3
»H ast du noch Cola?«, fragte Holger.
»Ja, im Kühlschrank. Bring gleich zwei Gläser mit«, antwortete er und bearbeitete weiter konzentriert den Gamecontroller.
»Wird gemacht.« Holger stand auf und ging zum Kühlschrank.
Kurz darauf kam er zurück, setzte sich zu ihm aufs Sofa und reichte ihm ein Glas. Er nahm es entgegen und gönnte sich einen Schluck, danach spielten sie weiter Fortnite. Wie gewohnt sprachen sie kaum ein Wort miteinander und wenn doch, ging es ausschließlich um den Spielverlauf. Er mochte es nicht, während des Spiels abgelenkt zu werden.
»Ja«, brüllte er und gab einen Zischlaut von sich, nachdem er zwei weitere Gegner erschossen hatte.
»Entspann dich. Ist nur ein Spiel«, reagierte Holger deutlich genervt.
»Die haben es nicht anders verdient«, verteidigte er seinen kleinen Freudenschrei.
»Mag sein, aber du übertreibst. Du musst lernen, entspannter zu sein. Das Spiel hat ja regelrecht Besitz von dir ergriffen.«
»Hat es nicht.«
»Gut, dann lass uns rausgehen. Ich habe Hunger.«
»Jetzt?« Sein Blick wanderte zum Bildschirm zurück. Das konnte Holger unmöglich von ihm verlangen, wo es doch gerade so gut lief.
»Siehst du, du bist süchtig. Du lebst im falschen Film.«
»Tue ich nicht«, zischte er und erschoss eine weitere Figur in dem Spiel. Dass Holger ihm diesen Vorwurf machte, passte ihm gar nicht. Aber wenn er jetzt nicht aufhörte, würde sich Holger auch noch im Recht fühlen und das durfte unter keinen Umständen passieren, so schwer es ihm fiel, aufzuhören.
»Du bist ganz eindeutig süchtig. Mensch, das ist nur ein Spiel. Du musst lernen, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. Kein Wunder, dass du keine Freundin hast.«
»Was soll das? Wieso beleidigst du mich?«, rutschte es ihm heraus. Seine Augen wurden schmal vor Wut.
»Wieso? Ist doch wahr. Wann hattest du denn zuletzt eine Freundin?«
»Das hat doch nichts mit dem Spiel zu tun.«
»Natürlich. Du zockst doch, seit du zwölf bist.«
Er schnaubte, sagte aber nichts, dabei hätte er Holger zu gerne gepackt und ihm eine verpasst, aber er hielt sich zurück. Zu groß war der Respekt vor ihm.
»Entweder du kommst jetzt mit oder ich gehe alleine.« Holger legte den Controller ab und stand auf.
»Du hast doch nur keine Lust mehr, weil es bei dir schlecht läuft«, wagte er dennoch einen Vorstoß.
»Ganz bestimmt nicht. Ich habe halt andere Prioritäten im Leben. Ich lasse mich nicht durch eine fiktive Welt bestimmen, ich lebe im Hier und Jetzt. Das solltest du auch mal tun, wenn du am Ende nicht als kompletter Versager dastehen willst.«
»Ich bin kein Versager«, wurde er laut.
»Hey, entspann dich. Ich bin dein Kumpel. Wie lange kennen wir uns?« Holger gab sich unbeeindruckt.
Die dominante Art seines Freundes schüchterte ihn sofort ein. Er legte den Controller ebenfalls auf den Tisch. »Du hast recht. Die Onlinewelt bestimmt nicht über mich. Es ist nur ein Spiel.« Sein verkniffener Gesichtsausdruck verriet allerdings, dass er doch angesäuert war, das Spiel jetzt beenden zu müssen.
Holger warf ihm einen prüfenden Blick zu, sagte aber nichts. Stattdessen nahm er seine Jacke und trat an die Tür. Er folgte ihm, nahm ebenfalls seine Jacke, seinen Rucksack und seine Bauchtasche und setzte sich sein Bluetooth-Headset ins Ohr.
»Brauchst du das wirklich alles?«, fragte Holger und beäugte ihn skeptisch.
»Klar, man kann nie wissen«, antwortete er, da er gerne für alle Eventualitäten vorbereitet war.
Sie verließen die Wohnung und gingen zu Holgers Wagen.
