27
Köln
»W
alsh und Joe müssen an einer großen Sache dran sein, wenn sie Zoe nicht helfen.«
»Wir können froh sein, dass sich Joe überhaupt die Mühe gemacht hat zu recherchieren. Die Hinweise könnten sich als sehr nützlich erweisen. Zoe muss großen Eindruck bei ihnen hinterlassen haben«, entgegnete Brandt.
»Dabei hat sie die beiden nicht einmal persönlich gesprochen. Das zeigt, dass sie das Herz am rechten Fleck haben.«
»Das mag stimmen, es bringt uns dem Mörder aber auch nicht näher. Ich habe dir angesehen, dass du wolltest, dass sie mit uns gemeinsam ermitteln.«
»Jetzt übertreibst du. Walsh hat einfach eine Wahnsinnsaura. So stellt man sich in Filmen einen Topgeheimagenten vor.«
Brandt lachte. »Du Groupie. Komm, sonst verspäten wir uns bei der Telko.«
Beide verließen ihr Büro und gingen schnellen Schritts den Flur entlang Richtung Besprechungsraum.
»Ich bin kein Groupie, das war nur eine Feststellung.«
Brandt konnte sein Lachen nicht mehr unterdrücken. Aydin in so einer ihm unangenehmen Situation zu sehen, war zu schön, um es nicht zu genießen. »Also ich hätte dich gerne als Groupie.« Brandt klopfte seinem jüngeren Kollegen auf die Schulter.
»Witzig«, grummelte Aydin. »Jedenfalls können wir davon ausgehen, dass Schiffer nichts mit dem Mord zu tun hat. Sonst hätten Joe oder Walsh das erwähnt.«
»Davon gehe ich auch aus. Es bestätigt nur unseren Eindruck nach dem Gespräch mit ihm. Angesichts des toten Politikers aus Mannheim fällt es schwer, ihn weiterhin als Verdächtigen zu führen. Außer, es gibt eine Verbindung zwischen Vogel und ihm. Was ich mir aber kaum vorstellen kann.«
Aydin nickte und öffnete die Tür zum Besprechungsraum, die anderen Kollegen hatten bereits Platz genommen.
Beide grüßten in die Runde und setzten sich. Aydin schenkte Brandt und sich Kaffee ein. Kramer verfolgte das mit einem Schmunzeln, sagte aber nichts weiter. Dieses vielsagende Schmunzeln reichte allerdings aus, um Brandt zu reizen, weil er wusste, warum Kramer das tat.
In diesem Leben werden wir keine Freunde mehr
, dachte Brandt bitter, während er den Becher in die Hand nahm und sich einen Schluck gönnte.
»Wie ich sehe, sind wir vollzählig. Heute habe ich eine kleinere Gruppe eingeladen, ich glaube, sonst wird es zu überladen. Die Mannheimer und Lübecker Kollegen habe ich ebenfalls gebeten, in kleiner Runde an der Telko teilzunehmen. Fischer, kannst du die Leitung aufbauen?«
»Bin schon drin. Die Kollegen müssten jeden Augenblick in der Telko sein.«
»Moin, Moin aus Lübeck«, hörte Brandt Willy Klausen, den Leiter der Lübecker Mordkommission sagen.
»Guten Tag aus Mannheim in die Runde. Hier spricht Ernst Sutter. Mein Team und ich sind bereit.« Brandt kannte Sutter nicht, wusste aber von Tom Hardt, den er aus Hamburger Zeiten kannte, dass Sutter ein angenehmer Chef war, dem Tom blind vertraute. Und wenn Tom das sagte, zweifelte Brandt keine Sekunde daran, dass es so war, denn er kannte Tom sehr gut, er war ein hervorragender Polizist.
»Sehr gut. Ich würde vorschlagen, dass wir eine kurze Vorstellungsrunde einlegen für die, die sich noch nicht kennen. Ernst, Willy, ist das okay für euch?«, schlug Bender vor.
Beide bestätigten und die Teilnehmenden stellten sich rasch vor. Da Bender Sutter duzte, ging Brandt davon aus, dass sie schon zuvor längeren Kontakt mit ihm gehabt hatte. Sie war keine Person, die Kollegen ohne Absprache duzen würde, und Sutter sicherlich auch nicht.
