25
Köln
D ie Ereignisse überschlugen sich – inzwischen gab es einen dritten Mord nach demselben Muster wie in Lübeck und Köln, aber noch immer nicht die geringste Spur von dem Täter.
Das Gespräch mit Emanuel Schiffer, dem Unternehmer, der die Firma von Klaus Lau so gern übernommen hätte, hatte leider doch keine neuen Erkenntnisse gebracht, und auch sonst hatte Brandt wieder einmal das ungute Gefühl, dass sie auf der Stelle traten.
Gemeinsam mit Aydin hatte er an diesem Mittag entschieden, sich in Walters Imbiss bei einer guten Currywurst ein wenig Ablenkung zu gönnen.
»Das war so nötig«, sagte Aydin und ließ ein Stück Rindswurst in seinem Mund verschwinden. »Beste Nervennahrung.«
»Lass dir Zeit und genieß es, ich weiß, wo es noch jede Menge von diesen leckeren Würstchen gibt«, lachte Walter.
»Das kannst du Junior tausendmal sagen, der weiß halt nicht, was es heißt, ein gutes Essen wirklich auszukosten«, amüsierte sich Brandt und spießte genüsslich ein Stück Currywurst auf. »Und da wundert er sich, dass Tolga deine Würstchen auch nur verschlingt, anstatt sie zu genießen. Sein Bruder macht es ihm ja vor.«
»Hey, nichts gegen Tolga. Der darf so viel und so schnell essen, wie er will. Klar?!« Walter hob drohend den Zeigefinger und grinste. Es war kein Geheimnis, wie vernarrt er in Aydins jüngeren Bruder war. »Habt ihr eigentlich schon davon gehört? Der Mistkerl hat gestern Nacht in Mannheim zugeschlagen.«
»Wenn es derselbe Täter ist«, antwortete Brandt. »Wir haben es heute Morgen erfahren. Nachher haben wir eine Telko mit den Mannheimer Kollegen.«
»Ich sitze ja nicht wie ihr an der Quelle, aber vier Morde an Politikern – sorry, der Frankfurter hat ja gestanden, wenn ich mich nicht irre. Aber drei Morde und es soll nicht derselbe Täter sein?«
»Vermutlich nur zwei«, korrigierte Aydin und schob sich das letzte Stück Wurst in den Mund. »Eine nehme ich noch, wenn es keine Umstände macht.«
»Was für eine Frage. Glücklicher Kunde, glücklicher Walter.«
»Wie lange hast du denn für diesen Spruch geübt?«, konnte sich Brandt eine Stichelei nicht verkneifen.
»Witzig«, brummte Walter und nahm eine Rindswurst vom Grill, um sie zusammen mit einer Scheibe Toastbrot auf Aydins Teller zu legen.
»Ganz ehrlich, Walter, ich finde es gut, dass du den ganzen Plastikmist aus deiner Imbissbude verbannt hast. Dafür könntest du ruhig die Preise erhöhen. Deine Kunden wissen dein Umweltbewusstsein bestimmt zu schätzen«, sagte Aydin, während er Ketchup auf seine Wurst quetschte.
»Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber auch ich habe verstanden, dass es so nicht weitergeht. Man kann über diese kleine Greta sagen, was man will, aber ich glaube, sie hat einen wichtigen Prozess in Gang gesetzt. Außerdem sieht das doch viel edler aus, wenn man von Porzellantellern und mit echtem Besteck isst, finde ich. Und dank meiner Spülmaschine ist das Zeug im Nu wieder sauber. Das mit den Preisen habe ich gar nicht nötig, auf Dauer spare ich sogar Kosten. Habe das mal durchgerechnet.«
»Wenn du dich da mal nicht verkalkuliert hast«, scherzte Brandt.
»Lass dich nicht ärgern. Ich finde das bewundernswert. Wäre schön, wenn noch mehr Imbisse mitziehen würden.«
»Ich will doch hoffen, dass andere Kollegen mitziehen, und bevor Lasse mich ärgern kann, muss er erstmal lernen, ordentlich was zu essen«, konterte Walter. »Jetzt aber zurück zu eurem Fall. Warum nur zwei Morde? Ist mir etwas entgangen?«
»Die Lübecker haben einen Tatverdächtigen verhaftet, der ein Geständnis abgelegt hat. Aber unser Kollege Arndt scheint nicht so recht davon überzeugt zu sein«, erklärte Aydin.
