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»H err Stauch, auf einigen Fotos von der Hochzeit ist ein Clown abgebildet. Wir gehen davon aus, dass Sie dieser Clown sind. Wollen Sie nicht endlich mit der Wahrheit herausrücken?«, fragte Aydin, als er und Brandt wieder im Verhörraum waren.
Fischer hatte ganze Arbeit geleistet, er hatte die Clownfotos gefunden und war jetzt dabei, sie dahingehend zu überprüfen, ob die Person darauf tatsächlich Josef Stauch war.
»Sie werden das niemals verstehen«, flüsterte Stauch, er wirkte nachdenklich, als ahnte er, dass er sich nicht mehr herausreden konnte.
»Wollen Sie uns nicht verraten, was an diesem Tag wirklich vorgefallen ist?«, fragte nun Brandt.
Doch bevor Stauch antworten konnte, gab es einen lauten Knall, als hätte jemand geschossen.
»Nadine«, entfuhr es Stauch. Angst lag in seinen Augen, sie waren weit aufgerissen.
»Du wartest hier«, sagte Brandt an Aydin gerichtet und lief hinaus. Was immer draußen geschehen war, es stand in direkter Verbindung zu Stauch und somit zu den drei Politikermorden. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Aydin nicht auf ihn gehört hatte und mit ihm zusammen aus dem Präsidium rannte.
»Ein Team«, rief er, als er zu Brandt aufgeschlossen hatte.
Nur wenige Meter entfernt sah Brandt, was geschehen war. Eine Frau hatte den Priester erschossen, er lag auf dem Boden und eine große Blutlache auf Kopfhöhe ließ keinen Zweifel daran, dass er tot war.
»Keine Bewegung«, rief Brandt, er richtete seine Waffe auf die Frau. »Waffe runter.«
Die Frau war groß, fast so groß wie Brandt, und schlank. Er schätzte sie auf Mitte dreißig. Sie schaute zu ihm und lächelte.
»Legen Sie bitte die Waffe herunter. Lassen Sie uns reden«, sagte Aydin und machte einen Schritt auf die Frau zu, sehr zum Missfallen von Brandt. Immerhin hatte sie noch die Waffe in der Hand und soeben hatte sie bereits einen Priester erschossen, was hinderte sie also daran, auch Aydin zu erschießen? Er und Brandt trugen keine Schutzweste.
»Ich wollte nicht schweigen wie die vielen anderen Opfer«, sagte die Frau.
»Sind Sie Nadine?«, fragte Aydin.
»Das war ich. Nun bin ich Damian!«, antwortete sie und Brandt hatte Gewissheit, dass der Clown und diese Frau sich kannten, vermutlich waren sie Komplizen und jetzt glaubte Brandt auch zu wissen, warum die vier Männer hatten sterben müssen. Nicht der Clown hatte sich gerächt, sondern Nadine. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten die Männer sie vergewaltigt.
»Bitte, Nadine, legen Sie die Waffe weg. Lassen Sie uns in Ruhe über alles reden«, versuchte Aydin weiter zu ihr durchzudringen. »Das wäre auch im Sinne von Josef Stauch.«
»Josef hat mit all dem hier nichts zu tun. Er ist ein Engel. Glauben Sie nicht, was er sagt. Ich allein bin für die Morde an den drei Politikern verantwortlich, ebenso wie an dem hier. Sie haben es verdient, alle vier. Sie haben ihr Leben an dem Tag verwirkt, an dem sie mir meins nahmen. Josef hat mit alldem nichts zu tun. Es war meine alleinige Entscheidung.«
»Wir können das alles zu Protokoll nehmen, wenn Sie die Waffe auf den Boden legen und mit uns ins Präsidium gehen«, antwortete Brandt, er trat neben Aydin und drängte sich dann mit einer raschen Bewegung vor ihn.
*
»Ich gehe nirgends hin«, antworte ich dem Polizisten. Ich sehe ihm an, dass er sich Gedanken macht, und ich weiß auch, warum er sich vor seinen jüngeren Kollegen gestellt hat. Zwischen den beiden herrscht eine tiefe Verbundenheit. Er will seinen Kollegen schützen, das imponiert mir.
