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12. September, Köln
D
ie Frankfurter Kollegen hatten ihren Mörder. Brandt und Aydin brachte das nur bedingt weiter. Sie standen in ihrem Büro und starrten auf die Wand, auf der sie jede Menge Notizzettel mit Querverweisen angebracht hatten.
»Wenigstens wissen wir, dass der Mord an dem AfD-Politiker Ludwig Wolf nicht in Verbindung zu den anderen beiden Morden steht, das dürfte unseren Ermittlungen etwas Druck nehmen. Die Presse stürzt sich erst einmal auf den Mörder von Wolf.«
»Der erstaunlicherweise gar kein politisches Motiv hat.«
»Wieso erstaunlicherweise?«, hakte Brandt nach. »Nur weil ein Politiker erschossen wurde, muss doch nicht immer ein politisches Motiv dahinterstecken.«
»Na komm, seien wir ehrlich. Die meisten Menschen glauben das, immerhin war das auch unser erster Gedanke.«
»Nicht unserer, deiner«, korrigierte Brandt.
»Jetzt belügst du dich selbst. Gestern hast du noch gesagt, wir müssten die Überprüfung des Alibis des Frankfurter Tatverdächtigen abwarten.«
»Ja, du Keks«, erhob Brandt seine Stimme. »Weil ich meine Arbeit gründlich mache. Wenn der Täter für die Tatzeit des Kölner Mordes kein Alibi gehabt hätte, wäre uns nichts anderes übrig geblieben, als weiterhin anzunehmen, dass der Mord an Wolf in Verbindung zu den anderen steht. Konnte ja keiner ahnen, dass es sich um ein Eifersuchtsdrama handelt.«
»Laut Statistik sind verschmähte Liebe und Eifersucht die häufigsten Mordmotive.«
»Was wäre ich nur ohne dein Hochschulwissen«, lachte Brandt und klopfte Aydin auf die Schulter. »Lass uns noch mal mit der Frau von Klaus Lau sprechen«, schlug er vor. Die Ehefrau war bisher der wichtigste Anhaltspunkt, an den sie anknüpfen konnten. Der Mord lag inzwischen ein paar Tage zurück und Brandt hoffte, dass Frau Lau ihre Nerven nun besser im Griff hatte und sich vielleicht an Dinge erinnerte, die ihnen halfen, dem Täter einen Schritt näher zu kommen.
Die kleine Hoffnung, die er vor einigen Tagen gehabt hatte, als die Frankfurter Kollegen erwähnten, dass sie einen Tatverdächtigen hätten, hatte sich leider in Luft aufgelöst. Der Verdächtige hatte recht schnell gestanden, dass er Wolf aus Eifersucht erschossen habe, weil dieser ihn seit zwei Jahren hingehalten und vor drei Monaten endgültig aufs Abstellgleis gestellt habe. Damit war der junge Mann, der nun zum Mörder geworden war, nicht klargekommen.
Brandts Telefon klingelte, er hob den Hörer ab. Es war Fischer, der leider keine guten Nachrichten hatte.
»Bist du sicher, dass man das Bild nicht schärfer kriegt?«, fragte Brandt. Fischer verneinte, versprach aber, es noch einmal mithilfe einer anderen Software zu filtern und zu versuchen, die Bildqualität zu erhöhen.
»Ich glaube, wir werden kein besseres Bild von der Person erhalten, die Zoe entführt hat«, sagte Brandt zu Aydin, nachdem er das Gespräch beendet hatte.
»Lass uns doch auch noch einmal mit ihr sprechen, wenn wir schon bei der Mutter sind. Sie stand damals ganz offensichtlich unter Schock, vielleicht erinnert sie sich inzwischen doch an etwas.«
»Das war der erste kluge Vorschlag von dir.«
»Witzig. Dein permanentes Sticheln sagt mir, dass du Stress hast. Und zwar mit Frauen, vermutlich mit Ylva.«
Brandt presste die Lippen zusammen, seinem besten Freund konnte er einfach nichts vormachen, aber ihm war gerade nicht danach, über Ylva und seine Probleme zu sprechen.
»Komm«, sagte er stattdessen und verließ das Büro kommentarlos.