»Genau deswegen kann es doch nur derselbe Täter gewesen sein«, beharrte Walter. »Es ist irgendjemand, der Politiker hasst. Habt ihr alle drei Fälle auf Gemeinsamkeiten überprüft?«
»Haben wir. Es gab da eine lose Verbindung zwischen dem Toten aus Lübeck, Nils Holm, und dem Kölner Klaus Lau – beziehungsweise zu einem Konkurrenten von Lau, Emanuel Schiffer. Der wollte Laus Unternehmen kaufen, aber Lau weigerte sich. Holm wiederum, der neben seiner politischen Karriere bei der SPD Fachanwalt für Straf- und Wirtschaftsrecht war, beriet Schiffer in juristischen Fragen und in diesem speziellen Fall hat er ihm von einer Übernahme abgeraten.«
»Verstehe. Das hätte mich auch stutzig gemacht. Ist er euer Hauptverdächtiger?«
»Nicht wirklich, aber bisher die beste Spur, die wir haben. Der Mord an dem Mannheimer FDP-Politiker Alwin Vogel hat diesen Anfangsverdacht leider erheblich abgeschwächt. Warum sollte Schiffer einen FDP-Politiker ermorden oder ermorden lassen? Dass drei Politiker tot sind, spricht eigentlich gegen einen Mord aus Habgier«, erklärte Brandt.
»Also hat diese Tat euch wieder zurück an den Anfang katapultiert.«
»Sieht so aus. Wir müssen es mit einem Profi zu tun haben. Er hinterlässt keine verwertbaren Spuren und muss sehr gut organisiert sein«, antwortete Aydin. »Ein Schatten.«
»Jungs, wenn ihr wollt, hört sich Onkel Walter für euch um. Euch muss ich ja nicht erklären, dass ich noch bestens vernetzt bin in der Schattenwelt.«
»Das wäre gut. Vielleicht spricht man über den Täter«, nickte Brandt.
Walter hatte sich, bevor er seine Karriere als Imbissbudenbesitzer begonnen hatte, im Kleinkriminellenmilieu bewegt. Die vielen Tattoos und Narben an seinem Körper waren Zeugen dieser Zeit. Aber das gehörte der Vergangenheit an und Brandt legte inzwischen seine Hand dafür ins Feuer, dass Walter nicht mehr mit dem Gesetz in Konflikt geraten würde.
Jedenfalls nicht, solange es nicht um seine Freunde ging. Wenn man Tolga oder Rémy, einem jungen Straßenmusiker, übel mitspielte, sah Walter rot, sein Beschützerinstinkt war einfach zu groß. Das hatte Brandt bereits zu spüren bekommen, gerade bei dem Straßenmusiker Rémy, der vor einiger Zeit unberechtigterweise Hauptverdächtiger in einem Fall gewesen war.
»Wenn man im Milieu über ihn spricht, werde ich es sehr bald erfahren, keine Sorge. Ich habe da so meine Quellen, die für mich ein Liedchen zwitschern.« Walters Grinsen wurde breit. »Noch eine Currywurst?«, fragte er Brandt.
»Warum nicht. Der Tag wird lang. Wer weiß, wann wir wieder zum Essen kommen.«
Bevor Walter etwas erwidern konnte, wurde die Tür geöffnet und zwei Personen betraten den Imbiss.
Brandt wollte seinen Augen nicht trauen. Er kannte die beiden Männer. Es waren Joe und Peter Walsh. Aydins Gesicht hellte sich merklich auf und in gewisser Weise freute sich auch Brandt, dass sie die beiden hier trafen. Immerhin hatte Walsh ihm einmal das Leben gerettet, das würde Brandt nicht vergessen. Dass sie rein zufällig hier waren, wollte er allerdings nicht glauben.
»Hallo, Jungs«, grüßte Joe und reichte den beiden Beamten und Walter die Hand.
