Es gibt sehr wenige Leute, die in den Spiegel schauen und sagen werden: ›Die Person, die ich sehe, ist ein wildes Monster‹. Stattdessen denken sie sich irgendwelche Konstruktionen aus, die rechtfertigen, was sie tun.

Noam Chomsky

VII. GATED COMMUNITY

Oligarch der Weltrettung: Bill Gates und die Macht seiner Milliardenstiftung

1. Das Märchen vom netten Milliardär von nebenan

»Als 22-Jähriger hatte er die größenwahnsinnige Vision, dass irgendwann in jedem Haus auf jedem Schreibtisch ein Computer steht. Und dieser Computer solle natürlich nur mit seinem Programm laufen. Und dann hat er gerechnet, wie viele Häuser gibt es auf dieser Welt und wie viele Schreibtisch sind da drin? Kann ich von jedem, der vor so einem Computer sitzt, 20 Dollar bekommen? Damals lebten etwa vier Milliarden Menschen auf der Welt. Und wenn man heute einen Strich drunter macht, ist diese Rechnung aufgegangen. Von fast jedem Menschen hat er rein rechnerisch inzwischen die 20 Dollar oder mehr bekommen und ist damit zum reichsten Mann der Welt geworden.«439 Die Regie schneidet auf das Publikum und zeigt ehrfurchtglänzende Gesichter, Menschen hören andächtig der Laudatio von Günther Jauch zu. Sie waren auch einmal 22, aber leider nicht größenwahnsinnig oder visionär genug, sonst könnten jetzt auch sie bescheidene Multimillionäre oder -milliardäre sein wie der bescheidene Mann, dem die Laudatio gilt, oder der andere bescheidene Mann, der sie hält. Über den Rängen des Theaters am Potsdamer Platz liegt ein Bann der Bescheidenheit und des wissenden Lächelns.

»Zusammen mit seiner Frau Melinda hat sich der reichste Mensch der Welt eine Aufgabe gestellt, die so viele Menschen immer noch für unlösbar halten. Er hat gesagt: Die extreme Armut in der Welt, die muss doch zu beseitigen sein! Das haben schon viele gedacht, aber er ist das dann wirklich systematisch angegangen, (…) und dafür hat er sein Vermögen hergegeben.« Auf der Leinwand wird ein Einspieler gezeigt. Untermalt von Synthesizergetröpfel sieht man Fotos von einem Mann, einmal mit Computern und einmal mit armen Kindern in Afrika. »Mit seinen genialen Entwicklungen hat er unser aller Leben verändert. Mit seinen Visionen und seinem sozialen Engagement will er die Welt verändern. Genie, Erfinder, Softwareentwickler, Unternehmer, Erfinder und Philantrop – Bill Gates.«

Als der Microsoft-Gründer auf die Bühne schlendert, um den »Millennium Bambi« 2013 aus den Händen von Günther Jauch entgegenzunehmen, erhält er Standing Ovations. Man weiß gar nicht, ob die in Frack und Seide gehüllten Gala-Gäste so beglückt applaudieren, weil es Gates mit seinem Privatvermögen von 72,9 Milliarden Dollar440 wieder auf den ersten Platz der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt geschafft hat, oder weil er ein so großer Wohltäter ist. Dann überreicht Deutschlands beliebtester Multimillionär, von dem viele glauben, er wäre der ideale Bundeskanzler, das goldene Reh an den beliebtesten Multimilliardär der Welt, von dem eine Menge Leute glauben, er würde die Welt retten. Für einen Moment sind die beiden Stars mit ihren grau melierten Haaren, ihren dunkel umrandeten Nerd-Brillen und ihrem spitzbübischen Grinsen kaum auseinanderzuhalten.

Mit dem Bambi zeichnet der Medienkonzern Hubert Burda »Menschen mit Visionen und Kreativität« aus, »deren herausragende Erfolge und Leistungen sich im ablaufenden Jahr in den Medien widerspiegelten«.441 Größen wie Justin Bieber, Victoria Beckham, Bushido, Miley Cyrus, Helene Fischer oder Uli Hoeneß. Die Verleihung des Bambi an den Software-Tycoon ist eine beispielhafte Inszenierung des Mythoss Bill Gates. Und der speist sich aus einer Reihe von Märchen, die der Kapitalismus immer wieder erzählt. Märchen, die das sozialdarwinistische survival of the fittest mit dem Firnis versehen, der es für die breite Masse erst attraktiv erscheinen lässt.

Das Märchen des Genies, dessen brillante Idee die Welt verändert.

Das Märchen des Zweitausendsassas, der in der Garage seiner Eltern Computer gebastelt und schon als Jugendlicher seine erste Firma gründet hat.

Das Märchen des Selfmade-Milliardärs, der die Ärmel hochgekrempelt und es aus eigener Kraft ganz nach oben geschafft hat.

Zugleich ist das Märchen vom verantwortungsbewussten Philantropen, der der Gesellschaft etwas »zurückgibt«.

Das Märchen von den Reichen, die den Armen helfen.

Das Märchen, dass Reiche ihren Reichtum nicht nur erworben, sondern auch verdient haben.

Aber wie alle Märchen sind auch diese: Märchen. Gates hat nie in einer Garage getüftelt. Seine reichen Eltern (ein Wirtschaftsanwalt und eine Bankierstochter) haben ihn auf eine Privatschule geschickt, um sein mathematisches Talent und sein Computerinteresse zu fördern. Das Programmieren begann er zusammen mit Paul Allen und Monte Davidoff an der privaten Eliteuniversität Harvard, mit Allen gründete er Microsoft. Sein grotesk hohes Vermögen hat Gates nicht mit harter Arbeit und brillanten Ideen angehäuft – hart arbeiten tun auch andere, und brillante Ideen allein machen nicht reich. Reich macht eine aggressive Geschäftspolitik, im Falle von Gates die seines Unternehmens, das sich über Jahrzehnte am Rande der Legalität bewegte und damit zum Software-Monopolisten aufstieg.

Microsoft übernahm Softwarestandards anderer Firmen und entwickelte sie so weiter, dass sie nur noch mit dem Microsoft-Betriebssystem Windows kompatibel waren. Dem Konzern gelang es auf diesem Weg, dass heute fast jeder neue PC mit Windows-System ausgeliefert wird. Microsoft war wegen seiner monopolistischen Strategie und wegen Verstößen gegen das Kartell- und Wettbewerbsrecht in mehr als ein Dutzend Prozesse weltweit verwickelt und musste insgesamt fünf Milliarden Dollar Strafen und Entschädigung bezahlen. Ende der Neunzigerjahre stand das Unternehmen deshalb kurz vor der Zerschlagung. Selbstredend lässt Microsoft seine Produkte unter miserablen Bedingungen in chinesischen Zulieferfabriken wie Foxconn herstellen, wo sich 14 Arbeiter das Leben genommen und weitere 300 Arbeiter wegen der Hungerlöhne mit Massensuizid gedroht haben.442 Auch im Überwachungsskandal des amerikanischen Geheimdienstes NSA spielt Microsoft eine große Rolle: 2013 wies Edward Snowden nach, dass Microsoft eng mit der NSA, mit FBI und CIA zusammengearbeitet hatte. Microsoft hatte es der NSA ermöglicht, die Microsoft-eigene Verschlüsselung zu umgehen und so die Inhalte der Nutzer unverschlüsselt mitzulesen. Kurz nachdem Microsoft die Telefon-Software Skype gekauft hatte, verdreifachte sich die Zahl der von der NSA aufgezeichneten Skype-Gespräche.443 Er aber halte Edward Snowden nicht für einen Helden, sagte Gates in einem Interview mit dem Rolling Stone. Snowden habe ja das Gesetz gebrochen.444

2008 stieg Bill Gates aus seiner Firma aus, um sich fortan nur noch um seine wohltätige Stiftung zu kümmern. Insgesamt 28 Milliarden Dollar hat er zwischen 2007 und 2013 der Bill&Melinda Gates Foundation überlassen. Mit einem Stiftungskapital von 42,3 Milliarden US-Dollar ist sie die größte, vermögendste und einflussreichste Privatstiftung der Welt. Gates’ großzügige Spende ist die Blaupause der von ihm und dem amerikanischen Großinvestor Warren Buffet lancierten Kampagne »The Giving Pledge«, mit der sie andere Superreiche dazu anstiften wollten, ebenfalls einen Teil ihres Vermögens für wohltätige Zwecke zu spenden. Sie hat auch den Saulus-Paulus-Mythos begründet, dass Bill Gates dem umstrittenen Konzern Microsoft den Rücken gekehrt und »sein Vermögen hergegeben« (Jauch) hätte, um mit seinen Milliarden nur noch Gutes zu tun.

Wenn Reiche behaupten, sie würden der Gesellschaft »etwas zurückgeben« – sollte man da, anstatt zu applaudieren, nicht eher fragen: Was und wieviel davon haben sie ihr denn vorher weggenommen, um sich nun so generös zeigen zu können?