Dabei muss er sich keine Sorgen machen, ich werde weder ihm noch seinem Kollegen etwas antun. Mein Werk ist vollendet. Meine einzige Sorge ist, dass Josef wegen meiner Taten ins Gefängnis wandert. Dabei habe ich auch für diesen Fall vorgesorgt. Bereits gestern Abend habe ich einige E-Mails geschrieben, die morgen an ein paar Zeitungen verschickt werden. Zudem habe ich vorhin ein Startprogramm laufen lassen, das den gesamten Inhalt von meinem Laptop, meinem Handy und Josefs Handy löschen wird, wenn ich es in zwei Stunden nicht deaktiviere, und ich habe eine SMS an Josef verfasst, die morgen durch ein automatisiertes Programm verschickt werden wird, mit folgendem Inhalt:
Du bist mein Licht. Du musst weiterleben. Für mich!
Ich hoffe, dass er die Botschaft versteht, dass er sich nicht selbst belastet und unbescholten weiterlebt. Die Medien werden mein Geständnis veröffentlichen, die beiden Polizisten haben mein Geständnis und wenn Josef dichthält und nicht gesteht, dass er Mitwisser oder Mittäter war, warum sollte man ihn dann verhaften?
Er hätte es nicht verdient, schließlich hat er mir an dem Tag damals das Leben gerettet und mir in den Jahren, die folgten, geholfen, überhaupt wieder etwas wie ein Leben führen zu dürfen.
Das Leben ist kompliziert, in Momenten wie diesen wird mit bewusst, wie sehr. Etwas in mir sagt, dass ich von meinem Plan abrücken soll, dass ich gestehen und für meine Taten geradestehen soll, aber ein dämonischer Teil in mir sagt, dass das unmöglich ist. Ich habe kein Verbrechen begangen, für das ich ins Gefängnis gehöre, für das ich eine Schuld eingestehen müsste.
Diese Männer waren bereits zum Tode verurteilt, als sie entschieden, ein junges Mädchen aufs Schändlichste zu missbrauchen. Wie kann ich für diese Tat eine Schuld eingestehen? Ich bin das Opfer, das darf man nicht vergessen. Aber wir leben in einer Welt, die von Männern dominiert wird, in der Männer die Regeln aufstellen. Regeln, die es ihnen erlauben, Frauen zu unterdrücken und zu vergewaltigen. Irgendwo habe ich gelesen, dass jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens sexuelle oder körperliche Gewalt erfahren hat, ohne dass die Peiniger je eine Strafe zu befürchten hatten.
Aber diesmal haben vier Männer ihr Urteil erhalten, und es konnte nur die Todesstrafe sein.
»Bitte, Nadine, legen Sie die Waffe weg. Ich kann Ihren Schmerz verstehen«, versucht der jüngere Beamte zu mir durchzudringen, aber meine Entscheidung steht längst fest.
»Ich allein trage die Schuld an den Morden. Ich habe diese Männer alleine getötet. Alles andere ist eine reine Lüge«, wiederhole ich meine Aussage. »Sagen Sie Josef, dass ich für jeden Tag dankbar bin, den ich bei ihm sein durfte. Er ist ein Engel und ich bin endlich frei, aber er muss auch frei sein. Sagen Sie ihm das, versprechen Sie mir das.« Ich schaue den jungen Polizisten eindringlich an, weil er den empathischeren, nachgiebigeren Eindruck macht.
Nun muss ich doch weinen, aber vor Freude, weil plötzlich ein Gefühl der Wärme durch meinen Körper jagt, das ich mit Worten nicht erklären kann.
»Das werde ich, aber legen Sie bitte die Waffe weg«, bittet mich der junge Polizist.
Mein Blick wandert zum Himmel, es ist ein schöner, sonniger Tag. Irgendwo höre ich Vögel zwitschern.
Ein schöner Tag zum Sterben , denke ich.
Ich richte die Waffe auf mich und drücke ab.