankfurter Team hätte unterschiedlicher nicht sein können. Axel war eher der lockere Typ und von seiner Art her erinnerte er an Rech. Linus hingegen passte überhaupt nicht in das Bild eines Kriminalpolizisten. Er war vermögend. Soweit Brandt wusste, war Linus’ Vater Unternehmer, aber Linus hatte sich für eine Polizeikarriere entschieden, wie zuvor schon sein Onkel. Er war durch und durch eitel, dagegen war Brandts Eitelkeit ein Kindergeburtstag. Trotzdem verstand Brandt sich sehr gut mit beiden und konnte nichts Negatives über sie sagen. Dass jemand reich war, schloss nicht aus, dass er ein guter Polizist war, Reichtum disqualifizierte nicht, auch wenn Brandt wusste, dass es in ihren Reihen einige Kollegen gab, die das ganz anders sahen. Doch er war noch nie ein Mensch gewesen, der sich von Vorurteilen leiten ließ, er nahm sich das Recht heraus, sich selbst ein Urteil zu bilden. Dass Axel und Linus in diesem Fall mit ihnen zusammenarbeiten würden, war sicher eine gute Sache.
Nachdem sich alle begrüßt hatten, übernahm Brandt die einführenden Worte für die Frankfurter.
»Wir haben uns eben mit den Lübecker Kollegen abgestimmt und auf den neuesten Stand gebracht. Leider wart ihr vorhin in der Besprechung nicht zugegen, daher freut es mich umso mehr, dass ihr jetzt dabei seid. Wollt ihr uns kurz über eure Erkenntnisse informieren? Wir sind gerade dabei, Hinweise zu suchen, die Details zu dem Täter beisteuern können. Bisher gehen wir davon aus, dass wir es bei allen drei Morden mit hoher Wahrscheinlichkeit mit demselben Täterkreis zu tun haben«, erklärte Brandt.
»Verstehe«, antwortete Linus, um gleich hinzuzufügen: »Dann haben wir vermutlich gute Nachrichten für euch, die hoffentlich helfen können, auch eure Morde aufzuklären.«
»Dann schieß mal los«, sagte Aydin neugierig.
War das der Grund, warum die Frankfurter Kollegen nicht an der Besprechung teilgenommen hatten? Es wäre mehr als ein glücklicher Zufall, wenn die Frankfurter Hinweise hätten, die ihnen helfen würde, den oder die Täter zu finden. Gerade vor dem Hintergrund, dass der erste Mord bereits am 11. Juni geschehen war, schien vieles darauf hinzudeuten, dass sie dem Täter nicht so leicht auf die Schliche kommen würden und Gefahr liefen, dass sich die Ermittlungen wie Kaugummi hinzogen.
»Wir haben den Täter«, antwortete Linus schlicht und Brandt fiel es schwer, sein Erstaunen zu verbergen.