Denn nicht nur, dass Bill Gates seine Milliardenspende an die Stiftung von der Steuer abschreiben konnte. Sein Konzern Microsoft praktiziert seit Jahren systematisch Steuervermeidung auf ausländische Gewinne und parkt knapp 93 Milliarden Dollar in Steueroasen.445 Damit entzieht das Unternehmen den USA Steuereinnahmen von fast 30 Milliarden Dollar (!), Geld, über das demokratisch bestimmt und das zum Wohl der Allgemeinheit investiert werden könnte. 30 Milliarden Dollar sind etwa ein Drittel dessen, was US-Präsident Barack Obamas Gesundheitsreform bis 2020 pro Jahr kostet.446 Nach wie vor profitiert Gates von diesem legalen Steuerbetrug: Er ist bis heute der zweitgrößte Aktionär von Microsoft und hält 330 Millionen Aktien, das entspricht einem Börsenwert von rund 13,1 Milliarden Dollar.447 Seine Mega-Schenkung hat Gates’ Vermögen nicht einmal geschmälert. Im Gegenteil: Es hat sich zwischen 2011 und 2015 von 51 auf 80,3 Milliarden Dollar beinahe verdoppelt.448 Allein in den zwei Jahren nach der Bambi-Verleihung ist sein Privatvermögen um mehr als sieben Milliarden Dollar gewachsen. Die knapp 73 Milliarden, die Gates damals besaß, waren 2013 ein Tausendstel des Welt-Bruttoinlandsprodukts. »Etwas abstrahiert kann man sagen: Bill Gates besitzt so viel wie ein Tausendstel der Menschheit, also rund sieben Millionen DurschnittsbewohnerInnen der Erde, gemeinsam in einem Jahr verdienen«, schreiben Klaus Werner-Lobo und Hans Weiss in ihrem Schwarzbuch Markenfirmen.449

»Mir ist ja immer noch einer wie Bill Gates lieber, der mit seinem Geld wenigstens was Gutes tut, statt es zu verprassen und sich die nächste Yacht zu kaufen.« Dieses Argument hab ich immer wieder gehört, sobald ich Gates und seine Stiftung kritisiert habe. Tatsächlich: Gates besitzt zwar einen Privatjet, aber keine Yacht. Obwohl er sich von seinem Geld locker 60 Stück der mit 1,2 Milliarden Dollar teuersten und protzigsten Yacht der Welt des russischen Oligarchen Roman Abramowitch kaufen könnte450 – und dann immer noch acht Milliarden übrig hätte. 160 Mal mehr als Günther Jauch besitzt, dessen Vermögen auf stattliche 50 Millionen Euro geschätzt wird.

Und es ist nicht so, dass der sich so bescheiden gebende Gates Luxus verschmähte. Seinen Urlaub verbringt Bill Gates wie Silvio Berlusconi und Flavio Briatore gern auf einer gecharterten Yacht in einer Superreichen-Enklave an der Costa Smeralda in Sardinien. An diesem Küstenstreifen hatte der Milliardär Aga Khan in den Sechzigerjahren Villen, Luxushotels und Edelboutiquen bauen lassen. 2006 sagte Gates seinen Yachturlaub dort demonstrativ ab: Die sardische Regionalregierung hatte die Unverschämtheit besessen, eine Luxussteuer zu erheben, und Gebühren von bis zu 15 000 Euro für Yachten und Privatflugzeuge verlangt. Sie wollte wohl, dass die Milliardäre der sardischen Gesellschaft ein bisschen mehr zurück geben als leere Champagnerflaschen. Am Ende wollte sie doch tatsächlich mit dem Geld Straßen und öffentliche Gebäude sanieren und in Umweltschutz investieren.451

Wie die anderen Superreichen, die sich als Reaktion auf diese Anmaßung von der Costa Smeralda fernhielten, ist auch Bill Gates ein vehementer Gegner jeglicher Form von Vermögenssteuer.452 Nach einer Klage von Silvio Berlusconi erklärte der europäische Gerichtshof in Luxemburg die sardische Sondersteuer für unrechtmäßig, die neue Regionalregierung schaffte das Gesetz 2009 wieder ab.453 Und Bill Gates kam zurück. Den letzten Sommerurlaub mit der Familie verbrachte der selbstlose Samariter auf der Luxusyacht Serena des russischen Milliardärs Yuri Scheffler. Fünf Millionen Dollar pro Woche zahlte er für das Schiff mit vier Swimmingpools, Nachtclub, Spa, Heimkino und Hubschrauberlandeplatz. Zum Tennisspiel an Land ließ Gates sich mit dem Helikopter chauffieren.454 Jetzt bloß keine Neiddebatte! Denn wie gibt ein Blogger so schön die Mehrheitsmeinung wieder: »Wer solch ein Lebenswerk aufbaut, sollte sich auch durchaus das Recht herausnehmen dürfen, ordentlich zu entspannen!«455

2. Die Privatisierung der Gesundheit

»Manchmal sage ich meinen Studenten, sie sollen sich eine Welt ohne Bill Gates vorstellen. Würden wir dann Laptops haben, Textverarbeitungsprogramme und das Internet? Es dauert nicht lange, bis sie sich fragen, wie es sein kann, dass eine einzige Person ein derart großes Privatvermögen mit Entwicklungen angehäuft hat, die ohnehin passiert wären und die Gates auf dem Rücken vieler Leute ausgetragen hat, die ihm vorangegangen waren«, sagt David McCoy. Er fügt grinsend an: »Wer weiß, ob wir ohne ihn nicht vielleicht sogar bessere Software und günstigere Computer hätten.«An einem verregneten Tag im April 2014 sitzen wir in einem kleinen Café im Osten von London und essen Bohnensuppe. Rund um den Platz im ehemaligen Arbeiterstadtteil Hoxton sind heute schicke Galerien; Bürogebäude mit Glasfassaden wachsen unter pausenlosem Baulärm in den Himmel. »Ich weiß nicht, wie das passieren konnte, dass ich heute im Zentrum des Finanzkapitals lebe, das war ein Unfall«, sagt McCoy und lacht, »denn mein Herz gehört so sehr dem Süden.« Der malaysische Mediziner hat 15 Jahre als Arzt praktiziert, die meiste Zeit davon in Südafrika, wo er nach dem Ende des Apartheidsregimes half, das öffentliche Gesundheitssystem aufzubauen. Er lehrt heute an der Fakultät für Medizinische Grundversorgung und Öffentliche Gesundheit an der Londoner Queen-Mary-Universität. David McCoy ist außerdem einer der ersten und wenigen Mediziner, die die Bill&Melinda Gates Foundation und ihre Gesundheitsprogramme öffentlich kritisieren. »Ich hatte bemerkt, dass die Gates-Stiftung einen großen Einfluss auf die globale Gesundheitspolitik und die Forschung hat. Aber niemand hatte jemals systematisch untersucht, was diese Stiftung eigentlich genau macht – wem sie Geld gibt, und wofür.« Das tat dann David McCoy. 2009 veröffentlichte die medizinische Fachzeitschrift The Lancet seine Studie »The Bill&Melinda Gates Foundation’s Grant-making Programme For Global Health«. Darin hatten McCoy und sein Team erstmals 1 000 Förderungen für Gesundheitsprogramme von fast neun Milliarden Dollar untersucht, die die Stiftung zwischen 1998 und 2007 gewährt hat. Dabei kam heraus, dass mehr als zwei Drittel der Förderungen an nur 20 verschiedene Organisationen gingen, darunter die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO), große Public Private Partnerships wie der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (Global Fund), die Globale Allianz für Impfstoffe (GAVI), die Weltbank, internationale große NGO sowie Forschungsinstitute und führende Universitäten in den USA und Europa. Mehr als ein Drittel des Geldes der Stiftung ging in die Forschung und Entwicklung, vor allem für Impfstoffe.456 Kurz: »Die Stiftung konzentriert ihren Einfluss und ihr Geld auf wenige ausgewählte Technologien und Krankheiten, insbesondere HIV, Tuberkulose, Malaria und solche, gegen die man impfen kann.« Daran kritisiert McCoy, dass das meiste Geld nicht an Empfänger in Entwicklungsländern geht, die selber darüber entscheiden könnten, wofür sie es einsetzen, sondern in große globale oder US-Organisationen fließt. Die dringend nötige Stärkung lokaler Gesundheitssysteme aber, durch die arme Länder langfristig unabhängig von fremder Hilfe würden, ist offenbar nicht würdig, gefördert zu werden. »Die Ergebnisse des Reports werfen Fragen auf hinsichtlich des Spendenprogramms der Stiftung, das weiterer Recherchen und Prüfung bedarf«, lautete das bescheidene Resümee der Wissenschaftler. Keine große Sache angesichts des weitgehend unhinterfragten und wachsenden Einflusses der Stiftung, sollte man meinen. Dennoch erregte McCoy große Aufmerksamkeit, auch in den Medien. »Als ich anfing, zu Gates zu forschen, warnten mich Kollegen, dass das meiner Karriere als Mediziner schaden könnte. Allein dass es die Auffassung gibt, dass Kritik an der Gates-Foundation oder auch nur die Auseinandersetzung mit ihr Karrieren beschädigen könnte, ist schon bemerkenswert«, sagt McCoy. Doch angesichts leerer öffentlicher Kassen würden Forschungseinrichtungen und Institutionen für Gesundheit immer abhängiger von den Milliarden privater Stiftungen und orientierten sich an deren Vorgaben. Kritische Mediziner nennen das »Gateability«: Wenn jeder nur noch macht, was Bill Gates für richtig hält, um an das Geld seiner Stiftung zu kommen, nehmen Selbstzensur und Gruppendenken zu. Und das verschlechtert die Qualität der Forschung, statt sie zu verbessern. Deshalb hat McCoy nach der Veröffentlichung in The Lancet auch viel Zustimmung von Kollegen erhalten, die ihm – streng vertraulich – bestätigten, »dass die Stiftung einen zu großen Einfluss hat und ein Klima schafft, in dem sich Gesundheitsexperten weigern, ihr zu widersprechen«. Die Stiftung selbst wollte sich auf Anfrage von The Lancet nicht zu den Ergebnissen äußern. All das hat McCoy dazu gebracht, ihre Rolle und ihren Einfluss auf Politik, Wissenschaft und die öffentliche Meinung weiter zu untersuchen.