»Mein Vorschlag wäre, dass die Kollegen aus Mannheim uns updaten, da wir noch nicht so viele Informationen über den dortigen Mord haben.«
»Das können wir gerne tun. Danke nochmals für die Unterlagen aus Köln und Lübeck. Mein Team ist im Großen und Ganzen ganz gut im Bilde über die beiden Morde. Falls es Fragen gibt, werden wir sie direkt hier in der Telko stellen. Nach der Telko sende ich euch einen Bericht zu, damit wir alle denselben Stand haben. Tom, möchtest du beginnen?«
»Danke, Ernst, kann ich gerne machen«, begann Tom und Brandt hörte aufmerksam zu. Er war froh, dass ihm auch die ermittelnden Beamten in Mannheim bekannt waren, in einem vergangenen Fall hatten sie kurz Amtshilfe von Tom und seiner Kollegin Nele Blum erhalten.
Tom erzählte, was sie über den Mord wussten. Während er sprach, stellte keiner Fragen. »Leider haben wir noch nicht viel Greifbares. Die Kollegen von der Spurensicherung und der Rechtsmedizin sind dabei, alles auszuwerten. Aber die gefundene Patronenhülse und das Projektil entsprechen exakt denen, die auch bei den anderen beiden Leichen gefunden wurden. Der einzige Unterschied hier ist, dass das Opfer durch starke Tritte verletzt wurde. Soviel ich weiß, fand man bei dem Lübecker oder dem Kölner Opfer keine Anzeichen darauf. Richtig?«
»Das stimmt«, bestätigten Rech und Ole fast gleichzeitig.
»Kann das bedeuten, dass der Täter die Nerven verliert?«, fragte Schmoll.
»Sehr gut möglich. Oder aber das Opfer hat den Täter verärgert«, antwortete Kramer. »Ich werde dazu nachher in meiner Analyse Stellung nehmen.« Kramer hatte die Ellenbogen auf dem Tisch abgestützt und die Hände auf Mundhöhe aneinandergelegt.
»Davon gehen wir auch aus. Wir haben einen USB-Stick am Tatort gefunden.«
»Was ist darauf?«, fragte Aydin.
»Kompromittierende Bilder von Alwin Vogel mit einer deutlich jüngeren Frau.«
»Wir haben nachher noch ein Gespräch mit der Ehefrau. Aber alles sieht danach aus, dass Vogel eine Affäre hatte. Inwieweit diese Affäre in Verbindung zu der Tat steht, können wir derzeit nicht sagen. Ich habe darüber nichts in den Unterlagen gefunden. Hatten die anderen Opfer auch Affären?«, hörten sie Nele Blum, Toms Kollegin sagen.
»Aus unseren Recherchen geht etwas Derartiges nicht hervor«, antwortete Bender.
»Bei uns auch nicht. Wir können eine Affäre ausschließen«, ergänzte Willy.
»Mich würde das Geständnis von Carsten Purzel interessieren. Da Sie in der Telko sind, vermute ich, dass Sie nicht gänzlich überzeugt davon sind, dass er der Täter ist. Sicherlich werden Sie dazu nach unseren Ausführungen Stellung nehmen?«, übernahm Tom wieder die Gesprächsführung. Er gehörte zu den wenigen Kollegen, die nicht so ohne Weiteres zum »Arbeits-Du« übergingen. Er duzte sich nur mit wenigen, darunter Brandt und Arndt.
»Ja genau, da kommt von uns noch was«, antwortete Arndt. »Aber fahr doch bitte fort.«
»Gerne. Wenn wir nicht wüssten, dass es noch zwei Morde an Politikern gab, die aller Wahrscheinlichkeit nach mit derselben Waffe erschossen wurden, könnte man von einer Erpressungstat ausgehen. Aber Frau Blum und ich vermuten, dass der Täter den USB-Stick bewusst für uns am Tatort zurückgelassen hat.«
»Warum sollte er das getan haben? Er wird doch davon ausgehen, dass wir die Morde in Lübeck und Köln mit ihm in Verbindung bringen. Es gibt keinen Grund, Erpressung als Tatmotiv anzunehmen. Glauben Sie nicht, dass der Stick ihm einfach aus der Tasche gefallen ist?«, gab Elke zu bedenken.
