Der Mensch, der über die Erde geht, der wegen eines Steines seiner Pflugschar eine Drehung gibt, der die Handgriffe niederdrückt, um die Schollen umzuwerfen, der sich auf die Erde kniet, um sein Vesperbrot zu essen – dieser Mensch, der mehr ist als seine Elemente, weiß, dass auch das Land mehr ist als seine Analyse.

John Steinbeck,  Früchte des Zorns

VI. NACHHALTIGER HUNGER

Klimaanpassung und Grüne Revolution

1. Smarte Entwicklungshelfer

In dem winzigen Raum in Kaliganj herrscht dichtes Gedränge; gut zwei Dutzend Bauern hocken auf dem Boden. Ihnen gegenüber sitzt an einem Tisch ein Berater von der niederländischen Entwicklungsorganisation SNV. Er interviewt die Bauern, die in verschiedenen Projekten nachhaltige oder Bioshrimps züchten oder dafür rekrutiert werden sollen. Der Europäer stellt technische Fragen: Wie hoch ist der Besatz? Wie tief sind die Becken? Was füttern Sie? Die Sitzung ist fast zu Ende, die Bauern rutschen nervös herum und sagen, sie müssten jetzt wieder an die Arbeit. Der Entwicklungshelfer macht sich ein paar Notizen, strahlt und erklärt: »Ich sehe keine größeren technischen Probleme. Ich denke, man kann hier alles in Biofarmen umwandeln.« Würde man nämlich die Deiche begrünen und auch Mangroven aufforsten, dann könnten die Farmen am REDD+-Mechanismus teilnehmen, »das ist alles kein Problem, in Vietnam haben wir das schon so gemacht«. Wir, sagt er, meint aber: die Macher aus dem hohen Norden. Die smarten grünen Neo-Kolonialherren. Jenes SNV-Projekt in Vietnam, das auch vom Bundesumweltministerium bezuschusst wird, hört auf den klingenden Namen »Mangroves & Markets«. Wie bei den Naturland-Shrimps sollen dort mindestens 50 Prozent jener Mangroven, die für die Aquakulturen weichen mussten, wiederaufgeforstet werden. Das soll die Shrimpszucht via REDD+ für den Emissionshandel vorbereiten. Mangroven und Märkte, Aquakultur und Klimaschutz, alles verträgt sich, das ist die Botschaft.

Die Aquakulturen sollen also nicht nur fast zur Hälfte bestehen bleiben, um den Nachschub mit Luxusnahrung für den reichen Norden zu sichern, sondern diesem perfiderweise auch noch helfen, seine Emissionen kleinzurechnen.

In Kaliganj, wo sich die elenden Shrimpsbecken endlos aneinanderreihen, schlendern Badrul, Sebina und ich einen holprigen Weg entlang. Er führt durch einen Showroom der internationalen Entwicklungshilfe: Büros westlicher Hilfsorganisationen säumen die Straße, vor ihnen sind Schilder angebracht, auf denen Begriffe stehen wie »Food Security«, »Inclusive Business« oder »Climate Change Adaption«. Die westliche Welt zeigt hier, dass sie es gut mit Bangladesch meint und sich bemüht, den Armen dabei zu helfen, mit dem Schlamassel selbst klarzukommen, den sie ihnen eingebrockt hat.

Auch die niederländische SNV arbeitet mit solchen Management-Begriffen. Sie ist eine Entwicklungsorganisation ähnlichen Zuschnitts wie die deutsche GIZ: Sie setzt »marktbasierte Lösungen« in den Ländern des Südens um, etwa »inklusive Modelle«, in denen Bauern für globale privatwirtschaftliche Wertschöpfungsketten arbeiten sollen. Zu den Finanziers der SNV gehören die Bill&Melinda Gates Foundation, die EU und das amerikanische Entwicklungsprogramm USAID, das die Grüne Revolution umgesetzt hat. »Smart Developement Works« ist der Slogan der Organisation.

Smart ist das Modewort der Stunde. Eine »smarte« Technik ist eine, die so optimiert ist, dass sie sich flexibel und effizient demjenigen anpasst, der sie verwendet. Wie das Smartphone. Effizienz, (Selbst-)Optimierung und Anpassung sind auch Schlagworte des Neoliberalismus. So findet man den Begriff »Smart Developement« vor allem in der Wirtschaftswelt: Dort wird er gleichermaßen für Managementkonzepte, Produktentwicklung, Unternehmensberatung sowie Finanzdienstleistung verwendet. »Smarte Entwicklung unterstützt wirtschaftliches Wachstum und macht es nachhaltiger, integrativer und mehr sozialverantwortlich«, sagt die holländische Ministerin für Außenhandel und Entwicklungsarbeit auf der SNV-Homepage.356 Auch bei der »smarten Entwicklungshilfe« geht es um effiziente, »zugeschnittene« Lösungen. Aber was muss sich wem anpassen? Und wer wird dabei auf was zugeschnitten?

2. Anpassung statt CO2-Reduzierung

»Climate Change Adaption« – also die Anpassung an den Klimawandel – ist ein weiteres technokratisches Instrument der westlich dominierten Klimapolitik. Der Klimarat der Vereinten Nationen (IPCC) definiert »Climate Change Adaption« als die »Angleichung eines natürlichen oder menschlichen Systems an tatsächliche oder zu erwartende klimatische Stimuli oder deren Effekte, um Schäden zu mildern oder mögliche Vorteile zu nutzen«.357 Bereits 2007, im selben Jahr, als der IPCC-Bericht belegte, dass der Klimawandel menschengemacht ist, wurde bei der UN-Klimakonferenz in Bali die Klimawandel-Anpassung als einer von vier Teilen des Aktionsfahrplans verabschiedet. In der Folge erhielt die Gewöhnung an den Klimawandel insbesondere der sogenannten Entwicklungsländer das gleiche Gewicht wie die Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen der reichen Länder.

Schon bei der Klimakonferenz 2006 in Nairobi war beschlossen worden, einen Anpassungsfonds einzurichten, der entsprechende Programme finanzieren sollte. Bis 2011 landeten 250 Millionen US-Dollar in diesem Fonds. Mehr als die Hälfte davon stammte aus dem Clean Development Mechanism (CDM) des Kyoto-Protokolls. Dieser Mechanismus soll für umweltverträgliche Entwicklung – sprich: grünes Wachstum – in den Ländern des Südens sorgen.

Die Projekte, die zu Rädchen in diesem Mechanismus wurden, sind vor allem Anlagen der Großindustrie: Wasserkraftwerke und Palmölmühlen, die klimaschädliches Methan zur Energiegewinnung verbrennen, oder Biogasanlagen in der Massentierhaltung. Selbst neue Kohlekraftwerke erhalten CDM-Zertifikate, wenn sie mit einer Technik ausgerüstet sind, die für weniger CO2 sorgt, als es alte Kraftwerke ausstoßen. Dass Kohlekraft per se einer der größten Treiber des Klimawandels ist, spielt keine Rolle. Schwellenländer wie China oder Indien können allerdings solche modernen Klimakiller überhaupt nur bauen, wenn sie CDM-Geld bekommen.358 So treibt der Clean Development Mechanismus den Klimawandel weiter voran. Die Länder, die vom Klimawandel schon heute betroffen sind, sollen sich ihm einfach anpassen. Das ist logisch, aber nur, wenn man der Logik des westlichen Konzepts von Entwicklung folgt, das sich an kapitalistischen Standards und (finanziellen) Werten orientiert und sich auf Wirtschaftswachstum konzentriert, auf technischen Fortschritt, Produktionssteigerung und Export, auf die Etablierung von Konsumgütermärkten sowie auf die Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur – die marktradikale Expansion des kapitalistischen Systems also, das für genau die Schäden gesorgt hat, die es nun beseitigen soll. Wirtschaftswachstum bildete auch die Grundlage der gescheiterten Milleenium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, die im Herbst 2015 durch die Sustainable Development Goals (SDG) ersetzt werden sollen. Und die haben was zum neuen alten Inhalt? Richtig, grünes Wachstum. Schließlich haben an den »nachhaltigen Entwicklungszielen« Konzerne wie BASF, Bayer, Nestlé, Unilever sowie die Bill&Melinda Gates Foundation mitgewerkelt.359 Zu diesen Zielen gehört auch die Klimaanpassung.

Im Mittelpunkt der Klimaanpassung, wie sie sich der Norden vorstellt, stehen einerseits Frühwarnsysteme, Dämme und Schutzhäuser als Katastrophenschutz, andererseits neue Bewässerungssysteme und lizenziertes Saatgut, das an das Klima angepasst ist. Außerdem soll sich die Gesellschaft dieser Länder für kommende Katastrophen fit machen, indem sie vorher für Wirtschaftswachstum sorgen. Ein weiteres Mal stülpt der nördliche Hegemon also seine Patentrezepte über die Länder des Südens – und wundert sich ein weiteres Mal, wenn aus den Menschen dort nicht im Handumdrehen Neoeuropäer und Nachwuchs-Amerikaner werden.