Wenn der Mediziner heute Vorträge über die Bill&Melinda Gates Foundation hält, dann steht auf der letzten Seite seiner Power Point-Präsentation der Satz: »Thank you (there goes my career in global health).« Aber die Karriere von David McCoy ist ohnehin nicht klassisch für einen Mediziner. Er ist im Vorstand des People’s Health Movements, der »Gesundheitsbewegung der Menschen«, die nicht nur gegen Krankheiten, sondern auch gegen krank machende Verhältnisse kämpft. Als Dozent arbeitet er Teilzeit, die andere Hälfte seiner Zeit leitet er die NGO Medact, eine Initiative britischer Mediziner, die sich mit gesellschaftlichen und politischen Strukturen von Krankheit und den Folgen von Globalisierung, Konflikten, Krisen, Landwirtschaft, Umweltzerstörung und Klimawandel auf die Gesundheit vor allem in den Ländern des Südens beschäftigt.457

»Ich möchte den Blick aufs große Ganze lenken, dessen Teil die Stiftung ist: den Zusammenhang zwischen dem immensen Reichtum und der Verarmung. Dass exzessives und konzentriertes Vermögen das Ergebnis einer fairen und effizienten wirtschaftlichen Entwicklung ist und den Armen durch den sogenannten Trickle-Down-Effekt hilft – es also von oben nach unten durchsickert –, das ist ein Mythos, den auch die Gates Foundation verbreitet. Charity ist oft ein Akt der Großzügigkeit. Aber sie kann auch das Macht- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen Reichen und Armen verstärken oder dazu benutzt werden, ungerechte, undemokratische oder repressive Strukturen zu erhalten«, sagt McCoy. Ein Beispiel für die Macht der Stiftung ist ihr Einfluss auf die Weltgesundheitsorganisation. Die Gates Foundation ist der zweitgrößte Einzelspender der WHO. Mittlerweile gehen 80 Prozent des Budgets der chronisch unterfinanzierten UN-Institution auf freiwillige Spenden zurück – etwa von der Gates-Foundation, deren Vermögen zehn Mal so hoch ist. Die Stiftung lässt der WHO inzwischen mehr Geld zukommen als die USA. Aber es ist keinesfalls so, dass die WHO mit den Gates-Millionen – allein 2013 waren es 300 Millionen Dollar – machen könnte, was sie für richtig hält. Für jeden Zuschuss schreiben die Stifter vor, wofür er verwendet werden muss. So stand zum Beispiel Ebola die längste Zeit nicht auf dem Weltrettungszettel von Bill Gates – was unter anderem dazu führte, dass der WHO das Geld fehlte, die Verbreitung des Ebola-Virus’ wirksam zu bekämpfen. Als Gates salbungsvoll in den Medien verkündetet, 50 Millionen Dollar für die Bekämpfung von Ebola zu spenden, hatte sich die Krankheit schon längst in mehreren westafrikanischen Ländern ausgebreitet.458

Die Stiftung konnte nur deshalb so viel Macht und Einfluss auf die WHO gewinnen, weil in den vergangenen 20 Jahren die 194 Mitgliedsstaaten wegen klammer öffentlicher Kassen ihre Beiträge immer weiter gesenkt haben. Hier schließt sich ein Kreis: Die desolate Haushaltslage der Staaten ist nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass Reiche nicht oder zu wenig per Vermögenssteuer zur Kasse gebeten und darüber hinaus nicht daran gehindert werden, ihr Vermögen in Steueroasen zu schaffen, und dass große Konzerne wie Microsoft maximale Steuervermeidung betreiben können. Auch die Steuerbegünstigung der Spender und der Stiftung selbst schmälert das öffentliche Budget. Und schwächt so auch die Demokratie.

In seinem Blog rezensierte Bill Gates im Oktober 2014 den Bestseller von Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert. Großmütig stimmte er dem französischen Ökonom zu, dass die große Ungleichheit ein Problem sei.459 In einem Punkt widersprach er Piketty allerdings heftig: Eine Vermögenssteuer, wie sie Piketty fordert, sei nun wirklich nicht geeignet, Einkommensunterschiede auszugleichen. Bill Gates hat andere Pläne für die Welt: Statt einer Vermögens- solle lieber eine progressive Konsumsteuer erhoben werden. Denn Gates’ Ansicht nach gibt es drei Typen von Reichen: Den, der in Unternehmen investiert, den Philantropen (also ihn), und den, der einen verschwenderischen Lebensstil pflegt. »Es ist nichts falsch an letzterem, aber ich denke, dieser sollte mehr Steuern als andere bezahlen.« Das schreibt Bill Gates, der seinen Yachturlaub in Sardinien absagte, weil er ein Promille seines Urlaubsbudgets dort als Luxusabgabe hätte zahlen sollen. Trotzdem schaffte es Gates, sich mit seiner Einlassung zu Piketty nachgerade als Sozialist zu inszenieren und gleichzeitig den Mythos des guten, bescheidenen Reichen zu zementieren, der mit seinem Vermögen verantwortlich umgeht, und den des anpackenden Unternehmers, der zu Recht reich ist: »Die Hälfte der Leute auf der (Forbes-) Liste sind Unternehmer, deren Firmen sehr gut funktionierten (dank harter Arbeit und auch einer Menge Glück).«460 Während einer Konferenz in Boston erzählte wiederum Piketty von einem Gespräch mit Bill Gates: »Er sagte mir, ich liebe alles in deinem Buch, aber ich will auf keinen Fall mehr Steuern zahlen.«

Ihren Hass auf den Sozialstaat und ihre Weigerung, Steuern zu zahlen, über deren Verwendung die Allgemeinheit frei und ergo zu ihrem Nutzen (und nicht dem der Reichen) entscheiden könnte, verbergen Superreiche wie Gates hinter dem Argument, dass Unternehmer wie sie viel besser in der Lage seien, Geld effizient einzusetzen. Das ist auch die Überzeugung der Gates Foundation, die nach unternehmerischen Grundsätzen funktioniert, nicht anders als Gates’ Konzern Microsoft. Dazu passt, dass der ehemalige Top-Manager von Microsoft, Jeff Raikes, viele Jahre Vorstandsvorsitzender der Stiftung war. Allen Förderprogrammen der Stiftung liegt eine Kosten-Nutzen-Analyse und eine Zielvorgabe zugrunde, sie müssen also messbare Ergebnisse liefern. Die Stiftung nennt das »Ergebnisinvestition«.461 Die »maximale Rendite« der »Investitionen« wird nicht in Dollar gezählt, sondern in der Anzahl »geretteter Leben«. »Every life matters« – jedes Leben zählt – ist das Motto der Stiftung. Doch hinter der pathetischen Formel verbirgt sich nur die Forderung, dass sich Hilfe unternehmerischer Effizienz unterordnen muss. Und das ist in höchstem Maße selektiv. »Wenn man nur eine beschränkte Menge von Ergebnissen misst und damit demonstriert, wie effizient man ist, mag das gut klingen. Aber was ist mit Befunden, die man nicht misst? Was, wenn einiges von dem, was man erreicht hat, anderswo Probleme verursacht? Was ist mit den Dingen, die man nicht messen kann? Mit welchen Auswirkungen kann man erst in 20 oder 30 Jahren rechnen? Wenn man eingeschränkte und kurzzeitige Messungen überbetont, die nur einer einzigen Organisation zuzuschreiben sind, gelangt man zu einem Entwicklungsprozess, der mangelhaft, ineffizient und nicht nachhaltig ist«, kritisiert McCoy. Zwar würde Geld auch für Impfungen und zur Bekämpfung von Krankheiten benötigt. Aber Gesundheitssysteme in armen Ländern müssten sich um viele Dinge gleichzeitig kümmern: Die Behandlung und Vermeidung von Krankheiten, Mangelernährung und die Ausbildung von Ärzten und Krankenpflegern, die Verbesserung von Informationssystemen. »Wenn externe Kräfte wie die Gates-Stiftung Programme finanzieren, die sich nur auf wenige Krankheiten oder Technologien konzentrieren, kann das Gesundheitssystem dort insgesamt Schaden nehmen.«

Die Gesundheitssysteme in den Ländern des Südens seien ohnehin schon durch den Spar- und Privatisierungszwang der Strukturanpassungsprogramme massiv geschwächt. Diese wieder instand zu setzen und eine funktionierende öffentliche Verwaltung aufzubauen, sei dringend nötig, sagt McCoy. Doch Bill Gates lehnt diese nicht nur genauso rigoros ab wie Vermögenssteuern – er versucht sogar, sie zu verhindern: »[Die Stiftung] war eine sehr laute Stimme, die sagte, wir [die Impfinitiative GAVI] glauben nicht in die Stärkung von Gesundheitssystemen.« So zitiert Katerini Storeng in ihrer Arbeit zum Einfluss von Gates’ technokratischer Ideologie auf GAVI einen an GAVI beteiligten anonymen Befürworter einer solchen Unterstützung lokaler Systeme. »Er hat im Prinzip gesagt: Es ist reine Geldverschwendung, es gibt keinen Beleg, dass sie funktioniert, also werde nicht ein Dollar oder Cent seines Geldes in die Stärkung von Gesundheitssystemen gehen.«462

Dass sich ein Software-Tycoon und Multimilliardär, der auf öffentliche Gesundheitssysteme nicht einmal angewiesen ist, überhaupt anmaßt, diese als »Geldverschwendung« zu bezeichnen, ist das eine. Aber dass der reichste Mensch der Welt mit seiner Milliarden-Stiftung, die weder demokratisch legitimiert ist noch irgendeiner Kontrolle unterliegt, die Macht hat, solche Systeme in den ärmsten Ländern der Welt zu zerstören, ist ein Skandal. Doch den weiß die Stiftung geschickt zu kaschieren – mit der Zählung angeblich geretteter Menschenleben.