»Wir vermuten, der Täter wollte, dass jeder erfährt, dass Vogel nicht der treue Ehemann war, den er in der Öffentlichkeit gespielt hat.«
»So ist es, Herr Hardt«, antwortete Kramer. »Dem Täter geht es darum, seine Tat als etwas Menschliches erscheinen zu lassen, sie soll nachvollziehbar sein. Jemandem, der seine Frau betrogen hat, wünscht mancher etwas Schlimmes. Aber ich greife meinen Ausführungen vor. Wenn Sie bitte fortfahren möchten.« Kramers Augen leuchteten und Brandt sah ihm an, dass er es in vollen Zügen genoss, Kollegen, die ihn nicht kannten, das Gefühl zu geben, dass er ausgesprochen kompetent war und alles im Blick hatte.
»Wir haben uns im Team entschieden, den USB-Stick unter Verschluss zu halten und die Information nicht an die Öffentlichkeit zu geben. Vielleicht wird das unseren Täter ärgern und zu einer unüberlegten Reaktion veranlassen, was ich allerdings kaum glaube. Einen Versuch ist es dennoch wert«, meldete sich Nele zu Wort. »Ansonsten wars das von unserer Seite. Wir hoffen, dass wir Ihnen im Laufe der Ermittlungen weitere Hinweise liefern können.«
»Wenn das okay ist, könnte Willys Team weitermachen«, schlug Ernst Sutter vor.
»Passt«, antwortete Bender.
»Danke«, sagte Willy. »Wie ihr wisst, hat Carsten Purzel ein Geständnis abgelegt. Der Mörder seiner Frau wurde von Nils Holm verteidigt.«
»Aber ihr seid nicht überzeugt von seiner Schuld«, kommentierte Brandt, da er das aus Willys Stimme deutlich heraushörte.
»Nicht gänzlich. Vor allem Elke und Arndt nicht, die die leitenden Ermittler sind, und ich schließe mich ihrer Position an. Wollt ihr übernehmen, bitte?«
»Klar«, antwortete Arndt. »Purzel ist nach dem gewaltsamen Tod seiner Frau auf die schiefe Bahn geraten. Aber macht ihn das zu einem Mörder? Er konnte uns nicht verraten, woher er die Tatwaffe hatte und wo sie sich befindet. Er hat sich immer wieder in Widersprüchen verfangen und die Hausdurchsuchung ergab keine belastenden Hinweise. Leider beharrt er auf seiner Aussage, daher wird der Staatsanwalt Anklage erheben. Nichtsdestotrotz werden wir weiter ermitteln, egal wie unsympathisch Purzel ist.«
»Ihr tut gut daran«, antwortete Aydin. »Nach all den Hinweisen, die wir bis jetzt gehört haben, müssen wir von ein und demselben Täter in allen Fällen ausgehen.«
Brandt nickte, das mochte er an Arndt. Wie er selbst hatte Arndt als Straßenpolizist begonnen und nicht studiert, daher zeigte Arndt sich auch unkonventionellen Methoden gegenüber offen. Schließlich hätte er es sich einfach machen und den Fall zu den Akten legen können, da sie ein Geständnis hatten.
»Ich fürchte, dass wir derzeit leider auch nichts Weiteres haben. Wir sind gerade dabei, nach Verbindungen zwischen den drei Politikern zu suchen. Lutz ist da in enger Abstimmung mit Fischer dran. Es wäre schön, wenn unsere Informationsabteilung sich mit den Mannheimer Kollegen ebenfalls eng abstimmen könnte.«
»Das sollte keine Hürde sein. Lorenz ist anwesend. Kümmerst du dich bitte darum?«, hörten sie Ernst Sutter sagen.
»Klar. Ich schicke Ihnen nach der Besprechung meine Kontaktdaten«, antwortete Lorenz.
»Danke«, sagte Lutz.
»Von unserer Seite war es das vorerst. Was ist mit euch, Lasse? Habt ihr noch was?«, erkundigte sich Arndt.
»Nicht viel. Wir wissen, dass Zoe Lau und Natalie Vogel sich kennen. Woher, wissen wir nicht. Aber wir werden Zoe einen Besuch abstatten und sie fragen, das Gleiche werden Nele und Tom mit Natalie tun. Danach sollten wir uns auf dem kurzen Dienstweg weiter abstimmen.«
»Okay«, hörte Brandt einige Stimmen gleichzeitig sagen.
»Aydin und ich sind der Auffassung, dass wir nach all dem, was wir haben, den Fokus auf einen Einzeltäter legen sollten. Falls jemand anderer Meinung ist, wäre das jetzt die Gelegenheit.« Brandt sah, wie Bender einen Blick auf ihr Handy warf, das auf dem Tisch lag und gerade aufleuchtete.