»Sehe schon, der taffe Lasse tut sich wieder schwer damit, über seine Gefühle zu sprechen, vor allem, wenn es um Ylva geht.«
»Das stimmt nicht, aber am Ende darf ich mir von dir wieder anhören, dass ich schuld wäre.«
»Wenn du das denkst, wird es wohl so sein. Was hast du angestellt? Du hast dich doch nicht getrennt?«
»Nein, das nicht. Aber in letzter Zeit habe ich das Gefühl, dass es das Beste wäre. Wir haben unterschiedliche Lebensziele.«
»Du hast doch einfach nur Angst, den nächsten Schritt zu gehen.«
»So ein Quatsch, schließlich wohnen wir schon zusammen.«
»Das ist aber nur der Beginn, der nächste Schritt wäre viel mehr. Ylva will Kinder und heiraten.«
»Hat Nina dir das verraten?«
»Das muss sie gar nicht, das will doch jede vernünftige Frau.«
»Aber doch nicht so schnell. Wir leben noch gar nicht so lange zusammen.«
»Na ja, der Jüngste bist du nicht gerade. Die fünfzig klopft schon lautstark an.«
»Scherzkeks.« Brandt schüttelte den Kopf, dabei hatte Aydin gar nicht so unrecht. Immerhin war er mittlerweile neunundvierzig Jahre alt und nächstes Jahr war es wirklich so weit und er würde fünfzig werden. Trotzdem fühlte er sich gar nicht alt und er fand, dass er deutlich jünger aussah, was er vor allem guten Genen, einer gesunden Ernährung und sehr viel Sport zuschrieb.
Seine kurzen blonden Haare hatten keinerlei Grauansatz, er hatte weder Geheimratsecken noch lichtes Haar und kaum Falten. Warum also sollte er sich an einer Zahl wie der fünfzig orientieren oder Entscheidungen davon abhängig machen?
Brandt fühlte sich unter Druck gesetzt, was ihm überhaupt nicht gefiel. Aber tief in seinem Herzen wusste er, dass es am Ende nur die Angst vor der Entscheidung war, die ihn in Panik versetzte, und dass es eben diese Angst war, die ihm einredete, er wäre noch nicht so weit, in den Hafen der Ehe einzulaufen. Vor Jahren war er am Tag der Hochzeit von seiner damaligen Verlobten sitzengelassen worden. Sie war mit einem sehr guten Freund von ihm durchgebrannt. Bis heute nagte dieses einschneidende Erlebnis an ihm, auch wenn er es anderen gegenüber nicht eingestehen wollte, und seitdem glaubte er, dass er ohne Trauschein glücklicher wäre. Aber wie es schien, traf das nicht auf Ylva zu.
»Das Alter ist ein Fakt, das weißt du genauso gut wie ich.«
»Können wir uns bitte auf den Fall konzentrieren? Ich bin gerade echt nicht in Stimmung, über Ylva zu sprechen.«
»Wie du meinst. Auch wenn du es nicht verdient hast, du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du doch noch reden möchtest.«
»Keine Sorge, ich werde davon keinen Gebrauch machen.«
»Ich weiß«, antwortete Aydin und schaute zu Boden. Brandt glaubte, Enttäuschung aus seiner Stimme herauszuhören, ging darauf jedoch nicht ein.
Jetzt zählte nur der Fall. Das mit Ylva würde sich schon einrenken, das hoffte er zumindest. Tief in seinem Herzen fand er das Angebot von Aydin aber furchtbar nett. Es gehörte zu den Eigenschaften, die er an seinem neunzehn Jahre jüngeren Kollegen so schätzte, dieses Herzliche und Hilfsbereite. Und vor allem, dass Aydin offen über Gefühle sprechen konnte. Damit hatte sich Brandt schon immer schwergetan, aber besonders schwer, nachdem seine Verlobte ihn verlassen und er bei einem Einsatz einen sehr guten Freund und Kollegen verloren hatte.
»Haben Sie den Mörder?«, fragte Monika Lau gleich zu Beginn ihres Gesprächs im Wohnzimmer ihres Wohnhauses.