Für seine Fallstudie zur Entwicklungshilfe in Bangladesch hat Christoph Neusiedl anonym mit verschiedenen Entwicklungsexperten gesprochen. Als das Land, das vom Klimawandel am stärksten betroffen ist, wird Bangladesch zu einer Art Versuchslabor der Klimaanpassung. Ein Argument, das Neusiedl bei seinen Interviews oft zu hören bekam, war, dass die Garnelenzucht doch eine geeignete Maßnahme für die Klimaanpassung sei. In Gegenden, wo die Böden besonders versalzen sind, seien Aquakulturen das Mittel der Wahl, den Menschen eine weitere Einkommensquelle zu erschließen. »Das belegt, dass Konzepte der Klimaanpassung ebenfalls dem ökonomischen Entwicklungsmodell folgen, das Umweltzerstörung akzeptiert, um ökonomisches Wachstum und eine Erhöhung des Bruttoinlandsproduktes zu erreichen«, schreibt Neusiedl.360

Im April 2015 wies ein Recherche-Konsortium nach, dass die Kollateralschäden ökonomischer Entwicklungsgroßprojekte der Weltbank im vergangenen Jahrzehnt viele Menschen erst recht in die Armut getrieben haben: etwa mit der Finanzierung von Kraftwerken, Cash-Crop-Plantagen oder Aquakulturen. Diese haben dafür gesorgt, dass 3,4 Millionen Menschen Land und Lebensgrundlage verloren haben. Auf Anfrage des Journalistenteams gab die Weltbank zwar zu, schwere Fehler bei der Umsiedlungspolitik gemacht zu haben. Gleichzeitig aber rechtfertigte Weltbank-Präsident Jim Yong Kim die strukturelle Gewalt als unausweichlich: Ein Ende der Armut auf der Welt sei ohne folgenreiche Großprojekte nicht zu erreichen.361 Diese perfide Logik gibt die selektive Ideologie der westlichen Entwicklungshilfe exakt wieder.

Die neoliberale Narration von der Ausweglosigkeit des Klimawandels und der Armut rechtfertigt solche »kurzfristigen Lösungen« samt ihrer Kollateralschäden, auch wenn von vorneherein klar ist, dass diese die Situation auf lange Sicht verschlimmern und neue Probleme schaffen werden. Die Folgen des Klimawandels für die lokale Bevölkerung aber werden durch die technizistische Lupe des Instruments Klimaanpassung zu rein ökonomischen Kennzahlen.

Die Definition von Klimaanpassung – »mehr verdienen«, »unterschiedliche Einkommensquellen schaffen« – ist so schwammig, dass man darunter alles verwurschteln kann. Für die Wirtschaft ist diese westliche Ideologie äußerst attraktiv: Sie kann ihr business as usual nicht nur weiterführen, sondern sogar ausweiten, weil sie jetzt auch Entwicklungshilfe kassiert. Straßen bauen, Cash Crop-Plantagen erweitern, lizenziertes und gentechnisch verändertes Saatgut, Pestizide und Landmaschinen verkaufen, Mikrokredite vergeben, Kleinbauern in globalen Wertschöpfungsketten ausbeuten – all das gilt als »Klimaanpassung«. Lebensmittel- und Agrarkonzerne wittern hier Morgenluft.

Die »klimasmarte Landwirtschaft« wurde von der FAO und der Weltbank ersonnen und verspricht eine »Win-win-win-Situation«: Sie soll den Menschen Ernährungssicherheit bringen, die Landwirtschaft auf die Auswirkungen des Klimawandels vorbereiten und diesen bremsen. In der »klimaangepassten Landwirtschaft« sollen Böden als CO2-Speicher behandelt werden. Landwirtschaftliche Flächen binden riesige Kohlenstoffmengen, vor allem im organischen Anteil der Böden, dem Humus, der von Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren gebildet wird. Methoden, die die Humusbildung erhöhen oder den Humusverlust reduzieren, verbessern also die Funktion der Böden als Kohlenstoffspeicher.

Das klingt fast schon nach Ökolandwirtschaft, ist es aber nicht. Denn hier steht nicht die Idee im Vordergrund, Böden durch agrarökologische Methoden fruchtbar zu halten und damit Kleinbauern zu unterstützen, sondern der Plan, Böden in den Emissionshandel einzubeziehen. Das Geld, das die Bauern mit dem CO2-Handel zusätzlich verdienen würden, so der Gedanke, könnten sie dann in die Landwirtschaft investieren und diese so »verbessern« und weiter dem Klimawandel anpassen. Auf diese Weise würden sie sich »selbst aus der Klimafalle retten, also am eigenen Schopf aus der Misere ziehen«, kommentiert der Journalist Uwe Hoering.362

Als diese Idee beim UN-Klimagipfel 2011 in Durban vorgestellt wurde, formierte sich prompt Protest dagegen: »Klimasmarte Landwirtschaft wird als nachhaltige Landwirtschaft verkauft – doch dieser Begriff ist so breit, dass wir befürchten, das ist nur eine Fassade, um die industrielle Landwirtschaft zu fördern«, so Simon Mwamba von der East and South African Small Farmers’ Federation.363

Schon lange propagiert der Agrar- und Saatgutkonzern Monsanto, Herbizide zur Unkrautvernichtung einzusetzen – und zwar anstelle des Pflugs. Denn letzterer könne die Humusschicht zerstören und CO2 freisetzen, das im Boden bleibe, wenn man dem Unkraut mit Gift zu Leibe rücke, so das bizarre Argument, das nur logisch für den ist, der mit CO2 handeln will.

Aber dieser marktbasierte Mechanismus wird Landgrabbing und die Ausweitung großer Plantagen befeuern: Denn je größer die Ackerfläche ist, desto mehr Geld steckt buchstäblich im Boden.

Die Kritiker sollten recht behalten: Auf dem UN-Sonderklimagipfel in New York im September 2014, gründete sich die Global Alliance for Climate-Smart Agriculture. Zu den Mitgliedern dieser Initiative gehören neben 20 Ländern, FAO und Weltbank auch Danone, Düngerkonzerne wie die Mosaic Company und Yara, der Internationale Verband der Düngerindustrie, sowie die Business-NGOs Rainforest Alliance, das World Ressource Institute und The Nature Conservancy.364 Auch die niederländische SNV ist Partner. Die Konzerne ließen natürlich ebenfalls nicht lange auf sich warten: Walmart, McDonald’s und die Kellogg Company verpflichteten sich, die Menge ihrer importierten Rohstoffe zu erhöhen, die »klimasmart« produziert wurden.365

Smart ist ein Wort, das, positiv gewendet, »schlau«, »clever« und »taktisch klug« bedeutet. Aber »smart« bedeutet eben auch gerissen, tückisch und hinterlistig.

3. Die Entpolitisierung des Klimawandels

In seinem Essay »Apocalypse forever? Post-political Populism and the Spectre of Climate Change«366 beschäftigt sich der belgische Geograph Erik Swyngedouw, Professor an der Universität Manchester, mit der Art und Weise, wie der Westen den Klimawandel als »universale humanitäre Bedrohung« und imaginäre Apokalypse inszeniert, die »die Menschheit« heimsuchen wird. Sein Fazit: Nicht nur lässt diese Erzählung völlig außer Acht, dass der Klimawandel für viele Länder des Südens heute leider kein Zukunftsszenario mehr ist, sondern bereits tödliche Realität. Die Erzählung des Klimawandels als Bedrohung von außen lässt die strukturelle Ursache der Katastrophe außen vor, nämlich den Kapitalismus mit seinem Wachstumsdiktat, seinem Energie- und Rohstoffhunger. Umgekehrt definiert diese Narration den Klimawandel als »Eindringling«, der das funktionierende System des Kapitalismus bedroht. »Die Probleme erscheinen deswegen nicht als das Ergebnis des Systems, eines Ungleichgewichts von Macht, einflussreichen Netzwerken der Kontrolle, zügelloser Ungerechtigkeit oder von fatalen Fehlern, die diesem System eingeschrieben sind – stattdessen wird ein Außenseiter verantwortlich gemacht«, schreibt Swyngedouw. Psychologisch gesprochen: Die Probleme werden externalisiert, eine Abspaltung eingeleitet – bis zur Verdrängung ist es da nur noch ein kleiner Schritt.

Obwohl die Politiker vorgeben, die Bekämpfung des Klimawandels stünde ganz weit oben auf ihrer politischen Agenda, wird der Klimawandel selbst systematisch entpolitisiert: Anstatt die Ursachen des Klimawandels auch nur im Ansatz zu diskutieren, wird die dräuende Apokalypse immer wieder von Neuem beschworen – selbstverständlich als »ausweglos«. Denn die Menschen sollen es mit der Angst bekommen. Angst vor dem Klimawandel als Bedrohung für das konsumistische Leben, das sie kennen und um jeden Preis behalten wollen – oder zumindest wollen sollen. Swyngedouw bezeichnet dieses »Management der Angst« als ein »Leitmotiv der neuen politischen Kultur des Kapitalismus«. Sie ersticke sämtliche Debatten um alternative Systeme im Keim und stelle technokratische Lösungen in den Mittelpunkt, die aus dem Kapitalismus heraus und mit dessen Mitteln gegen den »Feind von außen« in Anschlag gebracht werden könnten. »Mit anderen Worten: Wir müssen uns radikal ändern, aber im Rahmen der bestehenden Umstände, (…) so damit sich nichts wirklich ändern muss.«367

Naomi Kleins Begriff der »Schock-Strategie« in ihrem gleichnamigen Buch drängt sich auf. In ihrem Bestseller beschreibt sie, wie Marktradikale und Eliten wirtschaftliche Schocks und Naturkatastrophen ausnutzen, um Sozialsysteme zu destabilisieren und zu deregulieren, um Privatisierungen durchzusetzen. Auch die Inszenierung des Klimawandels als Apokalypse dient dazu, ökonomische Interessen durchzusetzen, indem marktbasierte und technokratische Konzepte als so alternativlos dargestellt werden wie der Kapitalismus selbst. Post-Politik trifft Post-Demokratie: Statt einer Bewegung von unten gegen diejenigen, die von diesem zerstörerischen System profitieren, bettelt der Bürger ausgerechnet die Elite an, selbiges zu retten. Indem der Kapitalismus als conditio sine qua non hingenommen wird, wächst parallel die gesellschaftliche Akzeptanz einer wirtschaftsfreundlichen Klimapolitik, welche Demokratie und Ordnungspolitik durch unternehmerische Konzepte und Multi-Stakeholder-Initiativen ersetzt. Die neoliberale Ideologie der Alternativlosigkeit macht die Eliten zu Managern des Klimawandels, denen es mühelos gelingt, einen Erlösungsmythos zu kreieren, in dem »nichts anderes als der Kapitalismus das Klima-Rätsel lösen und ein ganz neues Klima schaffen kann, indem er mit außergewöhnlichen Technologien und Management-Konzepten das ungeschehen macht, was er über Jahrhunderte produziert hat«.368