Keiner der Teilnehmenden hatte einen Einwand, sodass man beschloss, sich darauf zu konzentrieren und die Vorgehensweise nur dann anzupassen, wenn es neue Erkenntnisse gäbe, die darauf hindeuteten, dass sie es mit einer Untergrundzelle wie dem NSU zu hatten.
»Ich würde die Besprechung dann gerne beenden. Das Präsidium will mich dringend sprechen. Wenn ihr noch wichtige Punkte auf die Agenda setzen wollt, könnt ihr das gerne ohne mich tun.«
Kramer wirkte überrascht und Brandt sah ihm an, dass ihm etwas auf der Zunge lag, schließlich hatte er noch keine Gelegenheit gehabt, seine Einschätzung als Fallanalytiker loszuwerden. Da aber niemand anderer noch etwas beisteuern wollte, beendete Bender die Besprechung.
»Hast du Kramers Gesicht gesehen«, lachte Brandt, als er ihren Dienstwagen Richtung Marienburg steuerte.
»Dass du dich immer über ihn amüsieren musst.«
»Was für eine Frage. Dieser aufgeblasene Affe.«
»Hast du schon mal daran gedacht, dass er das nur tut, weil er unsicher ist?«
»Quatsch. Und mach nicht immer auf Gutmensch. Der drückt dir jedes Mal einen Spruch rein. Dass du ihn noch in Schutz nimmst, ist nicht gut.«
»Ich nehme ihn nicht in Schutz. Aber irgendwann müsst ihr diese Nickligkeiten doch mal einstellen.«
»An mir liegt es bestimmt nicht. Er fängt doch immer wieder an.«
»Na ja, manchmal provozierst du ihn auch.«
»Was soll das? Auf wessen Seite bist du?« Brandt bog in die Wolfgang-Müller-Straße ab.
»Das hat nichts mit Seite zu tun.«
»Doch, hat es. Man muss sich im Leben entscheiden.«
»Du übertreibst. Aber es wäre doch schön, wenn wir einen guten Teamspirit hätten.«
»An mir liegt es nicht.« Brandt schüttelte den Kopf und parkte den Wagen vor dem Anwesen der Laus.
»Ja, bitte«, sagte Frau Lau, als sie die Tür öffnete.
»Guten Tag, Frau Lau, dürfen wir kurz eintreten?«
»Kommen Sie bitte rein.« Sie ging vor und die beiden Beamten folgten ihr. Monika Lau wirkte abwesend, ihre Stimme klang dünn und ihre Augen wirkten verloren. Dennoch ging sie aufrecht, den Kopf erhoben. Davon, dass es ihr nicht gut ging, konnte ihr kontrollierter Gang allerdings nicht ablenken.
»Haben Sie neue Hinweise auf den Mörder?«
»Wir stecken noch in den Ermittlungen.«
Sie schwieg, doch ihr Blick verriet ihre Gedanken. Pure Verachtung!
»Und was suchen Sie dann hier?«, konnte sie sich eine spitze Bemerkung offensichtlich doch nicht verkneifen.
»Kennen Sie eine Natalie Vogel?« Nachdem Brandt und Aydin Walsh und Joe in Walters Imbiss getroffen hatten, hatte Brandt Tom angerufen und ein paar Erkundigungen über Alwin Vogel und seine Familienverhältnisse eingeholt. Viel hatte ihm Tom zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht sagen können.
»Nein, sagt mir nichts. Wer soll das sein?«
Mit dieser Antwort hatte Brandt nicht gerechnet. Wenn Zoe Natalie kannte, warum wusste es ihre Mutter nicht? Natalie wohnte nicht gerade um die Ecke und als Mutter sollte man doch wissen, mit wem die Tochter Kontakt hatte, oder?
»Sagt Ihnen der Name Alwin Vogel etwas? Er ist FDP-Politiker aus Mannheim und der Vater von Natalie«, fragte Aydin.
»Wurde er ermordet?« Ihr Blick war auf die Fensterfront gerichtet, als suchte sie dort draußen irgendwo Halt, weil sie mit ihrer Annahme recht hatte. Ihre Frage sagte Brandt, dass sie noch nicht darüber im Bilde war, dass Vogel ermordet worden war.