»Wir stehen noch am Anfang der Ermittlungen«, antwortete Brandt. Er hatte das Gefühl, dass Frau Lau deutlich gefestigter wirkte als noch bei ihrer ersten Begegnung. Das gab ihm Hoffnung für die nächsten Fragen. »Aber wir hoffen, dass Sie uns noch den einen oder anderen Hinweis geben können.«
»Ich?« Monika Lau wirkte überrascht, sie zog die Augenbrauen zusammen. Brandt musterte sie eingehend. Sie war groß, vermutlich größer als einen Meter fünfundsiebzig, und sehr schlank, fast schon mager. Aus den Unterlagen von Fischer wusste er, dass sie achtundvierzig Jahre alt war. Einige Schönheitsoperationen und viel Botox oder Ähnliches sollten ganz offensichtlich helfen, die Zeichen des Alters aufzuhalten. Man musste kein Experte sein, um das zu bemerken, so blieb beispielsweise ihre Stirn beim Sprechen unnatürlich steif. Frau Lau hatte langes braunes Haar, sie benutzte ein wohlriechendes Parfüm und trug hochwertige Designerkleidung. Alles in allem eine sehr attraktive Frau, aber sie wirkte streng, wie jemand, der mit sich selbst nicht im Reinen und sich gegenüber sehr kritisch war.
»Nun, Sie kannten Ihren Mann besser als vermutlich irgendeine andere Person, da ist es doch naheliegend, dass er mit Ihnen über mögliche Probleme gesprochen hat«, erklärte Aydin.
Frau Lau lachte, es war ein abwertendes, überhebliches Lachen, das geradezu spöttisch klang.
»Ich habe meinen Mann mit achtzehn Jahren kennengelernt, ein Jahr später haben wir geheiratet. Aber eines können Sie mir glauben, mein Mann hat nie über seine Probleme gesprochen, das wäre in seinen Augen nicht männlich gewesen.«
Aydin nickte und schaute kurz zu Brandt. Der verstand diesen kleinen Wink, aber er fand, dass Aydin ihm unrecht tat, wenn er in Klaus Laus Verhalten eine Parallele zu ihm sah, so ein Mensch war er nicht. Er sprach schon über sich und seine Probleme, aber eben nicht so offen und freiherzig, wie sein Kollege es tat. Das hatte in Brandts Augen auch sehr wenig mit Männlichkeit, sondern vielmehr mit Lebenserfahrung und Persönlichkeit zu tun.
»Dann fassen wir es anders: Es wäre doch möglich, dass er in letzter Zeit etwas verschlossener oder gereizter war«, hakte Brandt nach, so schnell wollte er sich nicht geschlagen geben.
»Es tut mir leid, aber Sie verschwenden Ihre kostbare Zeit. Meinem Mann hat man nie angesehen, ob ihn etwas beschäftigt, immerhin war ich dreißig Jahre mit ihm verheiratet.«
Brandt glaubte das nicht, kein Mensch konnte seine Gefühle oder seine Stimmung eiskalt verbergen. Vermutlich war die Frau einfach viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie ihrem Mann zugehört oder sich um ihn gekümmert hätte. Ylva merkte es immer sofort, wenn Brandt mit schlechter Laune nach Hause kam.
»Wenn Sie etwas über meinen Mann erfahren wollen, sollten Sie mit seiner Sekretärin sprechen. Sie hat die meisten Termine für ihn organisiert.«
»Können Sie uns ihre Kontaktdaten geben?«, bat Aydin und schrieb mit, was Frau Lau diktierte.
»Hat Ihr Mann in den letzten Tagen eine größere Geldsumme abgehoben?«, wollte Brandt wissen, ihm war eine Idee gekommen. Es war sehr unwahrscheinlich, aber was, wenn Lau erpresst worden war? Nachdem die Frankfurter Kollegen ihren Mörder hatten, musste Brandt zumindest in Erwägung ziehen, dass ihr Fall nicht in direkter Verbindung zu dem in Lübeck stand.
»Nein, nicht dass ich wüsste. Warum sollte er?«
»Und wie sieht es mit Schulden aus? Hat er sich eine größere Summe Geld geborgt?«
Frau Lau schaute Brandt entgeistert an, als könnte sie nicht glauben, dass er diese Frage stellte. »Sieht es hier etwa so aus, als ob wir Geldprobleme hätten? Ich weiß ja nicht, wie Sie Ihre Ermittlungen angehen, aber man muss nicht besonders intelligent sein, um zu sehen, dass es sich hier um eine politische Tat handelt. Die politische Haltung meines Mannes war jemandem ein Dorn im Auge. Schauen Sie sich nur den Mord an Walter Lübcke in Kassel an. Sie sollten Ihre Ermittlungsprioritäten überdenken.«
»Können Sie uns denn einen Ansprechpartner bei der CDU nennen?«, fragte Aydin.