4. Landwirtschaft als Elitenprojekt

»Wir können nicht herumsitzen und warten. Norman Borlaug, der Vater der Grünen Revolution, […] ist einfach rausgegangen und hat gesehen, da ist das Problem und da ist die Lösung. Wir brauchen mehr solche Führungstypen, die einfach anfangen und machen.«

Mit diesen Worten beendet der Brite Sir Gordon Conway seinen Vortrag darüber, wie eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren sei. In seiner Stimme liegt die typisch herrische Gereiztheit der Eliten, die es als Zumutung empfinden, dass man sie nicht nach Gutsherrenart »einfach machen« lässt, anstatt dauernd zu diskutieren. Conway war einige Jahre Präsident der Rockefeller-Stiftung des US-amerikanischen Öl-Magnaten und ersten Milliardärs der Welt, John D. Rockefeller. Die Stiftung hat die Grüne Revolution in Mexiko unterstützt und fördert auch heute ein industrielles Landwirtschaftsmodell, das auf Technisierung, Ertragssteigerung und auf gentechnisch verändertes Saatgut setzt. Conway selbst leitet als Professor für Internationale Entwicklung am Londoner Imperial College das von der Bill&Melinda Gates-Stiftung finanzierte Projekt »Agriculture for Impact«, das eine bessere Unterstützung europäischer Regierungen für Landwirtschaft und Ernährungssicherung in Sub-Sahara-Afrika vorantreiben will.369 Er gehört außerdem zu den Beratern des World Food Prize, der von Norman Borlaug ins Leben gerufen wurde und vom Big Agribusiness und deren Unterstützern gesponsert wird. Zu den Spendern gehören Bayer Crop Science, die Bill&Melinda Gates Foundation, Cargill, Monsanto und Syngenta.370 2013 ging der mit einer Viertelmillion Dollar dotierte »Oscar der Landwirtschaft« (New York Times) an drei führende Entwickler von Gentechnik: den belgischen Biotechnologen Marc Van Montagau, die Gründerin des Saatgut- und Pestizidkonzerns Syngenta, Mary-Dell Chilton, und an den stellvertretenden Chef von Monsanto, Robert T. Fraley. Damit holte sich Monsanto gewissermaßen einen Teil seiner großzügigen Unterstützung zurück: 2008 hatte der umstrittene Gentechnik-Riese dem World Food Prize fünf Millionen Dollar gespendet.371

Conway also hält den Eröffnungsvortrag zum »Global Forum for Food and Agriculture« (GFFA) im Januar 2014 in Berlin. Dieses wird jedes Jahr vor der Internationalen Agrarministerkonferenz parallel zur Internationalen Grünen Woche abgehalten. Während die Agrarindustrie auf der Landwirtschaftsmesse nebenan einfamilienhausgroße Erntemaschinen, Hightech-Ställe und den grotesk überzüchteten Superzuchtbullen »Ex Machina« päsentiert, verhandeln Wirtschaft und Politik372 im Ernährungs- und Landwirtschaftsforum drei Tage lang die agroindustrielle Zukunft der Welt. 2014 lautet das GFFA-Motto »Landwirtschaft stärken: Krisen meistern – Ernährung sichern«.

In seiner Rede beschäftigt sich Conway nicht etwa mit den strukturellen Ursachen von Armut und Hunger. Sondern mit seinem »Lösungsansatz« der »nachhaltigen Intensivierung«. Die Landwirtschaft müsse darin gestärkt werden, mit »externen Einflüssen« wie dem Klimawandel oder Preisschwankungen zurechtzukommen. Biotechnologie und Gentechnik seien nötig, um Pflanzen durch Dünger oder Züchtung »widerstandsfähiger« zu machen. Für Bauern müsse der Zugang zu Märkten gestärkt und eine »effiziente Wertschöpfungskette« entwickelt werden. Es sei, kurzum, notwendig, »mit weniger mehr zu produzieren«. Das Publikum, vorwiegend weiße Männer in Anzügen, applaudiert frenetisch.

»Mit weniger mehr zu produzieren« heißt: Wir wollen das kapitalistische Wachstumsdiktat jetzt noch einmal verschärfen, das die Welt aufteilt in Plantagen für nachwachsende Rohstoffe, Cashcrops und Futtermittel, in Bergbau, Aquakulturen und Schutzwälder für den Emissionshandel, und auf den wenigen Restflächen sichern wir dann die Welternährung durch eine hochtechnisierte Landwirtschaft und genmanipulierte Zauberpflanzen. Klimawandel, ungerechte Verteilung und Preisschwankungen erscheinen als unvermeidbare »äußere Einflüsse«, die man innerhalb des Systems und zu dessen Erhalt managen muss.

»Wir stehen vor großen Herausforderungen: Die Bevölkerung und die Nachfrage nach erneuerbaren Rohstoffen wachsen, wir brauchen Landwirtschaft auf allen verfügbaren Flächen. Nur in Kooperation mit der Wirtschaft können wir Potenziale heben«, sagt Peter Bleser feierlich auf dem GFFA-Fachpodium »Staat und Privatsektor: Partnerschaften für eine leistungsstarke Landwirtschaft«. Der parlamentarische Staatsekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft klingt exakt so wie die Manager von Bayer Crop Science, BASF, KWS oder Syngenta, die während der drei Tage in Berlin eingeladen waren, ihr Know-how in den Dienst der Weltrettung zu stellen. Kooperationsprojekte – also: Public Private Partnerships (PPP) – seien ein »strategisches Instrument für eine nachhaltige Entwicklung«, betont Bleser und kündigt an, dass die Bundesregierung die Mittel dafür erneut aufstocken werde. Sprich: Das Kerngeschäft von Großkonzernen wird mit Entwicklungshilfe unterstützt. Zum Beispiel das des Süßwarenkonzerns Mars: »Unterernährte Kinder können nicht warten, bis politische Lösungen beschlossen sind«, sagt Howard Shapiro von Mars in Berlin. Mars ist ein ausgewiesener Experte für Kinderarmut, bezieht die Firma doch Kakao von Plantagen in Elfenbeinküste, wo tausende Kindersklaven unter entsetzlichen Bedingungen arbeiten.373

Als eine von ganz wenigen darf Marita Wiggerthale, Agrar-Expertin bei Oxfam, ihre kritische Stimme auf dem Podium erheben: Es müssten weniger technische Lösungen diskutiert, sondern strukturelle Ungleichheiten beseitigt werden. Doch ihr Einwand tut der Aufbruchstimmung der Industrie keinen Abbruch: »Von diesen Worten beflügelt, ließen die Teilnehmer Taten folgen«, heißt es im abschließenden Pressetext – und gemeint ist damit nicht Wiggerthales Kritik.374

Der Kongress ist durchdrungen von einer klebrigen Euphorie. Zuversicht fließt wie Melasse über alles und lähmt das Denken, erstickt Kritik und pappt Politik und Wirtschaft so fugenlos aneinander, dass man sie nicht mehr voneinander trennen kann. Kaum eine Veranstaltung, in der nicht Politik und Industrie von den wahnwitzigsten technischen Möglichkeiten schwärmen: Bayer wartet auf mit Vitamin-Dünger, Reis-Saatgut mit Zink oder Vitamin A darin, mit Pflanzenöl, das mit Nährstoffen versetzt ist, oder mit Nahrungsmitteln, denen chemische Vitamine und Mineralstoffe von BASF und Bayer zugefügt werden und die exakt auf die Bedürfnisse von werdenden Müttern und auf Frauen im gebärfähigen Alter abgestimmt sind.375 Da werden bizarre Pläne C, D und E geschmiedet, statt einen Plan A umzusetzen, nämlich die gerechte Verteilung von Land und Nahrung, was ja, man vergisst das oft, jederzeit möglich wäre.

»Yes, we can!« Gerda Verburg, Vorsitzende des Welternährungsausschusses der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO, spürt nichts von dem Gähnreiz, den diese zu oft wiedergekäute Phrase mittlerweile auslöst: Würden nur »alle« zusammenarbeiten, könne man den Welthunger bis 2050 »eliminieren«. Haltet durch, Arme, nur noch 35 Jahre hungern, dann habt ihr’s geschafft! Jedenfalls wenn die Produktion von Nahrungsmitteln in der Zwischenzeit um 60 Prozent gesteigert werden kann.