»Wie gehts euch?«, fragte Walsh und begrüßte sie ebenfalls mit Handschlag. Er machte einen nachdenklichen Eindruck, seine Augen wirkten, als hätte er vor Kurzem etwas Schlimmes zu Gesicht bekommen. Ansonsten hatte er sich jedoch nicht verändert. Walsh war groß und durchtrainiert, seine Muskelberge waren pure Kraft, das Resultat harten Trainings und guter Ernährung. Sein dunkler Teint, sein markantes Gesicht und die schwarzen Haare verliehen seinem Aussehen etwas Exotisches. Er war Deutschamerikaner, sein amerikanischer Vater war indianischer Abstammung.
»Wenn das mal kein glücklicher Zufall ist«, machte sich Walter bemerkbar. »Jeder eine leckere Wurst?«
»Zu einer Currywurst sage ich nie nein«, lachte Joe, der rein körperlich das genaue Gegenteil von Walsh war. Er war deutlich kleiner und korpulenter, zudem dunkelhäutig und hatte eine so positive Ausstrahlung, dass er mit seiner Fröhlichkeit jeden ansteckte. Joe zählte vermutlich zu den besten Hackern der Welt, so hatte es Fischer zumindest gesagt, und dann musste das etwas heißen. Brandt fand, dass Joe viel sympathischer rüberkam als Walsh, der etwas Unnahbares an sich hatte. An diesem Tag wirkte er auch noch ein Stück distanzierter als sonst, fast sorgenvoll.
»Freut mich, dass du eine Wurst mit uns essen möchtest, Joe. Setzt euch doch. Wollt ihr was trinken?«
»Eine Cola«, antwortete Joe.
»Für mich ein Wasser«, sagte Walsh.
»Von einer Cola stirbst du schon nicht«, witzelte Joe und zeigte seine strahlend weißen Zähne.
»Fischer meinte, ihr würdet euch am Wochenende zu einer LAN-Party treffen?«, fragte Aydin. Sein Blick wanderte immer wieder zu Walsh, er wirkte in dessen Anwesenheit geradezu schüchtern, was Brandt von seinem Kollegen so nicht gewohnt war.
»Ja, ich freue mich schon darauf. Fast hätte es nicht geklappt. Das wird lustig.«
»Aber ihr seid doch nicht rein zufällig hier, oder?«, versuchte Brandt das Gespräch auf das Wesentliche zu lenken. »Wir wissen von Zoe Lau, dass sie versucht hat, euch zu kontaktieren.«
»Das stimmt«, antwortete Walsh und Brandt rechnete es ihm hoch an, dass er nicht herumdruckste. Es bestätigte das Bild, das er von ihm hatte.
»Und, helft ihr Zoe?«, fragte Aydin.
»Nein. Sie scheint sich der Gefahr nicht bewusst zu sein, in die sie sich mit ihren Fragen begibt. Ihr solltet unbedingt dafür sorgen, dass sie nicht weiter auf eigene Faust ermittelt«, erwiderte Walsh.
»Woher wisst ihr, dass sie auf eigene Faust ermittelt? Habt ihr mit ihr gesprochen?«
»Nein, das war nicht nötig. Sie ist nicht gerade diskret. Zoe hat Ali Arinc kontaktiert, damit er ihr hilft, den Mörder ihres Vaters zu finden.«
»Ali Arinc? Den Clanführer aus Mülheim?«, horchte Aydin auf. »Wie ist sie denn an den rangekommen?«
»Ihr Vater hatte Kontakt zu ihm aufgenommen, weil er seit geraumer Zeit Angst um sein Leben hatte und hoffte, das Problem mit Arincs Hilfe loszuwerden«, erklärte Walsh.
»Woher wisst ihr das alles?«, erkundigte sich Brandt. Dafür, dass Walsh und Joe der jungen Zoe nicht helfen wollten, waren sie verdammt gut informiert.
»Das war eine Kleinigkeit«, bemerkte Joe. Währenddessen reichte Walter den beiden ihre Currywürste. »Wir wollten nur wissen, worum es bei der Sache geht. Aus Sorge um Zoe, weil sie sich vielleicht in Gefahr bringt. Aber so unbeherrscht und dickköpfig sie auch wirkt, ihr Motiv ist ehrbar.«
»Und warum helft ihr ihr nicht, wenn ihr derart schnell so viele Infos gesammelt habt?«, hakte Aydin nach.