»Wohin fahren wir?«
»Ich würde sagen, in die Stadt einen Kaffee trinken.«
»Okay.« Ob Holger ihn wieder nach Hause fahren würde, fragte er erst gar nicht, er kannte die Antwort. Wie immer würde er für den Heimweg die öffentlichen Verkehrsmittel nehmen, aber damit hatte er kein Problem.
»Wie läuft es auf der Arbeit?«
»Habe gekündigt.«
»Gekündigt? Warst du nicht erst ein paar Monate dort?«
»Ja, war nix für mich. Die haben mich alle gemobbt, einschließlich meiner Chefin.«
»Dein wievielter Job ist das eigentlich?«
»Weiß nicht, ich zähl das nicht. Immerhin gehe ich arbeiten.«
»Momentan augenscheinlich nicht. Du musst echt dein Leben in den Griff kriegen, so schlimm es auch die letzte Zeit für dich gelaufen ist. Es muss weitergehen. Sich hängen lassen ist keine Alternative.«
»Ich habe mein Leben im Griff.«
»Ganz offensichtlich nicht, sonst …«
»STOPP!«, wurde er laut. Das musste er sich nun wirklich nicht bieten lassen.
»Wieso stopp? Findest du im Ernst …«
»Sorry, wenn ich dich unterbreche, aber das kannst du doch gar nicht beurteilen, du warst nie auf meiner Arbeitsstelle. Die haben mich da wie einen Psycho behandelt.«
Holger lachte und schüttelte den Kopf. »Einfach bist du nicht gerade. Wahrscheinlich hast du aus einer Mücke einen Elefanten gemacht.«
»Was willst du damit sagen?«
»Dass du null kritikfähig bist. Du fühlst dich immer gleich angegriffen, wenn man dich sachlich kritisiert.«
»Moment! Zwischen Kritik und Beleidigung liegt schon ein großer Unterschied.«
»Du verwechselst das. Erinnerst du dich an letzte Woche?«
»Was war da?«
»In der Drogerie.«
»Musst du das jetzt ansprechen?« Er starrte angestrengt aus dem Beifahrerfenster und spürte Wut in sich aufsteigen, dieser Jähzorn war einfach schwer zu kontrollieren, auch wenn es ihm häufig gelang, ihn herunterzuschlucken. Aber wie lange noch?
Warum sollte ich mir eigentlich Gedanken darüber machen? Lass ihn raus! Er ist ein Teil von dir.
»Ja, anders kapierst du’s doch nicht. Wenn ich nicht gewesen wäre, hättest du unnötig Geld ausgegeben. Die Vorteilspackung hat fünf Euro weniger gekostet als die zwei einzelnen Packungen. Aber du wolltest unbedingt zwei Packungen. Das war total unlogisch, und als ich dich darauf hingewiesen habe, hast du mich noch angemault und bist einfach weggelaufen. Das sagt viel über deine Kritikfähigkeit aus.«
»Ich habe mich aber entschuldigt und am Ende die Vorteilspackung gekauft.«
»Aber nur, weil ich nicht lockergelassen habe. Du bist mein Kumpel, seit mehr als zwanzig Jahren. Glaubst du im Ernst, ich will dir was Böses? Trotzdem ziehst du dich sofort in deinen Kokon zurück, wenn ich Kritik an dir übe.«
»Müssen wir jetzt darüber sprechen? Ich habe mich doch entschuldigt.«
»Siehst du? Du tust es wieder. Weil es dir an Selbstbewusstsein mangelt und weil du dir nicht anders zu helfen weißt, wirst du pampig und launisch. Menschen, die dich nicht kennen, könnte das abschrecken.«
»Das ist dann doch ihr Problem. Soll ich mich jetzt für andere ändern?«
»Nicht ändern, aber du musst an dir arbeiten.«
»Das tue ich. Ich habe mir schon Bücher über Verhaltenspsychologie und Körpersprache besorgt.«
»Vergiss es. Das meine ich nicht. Theoretisches Wissen bringt dir nichts. Du musst unter Menschen. Wenn ich nicht wäre, würdest du dein Zimmer nie verlassen.« Holger parkte den Wagen.
»Das stimmt nicht.«
Kopfschüttelnd stieg Holger aus und sagte: »Du weißt, dass ich recht habe. Du bist fünfunddreißig. Wenn du dein Leben nicht änderst, werden die Menschen glauben, du bist ein Freak.«
»Ich bin kein Freak! Das muss ich mir nicht bieten lassen!« Wütend schlug er die Autotür zu, seine Augen waren weit aufgerissen und am liebsten hätte er Holger gepackt und zu Boden geworfen, doch er zügelte sich.