Bono von U2 sitzt auf einem Stuhl und blickt betroffen zu Boden. Die Kamera hält auf sein nachdenkliches Gesicht. »Geben Sie mir einen Moment und lassen Sie mich nachdenken. Seit zehn Jahren dabei.« Jetzt denkt Bono von U2 ganz scharf nach. Dann zeigt er auf die linke Ecke des Bildschirms, auf dem eine Zahl erscheint: 7,7 Millionen. Zehn Jahre. »7,7 Millionen Menschen sind heute am Leben – wegen des Global Fund.« Der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria wurde 2002 als privat-öffentliche Partnerschaft gegründet, die Gates-Foundation gehört zu ihren Partnern. Bono von U2 ist auch dabei. Er selbst hat zwar keinen Cent seines Milliardenvermögens dafür hergegeben – wie überhaupt noch nie bekannt wurde, dass der lautstarke Weltretter je selbst einmal größere Summen gespendet hätte.463 Er hat allerdings die Konsum-Initiative RED ins Leben gerufen, für die Konzerne wie Apple, Coca Cola, Microsoft und Starbucks so rote wie überflüssige Produkte herstellen, deren Verkaufserlös an den Global Fund gespendet wird.464 Es sei ein »Unfall der Geographie«, sagt Bono von U2, »dass der Ort, an dem du geboren wirst, darüber entscheidet, ob du am Leben bleibst oder sterben wirst.« Tja, die armen Afrikaner. Was für ein Pech, dass sie Afrikaner sind, ausgerechnet!465 Der siebenminütige Werbefilm zum zehnjährigen Bestehen des Global Fund ist untermalt von Gitarrengezupfe, man sieht schöne Fotos von afrikanischen Krankenschwestern und strahlenden Armen. Sie bilden das schmückende Ornament für die guten, reichen, weißen Männer, die sich als ihre Retter inszenieren: Bono von U2, Bill Clinton, Bill Gates.

»Diese Werbung ist Teil der Konstruktion eines Bildes, das sagt, dass die Reichen den Armen helfen. Die Menschen, die trotz Aids, Tuberkulose und Malaria gerettet wurden, sind aber viel mehr das Ergebnis vieler Leute im Gesundheitswesen, die unter harten Bedingungen arbeiten, die in keinem Verhältnis zu denen der Reichen und Mächtigen stehen. Demgegenüber steht die Tatsache, dass das Vermögen aus illegalen Finanzströmen, die aus Afrika herausgehen, um ein Vielfaches höher ist als die Summe der Hilfsgelder, die Afrika erhält. Ein Großteil des illegalen Geldes landet auf Firmen- oder Privatkonten der Elite, oft genug in Steueroasen«, sagt McCoy.

Er hat in einer weiteren Studie untersucht, was hinter dieser Zahl der geretteten Leben des Global Fund steckt und zweifelt sie an:466 Zum einen, weil die Berechnung auf hypothetischen Szenarien basiert. Die angenommene Sterblichkeitsrate derer, die eine Aids- und Tuberkulose-Behandlung oder Moskito-Netze erhalten, wurde verglichen mit der angenommenen Sterblichkeitsrate derer, die keine Behandlung oder Netze erhalten würden. Die Differenz ergibt die Zahl der »geretteten Leben«. Dabei seien viele Programme zur Behandlung dieser Krankheiten längst gelaufen, als der Global Fund erst gegründet wurde. McCoy gelangt zu dem Ergebnis, dass der Global Fund alleine im besten Fall fünf und im schlechtesten Fall nur drei Millionen »Leben gerettet« hat.

Die Narration von den »geretteten Leben« und die Messung von Ergebnissen trivialisiere Krankheit und Hilfe und rechtfertige damit den rein technokratischen und unternehmerischen Ansatz. Darüber hinaus untergrabe die Konzentration auf messbare Ergebnisse die politische Debatte über die Strukturen von Armut und Krankheit. »›Leben retten‹, das ist ein mächtiges rhetorisches Instrument, um Probleme zu entpolitisieren: ›Wir retten hier Leben. Stört uns nicht mit politischen Fragen oder euren Bedenken zu Gerechtigkeit, ökonomischen Entwicklungen, Selbstbestimmung oder Umweltverträglichkeit.‹«

Die Bilanz der Hilfe, die David McCoy zieht, ist hingegen eher ernüchternd: »Wir sind heute besser in der Lage, Menschen unter Armutsbedingungen am Leben zu halten. Aber der Klimawandel, Ressourcenkonflikte und Resistenzen gegen Antibiotika können die Verbesserungen, die in den vergangenen 15 Jahren in armen Ländern erreicht wurden, schnell wieder rückgängig machen. Ja, wir haben eine höhere Lebenserwartung von Menschen mit HIV in Afrika. Die Lehre daraus sollte aber nicht sein, dass wir immer neue Medikamente für neue Krankheiten finden, sondern dass Menschen vor neuen Bedrohungen geschützt werden müssen. Durch Ernährungssicherheit, Bildung, sauberes Wasser, Beschäftigung und demokratische Institutionen. Aber Bill Gates’ Fokus auf Charity und Technologie enthält kein Bekenntnis zu sozialer Gerechtigkeit und nachhaltiger Entwicklung. Er stellt auch nicht das Wirtschaftssystem in Frage, das Vermögen von unten nach oben verteilt.«

3. Kuscheln mit Coca-Cola

»Der beste Teil meines Jobs bei der Gates Foundation ist, dass ich die Möglichkeit habe, in Entwicklungsländer zu reisen. Und das mache ich ziemlich regelmäßig. Wenn ich Mütter in abgelegenen Gegenden treffe, erschrecke ich immer wieder darüber, was die Menschen dort nicht haben.« Melinda Gates macht eine dramaturgische Pause. »Aber ich bin überrascht von einer Sache, die sie haben. Coca-Cola! Coke ist überall! Wenn ich zurück bin von solchen Reisen und über Entwicklung nachdenke und wie wir versuchen, Kondome, Impfungen oder sanitäre Anlagen an die Leute zu bringen, dann wundere ich mich über Coca-Colas Erfolg – wie kann es sein, dass sie es schaffen, Coke in diese entlegenen Ecken zu bringen? Warum können Regierungen und NGOs nicht dasselbe tun? Wir als Gesellschaft können noch viel lernen.« Und zwar von Coca-Cola: »Was Gemeinnützige von Coca-Cola lernen können«467, lautete Melinda Gates’ Ted Talk im September 2010. Der Vortrag wurde online in die Welt übertragen und in 31 Sprachen untertitelt.

»Geleitet von der Überzeugung, dass jedes Leben den gleichen Wert hat, arbeitet die Bill&Melinda Gates Foundation daran, allen Menschen dabei zu helfen, ein gesundes und produktives Leben zu führen.« Das steht nicht nur auf der Homepage der Stiftung, sondern auch auf der von Coca-Cola.468 Wie man weiß, liegt Coca-Cola die Weltgesundheit mindestens so sehr am Herzen wie jeder einzelne »produktive Mensch«, sofern er es sich leisten kann, möglichst viel Zuckerwasser zu kaufen oder anderweitig dabei zu helfen, den Profit des Getränkeriesen zu steigern. Da steht die Bill&Melinda Gates Foundation dem Konzern gern zur Seite: Sie finanzierte 2009 mit 7,6 Millionen Dollar mehr als die Hälfte eines 11,5 Millionen Dollar teuren Coca-Cola-Projekts in Kenia und Uganda, um »die Beschaffung lokal angebauter Mango und Maracuja zu erhöhen«, wovon angeblich 50 000 Kleinbäuerinnen und Kleinbauern profitieren würden, deren »Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit« sowohl für den Export der Früchte als auch für die Erschließung lokaler Märkte durch Fruchtsaftgetränke verbessert werden sollte. Die Hilfe der Stiftung ist auch Teil des Coca-Cola-Projekts »5by20«, das fünf Millionen Frauen bis 2020 »zu wirtschaftlicher Ermächtigung befähigen« will – durch Einbindung in, da ist sie wieder, die Wertschöpfungskette, sei es als Bäuerinnen, Coca-Cola-Verkäuferinnen oder Unternehmerinnen, die den Plastikmüll, den Coca-Cola mitverursacht, zu Taschen oder »Kunsthandwerk« zu »recyceln«.469 Dabei hat Coca-Cola doch von jeher schon die Menschen in den Ländern des Südens aktiv in Eisenketten, ich korrigiere: Wertschöpfungsketten eingebunden: zum Beispiel Kinder, die auf philippinischen Zuckerrohrplantagen für Hungerlöhne schuften.470 Oder kolumbianische Paramilitärs, die Gewerkschaftsmitglieder in Coca-Cola-Fabriken malträtiert und ermordet haben sollen.471 Oder Reisbauern in Indien, denen eine lokale Abfüllanlage in Plachimada sämtliche Brunnen leer pumpte und ihnen obendrauf giftigen Industrieschlamm als »Dünger« andrehte, was verheerende Missernten zur Folge hatte.472 Oder die 2,6 Milliarden Menschen ohne Zugang zu sauberem Wasser, auf deren Rücken Coca-Cola Geschäfte macht: Der Konzern kauft Wasserresevoirs, Brunnen und kleine lokale Anbieter auf, um anschließend Flaschenwasser und Softdrinks zu vertreiben, die bis zu 1 000 Mal teurer sind als Leitungswasser. Mit dieser aggressiven Expansionspolitik ist es dem Getränkekonzern gelungen, die letzten Winkel der Welt zu erobern. Ein rücksichtsloses Marktkonzept, das an das Geschäftsgebaren eines Softwaremonopolisten erinnert, wie hieß er noch? Richtig, Microsoft. Es ist also kein Zufall, dass Coca-Cola ganz den Geschmack von Gates und seiner Gattin trifft.