Dass die FAO weiterhin mit dieser Zahl operiert, ist allerdings bemerkenswert. 2009 hatte diese in ihrer Studie »How to Feed The Worlds Growing Billions« festgelegt, dass die Nahrungsmittelproduktion bis zu 70 Prozent steigen müsse, um bis 2050 alle Menschen ausreichend zu ernähren. Dafür erntete die FAO heftige Kritik: Selbst der WWF widersprach der einseitig technokratischen Forderung nach Ertragssteigerung und kritisierte, dass die Studie auf »unrealistischen Annahmen« beruhe. Gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung gab der WWF eine Studie in Auftrag, die die FAO-Angaben analysieren sollte. Dabei stellte sich heraus, dass es einer Produktionssteigerung von lediglich 48 Prozent bedürfe, wenn man alleine die sogenannten Nachernteverluste reduzieren würde, wenn also keine Lebensmittel mehr kaputtgingen, nur weil sie falsch gelagert werden. Und noch weniger Produktionssteigerung bedürfe es, würden Industrie, Handel und Verbraucher ihre Lebensmittelverschwendung reduzieren. Nur ein Drittel weniger Fleischkonsum in den OECD-Ländern würde sogar eine Fläche Ackerland von der Größe Deutschlands frei machen, auf der dann statt Futtersoja Nahrung angebaut werden könnte.376

Die FAO ihrerseits reagierte daraufhin 2012 mit einer neuen Studie, die erstmals die Nahrungsmittelverluste in der Wertschöpfungskette zwischen Acker und Teller untersuchte. Sie kam zu dem Ergebnis, dass weltweit mindestens ein Drittel der produzierten Lebensmittel weggeworfen wird.377 Dass mehr Nahrung produziert werden muss, wenn die Weltbevölkerung wächst, ist also ein Mythos: Tatsächlich wächst die Menge der verfügbaren Nahrungsmittel schneller als die Bevölkerung. Seit 1960 ist die Bevölkerung um das 2,3-fache angestiegen. Im selben Zeitraum ist die Nahrungsmittelproduktion um das 3,1-fache gewachsen. »Rein rechnerisch hätte damit jeder Mensch auf der Welt heute 30 Prozent mehr Essen auf dem Teller als noch vor 50 Jahren. Wäre globale Mengensteigerung wirklich die silberne Kugel der Hungerbekämpfung, dürften heute keine 800 Millionen Menschen täglich Hunger leiden«, sagt Roman Herre von der Menschenrechtsorganisation FIAN.378 Die Äcker der Welt könnten bereits heute vier Milliarden mehr Menschen ernähren – wenn darauf nicht Futter- und Energiepflanzen wachsen würden.379 2011 gab es die größte Getreidernte in der Geschichte der Menschheit – und gleichzeitig mit knapp einer Milliarde die meisten Hungernden. Der Grund: Der größte Teil des Getreides wurde für Agrartreibstoffe und Viehfutter verwendet. Deswegen – und wegen der Finanzspekulation mit Agrarrohstoffen – verdoppelten sich die Preise für Mais, Weizen und Reis.380

All das ficht die FAO offenbar nicht an. Die UN-Landwirtschaftsorganisation beharrt darauf, dass die Erträge um 60 Prozent gesteigert werden müssen. Und zwar in Kooperation, was sonst, mit der Industrie. Der Privatsektor bringe »Know-how, Effektivität und Wissen«, sagt Marcella Villarreal, die bei der FAO für Unternehmenskooperationen zuständig ist, auf dem Berliner Festival des Big Agribusiness. Und deshalb würde die UN in Zukunft noch sehr viel mehr mit Unternehmen arbeiten wollen. »Wir holen sie an den Tisch und fragen sie, was sie zum Kampf beitragen können.« Diese unverhohlene Begeisterung, mit der sich Regierungen und internationale Organisationen Konzerne ins Haus holen, sollte Lobbyisten nervös machen – sie werden offenbar schon bald gar nicht mehr gebraucht. Villarreal stellt im Fachpodium zu Unternehmenspartnerschaften eine Studie vor, die 70 Public Private Partnerships in 15 Ländern des Südens untersucht hat. Dieser Studie zufolge zögen PPPs ein höheres Nettoeinkommen, Beschäftigungseffekte sowie eine höhere Produktion und Qualität der Produkte nach sich. Nicht untersucht wurden in dieser Studie negative Auswirkungen wie Umweltschäden, Landgrabbing, die Vertreibung von Menschen und die Benachteiligung von Kleinbauern, die keinerlei Marktzugang haben.

Öffentlich-private Partnerschaften, also die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge und Infrastruktur, haben auch in reichen Ländern bisher nur bewiesen, dass sie allein das Profitinteresse der Konzerne bedienen. Als Berlin die Hälfte der Wasserwerke für 1,7 Millionen Euro an die Konzerne RWE und Veolia verkaufte, bauten die neuen Teilhaber 2 000 Arbeitsplätze ab, fuhren die Investitionen zurück und erhoben die höchsten Wasserpreise in ganz Deutschland. Weil der Senat den Konzernen in einem Geheimvertrag Gewinne garantiert hatte, verdienten die Konzerne sehr viel mehr als die Stadt Berlin. Nach einem Volksentscheid kaufte der Berliner Senat die Wasserwerke wieder zurück – von Steuergeld, versteht sich. In England und Wales hatte Margret Thatcher schon 1984 eine Privatisierung der Wasserbetriebe angemahnt, und nach deren Durchsetzung stiegen die Gehälter der Manager der beteiligten Unternehmen und die Gewinne der Aktionäre auf Rekordhoch – aber die Gebühren auch, so dass die Daily Mail 1994 von einem »Wasserraubzug« sprach, ja, von der »größten Aktion lizenzierten Raubs in der Geschichte unseres Landes«.381

Dies sind nur zwei von vielen Beispielen, wie sich die Privatwirtschaft via Public Private Partnerships zulasten der Allgemeinheit bereichert.382 Wie könnten also öffentlich-private Partnerschaften ausgerechnet Menschen in sogenannten Entwicklungsländern helfen? Sie leiden ja ohnehin schon darunter, dass ihnen die Regierungen wegen der Privatisierungsdiktatur von Weltbank und IWF zum Abbau der Auslandsschulden keine überlebensnotwendige Infrastruktur wie etwa medizinische Versorgung und Trinkwasser zur Verfügung stellen.

Dennoch setzt die Bundesregierung bei der Entwicklungshilfe auf Public Private Partnerships. 1999 legte das Bundesministerium für Wirtschaft und Entwicklung (BMZ) das Programm DeveloPPP auf. Seither wurden 1 500 öffentlich-private Partnerschaften in Schwellen- und Entwicklungsländern umgesetzt, der Großteil davon in Afrika und Asien. Zu mehr als einem Drittel werden diese Partnerschaften von der öffentlichen Hand finanziert: 276 Millionen Euro gab die Bundesregierung zwischen 1999 und 2012 für diese Wirtschaftsförderung aus. Es wurden 592 Projekte für »nachhaltige Wirtschaftsentwicklung« und 190 landwirtschaftliche Projekte initiiert.383 Letztere betreffen vor allem Exportprodukte. Bis heute jedoch wurden die öffentlich-privaten Partnerschaften für Ländliche Entwicklung und Ernährungssicherung des BMZ nicht evaluiert. Ob sie den Menschen vor Ort nützen oder nur den Unternehmen, ob sie verarmten Kleinbauern helfen oder eher bessergestellten Bauern, wurde bisher nicht untersucht.384 Doch das hält das BMZ nicht davon ab, noch viel mehr Geld für Großprojekte mit der Industrie locker zu machen.

»Sie wollen sich als Unternehmen in ländlichen Regionen von Entwicklungsländern engagieren? Sie möchten zum Beispiel investieren, Exportmärkte erschließen oder Zulieferketten optimieren? Nutzen Sie uns als Partner für ein nachhaltiges Engagement. Ihr Unternehmen kann auf vielfältige Weise von einer Zusammenarbeit mit uns profitieren.« Dieses Zitat stammt nicht von der Webseite einer Unternehmensberatung, sondern vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.385

Es war Dirk Niebel (FDP), der als Entwicklungsminister diesen wirtschaftsfreundlichen Paradigmenwechsel eingeleitet hat. Diese Politik wird von seinem Nachfolger Gerd Müller (CSU) konsequent fortgeführt. Statt einer öffentlichen Finanzierung, die auf die Bedürfnisse der Kleinbauern des Südens ausgerichtet ist, setzt sie auf Unternehmen der Agrar- und Ernährungsindustrie als Hauptinvestoren und »Ideengeber«. Public Private Partnerships, die sich auf die Steigerung von Ernteerträgen oder die Einbindung von Kleinbauern in Wertschöpfungsketten der Lebensmittel- und Konsumgüterproduzenten sowie Supermarktketten konzentrieren, spielen die Hauptrolle. 2011 unterzeichnete die Bundesregierung ein »Memorandum of Understanding« mit der Bill&Melinda Gates Foundation. Hinter der elaborierten Bezeichnung steckt die Absichtserklärung, gemeinsam mit der Industrie in ländliche Entwicklung, Gesundheit, Trink- und Abwasser, Stadtentwicklung sowie Mikrofinanzen zu investieren.

5. Entwicklungshilfe für Agrarkonzerne

Das bislang größte gemeinsame Projekt von Bundesregierung, Gates-Foundation und Industrie ist die German Food Partnership (GFP). Sie wurde 2012 auf Betreiben der Industrie als »Deutsche Initiative für Agrarwirtschaft und Ernährung in Schwellen- und Entwicklungsländern« initiiert. Bill Gates bot der Bundesregierung 20 Millionen Euro an, vorausgesetzt, sie lege ihrerseits noch einmal den gleichen Betrag für privat-öffentliche Entwicklungspartnerschaften in Afrika und Asien drauf. Die deutsche Regierung ging auf die hilfreiche Nötigung des Multimilliardärs ein. Die gemeinsam aufgebrachten 40 Millionen Euro ergänzte die Industrie um weitere 40 Millionen. 80 Millionen Euro stecken also in dem privatwirtschaftlichen Großprojekt. 35 Unternehmen des Big Agribusiness nehmen an der Initiative teil, darunter Bayer Crop Science, BASF, KWS Saatgut, Metro und Syngenta. Das Projektbüro der German Food Partnership ist die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).386

Die German Food Partnership ist ein gänzlich neues Modell der deutschen Entwicklungshilfe. Bei früheren strategischen Partnerschaften mit Unternehmen durfte deren Kerngeschäft nämlich explizit nicht im Mittelpunkt stehen. Hier war ein Ausschlusskriterium installiert worden, Entwicklungszusammenarbeit und Außenwirtschaftsförderung durften nicht vermischt werden.387 Bei der German Food Partnership ist es nun jedoch exakt andersherum: »Im Zentrum der Initiative stehen langfristige, firmenübergreifende Projekte, die zur Entwicklung und Umsetzung nachhaltiger Modelle für das Kerngeschäft der Unternehmen in Schwellen- und Entwicklungsländern beitragen.«388 Und nicht das Bundesministerium gibt die Entwicklungsziele vor, sondern die Unternehmen schlagen Projekte vor, und die GIZ kümmert sich um die Umsetzung vor Ort.