Holger lachte nur und klopfte ihm auf die Schulter. »Komm, entspann dich. Wir sind Freunde. Wann kapierst du endlich, dass du dich nicht bei jedem Spruch angegriffen fühlen musst? Wann reißt du diesen verdammten Schutzschild ein? Er macht dir dein ganzes Leben kaputt.«
»Du musst mich aber auch nicht immer provozieren.«
Das laute Ausatmen von Holger sprach Bände. »Du bist ein hoffnungsloser Fall. Ich suche uns Plätze und du bringst die Getränke.« Sie betraten das Selbstbedienungscafé, das sehr gut besucht war.
»Okay. Was willst du?«
»Einen Latte.« Holger entfernte sich und er stellte sich ans Ende der Schlange.
Dass Holger ihm immer Vorwürfe machen musste, nervte ungemein. Konnte er ihn nicht einfach mal so akzeptieren, wie er war? Warum fiel das den anderen so schwer? Er selbst mäkelte doch auch nicht ständig an seinen Mitmenschen herum.
Und was bitteschön war daran verwerflich, wenn er sich verteidigte, wenn andere ihn angriffen? Er konnte die ganze Aufregung nicht verstehen. Er war das Opfer, nicht der Täter. Aber Holger stellte es immer so dar, als wäre er der Auslöser. Dabei verstellte er sich nur einfach nicht. Vermutlich musste man das aber tun, um geliebt zu werden.
Er gab seine Bestellung auf und ging mit den beiden Getränken zu Holger, der gerade telefonierte.
»Ich melde mich, Babe«, beendete Holger das Gespräch.
»Wer ist das gewesen?« Er reichte Holger seinen Latte.
»Sandy. Habe ich am Wochenende im Club kennengelernt. Heiße Schnitte.«
»Bei deinen ganzen Liebschaften kommt man ja gar nicht mehr hinterher.«
»Kannst du mir bitte noch Zucker bringen?«
»Klar.« Er stand auf und holte ihn.
»Danke. Ja, sie ist nett. Aber ich denke nicht, dass es was Ernstes wird. Sie ist mir doch zu einfach gestrickt.«
»Verstehe. Dumm fickt aber gut.«
Holger lachte, ihm schien ein Spruch auf den Lippen zu liegen, aber er schwieg.
»Du solltest mal abends mit feiern kommen.«
»Du weißt doch, das ist nicht so mein Ding. Ich gehe lieber ins Kino oder so.«
»Na ja, aber wie willst du dann eine Frau kennenlernen?«
»Ich bin auch ohne Frau glücklich.«
»Das kann ich mir schwer vorstellen. Eine Frau würde dir guttun, die könnte dich bestimmt umkrempeln.«
»Ich bin mit mir selbst glücklich genug«, versuchte er unbeeindruckt zu wirken. Dass ihn diese Worte in Wahrheit heftig trafen, konnte er unmöglich zugeben. Natürlich gab es Tage, an denen er sich einsam fühlte, Holger das auf die Nase zu binden, wäre allerdings nicht klug. Daraufhin würde er den Druck nur erhöhen, mit ihm auf eine Party zu gehen. Er war nun mal kein Partygänger, nur Holger schien das nicht kapieren zu wollen.
»So ein Quatsch. Der Mensch ist nicht zum Alleinsein gemacht«, entgegnete Holger.
Er nahm einen kräftigen Schluck von seinem Frappé. Die Kälte schoss sofort in seinen Kopf und löste einen schrecklichen Kälteschock aus. Es zog fürchterlich und er presste sich sofort die Hand auf die Stirn.
»Du lernst das nie, oder?«, lachte Holger. »Wie oft hattest du das schon? Wenn du was Kaltes bestellst, solltest du etwas langsamer trinken.«
Er kniff ärgerlich die Lippen zusammen. Damit hatte er Holger eine weitere Steilvorlage serviert, um sich über ihn lustig zu machen.
»Wusstest du, dass die Stanford Universität einen Algorithmus entwickelt hat?«
»Nein, was kann der?«
»Er soll Homosexualität erkennen können. Vielleicht solltest du dir das Programm mal besorgen?«
»Warum? Willst du damit andeuten, ich wäre schwul?« Er richtete sich auf. Was Holger da von sich gab, fand er überhaupt nicht komisch. Er hasste Schwule, sie waren in seinen Augen abartig.