»Wenn wir verstehen, was Coca-Cola so allgegenwärtig macht, dann können wir diese Lehre auf das Gemeinwohl anwenden«, sagt Melinda Gates. Was jetzt – Wasserraub? Gewalt? Ausbeutung? Ach so, nein: »Der Erfolg von Coca-Cola ist relevant, weil wir ihn analysieren können, um damit Leben zu retten.« Coca-Cola sei effizient, weil das Unternehmen Echtzeit-Daten über Absatz und Konsum an den jeweiligen Orten erhebe. Außerdem habe Coca-Cola das »unternehmerische Talent« der lokalen Bevölkerung entdeckt, die das braune Gesöff mit Rädern, Mofas oder zu Fuß selbst in die entlegensten Dörfer brächten, um ein kleines bisschen Geld zu verdienen. 3 000 »Mikro-Distributionscenter« habe Coca-Cola eingerichtet, die 15 000 Menschen beschäftigen würden. Zu welchem Lohn? Spielt keine Rolle. Dieses »unternehmerische Potenzial« der Menschen müssten Regierungen und NGO »anzapfen«, wenn es um die Verteilung von Gesundheitsdienstleistung gehe.

Was Melinda Gates hier beschreibt, ist das neoliberale Bottom-of-the-Pyramid-Konzept – kurz: BOP – das auch zunehmend die globale Entwicklungspolitik bestimmt. BOP beschreibt den untersten Teil der Welteinkommenspyramide, die sogenannten vernachlässigten Bevölkerungsschichten, als riesigen lukrativen Markt: Schließlich gehört ein Drittel der Weltbevölkerung zum Bodensatz der Weltwirtschaft. »Das Marktpotenzial der Base of the Pyramid ist gigantisch: vier bis fünf Milliarden unterversorgte Konsumenten und eine Wirtschaft von 13 Billionen US-Dollar paritätische Kaufkraft«, schreibt der inzwischen verstorbene indische Ökonom, Unternehmensberater und Entwickler dieses Modells C. K. Prahalad in seinem Buch Ideen gegen Armut. Der Reichtum der Dritten Welt.473

Konsum als Menschenrecht: »Die BOP-Konsumenten erhalten Produkte und Dienstleistungen, die sie sich leisten können, aber noch wichtiger ist, dass sie Anerkennung erhalten, respektvoll und fair behandelt werden. Der Aufbau von Selbstbewusstsein und Unternehmergeist am BOP ist wahrscheinlich der langlebigste Beitrag, den der private Sektor leisten kann«, schreibt Prahalad.474 Aber Selbstermächtigung ist schlechterdings unmöglich in einer per se ungerechten Situation, die das Ergebnis eines extremen globalen Ungleichgewichts der Macht des Nordens über die Länder des Südens ist. Die Propaganda des Unternehmertums berührt in keiner Weise die Ursachen dieses Ungleichgewichts – es zementiert sie. Man kann sagen: Das BOP-Konzept ist dazu geeignet, Arme gerade so weit aus der Armut zu befreien, dass sie etwas Geld für Konsum haben, aber immer noch arm genug sind, um sich als Reserveheer von Billigarbeitern in »Wertschöpfungsketten« verdingen zu müssen. Konsumgüterkonzerne profitieren damit gleich mehrfach: Nicht nur, dass viele bereits bis zu zwei Drittel ihres Umsatzes in Schwellen- und Entwicklungsländern machen – sie können durch »inklusive« Modelle risikolos entlegenste Hütten als Markt erobern, sparen sich viel Geld für Infrastruktur, weil sie für ihre Projekte Spenden und Entwicklungshilfe bekommen, und haben sicheren Zugriff auf Rohstoffe und Arbeitskraft. Sie müssen sich nicht mit Gewerkschaften herumschlagen, mit gerechten Löhnen oder mit so verrückten Dingen wie sozialer Absicherung. Schließlich haben sie es ja nur noch mit eigenständigen »Unternehmern« zu tun. Ein gutes Image, das das schmutzige und ausbeuterische Kerngeschäft verdeckt, gibt es gratis obendrauf.

2010 gründete Coca-Cola zusammen mit dem Global Fund und der Bill&Melinda Gates Foundation das Projekt »The Last Mile«, um Menschen in abgeschiedenen afrikanischen Dörfern mit Medikamenten zu versorgen. Die Initiative unterstützt Gesundheitsministerien dabei, ein Verteilernetzwerk nach dem Vorbild der Coca-Cola-Logistik aufzubauen. Laut Coca-Cola hat sich in Tansania, wo das Projekt begann, die Verfügbarkeit von Medikamenten in Krankenhäusern um bis zu 30 Prozent verbessert. Der tansanischen Regierung sei es mit Hilfe von CocaCola gelungen, 120 lebenswichtige Medikamente an 5 000 Gesundheitseinrichtungen zu liefern.475

Klingt, als hätte es den Gesundheitspolitikern in Tansania schlicht an Unternehmergeist und guten Ideen gefehlt. Aber wenn Bill Gates und Coca-Cola kommen und dem Afrikaner zeigen, wie es läuft – dann flutscht es! Dabei hatte die Regierung von Tansania in den Siebzigerjahren weit fortschrittlichere Pläne: Sie wollte flächendeckend sogenannte Armutsapotheken einrichten, die jeweils mit einem Arzt und einer Krankenschwester besetzt sein sollten. Dort sollten Arme kostenlos Medikamente und medizinische Versorgung erhalten. Doch die Umsetzung scheiterte. Weil die öffentlichen Kassen leer waren, konnte das Land die Apotheken nicht angemessen betreiben, auch für eine gute Ausbildung medizinischen Personals fehlte das Geld. Eine gleichermaßen flächendeckende wie verlässliche Versorgung mit solchen öffentlichen Gesundheitszentren wäre sehr viel sinnvoller als die »Lösung« eines marktbasierten Konzernprojekts, das nur Medikamente verteilt.

Noch dazu greift die Verteilung von Medikamenten nicht die Ursache von Armut und Krankheit an. In Tansania liegt die Landwirtschaft fast brach, weil die Böden durch intensive Bewirtschaftung mit Monokulturen – vor allem Baumwolle – erodiert sind. Ein Landwirtschaftsmodell, das die Gates Foundation wiederum in ihrem Agrarprogrammen fördert und vorschreibt, ungeachtet dessen, dass es die Menschen arm und krank macht.476 Schwamm drüber: Das Coca-Cola-Projekt soll wegen des großen Erfolgs auf zehn afrikanische Länder ausgeweitet werden. Dafür haben die Gates Foundation, der Global Fund und die amerikanische Entwicklungsbehörde USAID weitere 21 Millionen Dollar bereitgestellt.477

Mehr als eine Million Menschen haben sich den Coca-Cola-Vortrag von Soccer-Mum-Teresa Melinda Gates online angeschaut.478 Eine 17-minütige Gratis-Werbung für den Getränkekonzern, in dem Gates’ Gattin gezählte 27 Mal, also im Schnitt zwei Mal pro Minute, »Coca-Cola« oder »Coke« sagt. Zu dieser Zeit, 2010, hielt die Gates Foundation mehrere Millionen Aktien bei dem Getränkekonzern. Vier Jahre zuvor hatte Bill Gates’ Milliardärskumpel Buffet, der auch Treuhänder der Gates-Foundation ist, der Stiftung zehn Millionen Aktien von Berkshire Hathaway im Wert von 31 Milliarden Dollar überlassen.479 Die US-amerikanische Holding, in deren Aufsichtsrat wiederum Bill Gates sitzt, ist mit 182 Milliarden Dollar Umsatz eines der 20 größten Unternehmen der USA. Berkshire Hathaway hat Großinvestor Buffet, der die Firma aufgebaut hat und leitet, mit einem Privatvermögen von knapp 72 Milliarden Dollar zum drittreichsten Mann der Welt gemacht.

Berkshire Hathaway hält 400 Millionen Aktien bei Coca-Cola im Wert von knapp 17 Milliarden Dollar. Das sind fast zehn Prozent aller Anteile an dem Getränkekonzern. Zusammen mit den eigenen 21,1 Millionen Aktien von Coca-Cola480 und den Anteilen an Berkshire Hathaway dürfte die für ihr Gesundheitsengagement so viel gelobte Gates Foundation zeitweilig der größte einzelne Anteilseigner des größten Herstellers gezuckerter Getränke der Welt gewesen sein.481 Im Februar 2015 verkaufte die Gates Foundation 109 Millionen Aktien des Fastfood Konzerns McDonald’s (auch diese Anlage ist bemerkenswert für eine Stiftung, die die Weltgesundheit fördern will) für eine Milliarde Dollar und Aktien von Coca-Cola für 914 Millionen Dollar.482 Ob das nun ethische Gründe waren oder nur geschäftliche, dazu äußerte sich die Stiftung nicht. Sie hält ohnehin über ihre Berkshire-Hathaway-Aktien weiter Anteile am Getränkekonzern.