Die German Food Partnership ist nicht auf den Export landwirtschaftlicher Produkte ausgerichtet, sondern auf die Steigerung der Produktion in lokalen Märkten. Der Gewinn für die Unternehmen liegt darin, neue Märkte in den Ländern des Südens für Saatgut, Dünger, Pestizide und Landmaschinen zu erschließen. Dass die vier GFP-Projekte überwiegend in Subsahara-Afrika umgesetzt werden sollen, hat einen Grund: »Der Kontinent mit seinen reichen Land- und Wasserressourcen und steigender Nachfrage gilt als ein ›schlafender Agrarriese‹«, schreibt Uwe Hoering in der Analyse »Entwicklungspolitik Goes Agrarindustrie«.389 Die Landwirtschaft dort ist noch wenig industrialisiert, Millionen kleinbäuerlicher Betriebe bewirtschaften das Land und versorgen lokale Märkte – ein gewaltiges Geschäftspotenzial für das Big Agribusiness.390

Für die milliardenschweren Konzerne sind BMZ und GIZ nicht zuallererst deshalb wichtig, weil sie Geld zuschießen. Sondern weil sie mit den Regierungen vor Ort die politischen Rahmenbedingungen schaffen, um überhaupt erst Zugang zu Land, Ressourcen, Märkten und Kunden zu bekommen. Die deutsche Entwicklungspolitik agiere damit »als Türöffner für Agrarkonzerne« und helfe diesen, »die Kontrolle über natürliche Ressourcen wie Saatgut und Land in Ländern des globalen Südens auszubauen«, kritisiert die NGO FIAN. Damit werde nicht der Hunger bekämpft, sondern die Kleinbauern selbst.391

Dabei will die German Food Partnership doch angeblich genau das: Kleinbauern fördern. Doch diese wurden in die Entwicklung der Projekte gar nicht eingebunden. Die Agenda wurde einseitig von den Unternehmen, der GIZ und der Gates-Foundation abgestimmt. Die meisten Kleinbauern des Südens lehnen das agrarindustrielle Modell ab. Denn lizenzierte Hochertragssorten sind teuer, ebenso die Verwendung von Pestiziden und chemischen Mineraldüngern. Diese Politik macht Kleinbauern von Agrarkonzernen abhängig: Das Hybrid-Saatgut muss jedes Jahr neu gekauft werden. Von den Umwelt- und Gesundheitsschäden durch die Chemie abgesehen, verschlimmert diese Politik die Armut der Bauern noch, die wegen der hohen Ausgaben in eine Schuldenfalle geraten. So sind in Sambia die Importe von Kunstdünger und Agrarchemie in den vergangenen zehn Jahren um 300 Prozent gestiegen. Im selben Zeitraum aber kletterte die Zahl der Hungernden von 5,4 Millionen auf sieben Millionen.392

Zu den vier Projekten der German Food Partnership gehört die Potato Initiative. Sie will den Anbau von Kartoffeln in Kenia und Nigeria voranbringen – gemeinsam mit Bayer Crop Science, Syngenta, dem Saatgutkonzern Europlant sowie den deutschen Landmaschinen-Unternehmen Grimme und Lemken.393 Die Kartoffelpflanzen stellt Europlant zur Verfügung. Der Konzern beherrscht die Hälfte des globalen Kartoffelmarktes. In Deutschland sorgte Europlant 2005 für Aufruhr unter den Bauern: Der Konzern wollte die beliebte Kartoffelsorte Linda vom Markt nehmen, weil das Patent auslief und der Konzern kein Geld mehr mit Lizenzgebühren verdienen konnte.394 Europlant soll den Afrikanern zur Hungerbekämpfung das Saatgut stellen, Bayer und Syngenta geben das Pflanzengift dazu. Die Potato Initiative wird mit 1,4 Millionen Euro gefördert, fast die Hälfte, 600 000 Euro, ist öffentliches Geld.395

»Die Kartoffel muss nach Afrika!« verkündete der BMZ-Staatssekretär Hans-Jürgen Beerfeltz.396 Nur: Da gehört sie eigentlich nicht hin. Um dort hohe Erträge zu erwirtschaften, braucht es spezielles Saatgut, viel Wasser, Pestizide, Herbizide und Dünger, die teuer sind und die Böden ruinieren. Darüber hinaus muss die Kartoffel, ist sie einmal geerntet, kühl gelagert werden, weil sie sonst schnell verdirbt. Einheimische Knollenfrüchte wie Yams, Taro, Maniok oder Süßkartoffeln brauchen das nicht. Insbesondere die Süßkartoffel ist wesentlich leichter anzubauen und überdies nährstoffreicher.397 In Nigeria besteht also gar kein Bedarf an Kartoffeln als Grundnahrungsmittel, »da günstigere Substitute reichlich verfügbar« seien, belegt die EU-Studie zur »Förderung der Kartoffel-Wertschöpfungskette«. Aber, na ja, es gebe halt einen großen Markt für die Verarbeitung zu Pommes frites, Chips und Fertigprodukten. Nur, zugegeben, halt nicht bei der ländlichen Bevölkerung:398 »Verschiedene Studien belegen in Kenia und Nigeria einen Anstieg der nationalen Nachfrage nach verarbeiteten Kartoffelprodukten, vor allem durch die wachsende städtische Bevölkerung.«399 Das antwortete im Februar 2015 die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke. Chips und Pommes zur Hungerbekämpfung – wo genau liegt hier nochmal der entwicklungspolitische Mehrwert für Kleinbauern?

Weltweit arbeiten 500 Millionen Kleinbauern. Der größte Teil von ihnen, 85 Prozent, bewirtschaftet weniger als zwei Hektar Land und produziert danach den größten Teil aller Nahrungsmittel der Welt. Gleichzeitig sind die Kleinbauern diejenigen, die am häufigsten von Hunger und Armut betroffen sind. Sie dabei zu unterstützen, Zugang zu Land, Wasser und agrarökologischen Methoden zu bekommen, betrachtet die German Food Partnership nicht als ihre Aufgabe. »Die Zielgruppe sind marktorientierte Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die nicht ausschließlich subsistenzorientiert arbeiten«, sagt die Bundesregierung.400 »Marktorientiert« heißt: Bauern, die genug Fläche besitzen, um größere Märkte zu beliefern, die Kredite bedienen können oder Geld für Maschinen, Saatgut und Chemie sowie Zugang zu Märkten haben. Nur sie kommen für die beteiligten Konzerne als Kunden in Frage – abgehängte Kleinbauern und Landlose aber, die am meisten Hilfe bräuchten, sind uninteressant. »Eine Grüne Revolution wird man nicht mit Kleinbauern machen«, sagte ungerührt Hans-Joachim Wegfahrt von Bayer Crop Science während des German Forum for Food and Agriculture in Berlin.401 Sein Unternehmen gehört zu den Gründern der German Food Partnership. Solche »inklusiven Modelle«, die diese sogenannten »Potenzialbauern« in lokale oder globale Wertschöpfungsketten einbinden wollen, erreichen jedoch nur zwei, allerhöchstens aber zehn Prozent der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern weltweit.402 Die verfolgten Modelle sind also in Wahrheit exklusiv, denn sie schließen den Großteil der Kleinbauern aus. Was aber geschieht mit diesem riesigen Rest?

Im April 2014 treffe ich Carsten Schmitz-Hoffmann und Gerd Fleischer in der Zentrale der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit in Eschborn. Ich spreche mit ihnen über Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft und die German Food Partnership. Fleischer ist GIZ-Experte für Agrarhandel, Umwelt- und Sozialstandards, Schmitz-Hoffmann für Kooperationen mit der Wirtschaft. Auf meine Frage, warum sich die GIZ auf marktbasierte »inklusive« Programme konzentriert, antwortet Fleischer:

»Es gibt weltweit mehr als 500 Millionen Kleinbauern. Viele davon bewirtschaften weniger als einen halben Hektar Land. Das kann auf Dauer nicht funktionieren. Es ist ganz eindeutig, dass da ein Strukturwandel stattfinden muss. Es ist aber möglich und sinnvoll, sich mit den Kleinbauern zu beschäftigen, die entwicklungsfähige Betriebe haben. Wenn deren Land beispielsweise einen halben Hektar Kartoffelanbau ermöglicht, ist das unsere Zielgruppe.«403

Während des Interviews beschleicht mich das selbe quälende Gefühl, das ich während der drei Tage des German Forum for Food and Agriculture in Berlin zwei Monate zuvor hatte. Während ich dort in den konzerndominierten Workshops saß, war ich mir vorgekommen wie ein Eindringling, der unbemerkt den geheimen, bösartigen Weltherrschaftsplänen des Big Agribusiness lauscht. Bis ich mit wachsendem Entsetzen feststellte, dass diese groß angelegten globalen Verarmungsprogramme unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Beteiligung der betroffenen Kleinbauern längst beschlossen worden waren und nun offizielle Regierungspolitik sind – unter dem Deckmäntelchen von Nachhaltigkeit und Armutsbekämpfung. Dass sich alle Beteiligten völlig darüber im Klaren sein müssten, was die Konsequenzen ihrer abgefeimten Pläne sind, macht mich immer wieder sprachlos. Bis heute habe ich keine Antwort darauf, ob die Herrschenden wirklich glauben, damit Menschen zu helfen, oder ob ihnen einfach jedes noch so widerwärtige Mittel dazu recht ist, den westlichen Wohlstand zu mehren.

Ich bohre also weiter: »Was passiert mit dem Rest?« Fleischer: »Da muss man Beschäftigungsprogramme und Sozialtransfers anbieten. Auch da ist die GIZ aktiv. Aber wir müssen uns von der Illusion verabschieden, dass alle Kleinbauern im landwirtschaftlichen Sektor bleiben können.«

Ach ja? Wer muss sich von dieser »Illusion« verabschieden? Die GIZ? Die reichen Länder des Nordens? Oder schlicht und ergreifend die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern selbst?