»Du hattest doch noch nie eine Freundin. Vielleicht bist du ja wirklich schwul und stehst nur nicht dazu.«
»STOPP! Jetzt gehst du eindeutig zu weit, das muss ich mir von dir nicht bieten lassen. Ich weiß ja wohl selbst, ob ich schwul bin oder nicht. Nur weil ich nicht wild durch die Gegend vögele, heißt das nicht, dass ich schwul bin.«
»Beruhig dich. Ich will dir doch nur helfen. Warum regst du dich so auf? Wir leben im 21. Jahrhundert. Homosexualität ist heute glücklicherweise etwas völlig Normales. Und ganz ehrlich, ich hätte kein Problem damit, schwul zu sein. Schwule sind untereinander viel ehrlicher als Heteros. Du gehst in einen Club, findest den Kerl geil und ihr habt Sex. Bei einer Frau musst du sie erst überreden, sie einladen und was weiß ich nicht alles.«
»Mir doch egal, was du denkst. Ich bin nicht schwul. Können wir endlich das Thema wechseln?«
»Klar, war nicht böse gemeint. Du stellst dich nur ziemlich an. Wie schaut es mit Kino aus? Haben wir schon lange nicht mehr gemacht.«
»Captain Marvel läuft noch im Cineplex.«
»Der soll nicht schlecht sein.«
»Die Kritiken sind sehr gut. Hast du die Vorschau gesehen?«
»Welche …«
»Na die Szene, in der Captain Marvel die alte Frau im Bus schlägt und alle sich denken, ob sie noch alle Tassen im Schrank hat«, unterbrach er Holger. Er wollte den Film schon seit Wochen sehen, hatte aber bisher keine Gelegenheit dazu gehabt.
»Habe ich nicht gesehen. Aber können wir gerne machen. Wann?«
»Heute?«
»Heute wird das leider nichts, aber nächstes Wochenende vielleicht.«
»Ja, gut. Läuft uns ja nicht weg«, antwortete er, dabei fühlte er, wie seine Enttäuschung wuchs. Warum hatte Holger ihn überhaupt gefragt, ob er mit ihm ins Kino gehen wolle, wenn er gar keine Zeit hatte? Er fühlte sich verarscht, sagte es aber nicht aus Angst, dass er sich wieder einen Spruch würde anhören müssen.
»Avengers wird bestimmt auch ganz gut«, sagte Holger.
»Auf jeden Fall. Nach dem offenen Ende will die Welt doch wissen, wie es weitergeht. Ich habe mir einige Fantheorien angeschaut. Wenn du mich fragst, halte ich die von …«
»Ich muss mal aufs Klo«, unterbrach Holger ihn und stand auf.
Während Holger weg war, nippte er weiter an seinem Frappé, dann nahm er sein Handy und schaute, ob ihn jemand angerufen hatte, was aber nicht der Fall war. Also hörte er sich ein paar Klingeltöne an.
»Warum du überhaupt ein Handy hast, ist mir echt ein Rätsel«, machte sich Holger wieder mit einem Spruch bemerkbar. »Egal wann ich dir über WhatsApp schreibe, du reagierst nicht.«
»Ich habe es halt auf lautlos.«
»Ich glaube, es liegt eher daran, dass du es in der Tasche hast und zu Hause den ganzen Tag mit deinem dämlichen Headset auf dem Kopf irgendwelche Ballerspiele spielst. Egal. Ich muss los.«
»Okay, ich trinke schnell aus.« Er trank den Rest und folgte Holger nach draußen.
»Ich melde mich.«
»Mach das. Hat mich gefreut.«
»Mich auch. Und wenn du eine ruhige Minute hast, denk mal über meine Worte nach. Ich bin dein Kumpel, ich will, dass es dir gut geht. Aber das kriegen wir nur hin, wenn du es auch willst und an dir arbeitest.«
Statt etwas zu erwidern, reichte er Holger die Hand zum Abschied. Danach blieb er alleine zurück. Nach Hause wollte er nicht, also schlenderte er durch die Fußgängerzone, die wie so oft sehr gut besucht war.
Holgers Worte ließen ihm keine Ruhe, so sehr er auch versuchte, sie nicht an sich heranzulassen. Konnte es sein, dass er wirklich schwul war?
»Niemals«, rutschte es ihm lauter heraus als beabsichtigt. Eine junge Frau schaute ihn erschrocken an. »Guck nicht so«, brüllte er die Frau an und ging kopfschüttelnd weiter.