4. Helfen mit Blutgeld

Die enge Verzahnung zwischen der Industrie und der Gates Foundation ist nicht zufällig, sondern Programm. Die neue Vorstandsvorsitzende Sue Desmond-Hellman ist gleichzeitig Vorstandsmitglied von Procter&Gamble.483 Vor ihrem Beitritt zur Stiftung unterstützte sie als Präsidentin der Universität von Kalifornien Forschungspartnerschaften mit Pharmakonzernen wie Pfizer und Bayer.484 Trevor Mundel, der Präsident des Programms für Globale Gesundheit, war zuvor Leiter der Entwicklung bei Novartis. Der stellvertretende Direktor des Gesundheitsprogramms, Ken Duncan, arbeitete beim Pharmariesen Glaxo Smith Kline. Mit jenem Pharmakonzern arbeitet die Stiftung in einer Partnerschaft für die Entwicklung von Impfstoffen zusammen.485 Das britische Unternehmen ist höchst umstritten: Es stand mehrfach vor Gericht, weil es verfälschte Medikamente in Umlauf gebracht, mehrere Arzneien illegal vermarktet, Ärzte bestochen, Nebenwirkungen verschwiegen und durch Preismanipulation Sozialkassen betrogen hatte. Weiters musste sich Glaxo Smith Kline wegen illegaler Menschenversuche vor Gericht verantworten: 2012 starben in Argentinien 14 Babys bei Testimpfungen, von denen die Eltern nichts gewusst haben sollen.486

Der Mediziner David McCoy fordert, dass besser erforscht werden müsse, wie viel privates und öffentliches Geld in die Entwicklung von Medikamenten und Impfungen fließe, die gewinnbringend auf einem wettbewerbsverzerrten Markt verkauft würden. »Es gibt viel Marktversagen im Pharmasektor. Die Folge sind überhöhte Preise, exorbitante Profite, ineffiziente Forschung und Entwicklung und zu viele Interessenskonflikte. Der Kern ist das globale System zum Schutz geistiger Eigentumsrechte. Interessanterweise war Bill Gates Teil der Unternehmerbewegung, die dieses System geschaffen hat, als er noch bei Microsoft war.«

Bill Gates hat sich intensiv für das Handelsabkommen TRIPS eingesetzt, das die Patentinteressen großer Konzerne schützt. Es verhindert aber auch, dass überlebenswichtige Medikamente in armen Ländern kopiert und günstig hergestellt werden können. Die Pharmakonzerne, in die die Gates Foundation investiert, um das Budget der Stiftung zu erhöhen und mehr für Gesundheit ausgeben zu können, haben ebenfalls für das Handelsabkommen gekämpft, das ihre Profite auf Kosten der Menschen schützt, die sich teure Medikament nicht leisten können. Und das ist nicht der einzige Widerspruch zwischen den hehren Ansprüchen der Stiftung und ihrem Handeln.

In Nigeria förderte die Gates Foundation 2007 ein Impfprogramm, das die Kinder dort gegen Polio und Masern immunisierte. Zum Beispiel in Ebocha im Niger-Delta. Den Kindern dort geht es wirklich miserabel: Sie leiden an schweren Atemwegserkrankungen, an Asthma und Augenkrankheiten. Tagtäglich atmen sie hochgiftige Rußschwaden ein, weil die Ölfirmen dort das Gas einfach abfackeln. Konzerne wie BP, Chevron, Eni, Exxon und Shell, denen außerdem vorgeworfen wird, das gesamte Niger-Delta mit durchlöcherten Ölpipelines ruiniert und Krankheit, Armut und Tod gebracht zu haben. Doch genau diese Konzerne gehörten jahrelang zum Anlagenportfolio der Bill&Melinda Gates Foundation. 2007 investierte die Stiftung 218 Millionen Dollar in Impfungen weltweit sowie in Forschung gegen Masern und Polio. Aber fast doppelt so viel, nämlich 423 Millionen Dollar, hat die Gates-Stiftung im selben Jahr in Aktien der Ölgiganten BP, Chevron, Eni, Exxon und Shell investiert. Das fanden Journalisten der Los Angeles Times heraus, die 2007 die Aktien der Stiftung analysiert und in Nigeria und Südafrika die Auswirkungen der Firmen auf die Menschen dort untersucht hatten.487 Demnach investierte die Stiftung einen großen Teil ihres Vermögens in so rücksichtslose wie hochprofitable Konzerne, deren Kerngeschäft massiv gegen Arbeits-, Kinder- und Menschenrechte sowie gegen Umweltstandards verstößt. Beinahe die Hälfte, 41 Prozent der Anlagen, widersprachen fundamental der Philosophie und dem Ziel der wohltätigen Stiftung, die dafür sorgen will, dass jeder Mensch auf der Welt »ein gesundes und produktives Leben führen« kann. 2005 hatte die Gates Foundation insgesamt 1,4 Milliarden Dollar in 69 der 100 größten Umweltverschmutzer der USA investiert, die die Universität Massachusetts in der Liste der Toxic 100-Liste führt.

Nicht nur die Abgase machen die Menschen in Nigeria krank und anfällig für jene Infektionskrankheiten, die die Stiftung so medienwirksam bekämpft. Das Wasser, das sich in den Bohrlöchern sammelt, zieht Mücken an, die Malaria verbreiten. Rund um das schmutzige Ölgeschäft hat sich die Prostitution etabliert, die für einen Anstieg der HIV-Infektionen sorgt – beides Krankheiten, deren Bekämpfung sich die Stiftung auf die Fahnen schreibt.

Die Times-Reporter hatten in Nigeria auch Felix getroffen, der HIV-infiziert ist. Er hatte eine Therapie mit dem Aids-Medikament Kaletra begonnen. Doch die Gel-Tabletten müssen gekühlt werden. Ein Problem in Afrika. Felix musste mehrmals am Tag Eis dafür kaufen. Er war damit so sehr beschäftigt, dass er nicht einmal mehr Gelegenheitsjobs annehmen konnte, auf die er aber angewiesen gewesen wäre, um seine karge Soldatenpension aufzubessern. Felix hoffte auf die neue Version des Medikaments, die nicht gekühlt werden muss. Doch das Krankenhaus, das Felix behandelte, konnte die neue und teurere Variante von Kaletra nicht anbieten. Hätte sich Felix das Medikament privat gekauft, hätte er 246 Dollar im Monat dafür zahlen müssen – mehr als doppelt so viel, wie er im Monat als Pension bekommt. Dabei erhielt Felix’ Krankenhaus für sein Aids-Programm Unterstützung aus dem Global Fund. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Gates Foundation den Global Fund bereits mit 651 Millionen Dollar gefördert. Doch ob die Stiftung Felix heute auf ihre Liste »geretteter Leben« schreiben kann, ist unbekannt.

169 Millionen hatte die Stiftung in Aktien des Pharmariesen Abbott angelegt, der das teure Aids-Medikament Kaletra herstellt. 2005 hatte die Stiftung laut Times rund 1,5 Milliarden Dollar in Pharmakonzerne investiert, die schwer umstritten sind, weil sie verhinderten, dass Menschen in armen Ländern Zugang zu wichtigen Medikamenten bekamen. Der Wert dieser Aktien war damals um 54 Prozent gegenüber 2002 gestiegen. Das bedeutet aber nichts anderes, als dass die Gates Foundation hunderte Millionen Dollar mit Investments in Konzerne gemacht hat, deren Kerngeschäft Leid, Armut, Krankheit und Tod zur Folge hat.488

Bis 2014 hatte die Stiftung außerdem Aktien im Wert von 110 Millionen Pfund (damals 166 Millionen Dollar) bei der britischen Firma G4S gekauft, einem der größten Sicherheitsunternehmen der Welt. G4S hat Verträge mit israelischen Gefängnissen im Westjordanland, in denen angeblich Palästinenser gefoltert werden. Außerdem wurden der Firma schwere Misshandlungen von Häftlingen in einem von ihr personell geführten Gefängnis in Südafrika nachgewiesen.489 G4S-Sicherheitsleute waren es auch, denen vorgeworfen wurde, den Angolaner Jimmy Mubenga bei seiner Abschiebung aus Großbritannien so gewaltsam niedergedrückt zu haben, dass er erstickte.490

Mit solchem Blutgeld will die Gates-Foundation also »Leben retten«. Damit legitimiert die Stiftung das rücksichtslose Wirtschaften dieser Firmen nicht nur, sie fördert es sogar. Auf die Fragen, die die los Angeles bezüglich der Investments an die Gates Foundation schickte, gab diese keine Antwort.

5. Gates’ Frankenstein-Club zur Klimarettung

Jedes Jahr veröffentlicht die Gates Foundation ihren »Annual Letter«, in dem sie der Welt ihre Probleme erklärt und die neuen Ziele und »Lösungen« der Stiftung verkündet. Hauruck-Reden, die an Pathos nicht sparen und vor Hybris nur so triefen – eine Mischung aus Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin und dem päpstlichen Urbi et Orbi. In ihrem Brief an die Welt 2015 hatte schließlich auch die Gates-Foundation den Klimawandel zur großen Gefahr für die Menschheit erkoren: »Die Langzeitbedrohung ist so ernsthaft, dass die Welt sehr viel aggressiver vorgehen muss – heute und jetzt – um Energiequellen zu entwickeln, die günstiger sind, schnell geliefert werden können und keine Kohlendioxide ausstoßen.«491

Diese Ankündigung und das Klima-Engagement der Stiftung, so fand der Guardian, passe so gar nicht zu deren Öl- und Kohle-Investments. Der Chefredakteur des Guardian, Alan Rusbridger, hat den Klimawandel zum täglichen Titelthema seiner Zeitung gemacht.492 Als Teil dieser Reihe hatte die britische Tageszeitung im März 2015 abermals die Anlagenpolitik der Stiftung untersucht und enthüllte, dass diese laut deren Steuerbericht von 2013 immer noch 1,4 Milliarden Dollar in Öl-, Kohle-, Chemie- und Bergbau-Giganten wie Anglo American, BASF, BHP Billiton, BP, Chevron Exxon, Glencore Xstrata ConocoPhillips, Petrobas, Rio Tinto, Shell und Vale investiert hat.493

Zeitgleich zur Enthüllung der zweifelhaften fossilen Anlagenpolitik lancierte der Guardian eine Petition an die Gates-Foundation, sich binnen fünf Jahren von den Investments in fossile Brennstoffe zu trennen. 95 000 Leute hatten den Aufruf unterzeichnet. Mittlerweile gibt es in Europa, Kanada und USA die Fossil Free-Bewegung, die Universitäten, öffentliche Verwaltung, Kommunen, Kirchen und auch Stiftungen dazu bringen will, solche klimaschädlichen Anlagen aufzugeben.494 Der Guardian unterstützt die Divestment-Kampagne, zu der auch der Aufruf an die Gates-Foundation gehört. Ein Sprecher von Bill Gates’ privatem Büro kommentierte diesen gewohnt von oben herab: »Wir respektieren die Leidenschaft derer, die ein Handeln gegen den Klimawandel fordern, und erkennen an, dass es viele Ansichten gibt, wie dies am besten geschehen kann.« Anders gesagt: Es zählt auch hier nur, was Bill Gates für richtig hält. Das Volk dagegen: hält mal besser die Klappe. »Bill wendet persönlich Zeit für diese Arbeit auf (nicht durch unsere Stiftung) und wird auch weiterhin darüber sprechen.«495