»Sprechen Sie mit seiner Sekretärin Helene Mück. Sie kann Ihnen alle Fragen beantworten.« Ihr Blick wanderte zum Fenster, während sie ihre Arme vor dem Oberkörper verschränkte.
»Vielen Dank«, antwortete Brandt und gab Aydin ein Zeichen, zu gehen.
Gerade als sie aus der Haustür waren, lief ihnen Zoe Lau in die Arme.
»Hallo. Sie sind doch die beiden Polizisten, die mich nach Hause gefahren haben.«
»Hallo«, sagte Aydin. »Das sind wir.«
»Warum waren Sie bei uns? Haben Sie den Mörder gefasst?« Ein kurzer Hoffnungsschimmer huschte über ihr Gesicht.
»Nein, wir hatten gehofft, dass Ihre Mutter weitere Hinweise für uns hat«, gestand Aydin.
»Meine Mutter?« Zoe schüttelte den Kopf. »Sie lebt in ihrer eigenen Welt. Mama hat sich nie für Papas Karriere interessiert. Warum auch, solange sie genug Geld für ihre Bedürfnisse hatte. Und dass er in die Politik ging, um etwas zu bewegen, hat sie nie ernst genommen. Ich schon und ich bin mir sicher, dass es irgendein Politikerhasser war. Bestimmt derselbe wie in Lübeck. Wussten Sie, dass man den Mörder von Ludwig Wolf geschnappt hat?«
»Wir sind im Bilde«, antwortete Brandt und war verblüfft, wie gut informiert die Tochter war. Gleichzeitig beunruhigte ihn das, denn es weckte eine Sorge. »Sie machen aber keine Dummheiten, oder?«
»Dummheiten? Was meinen Sie damit?«
»Nun, wir wissen, dass Sie ein Volontariat bei einer Zeitung machen. Sie recherchieren doch nicht auf eigene Faust?«
»Nein, das muss ich gar nicht. Aber mich allein auf die Polizei verlassen und tatenlos zusehen wie meine Mutter werde ich bestimmt auch nicht.«
»Haben Sie einen Detektiv angeheuert?«, kam Aydin Brandt mit der naheliegenden Frage zuvor. Er hoffte es nicht, denn das würde bedeuten, dass es jemanden gäbe, der womöglich ihre Ermittlungen behindern oder gar durch seine Nachforschungen dafür sorgen würde, dass der Täter unbeabsichtigt gewarnt würde.
»Nicht einen, den Besten.«
»Ich glaube, Sie tun sich keinen Gefallen damit«, sagte Brandt. Er wollte der jungen Frau auf freundliche Weise klarmachen, dass sie diesen Gedanken schnell fallen lassen sollte.
»Das denke ich nicht. Wenn jemand den Mörder meines Vaters findet, dann Peter Walsh.«
»Peter Walsh?«, sagte Aydin und kam Brandt wieder zuvor. Seine Augen wurden groß, er wirkte nicht minder überrascht als Brandt – mit dem Unterschied, dass Brandt es deutlich besser verbergen konnte.
»Ja, Sie kennen ihn?«
»Nicht wirklich«, beeilte sich jetzt Brandt mit einer Antwort, bevor Aydin etwas erwidern konnte, was Zoe nicht zu interessieren hatte. »Sind Sie sicher, dass Peter Walsh, ein ehemaliger US-Geheimdienstagent, Ihnen bei der Suche nach dem Mörder Ihres Vaters helfen wird? Der arbeitet doch eigentlich nur für Behörden.«
»Tja, da kennen Sie meine Überredungskünste nicht. Mit Speck fängt man Mäuse.«
»Können Sie uns seine Kontaktdaten geben?«
»Nein, das darf ich nicht.« Auf einmal wirkte sie hektisch. Ob sie die Wahrheit sagte oder sich das Ganze gerade ausgedacht hatte, konnte Brandt nicht sagen. Immerhin wusste sie von Walsh, was schon seltsam genug war. Aber dass Walsh sich vom Geld locken lassen würde, konnte sich Brandt nicht vorstellen.
