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»D
übel hat gelogen«, sagte Brandt. Zusammen mit Aydin, Fischer und Bender saß er im Besprechungsraum. Fischer hatte eine Telko zu den Mannheimer und den Lübecker Kollegen aufgebaut.
»Vielleicht weil er nicht will, dass er in etwas hineingerissen wird«, antwortete Nele Blum.
»Immerhin ist er Priester und ganz Deutschland spricht über den Politikermörder. Gut möglich, dass er Angst um den Ruf der katholischen Kirche hat«, ergänzte Tom Hardt.
»Du machst wohl Witze. Dieser pädophile Verein hat doch seinen Ruf längst ruiniert«, kommentierte Arndt Schumacher den Satz mit einer bösen Spitze.
»Arndt, das hilft uns jetzt nicht weiter«, ermahnte ihn Willy, sein Chef.
»Doch, ich glaube, Dübel hat Dreck am Stecken. Dem ist das Image seiner Kirche scheißegal. Lasse und Emre meinten doch, dass er während des Gespräches etwas seltsam war.«
»Wir werden ihn nachher noch einmal aufsuchen und ihn mit dem Foto konfrontieren. Danke für die digitale Kopie«, meldete sich Brandt wieder zu Wort. »Er hat sich jedenfalls nicht aus der Schusslinie genommen. Wenn er von nichts wusste, frage ich mich, warum er sich in dem Gespräch uns gegenüber so verhalten hat.«
»Leider wurde das Foto vermutlich von der toten Ehefrau geschossen. Somit können wir sie nicht mehr fragen«, übernahm Willy die Gesprächsführung. »Kai Kruse kann sich weder an das Foto noch daran erinnern, dass es einen Streit oder eine Auseinandersetzung auf der Hochzeit gegeben hat. Allerdings war er an dem Tag auch mit der Bewirtung seiner Familie und Freunde mehr als genug beschäftigt. So jedenfalls seine Aussage. Ich würde vorschlagen, wir warten das Gespräch mit Dübel ab. Danach überlegen wir alle gemeinsam, ob es Sinn macht, weitere Gäste der Hochzeit aufzusuchen und zu befragen. Kristina, Ernst, ist das auch in eurem Sinne?«
Beide bestätigten Willys Vorschlag.
»Gibt es sonst noch etwas, was wir jetzt klären sollten?«, fügte Ernst Sutter hinzu.
»Leider nicht. Die Verbindungsnachweise der vermissten Handys haben nichts gebracht. Entweder hat der Täter über ein anderes Medium wie WhatsApp mit den Opfern Kontakt gehabt oder über IP-Telefonie und verschlüsselte, sich selbst löschende E-Mails, die nicht in den Verbindungsnachweisen des Providers erscheinen. Inzwischen haben wir auch fast neunzig Prozent der Inhalte aus den sozialen Medien ausgewertet, immer noch keine heiße Spur. Ebenso wenig haben die Auswertungen der privaten Laptops der Opfer etwas ergeben. Wir aus der Informationsbeschaffung sind der Meinung, dass wir es mit jemandem zu tun haben, der sich ausgezeichnet mit IT auskennt und dieses Wissen für seine Taten nutzt. Ich stehe mit den Mannheimer und den Lübecker Kollegen in sehr engem Austausch«, antwortete Fischer.
»Danke«, nickte Bender. »Ich würde vorschlagen, wir schließen uns nach dem Gespräch mit dem Priester alle noch einmal kurz.«
Willy und Ernst stimmten zu und damit beendete Bender die Besprechung.
»Meldet euch sofort, wenn ihr zurück seid«, sagte sie dann und schaute dabei vor allem Brandt an.
»Das hatten wir eh vor«, schmunzelte Brandt.
»Wenn dem nur immer so wäre.« Sie wirkte ernst, dann stand sie auf und verließ den Besprechungsraum, gefolgt von den anderen.
Brandt und Aydin gingen zu ihrem Dienstwagen.
»Wollen wir hoffen, dass er redet«, durchbrach Aydin die Stille im Auto.