Und Gott spricht: Wir brauchen nicht so »unwirtschaftliche« und »niedliche« Dinge wie Solarzellen oder Windräder.496 Wir brauchen ein »Energiewunder«.497

Schließlich gibt es auch für Gates nichts daran zu rütteln: »Die Welt wird in den kommenden Jahrzehnten viel mehr Energie verbrauchen – es wird nach Schätzung der US-Regierung zwischen 2010 und 2040 einen Anstieg von 50 Prozent oder mehr geben.«498 Also favorisiert »Think Big« Bill die Atomkraft, die massenhaft angeblich »saubere« und »klimafreundliche« Energie bereitstellen kann. »Kraftwerke auf Kohlenwasserstoff- oder Nuklearbasis sind viel einfacher zu handhaben. Aber erneuerbare Energien? Viel Glück damit!« wünscht Gates.499 Vielen Dank, Bill, es geht schon: Bereits heute beträgt der Anteil an erneuerbaren Energien zur Stromversorgung weltweit 20 Prozent, während Nuklearenergie maximal zehn Prozent beisteuert.

Gates’ Argument ist identisch mit dem der deutschen Stromriesen, die kurz vor dem Atomausstieg verzweifelt versuchten, diesen unter dem Vorwand des »Klimaschutzes« zu verhindern. Sie ignorieren bis heute die Risiken dieser Technologie und das Problem der Endlagerung, das mehr als 60 Jahre, nachdem das erste Kraftwerk in der Sowjetunion in Betrieb ging, immer noch nicht gelöst ist.

Jenseits der Tatsache, dass der Betrieb von Atomkraftwerken und der Uranabbau alles andere als klimafreundlich sind – klassische Atomkraftwerke stoßen mehr CO2 aus als Solar- und Windenergie –, schreiben sie das energieintensive Wirtschafts- und Wachstumsmodell fest, das den Klimawandel weiter vorantreibt. Daran ändern auch »Innovationen« wie der Laufwellen-Reaktor nichts, in den Gates persönlich investiert. Ein solcher soll nicht mit angereichertem, sondern mit Roh-Uran und abgebrannten Brennelementen laufen. Gates ist Mitbegründer, Hauptanteilseigner und Vorstandsvorsitzender des Washingtoner Startups Terra Power von Nathan Myhrvold, das diesen Laufwellenreaktor zur Marktreife bringen will.500 Ob das Verfahren tatsächlich funktioniert und sicher genannt werden kann, ist unklar. Von dem Atommüll, der – wenn auch in geringerem Maße als bisher – anfallen würde, einmal ganz zu schweigen.

Für Bill Gates ist Nathan Myhrvold kein Unbekannter: Myhrvold war Technologiechef bei Microsoft. 1999 nahm er sich dort ein Jahr frei, um Dinosaurierknochen auszubuddeln, und kehrte nicht mehr in die Firma zurück.501 Stattdessen schrieb er sechs Kochbücher für die Molekularküche und gründete mit dem Microsoft-Kollegen Edward Jung die Firma Intellectual Ventures, die sich auf kuriose Hightech-Produkte spezialisierte. Aus dieser Art Think Tank ist auch Terra Power entstanden.

2009 sorgten Myhrvold und sein Team für Aufmerksamkeit, als sie ihre Erfindung »Star Shield« vorstellten: einen 30 Kilometer langen Schlauch, der von Heliumballons am Himmel gehalten werden und Schwefeldioxid in die Stratosphäre sprühen soll, um die Sonnenstrahlung abzuschwächen und so die Erderwärmung zu neutralisieren. Diese und andere wahnwitzige Erfindungen zur Ad-Hoc-Erdkühlung nennt sich Geoengineering: Schiffe oder Unterwasserturbinen, die Salzwasser in die Luft sprühen, damit sich künstliche Wolken bilden, die die Sonnenstrahlen zurück ins All reflektieren. Die Düngung der Meere mit Eisensulfat, das Plankton und Algen dazu bringen soll, mehr CO2 zu speichern. Riesige Kohlenstoffstaubsauger, die der Atmosphäre CO2 entziehen. Konstruktionen, die Wirbelstürme verhindern, indem sie warmes Oberflächenwasser der Ozeane nach unten drücken (für eine solches Modell hat Myhrvolds Firma bereits ein Patent, und auch darin soll Bill Gates investiert haben). Und die Idee, Schwefeldioxid in die Stratosphäre auszubringen, um die Sonne zu verdunkeln. Dieser Effekt stellte sich ein, als 1991 der Vulkan Pinatubo auf den Philippinen ausbrach und 17 Millionen Tonnen Schwefelgase in die Stratosphäre schleuderte. Danach sank die Temperatur der Erde um ein halbes Grad.

Naomi Klein hat solchen Geo-Ingenieuren in ihrem Buch Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima ein großes Kapitel gewidmet. Sie hat die »Geo-Clique« bei einer Konferenz mit dem sinnfälligen Namen »Geo-Engineering: Eine Horrorvorstellung, deren Zeit gekommen ist?« begleitet. Kleins Beobachtungen lassen einem das Blut in den Adern gefrieren. Nicht nur die irrsinnigen Ideen der grünen Daniel Düsentriebe selbst – geforscht wird ja an allerhand verrücktem Zeug –, sondern auch der Geschwindigkeit, mit der diese als »letzte Möglichkeit« zunehmend Akzeptanz finden. Klein beobachtete, dass die »Möchtegern-Klimaklempner« nach dem als gescheitert geltenden Klimagipfel in Kopenhagen 2009 reihenweise »aus ihren Laboren kamen und die absonderlichsten Ideen als einzig realistische Optionen darstellten, die es noch gebe – vor allem angesichts einer Weltwirtschaftskrise, die eine kostspielige Erneuerung der Energieversorgung als politisch unhaltbar erscheinen ließ.«502

Geo-Engineering ist seit vielen Jahren umstritten. Denn die Folgen solcher Eingriffe in Klima, Wetter und Atmosphäre sind unabseh- und vermutlich unumkehrbar, ja, möglicherweise schlimmer als der Klimawandel selbst. Trotzdem mehren sich Wissenschaftler, die Geo-Engineering als »unsere einzige Hoffnung« propagieren. Zu ihnen gehört David Keith, Physikprofessor an der Universität Calgary, der den »Kohlenstoffstaubsauger« erfunden hat. Die Tagung, die Klein in Chicheley Hall, einem Herrenhaus im britischen Buckinghamshire, besuchte, wurde auch von Bill Gates mitfinanziert – über einen Fonds, der von David Keith und dem Klimawissenschaftler Ken Caldeira vom Carnegie Institute for Science verwaltet wird. Caldeira erforscht an Computermodellen die Auswirkung der Sonnenverdunklung. Caldeira, Keith und Phil Rash aus Washington, der kurz davor steht, erste Freilandversuche zur Wolkenaufhellung durchzuführen, soll Gates mindestens 4,6 Millionen Dollar für Klimaforschung gespendet haben. Das Geld sei vor allem in Geo-Engineering geflossen – eine Technologie, die ganz im Sinne von Gates und seinem Machbarkeitswahn ist. Gates gilt als »Sugar-Daddy« der »Geo-Clique«: Er fördert Keiths Projekt zur Kohlenstoffabscheidung direkt, außerdem steht Gates’ Name in mehreren Geo-Engineering-Patenten von Myhrvolds Firma Intellectual Venus.503

»In meiner Zeit unter den Möchtegern-Geo-Ingenieuren hat es mich tatsächlich immer wieder erstaunt, dass die mühsam erlernte Lektion der Demut vor der Natur, die so viel Einfluss auf die moderne Wissenschaft, insbesondere die Chaos- und Komplextheorie, hatte, zu diesem Kreis anscheinend überhaupt nicht durchgedrungen ist«, schreibt Klein. Im Gegenteil: »In der Geo-Clique tummeln sich überoptimistische Männer, die sich gegenseitig mit Komplimenten zu ihrer beängstigenden Intelligenz zuschütten.«504

Bill Gates bezeichnet sich selbst als »ungeduldigen Optimisten« (so ungeduldig übrigens, dass er schon mal Bürogerät nach seinen Mitarbeitern werfen soll, wie man von Insidern hört), und entsprechend heißt auch sein Blog »Impatient Optimists«.

Nun, Milliardäre haben ja generell mehr Grund zum Optimismus als die meisten Menschen auf der Welt. Und so stellt sich insbesondere bei den Hurra-Botschaften der Geoingenieure, die Erde schnell abkühlen zu können, die Frage: Wer genau hätte da eigentlich Grund zum Jubeln? Tatsächlich könnten Schwefelinjektionen in die Stratosphäre, die auf der Nordhalbkugel getätigt werden, um die Sonne zu dimmen, den Monsun in Afrika und Asien beeinflussen. Das hätte womöglich Dürren, Ernteausfälle, Hungersnöte und den Verlust von Süßwasserressourcen zur Folge. An der Biosphäre herumzufummeln, könnte blitzschnell Millionen Menschen umbringen. Gerade erscheint Studie um Studie, die solche verheerenden Folgen prognostiziert.505 Auch David Keith gibt zu Protokoll, derlei Technik sei theoretisch sogar geeignet, »das Leben auf dem Planeten Erde auszulöschen«.506

»Wenn Schwefelinjektionen in die Stratosphäre großflächige Dürren in Nordamerika und Deutschland zu Folge hätten und nicht für die Sahelzone und Indien, wer würde da noch diesen Plan B so ernsthaft erwägen?«, fragt Naomi Klein.507 Würde diese Technik in den Ländern des Südens eingesetzt, dort, wo die Menschen an den Folgen des Klimawandels leiden, zu dem sie am wenigsten beigetragen haben, könnte das die Gefahr für Hurrikane in den reichen Ländern des Nordens erhöhen. Für wen und wofür also werden diese Techniken ausbaldowert?