»Zurück zu Ihnen. Können Sie sich inzwischen vielleicht an Details Ihrer Entführung erinnern?«
»Nein, kann ich nicht. Außer, dass ich geträumt habe, dass der Entführer ein Tattoo hatte.«
»Haben Sie das geträumt oder tatsächlich gesehen?«, bohrte Aydin nach.
»Ich habe es geträumt, aber es wirkte ziemlich echt. Ein Tattoo am Handgelenk. Ich glaube, es war der rechte Arm.«
»Und sonst irgendwelche Details? Irgendetwas anderes?«
»Nein, leider nicht.«
»Falls Ihnen doch etwas einfällt, rufen Sie uns bitte sofort an und warten Sie nicht darauf, bis wir Sie aufsuchen. Hier ist unsere Karte.« Brandt reichte ihr seine Visitenkarte, da er bei ihrem ersten Besuch nur der Mutter eine Karte gegeben hatte.
»Danke.«
Brandt nickte, Aydin verabschiedete sich, dann gingen die beiden Beamten zu ihrem Dienstfahrzeug, um zur Sekretärin von Klaus Lau zu fahren.
»Glaubst du ihr?«, fragte Aydin.
»Nicht wirklich.«
»Aber woher kennt sie dann Peters Namen.«
»Aus der Redaktion. Sie arbeitet doch für dieselbe Zeitung wie dieses Biest Nicole Zeller. Bei dem Anschlag auf das Polizeipräsidium saß sie uns die ganze Zeit im Nacken und hatte Peters Namen auch erwähnt.« Brandt kam mit Journalisten selten klar, weil sie ihm nur im Weg standen und seiner Meinung nach Ermittlungen eher behinderten als halfen, sie voranzubringen. Und mit dieser Zeller hatte er erst recht seine Probleme, sie war wie eine Zecke, die sich an ihren Wirt heftete und ihn aussaugte, bis sie ihre Story hatte. »Außerdem, glaubst du wirklich, dass jemand wie Walsh mit Geld zu ködern ist? Der hat mir jedenfalls nicht den Eindruck gemacht, als würde er auf Geld stehen.«
»Ich kann es mir schwer vorstellen, aber irgendwie wäre es auch cool.«
»Du schon wieder.« Brandt verdrehte die Augen. »Es wäre ein Armutszeugnis, wenn wir Walshs Hilfe brauchten, um den Mörder zu fassen. Dieses Fanclubgetue von dir ist echt kindisch.«
»So meinte ich das gar nicht. Jede Hilfe wäre doch gut, bevor weitere Morde geschehen. Und ich bin kein Fan, du tust mir wirklich unrecht. Du bist doch bloß sauer, weil dich die Mutter eben eiskalt auseinandergenommen hat.«
»So ein Quatsch.«
»Doch, als sie dir die Leviten gelesen hat wie einem Schuljungen und dir erklärt hat, wie man zu ermitteln hat, warst du für einen Augenblick ganz schön baff.«
»Du hängst, mein Lieber.« Brandt schüttelte den Kopf, dabei hatte Aydin gar nicht so unrecht, auch wenn er mal wieder deutlich übertrieb. »Wenn Walsh ermittelt, werden wir es bestimmt bald erfahren. Es gibt keinen Grund, warum er nicht mit uns in Kontakt treten sollte.«
»Auf jeden Fall ist er in Köln. Walter hat ihn gesehen, also ist es gar nicht so unwahrscheinlich.«
»Wir werden sehen«, antwortete Brandt, er war inzwischen von der A4 auf den östlichen Zubringer gefahren, da ihr Ziel in Deutz lag.
»Glaubst du, der FC kann sich diese Saison in der Ersten Liga halten?«, fragte Aydin. Brandt verfiel unwillkürlich in lautes Lachen. »Alles gut?«
»Wie kommst du denn jetzt auf das Thema?«
»Na ja, nachdem du die ganze Zeit so launisch bist und ich Stille im Auto hasse, dachte ich, ich versuche es mal mit Sport, damit kann man dich immer aus der Reserve locken.«
Statt zu antworten, lachte Brandt weiter. Das mochte er an Aydin. Er schaffte es immer wieder, dass Brandts schlechte Laune verflog.