»Weil wir gerade mitten in einer Sache stecken, die weitaus gefährlicher ist als dieser Rachefeldzug. Heute geht es für mich wieder direkt nach Kiew und von dort nach Tokio«, blieb Walsh vage.
»Ein Rachefeldzug? Wie kommst du darauf?«, hinterfragte Brandt diese Andeutung. Vielleicht wusste Walsh noch mehr, dann war es wichtig, dass er dieses Wissen teilte. Scheinbar hatte sich Joe bereits irgendwo eingehackt, um ein paar Informationen zu sammeln. Worauf war er gestoßen?
»Sicherlich habt ihr auch von dem Anschlag auf den FDP-Politiker Alwin Vogel in Mannheim gehört.«
»Ja«, nickte Aydin.
»Vogels Tochter und Zoe kennen sich. Das bedeutet, Vogel und Lau kannten sich auch. Es muss eine Verbindung zwischen Nils Holm und den beiden Männern geben.«
»Die Lübecker Kollegen haben aber ein Geständnis.«
»Das haben wir auch gesehen, aber darauf würde ich nicht viel geben. Carsten Purzel ist ein zutiefst verbitterter Mann, dem man seinen kompletten Lebensinhalt genommen hat. Der kann unmöglich der Mörder gewesen sein«, äußerte sich Joe skeptisch.
»Aber sein Geständnis können der Staatsanwalt und der Richter sicherlich nicht ignorieren«, gab Brandt zu bedenken.
»Das sollen sie auch nicht, aber es verschafft euch Luft. Der Mörder wird glauben, dass ihr unterschiedliche Täter sucht, vermutlich im rechtsradikalen Milieu. Dadurch habt ihr einen Vorteil, den ihr nicht verspielen solltet.« Walsh ließ ein Stück Currywurst in seinem Mund verschwinden.
Brandt wurde das Gefühl nicht los, dass ihn irgendetwas beschäftigte.
»Dann müsste es auch eine Verbindung zwischen Holm und den beiden anderen Politikern geben«, überlegte Brandt laut. »Aber wir haben bisher keine gefunden.«
»Dann sucht weiter. Findet ihr sie, seid ihr dem Mörder einen großen Schritt näher. Ich an eurer Stelle würde alles unternehmen, damit die Presse keinen Wind davon bekommt, dass sich Zoe und Natalie, so heißt die Tochter von Vogel, kennen. Ihr müsst beide aus der Schusslinie holen. Und ihr solltet euch unbedingt mit Zoe und Natalie unterhalten. Die beiden werden euch der Lösung näher bringen.«
»Wir haben nachher mit den Mannheimer und den Lübecker Kollegen eine telefonische Schalte, dann werden wir das ansprechen«, antwortete Aydin.
»Was wisst ihr denn noch? Habt ihr einen Verdacht?«, übernahm Brandt wieder das Gespräch.
»Leider nicht, dafür reichte die Zeit für die Recherche nicht aus«, erwiderte Joe. »Ich wünschte, ich hätte mehr für euch. Und unter uns, ich habe das auch nur getan, weil ich nicht will, dass dieses junge Mädchen sich in Gefahr bringt. Ihr Ehrgeiz hat mich ziemlich beeindruckt.« Joe schob seinen leeren Teller ein Stück von sich weg.
»Möchtest du noch eine?«, fragte Walter, der bisher den Part des aufmerksamen Zuhörers übernommen hatte.
»In diesen Bauch passt locker eine zweite Currywurst«, lachte Joe. Walter nickte erfreut und legte noch ein paar Würstchen auf den Grill.
»Wenn ich ihr wäre, würde ich mir die Verbindung zwischen Klaus Lau und Alwin Vogel sehr genau anschauen und mich dann weiter vorarbeiten. Diese Verbindung ist der Schlüssel. Die Zeit arbeitet gegen euch«, ließ sich Walsh vernehmen. Sein Blick wanderte zu Brandt. Er wirkte entschlossen.
»Warum?«, fragte Aydin.
»Ich fürchte, dass es noch mehr Tote geben wird«, antwortete Walsh.