Es gehört wesentlich zur Propaganda der Technokraten, die regionale, ökologisch orientierte und bäuerliche Landwirtschaft als »romantische Phantasie« naiver westlicher Großstadt-Ökos zu diskreditieren. Tatsächlich jedoch ist sie das, was die globale Kleinbauernbewegung mit ihren Millionen Anhängerinnen und Anhängern selbst will. Und es ist es längst bewiesen, dass diese Millionen ein viel größeres Potenzial haben, auf nachhaltige Weise Landwirtschaft zu betreiben und eine ausgewogene, lokal angepasste Nahrung bereitzustellen. Das belegt auch die bislang größte Bestandsaufnahme der globalen Landwirtschaft: der bereits erwähnte Weltagrarbericht von 2008.

»Obwohl die Produktivität pro Flächen- und Energieeinheit in kleinen, diversifizierten Bauernhöfen viel höher ist als in intensiven Bewirtschaftungssystemen in bewässerten Gebieten, werden sie weiterhin von der offiziellen Agrarforschung vernachlässigt«, heißt es im Weltagrarbericht.404 Die kleinbäuerliche Produktion, insbesondere agrarökologische Methoden, die arbeitsintensiver sind, schaffen mehr und bessere Arbeitsplätze als die großflächige, mechanisierte Landwirtschaft. Agrarökologie ist viel mehr als Landwirtschaft mit Bio-Siegel, das auch auf Importgemüse klebt, das unter Ausbeutung erzeugt wurde. Es ist ein ganzheitliches Konzept, das ganze Ökosysteme und auch soziale Aspekte in Betracht zieht. Es wird nicht nur vom Weltagrarbericht gefordert und der internationalen Kleinbauernbewegung La Via Campesina. Auch Olivier de Schutter, der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, plädiert dafür. In seinem Abschlussbericht kritisierte er 2014 vehement das agrarindustrielle Modell der vergangenen 50 Jahre: »Die Hoffnung war, dass die sogenannte Grüne Revolution mit Hochertragssorten, Bewässerung, Mechanisierung, Dünger und Pestiziden den Hunger in der Welt besiegen könne. Das hat nicht funktioniert – und die Auswirkungen auf die Umwelt sind katastrophal.« Die heutigen Ernährungssysteme seien lediglich insofern effizient, als sie die Profite des Agribusiness maximierten.405 Mit den 20 Millionen Euro Entwicklungshilfe, die in der GFP stecken, könnte man agrarökologische Schulungen für 4,5 Millionen Kleinbauern abhalten.406 Doch das deutsche Entwicklungsministerium sowie die Regierungen anderer »Geberländer« ignorieren den Weltagrarbericht ebenso wie die Empfehlungen de Schutters.

Ein weiteres zweifelhaftes Großprojekt der German Food Partnership ist die Better Rice Initiative Asia. Sie soll in Thailand, Indonesien, Vietnam, Pakistan, Philippinen und Indien die Reisproduktion steigern. Federführend sind auch hier BASF, Bayer Crop Science und Syngenta. Dabei wird Hybridsaatgut eingesetzt, also patentierte und lizenzierte Hochertragssorten, die jedes Jahr neu gekauft werden müssen. Hybridsaatgut ist teurer als das von Bauern selbst gezüchtete und verbesserte Saatgut, das diese tauschen, auf lokalen Märkten verkaufen und wiederverwenden können. Es braucht außerdem mehr Wasser, Dünger und Pflanzenschutzmittel. Auf den Philippinen wird der Weltmarktführer für Hybridreis, Bayer Crop Science, die Initiative umsetzen. Das Land hat bereits schlechte Erfahrung mit lizenziertem Hochleistungssaatgut: 2001 legte die philippinische Regierung das Reisprogramm »Go Modern Agriculture« auf und subventionierte Hybridsaatgut, Dünger und Pestizide. Man versprach den Bauern eine Ertragssteigerung von mindestens 30 Prozent. 2005 untersuchte der NGO-Zusammenschluss SEARICE das Programm und stellte fest, dass Ertragssteigerungen von 20 bis 30 Prozent nur in Ausnahmefällen erreicht wurden. Der lokale, selbst gezüchtete Reis übertraf den Hybridreis allerdings mit fast doppelt so hohen Wachstumsraten. Trotz aller hochentwickelten Technik, die dafür sorgen sollte, dass sich die Philippinen selbst mit Reis versorgen können, musste das Land weiter Reis importieren. Immer mehr Bauern stiegen aus dem Programm aus.407 Jetzt also alles nochmal von vorn.

Dabei gibt es vielversprechende Alternativen. 2006 untersuchte ein Team der Universität Essex 360 Projekte mit agrarökologischem Anbau in 57 Ländern. Sie stellten eine Steigerung der Erträge um 79 Prozent im Vergleich zu industrieller Landwirtschaft fest. In der Metastudie »Kann ökologische Landwirtschaft die Welt ernähren?« analysierten Wissenschaftler der Universität Nebraska knapp 300 Studien, die das Ertragspotenzial konventioneller mit agrarökologischer Landwirtschaft verglichen. Sie kamen zum selben Ergebnis: Gerade in den sogenannten Entwicklungsländern habe die agrarökologische Variante ein 80 Prozent höheres Erntepotenzial. Die Autoren folgerten, dass die heute verfügbaren Methoden den Hunger genau da beseitigen können, wo er am größten ist.408

Besonders erfolgreich ist das System der agrarökologischen Reisintensivierung (SRI). Es wird in 50 Ländern von vier Millionen Bauern angewendet. Es kommt ohne chemischen Dünger und Unkrautvernichter aus, braucht halb so viel Wasser und nur ein Zehntel so viel Saatgut wie der konventionelle Anbau von Reis. Es erlaubt sogar Ertragssteigerungen von 50 bis 100 Prozent. Warum konzentrieren sich GIZ und Entwicklungsministerium dann nicht auf solche Projekte?

Auch das frage ich Fleischer und Schmitz-Hoffmann. Man habe in manchen Regionen jenes System gefördert und positive Erfahrungen gemacht, sagt Fleischer, »aber welches Anbausystem für welche Region das beste ist, das kann man nicht global vorschreiben«. De facto schreibt die German Food Partnership sehr wohl ein Anbausystem vor, indem sie Verkaufsförderung für die Industrie betreibt: Die Konzerne erhalten die Gelegenheit, bei »Beratungen« und »Schulungen« ihre Produkte an den Mann zu bringen. Und zwar in Paketen, die Hybridsaatgut sowie die darauf abgestimmten Chemikalien enthalten. Solche Pakete sind es, die die Marktmacht der kooperierenden Konzerne stärken und sie zu Oligopolen zusammenschweißen: Bayer, BASF und Syngenta sind die weltweit größten Agrarchemiekonzerne. Sie beherrschen mit einem Anteil von 52,5 Prozent mehr als die Hälfte des globalen Marktes. »Wer das Saatgut kontrolliert, kontrolliert einen Markt, den es immer geben wird: Menschen müssen essen«, kritisiert Oxfam.409

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat sich dazu verpflichtet, das Menschenrecht auf Nahrung zu garantieren. Es hat sich dem »Primat der Förderung kleinbäuerlicher Landwirtschaft« verschrieben und den »Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, vor allem von fruchtbaren Böden, von Ökosystemen und Artenvielfalt« zum »obersten Gebot« erklärt.410 Wäre es also nicht die Aufgabe des Bundesministeriums, Kleinbauern vor dem Einfluss von Großkonzernen zu schützen und die wachsende Macht der Agrarkonzerne über unser aller Essen einzuschränken, wo nicht zu brechen?

Nach Angaben des BMZ ist »eine produktneutrale, ökologisch und sozial nachhaltige Aus- und Fortbildung« der beteiligten kleinbäuerlichen Betriebe ein »elementarer Bestandteil« der GFP. Das betonen auch Fleischer und Schmitz-Hoffmann von der GIZ. Ich frage: »Die Mitgliedsunternehmen haben 40 Millionen Euro in die GFP investiert – welches Interesse sollten sie haben, außer ihre Produkte zu verkaufen?« – »Das glaube ich nicht«, antwortet Fleischer. Gewinninteressen von Großkonzernen, eine Glaubensfrage? Ernsthaft? Man habe unabhängige Trainingszentren eingerichtet und berate auch zu den Nachteilen jeder Technologie, sagt die GIZ. Aber es sei den Unternehmen freigestellt, dort auch ihre Produkte anzubieten.411 Fakt ist: Pflanzenschutzberatung erfolgt in vielen Ländern des Südens fast nur noch über Pestizid-Händler. Denn insbesondere in Afrika mussten die Regierungen vieler Länder die unabhängige staatliche Beratung zu Agrochemie und Saatgut einstellen. Weltbank und IWF hatten sie in ihren Strukturanpassungsprogrammen dazu gezwungen, um öffentliche Ausgaben zu senken. In der Vergangenheit stellte sich eine angeblich produktneutrale Schulung im Umgang mit Pestiziden im Rahmen eines DeveloPPP-Projektes in Kenia, das vom BMZ mit 400 000 Euro gefördert wurde, als reine Werbeveranstaltung für Bayer heraus. »Durch dieses Programm sind wir effektiver geworden. Wir bedienen die Bedürfnisse der Kunden und bringen sie dazu, unsere Produkte zu kaufen«, sagt ein kenianischer Bayer-Manager in einem Beitrag des ARD-Magazins Panorama. Der Konzern habe dadurch den Absatz um 20 Prozent steigern können.412 »Unser Business ist nun mal der Verkauf von Pflanzenschutzmitteln und Saatgut«, sagte Hans-Joachim Wegfahrt in Berlin. Ja, was auch sonst? Mir muss der Mann das nicht erklären. Aber hoffentlich glauben ihm auch die Agrarexperten von der GIZ.