Seine Laune war dahin, fast hatte er das Gefühl, dass alle Menschen ihn anstarrten. An einem Schaufenster blieb er stehen, um sich zu betrachten. Hatte er etwas an sich, weswegen sie so schauten? Vielleicht war sein T-Shirt dreckig oder klebte ihm etwas im Gesicht? Er konnte nichts erkennen.
Bin ich wirklich so hässlich?
Nein, das konnte es nicht sein. Sein Bild im Schaufenster gefiel ihm. Er war nicht der Schlankste, aber bei seiner Größe verteilte sich das Gewicht ganz gut. Im Gegensatz zu Holger trug er keine teure Kleidung, aber das war ihm auch nicht wichtig. Er war immer sauber angezogen und gepflegt, das war ja wohl das Entscheidende. Im Großen und Ganzen war er mit sich im Reinen, nur die anderen schienen mit ihm nicht im Reinen zu sein. Aber dafür konnte er doch nichts. Musste man ihm denn deswegen das Gefühl geben, dass er nicht erwünscht war?
Am liebsten wäre er ausgewandert, nach New York oder Washington. Die USA gefielen ihm. In so einer amerikanischen Großstadt würde er in der großen Masse untertauchen können. Keiner würde sich an ihm stören und er könnte einfach ein glückliches Leben führen.
Und du könntest eine Waffe besitzen , dachte er zufrieden.
»So sehen Kinderschänder aus«, hörte er jemanden in einer Gruppe von vier Jugendlichen tuscheln, die ein paar Meter vor ihm stand. Er hatte ein sehr gutes Gehör, daher glaubte er nicht, dass er sich verhört hatte. Sein Blick wanderte zu den Jugendlichen, die sicher keine fünfzehn waren.
»Guck nicht so, du Freak«, lachte einer von ihnen.
Schnell wechselte er die Straßenseite. Er wollte keinen Streit mit diesen Halbstarken, auch wenn sie kleiner waren als er. Wer konnte schon sagen, ob sie nicht Messer bei sich trugen.
Du hast auch ein Messer bei dir. Wieso lässt du dir das gefallen? Schneid ihnen die Kehle durch , ermahnte ihn eine Stimme in seinem Inneren.
Doch er blieb lieber bei der Flucht.
Irgendwann erreichte er einen Teeladen und trat ein, um sich grünen Tee zu kaufen. Er liebte japanischen grünen Tee. Im Anschluss daran ging er zurück zur Haltestelle, um nach Hause zu fahren. Er hatte genug von der Stadt, außerdem hatte er Hunger. Seine Mutter würde ihm sicher etwas zu essen machen.
Egal wie sehr sie auch mit ihm schimpfte oder ihn schlug, am Ende gab sie ihm ein Dach über dem Kopf und hatte immer eine Mahlzeit für ihn.
Es könnte mich schlechter treffen , sinnierte er, während er an der Haltestelle auf den Bus wartete.
Der Bus kam mit zweiminütiger Verspätung. Er stieg ein, nahm Platz und hörte Musik. Mit jeder Haltestelle wurde der Bus voller, bis nur noch ein Sitzplatz frei war. Der neben ihm.
Drei Haltestellen vor seinem Ziel fragte ihn eine junge Frau, ob der Platz noch frei sei. Er nickte und sie setzte sich hin.
Er wusste nicht, woran es lag, aber in der Gegenwart von Frauen fing er immer an zu schwitzen, vor allem, wenn sie ihm gefielen. Wie alt seine Sitznachbarin war, konnte er schwer einschätzen, aber er vermutete, dass sie um die achtzehn Jahre alt sein musste.
Wie kann ich schwul sein?, dachte er verärgert.
»Darf ich raus? Das ist meine Haltestelle«, sagte er, als der Bus kurz vor seinem Ziel war.
»Meine auch«, antwortete die junge Frau freundlich.
»Okay«, sagte er und blieb sitzen. Da hatte er plötzlich eine Idee, sie wurde übermächtig und ergriff vollständig Besitz von ihm.
Als der Bus stoppte, wartete er, bis sie ausgestiegen war, danach stieg auch er aus. Draußen tat er so, als würde er in seinem Handy irgendwelche Nachrichten lesen, dabei wollte er nur sehen, wohin die junge Frau ging.
Als er sah, dass ihr niemand folgte, steckte er das Handy weg und ging ihr nach. Es gab keine andere Möglichkeit, er musste es tun. Der Drang, dieses Gefühl zu haben, war plötzlich übermächtig.