»Ja«, antwortete Aydin. »Dürfen wir uns kurz mit Zoe unterhalten?«
»Nein, dürfen Sie nicht«, reagierte Frau Lau scharf. »Zoe hat mit all dem nichts zu tun. Ich glaube, wir sind hier fertig.«
»Ich verstehe, dass Sie Ihre Tochter beschützen möchten, aber da Zoe volljährig ist, sind Sie nicht in der Position, das zu entscheiden. Bitte rufen Sie Ihre Tochter her. Ansonsten müssen wir sie ins Präsidium bitten, das werden Sie ihr sicherlich nicht antun wollen.«
»Zoe kennt keine Natalie. Sie ist meine Tochter, ich wüsste das doch«, blieb die Mutter bockig. »Bitte gehen Sie.«
»Wie Sie wollen. Aber uns bleibt keine andere Wahl, als Ihre Tochter die nächsten Tage ins Präsidium zu bitten.«
Die Mutter antwortete nicht, stattdessen drehte sie den beiden Beamten den Rücken zu.
Brandt gab Aydin ein Zeichen, dass es keinen Sinn hatte, hier auf Verständnis zu hoffen, doch in dem Moment betrat Zoe das Wohnzimmer.
»Sie wollen mit mir sprechen?«, fragte sie. Es war offensichtlich, dass sie Teile der Unterhaltung gehört hatte.
»Können wir das Gespräch in Ihrem Zimmer führen?«, fragte Brandt, ihm war Zoes giftiger Blick zu ihrer Mutter nicht entgangen. Zwischen den beiden schien dicke Luft zu herrschen, was Brandt nur recht war.
»Ja«, nickte Zoe und schaute zu ihrer Mutter. Die schüttelte nur den Kopf und verließ das Wohnzimmer in entgegengesetzter Richtung.
Die beiden Beamten folgten Zoe in ihr Zimmer.
»Was haben Sie meiner Mutter erzählt, dass sie so verärgert ist?«
»In welcher Beziehung stehen Sie zu Natalie Vogel?«, fragte Brandt und ging auf ihre Frage nicht ein. Worüber Aydin und er mit ihrer Mutter gesprochen hatten, ging sie nichts an. Im Gegensatz zu ihr wirkte Zoe sehr beherrscht.
»Warum fragen Sie?« War ihr Blick bis eben noch angriffslustig gewesen, schien sie nun etwas verunsichert. Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und schaute zur Seite. Für Brandt stand fest, dass sie log. Womöglich wusste sie bereits, dass Natalies Vater tot war.
»Natalies Vater, Alwin Vogel, wurde ermordet«, antwortete Aydin.
Brandt ließ Zoe nicht aus den Augen. Der schockierte Ausdruck in ihrem Gesicht dauerte zu lange, als dass sie es nicht gewusst haben konnte.
»Oh mein Gott, wie schrecklich! Glauben Sie, es war derselbe Mörder?«
»Das wissen wir nicht, aber es wäre denkbar, daher müssen wir wissen, in welcher Verbindung Sie zu Natalie Vogel standen oder stehen«, erklärte Aydin. Brandt war sich nicht sicher, ob sein jüngerer Partner Zoe durchschaut hatte oder sich von ihrem jugendlichen Charme blenden ließ. Er beschloss, abzuwarten, bevor er die bissigeren Fragen stellte. Vielleicht kamen sie auch mit Aydins taktvoller Art an ihr Ziel.
Zoe druckste herum. Ihr Blick war noch immer auf den Boden gerichtet, ihre rechte Hand fuhr zu ihren Augen, als wollte sie sich damit die Tränen wegwischen, aber da waren keine Tränen. So langsam verlor Brandt die Geduld.
»Ich kenne sie aus dem Internat«, sagte sie dann.
»Aus welchem Internat?«, fragte Aydin.
»Wir waren beide in Baden-Baden im Internat.«
»Kannten sich Ihre Eltern?«
»Nein, nicht wirklich.«
»Nicht wirklich?«, hakte Brandt nach. Mit so einer Antwort konnte er gar nichts anfangen.
»Wenn Eltern ihre Kinder ins Internat schicken, haben sie meistens keine Zeit für sie. Nur die wenigsten Eltern kennen sich untereinander. Meinem Vater mache ich keine Vorwürfe, er hat das Geld rangeschafft. Aber meine Mutter war lieber mit Shoppen oder ihren Freundinnen beschäftigt, als sich Gedanken über ihre Tochter zu machen«, reagierte Zoe bissig. Brandt fühlte sich darin bestätigt, dass zwischen Mutter und Tochter dicke Luft herrschte.