6. Hungerbekämpfung mit grüner Gewalt

Im November 2014 trafen Vertreter des entwicklungspolitischen INKOTA-Netzwerks, FIAN und Oxfam den Staatssekretär des Bundesministeriums für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit, Friedrich Kitschelt. Sie übergaben ihm 65 528 Unterschriften aus einer Kampagne gegen die German Food Partnership und andere Entwicklungsprojekte mit der Großindustrie. Kitschelt ließ sich mit den NGO-Vertretern fotografieren, auf deren Protestplakat zu lesen war: »65 528 fordern: Keine Entwicklungshilfe für Agrarkonzerne!« Die NGOs staunten nicht schlecht, als das BMZ wenige Tage später folgende Pressemitteilung auf ihrer Homepage veröffentlichte: »INKOTA, FIAN und Oxfam gemeinsam mit dem BMZ für ›Eine Welt ohne Hunger‹.«413 Der Appell auf dem Plakat war auf dem Foto abgeschnitten. Die Kritiker für die eigene Agenda zu einzuspannen, ihre inhaltliche Kritik aber einfach der Zensur zum Fraße vorzuwerfen, war ein perfider PR-Coup. Jetzt nämlich erschienen 65 528 Gegner der verheerende Entwicklungspolitik als deren Unterstützer. INKOTA, FIAN und Oxfam forderten das Ministerium auf, die gefälschte Meldung zu entfernen oder zumindest zu berichtigen. Doch das Bundesministerium reagierte nicht darauf.414

Genauso konsequent ignorierte die Bundesregierung den Protest der Bevölkerung gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Fast eine halbe Million Protestunterschriften hatte die Organisation Campact gesammelt, doch Sigmar Gabriel nahm sie im Mai 2014 nicht entgegen. Demokratie, so scheint es, ist der Politik einfach nur noch lästig. Sie behandelt engagierte Bürger nicht einmal mehr wie erwachsene Menschen – sondern schickt sie wie aufmüpfige Kinder einfach ohne Abendessen ins Bett.

Während am Vormittag des 18. Januar 2014 der damalige Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich, Gordon Conway und Liam Condon von Bayer Crop Science einander beim German Forum for Food and Agriculture in Berlin verbal auf die Schulter klopften, demonstrierten 30 000 Menschen vor dem Bundestag für eine gerechte und ökologische globale Landwirtschaft.415 Aufgerufen dazu hatte das Bündnis »Wir haben es satt«. Daran sind neben BUND und Attac auch Entwicklungsorganisationen wie Brot für die Welt, Misereor und Oxfam, Gentechnik-Gegner, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und die Initiative Bauernhöfe statt Agrarfabriken beteiligt. »Die Demonstration ist ein positives Zeichen«, sagte Friedrich, »auch wenn wir in der Vorstellung, in Zielen und Wegen unterschiedlicher Ansicht sind.« Was für ein Euphemismus: Sie könnten kaum unterschiedlicher sein. Eine Landwirtschaft und Ernährung in der Hand multinationaler Großkonzerne, gefördert von Regierungen der Industrieländer und von Milliardärsstiftungen, ist etwas grundlegend anderes als demokratisch legitimierte landwirtschaftliche Selbstbestimmung, wie sie die Kleinbauern fordern. Sie wäre ein Schlüssel gegen Armut, Hunger und Klimawandel. Aber an ihr verdienen die Agrarkonzerne nichts. Mehr noch: Sie würde die Macht der westlichen Eliten bedrohen. Deswegen setzen diese auf eine Wiederholung des Herrschaftsprojekts der Grünen Revolution.

Die Macht der Eliten in den USA zu stärken, war auch die Agenda der ersten Grünen Revolution, die in Lateinamerika und Asien umgesetzt wurde. »Die Grüne Revolution diente mehreren Zielen: der Übertragung des westlichen, insbesondere des US-amerikanischen Modells der Landwirtschaft auf andere Regionen der Welt und – über eine Einflussnahme auf die Landwirtschaftspolitik von Regierungen – der Entpolitisierung der Landfrage, die durch Forderungen nach umverteilenden Bodenreformen geprägt war«, schreibt Raj Patel in seinem Essay »The Long Green Revolution«416, in dem der Sozialwissenschaftler die Mythen der Grünen Revolution entlarvt.

Patel beschreibt diese als »biopolitischen und geopolitischen Prozess«. Sie sei von der US-Regierung nicht implementiert worden, weil die sich um die hungernden Menschen auf der Südhalbkugel sorgte, sondern weil sie befürchtete, dass es dort bald zu einem Linksruck kommen könnte. William Gaud, der Geschäftsführer der amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID, prägte den Begriff Grüne Revolution als Gegenmodell zur Roten Revolution. Im Wortlaut: »Die Entwicklungen auf dem Gebiet der Landwirtschaft haben eine neue Revolution zur Folge. Es ist keine gewaltsame Rote Revolution wie die der Sowjets, noch ist es eine Weiße Revolution wie die des Schahs von Persien. Ich nenne sie die Grüne Revolution.«417 Als das landwirtschaftliche Großprojekt auf den Philippinen Ende der Sechzigerjahre eingeführt wurde, plante die damals starke kommunistische Partei eine umverteilende Landreform. »Es stand außer Zweifel, dass die Enteignung philippinischer Großgrundbesitzer auch US-amerikanische Geschäftsinteressen bedrohen würde – den Export von Agrochemikalien und anderen Inputs«, schreibt Patel.418 Um dieses Interesse zu rechtfertigen, brauchte es die Propaganda der »niedrigen Erträge der kleinbäuerlichen Produktion«, die bis heute von den Eliten verbreitet wird. Tatsächlich sei die Produktion von Lebensmitteln zwischen 1970 und 1990 gestiegen. Die Zahl der Hungernden sei in dieser Zeit um 150 Millionen gefallen. Aber den größten Anteil an der Hungerbekämpfung hatte dabei China. »Zieht man also China ab, ergibt sich auf dem Höhepunkt der Grünen Revolution eine Zunahme des Hungers von elf Prozent. In Südamerika wuchs der Hunger um fast 20 Prozent, trotz eindrucksvoller Mehrerträge durch zum Teil verbesserte Getreidesorten«, schreibt Patel. Diese Mehrerträge erwirtschafteten Großbetrieben und Monokulturen. »Das hatte zur Folge, dass die Kleinbauern, die die Ländereien bewirtschafteten, vertrieben wurden.«419 In Indien hat und wurde die Grüne Revolution schon 1956 begonnen, lange Zeit als Erfolgsmodell gefeiert.420 Doch trotz Rekordernten und eines enormen wirtschaftlichen Aufschwungs in den vergangenen 20 Jahren gibt es in Indien bis heute mit die meisten Hungernden weltweit. Es sind laut Weltbank doppelt so viele mangelernährte Kinder wie in Subsahara-Afrika.421

Die neue Grüne Revolution soll nun, um den zerstörerischen Faktor Grüne Gentechnik erweitert, in Subsahara-Afrika stattfinden. Eines der zentralen multinationalen Abkommen dazu ist die G8 New Alliance for Food Security and Nutrition, die auf dem G8-Gipfel in Camp David im Mai 2012 auf Initiative der US-Regierung gestartet wurde. Ziel der Allianz ist es, 50 Millionen Menschen in zehn Ländern in Subsahara Afrika bis zum Jahr 2020 durch private Investitionen in die Landwirtschaft aus der Armut zu befreien. Beteiligt sind die Regierungen der G8-Staaten, afrikanische Regierungen und 200 multinationale Konzerne, darunter Bunge, Bayer Crop Science, Cargill, Coca-Cola, Dupont, Monsanto, Nestlé, Syngenta, Unilever und Yara. Die zugesagten privaten Investitionen betragen zehn Milliarden US-Dollar. Mit diesen Milliarden sollen 650 000 Jobs geschaffen und fünf Millionen Kleinbauern einbezogen werden.422 Obendrauf gibt es Entwicklungshilfe. Auch die deutsche Regierung unterstützt die G8-Allianz. Das BMZ betrachtet etwa die German Food Partnership als Beitrag dazu423 und engagiert sich darüber hinaus in Benin.

In den Kooperationsabkommen dieser neuen Allianz müssen sich die afrikanischen Staaten zu politischen Reformen verpflichten und privatwirtschaftliche Investitionen in die Landwirtschaft erleichtern. Die Afrikaner sollen zum Beispiel neue Gesetze erlassen, die den Absatz von lizenziertem Saatgut befördern. In Ländern, die das Sortenschutzabkommen des Internationalen Verbands zum Schutz von Pflanzenzüchtungen aus dem Jahr 1991 ratifiziert haben,424 dürfen Bauern ihr Saatgut nicht mehr tauschen oder verkaufen, wenn es eine geschützte Sorte ist. Der Saatgut- und Chemiehersteller Syngenta freut sich schon auf glänzende Geschäfte: Man habe Afrika zur »strategischen Wachstumsregion« auserkoren und wolle die Umsätze dort binnen zehn Jahren auf eine Milliarde US-Dollar steigern.425 Fast alle Kooperationsabkommen enthalten eine Senkung von Steuern und Handelsbarrieren. Alle Abkommen planen eine Änderung der Landnutzungsgesetze. Mindestens zehn Prozent der Konzernvorhaben zielen direkt auf den Zugang zu Land für kommerzielle Investoren ab. Afrikas Bauern leiden – auch ganz ohne Entwicklungshilfe für Konzerne – bereits heute unter massivem Landraub. Nach Angaben der Land Matrix, die weltweit Landtransaktionen mit mehr als 200 Hektar erfasst, liegen sieben der Top-Zielländer des Landgrabbings in Afrika.426 Insbesondere in sogenannten Wachstumskorridoren, in denen sich die G8 New Alliance engagiert, ist die Gefahr groß. Wachstumskorridore sind riesige Landstriche, auf denen eine intensive industrielle Landwirtschaft umgesetzt wird – landwirtschaftliche Sonderwirtschaftszonen, in denen es Steuererleichterungen für Großkonzerne gibt und keinerlei Handelsbarrieren. Die Idee dazu stammt vom Düngerhersteller Yara. Solche Gebiete sind in Burkina Faso, Mosambik und Tansania bereits ausgewiesen.