»Ich hoffe doch«, antwortete er. »Vor allem will ich es für Rech hoffen, sonst haben wir unter seiner Laune zu leiden.« Rech war, seit er denken konnte, bekennender FC-Fan und der Abstieg hatte ihm schwer zugesetzt, daher war die Freude über den Aufstieg bei ihm so ungemein groß.
Ein paar Minuten später betraten sie den Empfangsbereich der Firma Lau Motorenteile.
»Guten Tag, die Herren. Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie der junge Mann am Empfang. Er machte einen freundlichen und lockeren Eindruck.
»Guten Tag. Wir sind von der Kölner Kriminalpolizei und möchten uns kurz mit Helene Mück unterhalten.«
»Darf ich Ihre Namen erfahren?«
Brandt kam seiner Bitte nach und der Mitarbeiter griff zum Telefonhörer, nach den Dienstausweisen fragte er erst gar nicht.
»Frau Mück bittet Sie in ihr Büro. Ich bringe Sie hin«, sagte der junge Mann und stand von seinem Platz auf. Er war groß, schlank, sportlich und hatte ein markantes Gesicht. Sicherlich jemand, den viele Frauen nicht von der Bettkante schubsen würden.
»Wie gut kannten Sie Herrn Lau?«, fragte Brandt, während sie auf den Fahrstuhl warteten.
»Nicht sonderlich gut. Habe ihn kaum zu Gesicht bekommen. Aber er war ein guter Chef, wenn Sie darauf hinauswollen. Wir sind alle in tiefer Trauer, zumal wir auch nicht wissen, wie es weitergehen wird. Es gibt da so Gerüchte«, antwortete der Mann und lächelte verlegen. Dann kam der Fahrstuhl und sie stiegen ein.
»Was für Gerüchte?«
»Dass das Unternehmen verkauft und zerschlagen werden soll.« Die Stimme des Mitarbeiters senkte sich, als würde er befürchten, dass Wanzen im Fahrstuhl angebracht wären.
»An wen?«
»An einen Wettbewerber aus Süddeutschland. Schiffer heißt die Firma. Die sind noch eine Nummer größer als wir. Sie sind bei allen großen Automarken als Zulieferer gesetzt, aber sie sind scharf auf unsere Technologie. Unser Chef hat sich immer standhaft geweigert, die Firma zu verkaufen.«
Der Fahrstuhl blieb stehen und sie stiegen aus. Die Beamten folgten dem Mann und blieben vor einer Tür stehen. Er klopfte kurz an, öffnete die Tür und eine Frau, vermutlich Helene Mück, steuerte auf die Beamten zu.
»Guten Tag, die Herren. Mein Name ist Helene Mück. Sie wollten mich sprechen?«
»Guten Tag, das ist mein Kollege Emre Aydin und mein Name ist Lasse Brandt, wir sind von der Kölner Kriminalpolizei und würden uns gerne fünf Minuten mit Ihnen unterhalten.«
»Danke, Toni, du kannst uns jetzt alleine lassen«, sagte sie zu dem jungen Mann, der nickte und sich entfernte. Mück bat die beiden Beamten, ihr zu folgen. Sie betraten einen Besprechungsraum und setzten sich.
»Möchten Sie etwas trinken?«
»Ein Wasser wäre nett«, antwortete Aydin. Brandt lehnte höflich ab.
»Hat Toni nach Ihren Ausweisen verlangt?«, fragte Mück, öffnete einen Schrank, nahm eine kleine Flasche Wasser heraus, öffnete sie und reichte sie Aydin, der sich bedankte. Dann nahm auch sie Platz.
»Hat er nicht«, erwiderte Brandt und holte seinen Dienstausweis heraus, um ihn der Frau zu reichen. Sie wirkte sehr selbstbewusst, sie war einen Kopf kleiner als er, etwas kräftiger und hatte ernste Gesichtszüge. Alles in allem machte sie den Eindruck, als wäre sie eine Beißerin, die alles Unangenehme von ihrem Chef fernhielt. Zumindest wirkte sie nicht wie eine der vielen Sekretärinnen, denen Brandt in seinen langen Dienstjahren schon über den Weg gelaufen war und bei denen das Aussehen mehr zählte als die Kompetenz.
Aydin reichte ihr ebenfalls seinen Ausweis.