»Kann es nicht trotzdem sein, dass Ihr Vater und Natalies Eltern sich kannten?«
»Nein, das hätte ich gewusst. Papa kannte niemanden von den Eltern aus dem Internat. Er war nie in Baden-Baden.«
»Zoe, Ihr Vater und Natalies Vater waren beide Politiker. Ich bin schon einige Jahre Polizist und ich glaube nicht an Zufälle. Vielleicht sind Sie sich der Tragweite Ihrer Worte nicht bewusst, aber Sie wissen, dass man die Polizei nicht anlügen darf, aus welchen Gründen auch immer.«
»Ich lüge Sie nicht an«, fiel sie Brandt ins Wort. Sie verengte angriffslustig ihre Augen.
»Das möchte ich für Sie hoffen. Wenn sich herausstellt, dass sich Ihr Vater und Herr Vogel kannten und Sie uns diese Information vorenthalten haben, wird das Konsequenzen für Sie haben.«
»Was soll das? Glauben Sie, dass ich nicht möchte, dass man den Mörder findet?«, wurde Zoe laut, sie atmete schnell. »Ich weiß nicht, ob Papa und Herr Vogel sich kannten. Sind wir fertig?«
»Sie werden doch keine Dummheiten anstellen?« Brandt glaubte zu wissen, dass Zoe log, aber sie war uneinsichtig und er hatte nicht das Gefühl, dass er oder Aydin an sie herankamen. Daher hoffte er, dass Tom und Nele bei ihrem Gespräch mit Natalie mehr Glück haben würden.
»Wie bitte?« Zoe senkte ihr Gesicht leicht und schaute zu Brandt hoch.
»Sie wissen genau, was ich meine.«
»Was unterstellen Sie mir die ganze Zeit?«
»Jetzt bleiben Sie bitte sachlich«, wurde Brandt etwas lauter. Wie es schien, konnte man nicht vernünftig mit ihr reden, also würde er die Dinge deutlicher ansprechen müssen. »Wir wissen, dass Sie Ali Arinc kontaktiert haben, damit er den Mörder Ihres Vaters findet. Vermutlich ist Ihnen nicht bewusst, wie gefährlich dieser Mann ist. Kriminelle anzuheuern, um Ihren Vater zu rächen, ist so ziemlich das Dümmste, was man tun kann. Das sollten Sie sofort beenden.«
Zoe schluckte, mit so einer Reaktion hatte sie augenscheinlich nicht gerechnet. Sie brauchte ein wenig, bis sie sich gefasst hatte.
»Das stimmt nicht. Ich habe nur versucht, Peter Walsh anzuheuern. Keine Ahnung, wer Ihnen das erzählt hat, aber es ist eine Lüge.«
Sie wirkte beherrscht und ernst. Trotzdem wusste Brandt, dass das eine Lüge war, denn er vertraute Walsh. Zoe blieb noch immer uneinsichtig.
»In Ihrem eigenen Interesse müssen wir Ihnen davon abraten, Kontakt zu Arinc zu halten. Er ist gefährlich. Und zu glauben, dass Sie den Täter auf eigene Faust jagen könnten, ist geradezu leichtsinnig. Der Täter schreckt vor Mord nicht zurück, um seine Ziele zu erreichen. Dass Sie am Leben gelassen wurden, war ein großes Glück. Fordern Sie es nicht zu oft heraus«, erklärte Aydin deutlich gefasster als Brandt, der kurz davor war, Zoe klar die Meinung zu geigen. Ihre verwöhnte zickige Art konnte sie bei ihrer Mutter ausspielen, aber bestimmt nicht bei ihm.
»Wir empfehlen Ihnen noch immer, Polizeischutz in Anspruch zu nehmen«, fuhr Aydin fort. »Überdenken Sie und Ihre Mutter Ihre Entscheidung noch einmal. Dass Sie es vor einigen Tagen abgelehnt haben, bedauern wir sehr, aber Sie können weiterhin von diesem Angebot Gebrauch machen.«
Brandt verstand, worauf Aydin hinauswollte, und er fand seine Taktik nicht schlecht. Wenn Zoe den Polizeischutz endlich annehmen würde, wüssten sie wenigstens, wo sie sich aufhielte, und könnten so ein Auge auf sie haben.