Vertreibung als Entwicklungshilfe: Das Land, auf dem diese Wachstumskorridore errichtet werden, wurde bis dahin von Landlosen und Kleinbauern bestellt. In Mosambik gibt es drei solcher Korridore an Orten, die über das meiste Wasser des Landes verfügen, zu dem nun folglich nicht mehr die Bevölkerung, sondern die multinationale Großindustrie Zugang hat.427 In Burkina Faso sollen 3 000 Menschen umgesiedelt werden, weil im Bagré-Growth-Pole-Korridor ein Bewässerungssystem errichtet wird. Nicht einmal ein Viertel des Lands geht wieder zurück an Kleinbauern und Kleinbäuerinnen.428 Der Southern Agricultural Growth Corridor Tanzania (SAGCOT) soll sogar so groß werden wie Mallorca. Binnen 20 Jahren sollen dort 3,4 Milliarden Dollar investiert werden. Zu den Partnern von SAGCOT gehören abermals Bayer Crop Science, Monsanto, Nestlé, Syngenta, Unilever und Yara. Für dieses Projekt sind schon jetzt Menschen gegen ihren Willen umgesiedelt worden.

Dabei hatte die Strukturanpassung, die die Weltbank und der IWF den Ländern des Südens in den Achtziger- und Neunzigerjahren aufgezwungen hatten, die afrikanische Landwirtschaft bereits ruiniert. Und zwar durch den systematischen Abbau von staatlicher Kontrolle und Unterstützung des Agrarsektors und durch die Privatisierung zugunsten transnationaler Konzerne. »Weltbank und IWF griffen tief ins Herz der staatlichen Interventionen in den Agrarsektor, um sie von innen heraus zu zerschlagen«, schreibt der philippinische Soziologe und Träger des Alternativen Nobelpreises Walden Bello.429 Dieser beschäftigt sich in seinem Buch Politik des Hungers auch mit der Zerstörung der afrikanischen Landwirtschaft.Sein Ergebnis: Zur Zeit der Entkolonialisierung in den Sechzigerjahren war Afrika nicht nur in der Lage, sich selbst mit Essen zu versorgen, sondern war sogar Nettoexporteur von Nahrungsmitteln. Staatliche Investitionen in Ernährungssicherung, Bildung und Gesundheit waren politischer Schwerpunkt. Heute importiert Afrika ein Viertel seiner Nahrungsmittel, und auch Hungersnöte kommen verlässlich wieder.430

75 Prozent der landwirtschaftlichen Böden in Afrika sind degradiert, 200 Millionen Menschen hungern – 50 Mal mehr, als die G8 New Alliance angeblich aus der Armut befreien will. Die besten und fruchtbarsten Böden werden nicht für den Nahrungsanbau zur Eigenversorgung verwendet, sondern für inputintensive Cash-Crop-Monokulturen. Weil die Weltbank verschiedene afrikanische Länder dazu ermutigt hatte, die gleichen Produkte für den Export anzubauen, zum Beispiel Kaffee, Kakao und Baumwolle, kam es zu Überproduktion und Preisverfall, was die Not der Bauern vertiefte. Dazu kamen ungerechte Handelspraktiken der USA und der Europäischen Union, die ihren Überschuss an Fleisch, Gemüse und Getreide subventioniert und zu Billigpreisen auf die afrikanischen Märkte schleuderten. Doch anstatt aus solchen fatalen Fehlern zu lernen, macht die Weltgemeinschaft – was? Sie setzt die systematische Verheerung fort.

7. Bill Gates als Bauernfreund

Auch die Bill&Melinda Gates Foundation hat ihr Herz für die Bauern entdeckt. Seit fast zehn Jahren gehören Landwirtschaft und Welternährung zu ihren Spendenprogrammen. Seither hat die Stiftung mindestens drei Milliarden Dollar in Agrarprojekte investiert. Damit ist die Gates-Foundation zum größten Geldgeber landwirtschaftlicher Forschung und Entwicklung weltweit geworden. Eine ihrer bedeutendsten landwirtschaftlichen Initiativen ist die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA). Sie wurde 2006 gemeinsam von der Gates- und der Rockefeller-Foundation gegründet und will 16 afrikanische Länder auf die Grüne Revolution vorbereiten. Im Vorstand dieser Initiative sitzen der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan, Vertreter der Rockefeller- und der Gates-Foundation sowie Ökonomen, Wissenschaftler und Unternehmer, vor allem aus der Biotechnologie-Industrie.431 Das Ziel der Initiative ist es, »die landwirtschaftliche Produktion Afrikas in den kommenden zehn bis 20 Jahren zu verdoppeln oder zu verdreifachen«.

Auch hier sollen erfolgreiche Kleinbauern in den Weltmarkt integriert werden, Märkte für Agrarkonzerne erschlossen und eine konzernfreundliche Politik in afrikanischen Regierungen durchgesetzt werden. Das alles »im Bewusstsein des Umweltschutzes« – und zwar mit Gentechnik-Saatgut, Hochertragssorten, Dünger und Pestiziden. Angeblich hat die AGRA, in die Bill Gates bis heute 267,5 Millionen Dollar gesteckt hat,432 bereits 400 Projekte initiiert. Im Zentrum stehen dabei Netzwerke privater Agrarhändler, die »in kleinen Dorfläden« Saatgut, Pestizide und Dünger an Bauern verkaufen, »damit die Bauern nicht mehr so weit laufen müssen, um diese Produkte zu kaufen«.433

In Malawi, wo die AGRA dafür 4,3 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt hat, stammen Saatgut und Agrochemie, die von diesen Agrarhändlern vertrieben werden, zu mehr als zwei Dritteln vom Gentechnik-RiesenMonsanto.434 Innerhalb weniger Jahre ist es der Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika, die mittlerweile auch von Regierungen reicher Länder wie Australien, Dänemark, Großbritannien, Kanada, den Niederlanden, Schweden sowie der amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID mitfinanziert wird, gelungen, 15 000 solcher Agrarhändler auszubilden. Außerdem »berät« die AGRA afrikanische Regierungen dahingehend, Gesetze zu verabschieden, die die Einführung gentechnisch veränderter Sorten ermöglichen. Genau wie die G8 New Alliance, die von AGRA indirekt unterstützt wird: Sie gehört zu den Partnern des tansanischen Wachstumskorridors.

In Afrika gibt es großen zivilgesellschaftlichen Protest, unter anderem vom African Center for Biosafety, das die AGRA, die G8 New Alliance und andere neokoloniale Projekte vehement ablehnt.435 Denn das Big Agribusiness beutet nicht nur die Arbeitskraft der Bauern aus und drängt ihnen eine Landwirtschaft auf, die sie nicht wollen. Es stiehlt ihnen auch noch ihr Wissen und wandelt dieses in Profit der ausländischen Firmen um: Die AGRA gibt an, dass es gelungen sei, mit Hilfe lokaler Bäuerinnen und Bauern 400 neue Pflanzensorten zu entwickeln und »freizugeben«. »Im Klartext: Afrikanische BäuerInnen, die über Generationen lokal angepasste Sorten gezüchtet haben, stellen Forschungseinrichtungen ihr Saatgut zur Verfügung, das ihnen nach ein paar Kreuzungen wieder verkauft wird«, schreibt der kritische Agrarwissenschaftler Peter Clausing. So sammelten Mitarbeiter einer Forschungsstation in Simbabwe, die dem Internationalen Institut für Nutzpflanzenforschung der Semiariden Tropen (ICRISAT) angehört, über Jahre traditionelles Hirse- und Sorghumsaatgut, das ihnen die dortigen Kleinbauern kostenlos überließen. Damit habe ICRISAT »verbesserte« Sorten entwickelt und diese dann den Bauern, die es hergeschenkt haben, teuer verkauft.436 In Kombination mit den von der AGRA erkämpften Saatgutgesetzen, die es den Bauern verbieten werden, solches Saatgut zu tauschen, ist das gleich doppelt hinterhältig. Ein Skandal, von dem die Welt bislang kaum Notiz genommen hat.

»Die erste Grüne Revolution wurde durch die philanthropische amerikanische Milliardärsfamilie Rockefeller ermöglicht – die zweite wird von Gates finanziert. Das ist keine oberflächliche Übereinstimmung: Die Schicksale von Millionen ärmster Bauern in der Welt werden wieder einmal von den reichsten Amerikanern bestimmt«, schreibt Raj Patel.437 Das Schicksal der Bauern wiederum sieht so aus: »Mit der Zeit verlangt diese [Strategie] einen gewissen Grad von Mobilität auf dem Lande und einen niedrigeren Prozentsatz der an der direkten landwirtschaftlichen Produktion beteiligten Beschäftigten.«438 Dieser kryptische Satz steht auf der zweiten Seite der Landwirtschaftlichen Strategie 2008–2011 der Bill&Melinda Gates Foundation. Einfacher ausgedrückt: Die Stiftung des Weltretters Bill Gates erklärt eine Menge von Kleinbauern für überflüssig. Sie sollen im Zuge des Umbaus der Landwirtschaft zugunsten von Kapital und Großkonzernen weichen. In die Slums und auf die Straßen der wachsenden Metropolen, wo es nur Elend gibt. Oder eben hinaus auf’s Mittelmeer, wo die sogenannten »Wirtschaftsflüchtlinge« zu Tausenden ersaufen, weil die Festung Europa sie nicht sie haben will. Sondern nur ihr Land.