»Das wird er, keine Sorge. Wenn er etwas weiß, quetschen wir das zur Not aus ihm heraus, auch wenn das bedeutet, dass wir ihn mit aufs Präsidium nehmen müssen.«
»Wenn er etwas mit den Morden zu tun hat, könnte das bedeuten, dass es purer Zufall war, dass die anderen drei Opfer Politiker waren und er somit auch in Gefahr ist«, gab Aydin zu bedenken.
»Möglich. Oder er steckt mit dem Täter unter einer Decke. Wir wissen nicht mit Sicherheit, wer das Foto geschossen hat.«
»Kruse glaubt, seine Frau.«
»Glauben ist nicht wissen, das solltest du allmählich erkannt haben.«
»Meinst du, der Mörder hat das Foto geschossen? Warum sollte er das getan haben? Wir gehen doch davon aus, dass an dem Tag etwas Dramatisches geschehen ist. Etwas, was dazu führte, dass der Mörder sich erst zwanzig Jahre später rächt. Warum sollte er dann dieses Foto machen?«
»Warum nicht?«, entgegnete Brandt. Im Laufe der Jahre als Kriminalpolizist hatte er schon die unmöglichsten Dinge erlebt.
»Na ja, ich stelle mir gerade vor, der Mörder wird, bevor er das Foto macht, übelst zusammengeschlagen, er wehrt sich, daher der blaue Fleck unter dem Auge von Vogel. Und dann geht er zurück auf die Hochzeit, um ein Foto von seinen Peinigern zu machen? Ist das dein Ernst? So langsam macht sich doch das Alter bei dir bemerkbar, aber wie gut, dass du mich und meinen scharfen Verstand hast.«
»Das einzig Scharfe an dir ist deine vorlaute Klappe«, entgegnete Brandt, aber in Gedanken gab er Aydin recht, das alles klang schon unwahrscheinlich, dennoch konnte man es nicht gänzlich ausschließen.
»Und wieder so ein Tiefschlag, weil du keine Argumente hast.«
»Das hat nichts mit Argumenten zu tun, sondern mit Fakten.«
»Gib doch wenigstens ein Mal zu, dass deine Theorie zu sehr an den Haaren herbeigezogen ist.«
»Wenn wir mit Dübel gesprochen und neue Erkenntnisse gewonnen haben, die meiner Theorie widersprechen, kannst du sicher sein, dass ich kein Problem damit habe, sie neu zu bewerten.«
»Wahrscheinlich hast du bis dahin längst vergessen, was du überhaupt gesagt hast.«
So in ihre Diskussion vertieft, erreichten sie ihr Ziel. Brandt parkte das Auto am Straßenrand, beide stiegen aus und betraten das Gebäude.
»Guten Tag«, grüßte Brandt die junge Frau am Empfang.
»Hallo, wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie.
»Wir sind von der Kölner Kriminalpolizei und möchten uns kurz mit Karl Dübel unterhalten.«
»Karl scheint heute ein gefragter Mann zu sein«, lachte sie. Ihr Name war Luise, wie Brandt ihrem Namensschild entnahm.
»Wer wollte ihn denn noch sprechen?« Brandt hatte das Gefühl, dass Luise recht gesprächig war.
»Eine junge Studentin. Um was geht es denn?«
»Das würden wir gerne mit ihm selbst besprechen. Er kennt uns bereits.«
»Gut, ich frag ihn mal. Er hat heute eigentlich seinen freien Tag.«
Luise griff zum Hörer und wählte eine Kurzwahlnummer. »Komisch, er geht nicht ran. Vielleicht schwirrt er irgendwo im Gebäude rum. Wenn Sie etwas Zeit haben, kann ich nach ihm suchen.«
»Das wäre sehr freundlich«, antwortete Aydin und lächelte sie für Brandts Geschmack einen Moment zu lange auf seine charmante Art an. Es sah ein bisschen so aus, als würde er mit ihr flirten.
»Das mache ich gerne.« Luise entfernte sich von ihrem Platz.
»Du kannst das Flirten einfach nicht lassen«, zog Brandt seinen Kollegen auf.
»So ein Quatsch. Ich bin nur freundlich.«
»Sie hier!«, entfuhr es da Brandt überrascht, er hatte Zoe Lau gesehen. Die junge Frau wirkte erschrocken, als hätte sie einen Geist gesehen, aber nicht, weil sie die Beamten entdeckt hatte, es musste einen anderen Grund haben.