»Nein, brauchen wir nicht. Unsere Meinung hat sich nicht geändert. Sind wir endlich fertig? Ich muss los.« Ihr Blick wanderte zur Seite. Brandt folgte ihrem Blick und sah auf dem Schreibtisch ihr Handy, das vibrierte und aufleuchtete.
Ist das Zufall?,
überlegte er.
»Wollen Sie nicht rangehen?«
»Nein, ist nicht wichtig«, sagte sie kurz angebunden. »Ist bestimmt nur meine dämliche Mutter, die sich wundert, warum Sie noch in meinem Zimmer sind.« Ihre Unterlippe war trotzig nach vorne geschoben, dennoch wanderte ihr Blick erneut zu ihrem Handy, das weiter vibrierte und leuchtete. Wer immer gerade anrief, schien ziemlich hartnäckig zu sein.
Brandt ließ es sich nicht nehmen und machte zwei Schritte nach rechts. Es war tatsächlich die Mutter, die anrief. Diesmal hatte Zoe nicht gelogen. Warum Monika Lau nicht einfach ins Zimmer kam, war ihm schleierhaft, aber so einiges an der Beziehung zwischen Mutter und Tochter fand er merkwürdig.
»Glauben Sie mir nicht?«, reagierte Zoe gereizt. »Ich muss jetzt los!«
An Zoe war so kein Herankommen, also blieb Brandt nichts anderes übrig, als ganz harte Geschütze aufzufahren. Die junge Frau mochte zickig und dickköpfig sein, aber würde sie auch bereit sein, für diese Allüren ins Gefängnis zu gehen?
»Wir sind fertig, wenn Sie uns endlich verraten, in welcher Beziehung Ihr Vater und Herr Vogel zueinander standen.«
»Ich sagte doch, dass ich das nicht weiß. Sie kennen sich nicht.«
»Bevor Sie auf Ihrer Aussage beharren, sollten Sie wissen, dass Mannheimer Kollegen sich gerade mit Natalie Vogel unterhalten. Wenn Natalie meinen Kollegen gegenüber aussagt, dass sich Ihre Väter kannten und dass Sie davon Kenntnis haben, können Sie sich darauf verlassen, dass wir Sie in Beugehaft nehmen werden, um eine verbindliche Aussage von Ihnen zu erzwingen und Sie vor Dummheiten zu schützen. So eine Haft kann bis zu sechs Monate dauern.« Brandt wusste, dass das so nicht ganz richtig war, aber es war für ihn das letzte Druckmittel, das er nutzen konnte, um sie endlich zum Reden zu bringen.
Es war gut möglich, dass Natalie etwas über eine Verbindung der beiden Politiker sagen konnte, dennoch war das für ihre Ermittlungen nur hilfreich, wenn auch Zoe ihnen die Wahrheit sagte. Denn so, wie sie herumdruckste, hatte Brandt das Gefühl, dass es eine wichtige Verbindung zwischen Zoes Vater und Natalies Vater gab. Und er wurde das Gefühl nicht los, dass Zoe es ihnen nicht sagen wollte, weil sie hoffte, diese Information für ihre eigenen gefährlichen Recherchen nutzen zu können.
Zoe wirkte überrascht über die klare Ansage, sie war geradezu überrumpelt und Brandt erkannte Unsicherheit in ihren Augen. Vermutlich wog sie gerade ab, ob seine Drohung ernst zu nehmen war oder nicht, und genau dieses Zögern sagte ihm, dass er ins Wespennest gestochen hatte, dass sie sehr wohl etwas wusste.
»Wir raten Ihnen in Ihrem eigenen Interesse, uns die Wahrheit zu sagen. Wir möchten wie Sie den Mörder finden, oder wollen Sie, dass noch weitere Menschen ihr Leben lassen, weil Sie uns nicht die Wahrheit sagen? Sie müssen keine Angst haben«, unterfütterte Aydin Brandts offene Drohung mit wohlklingenden Worten, um ihr eine Brücke zu bauen.
Dass Zoe überhaupt derart herumdruckste, dass sie log und tatsächlich zu glauben schien, dass sie den Mörder ihres Vaters eher finden würde als die Polizei, war für Brandt unbegreiflich.
Zoe schaute Aydin an und sagte: »Mein Vater und Natalies Vater kannten sich, seit sie Studenten sind.«