»Toni ist manchmal zu freundlich«, sagte sie und schaute sich beide Ausweise an, dann gab sie sie zurück. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Es geht um Klaus Lau. Wir ermitteln in dem Mordfall und seine Ehefrau hat uns an Sie verwiesen. Uns interessiert, ob Herr Lau sich in den letzten Tagen merkwürdig oder anders als sonst verhalten hat.«
»Nein, er war wie immer. Mir wäre das sicher aufgefallen. Wenn Sie darauf hinauswollen, dass er erpresst wurde, muss ich Sie leider enttäuschen, das hätte ich gewusst. Ich arbeite …« Sie unterbrach sich, dann sagte sie: »Ich habe zehn Jahre für ihn gearbeitet und ich behaupte, dass Herr Lau mir vertraute.«
»Hat er vielleicht seltsame Nachrichten erhalten. Nachrichten, die mit seiner politischen Karriere in Verbindung stehen?«
»Welcher Politiker mit Ambitionen bekommt die nicht? Heute kann jeder eine despektierliche E-Mail oder einen Post schreiben, dazu braucht man nicht mal besonders viel Mut. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass eine dieser Nachrichten eine tatsächliche Bedrohung darstellte.«
»Haben sich solche Nachrichten in letzter Zeit gehäuft?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Wurden sie archiviert?«, erkundigte sich Aydin.
»Ja, das haben wir immer gemacht.«
»Dürfen wir sie uns anschauen?«
»Ohne Beschluss? Das halte ich kaum für möglich.«
»Sie wissen, dass wir den Beschluss bekommen werden. Es sollte doch auch in Ihrem Interesse sein, den kurzen administrativen Weg zu gehen. Sie wollen sicher nicht unnötig viel Zeit mit solchem Papierkrieg verschwenden. Immerhin geht es hier um Ihren Chef, der ermordet wurde«, versuchte Brandt an ihre Loyalität gegenüber Lau zu appellieren, denn bisher wirkte sie sehr pflichtbewusst und kontrolliert.
Mück antwortete nicht sofort, aber Brandt spürte, dass er einen Nerv getroffen hatte. »Gut, aber nichts ausdrucken. Sie können sich die Nachrichten am Computer anschauen. Für alles andere benötigen wir einen Durchsuchungsbeschluss.«
»Danke, das hilft uns sehr. Wir haben erfahren, dass ein Wettbewerber sich für das Unternehmen interessiert.«
»Woher?« Ihre Stimme wurde scharf und unbewusst ruckte sie mit ihrem Oberkörper ein Stück nach vorne auf die Beamten zu.
»Hat der Wettbewerber versucht, Herrn Lau unter Druck zu setzen?« Brandt ignorierte ihre Frage, weil er Toni nicht in Bedrängnis bringen wollte, vermutlich hatte er mehr erzählt, als er durfte.
»Nein, das waren immer faire Gespräche. Und mehr als Gespräche waren es ohnehin nie. Die Firma wird nicht verkauft.« Es fehlte nur noch, dass sie ein »Basta« zur Bekräftigung hinzufügte. »Ich kann mir schwer vorstellen, dass die Geschäftsleitung von Schiffer einen Auftragskiller auf ihn gehetzt hat, das wäre vollkommen hirnrissig. Dieser sinnlose Mord war politisch motiviert. Die Presse sieht das genauso, vor allem, weil die Überschneidungen zu dem Lübecker Mord doch auffällig sind.«
»Können wir uns jetzt die E-Mails anschauen?«, fragte Brandt, da er ebenso wenig glaubte wie sie, dass die Konkurrenz einen Auftragsmord angeordnet haben könnte.
»Sofort, ich logge mich kurz ins System ein«, antwortete Mück und setzte sich an den Computer, der am Kopf des Besprechungstisches stand. Sie tippte etwas in die Tastatur und schaute dann auf. »Sie können.« Sie erhob sich und Aydin nahm statt ihrer Platz.
Er öffnete den einzigen Ordner, der auf dem Bildschirm zu sehen war. Vermutlich hatte Mück ihn auf den Desktop verschoben, damit die Beamten nichts anderes öffneten.
Brandt und Aydin lasen sich die E-Mails durch.
»Was ist das?«, fragte Brandt, als er die Überschrift einer E-Mail las.