Bill Gates sagt, Geo-Engineering sei eine »Versicherungspolice, etwas, das man in der Hinterhand haben sollte für den Fall, dass sich die Dinge schneller entwickeln«. Es soll beruhigend klingen, eine schnelle technische und effiziente Lösung in petto zu haben, die, wie ihre Fürsprecher behaupten, auch noch günstiger sein soll als der Umbau des Energiesektors (Schäden selbstverständlich nicht eingerechnet).508 So beruhigend und einfach, dass man sich um die CO2-Einsparung gar nicht so viele Gedanken mehr machen muss. Es ist kein Zufall, dass zu den Propagandisten und Investoren des Geo-Engineering nicht nur Milliardäre wie Gates gehören, sondern ebenfalls Öl- und Energiekonzerne wie BP, Chevron, Conoco, Dupont, Exxon, General Electrics und Shell sowie der Autohersteller General Motors. Nathan Myhrvold machte sogar einmal den vollkommen haarsträubenden Vorschlag, man könne die Schwefelberge, die bei der Gewinnung von Öl aus Teersand in Kanada entstünden, zur Sonnenverdunklung verwenden.

Der Abbau von Ölsand ist eine der giftigsten, klimaschädlichsten und schmutzigsten neuen Technologien. Nicht nur, dass wertvolle Wälder in Kanada abgeholzt werden, um an die Ölsandschicht im Boden zu gelangen: Um ein Barrel Rohöl (159 Liter) zu erzeugen, wird so viel Wasser verbraucht, wie nötig ist für die Versorgung einer Großstadt. Ein Drittel der Energie, die das Öl liefert, wird bereits bei der Gewinnung verbraucht. Auf ein Barrel Öl entfallen etwa 650 Liter toxische Brühe. Täglich werden etwa 500 Millionen Liter dieser Giftsoße aus Cadmium, Arsen, Quecksilber und krebserregenden Kohlenwasserstoffen in künstlich angelegte, nicht gesicherte Abwasserseen geleitet. Laut einem EU-Bericht werden durch Teersand ein Viertel mehr Treibhausgasemissionen im Vergleich zu konventionellem Öl produziert.509 Myhrvolds Vorstellung, diese Technologie würde mit Geo-Engineering die Klimaprobleme, die sie verursacht, gleich selbst lösen, ist nichts weniger als die Idee eines Perpetuum Mobile mörderischen Wahnsinns. »Für die Fossilkonzerne und ihre Fürsprecher ist jedoch alles besser als eine Regulierung von Exxon, und sei es die Regulierung der Sonne«, schreibt Klein. Und so ist es dann auch nicht überraschend, dass Murray Edwards, dem die Firma Canadian Natural Ressources zum Abbau von Teersand gehört, neben Gates ein Investor in David Keiths Startup Carbon Engineering ist, das den CO2-Staubsauger entwickelt.510

Bill Gates hat sich lange Zeit öffentlich kaum zum Klimawandel geäußert. Eigentlich erstaunlich für den selbst ernannten Anführer der Weltrettung. Erst nach dem gescheiterten Klimagipfel in Kopenhagen wurde seine Stimme lauter – quasi zeitgleich mit den Stimmen der »Klimaklempner«. Andersherum aber haben die Konzerne, in die die Gates-Foundation investiert hat – zum Beispiel BASF, BP, Chevron, Conoco Philipps und vor allem Exxon – viele Jahre »klimaskeptische« Tea-Party-Politiker in den USA mit Millionenspenden unterstützt, desgleichen Lobby-Gruppen und industriedominierte konservative Think Tanks, die den Klimawandel leugnen und Umweltauflagen verhindern wollen. Auch Microsoft-Geld floss an Organisationen, die den Klimawandel leugnen – zum Beispiel 2011 an das Heartland Institute.511 Auch das antidemokratische American Legislative Exchange Council (ALEC), das nicht nur klimaskeptische Argumente verbreitet, sondern Gesetzesvorlagen zur Zerschlagung von Gewerkschaften, Privatisierung von Bildung und Deregulierung der Industrie erarbeitet und Politikern zur Absegnung vorlegt, erhielt Spenden von der Bill&Melinda Gates Foundation.512 Auch das American Enterprise Institute (AEI), eine Denkfabrik, die sich für einen »schlanken Staat« und die Deregulierung von Unternehmen einsetzt, stand auf der Payrole der Gates-Foundation. Die Stiftung hat der Organisation bis 2014 insgesamt 5,5 Millionen für Bildungsprogramme gespendet.513 Jahrelang gehörte das Institut, das auch von Exxon und anderen Ölkonzernen Millionenspenden erhielt, zu den Klimaleugnern. Im Februar 2007 war bekannt geworden, dass das AEI verschiedenen Wissenschaftlern und Ökonomen jeweils 10 000 Euro angeboten hatten, damit diese den Bericht des Weltklimarats der Vereinten Nationen (IPCC) in Artikeln auseinandernehmen. Der IPCC-Bericht hatte 2007 erstmals bestätigt, dass der Klimawandel menschengemacht ist.514 Kurz darauf, 2008, richtete das American Enterprise Institute das Geo-Engineering Project ein, das Konferenzen veranstaltete, Berichte schrieb und Experten zu Anhörungen vor dem Kongress schickte. Die Botschaft: Geo-Engineering sei die letzte und beste Chance, sollte der Klimawandel wirklich zur Bedrohung werden.515

Man kann sagen, dass an die Stelle der Klimawandel-Leugner, denen selbst in den USA heute keiner mehr glaubt, die Klimaklempner getreten sind. Und die sind nicht weniger bedrohlich.

Es wären lebensbedrohende, quasi-militärische »letzte Mittel«, die sie zum Einsatz brächten und die massive Kollateralschäden rechtfertigen könnten. Nicht ohne Grund gibt es eine UN-Konvention, die den Einsatz wetterverändernder Technik als Waffe untersagt – weswegen Geo-Ingenieure auf der »friedlichen Nutzung« beharren (eine erstaunliche und sicher nicht zufällige Parallele zur Atomenergie). Eigentlich gibt es gar keinen Widerspruch zwischen Gates’ Klimaengagement und dem zweifelhaften Investment seiner Stiftung in Öl-, Energie- und Bergbaukonzerne. Beides zusammen sichert das kapitalistische System und Wirtschaftsmodell ab, das der Elite Macht und Reichtum sichert, so lange, bis alles zusammenkracht. Und selbst dann würde Gates noch Vermögen generieren können – denn dann sind seine Patente an Geo-Engineering bares Geld wert.

Die relevanten Behörden und Organisationen haben sich von Gates & Konsorten bislang allerdings nicht überzeugen lassen. 2013 hatte der Weltklimarat der Vereinten Nation erstmals das Thema Geo-Engineering in seinen Sachstandsbericht aufgenommen. Das IPCC sprach sich jedoch nicht pro Geo-Engineering aus, sondern verwies darauf, dass die Unsicherheiten zu groß seien und erheblicher Forschungsbedarf bestehe.516 Auch die deutsche Bundesregierung hat sich 2011 in einem knapp 200-seitigen Bericht mit dem Thema befasst und kommt zum selben Schluss.517

6. Mit Gates und Genen

Noch nie in der Geschichte hatte eine einzige sogenannte Wohltätigkeitsorganisation so viel globale Macht wie die Bill&Melinda Gates Foundation. Wie ein Krebsgeschwür wächst sie in alle gesellschaftlich relevanten Bereiche hinein und beansprucht zunehmend Deutungshoheit und Kontrolle über Gesundheit, Bildung, Klima, Landwirtschaft und Welternährung. 2014 hat die Organisation GRAIN (Genetic Resources Action International), die sich für Kleinbauern und gegen gentechnisch verändertes Saatgut und Landraub einsetzt, die Förderprogramme der Stiftung für Ernährung und Landwirtschaft untersucht. Seit die Gates-Foundation begonnen hat, sich für Armut, Hunger und Welternährung zu interessieren, sind drei Milliarden Dollar in landwirtschaftliche Projekte geflossen.518 Die Hälfte des Geldes sei an fünf große Organisationen gegangen: die Beratungsgruppe für internationale Agrarforschung (CGIAR), die ihrerseits 15 internationale Forschungseinrichtungen unterstützt, die von der Stiftung gegründete Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA), die Afrikanische Agrartechnologiestiftung (AATF) sowie Weltbank und Vereinte Nationen. 79 Prozent der Spenden erhielten Organisationen in den USA und Europa, während nur zwölf Prozent an afrikanische Empfänger gingen. Drei Viertel des Geldes an NGOs, die in Afrika arbeiten, flossen in die USA – nur vier Prozent der Empfänger sind afrikanische Organisationen. Darunter ist kein einziges Projekt, das sich an den Bedürfnissen der Bauern selbst orientiert – obwohl die Stiftung behauptet, »den Bauern zuhören« zu wollen.519

Der größte Einzelempfänger der Stiftung ist die von der Weltbank mitgegründete und -finanzierte CGIAR, deren Forschungszentren für die Umsetzung der umstrittenen Grünen Revolution in den Sechziger- und Siebzigerjahren verantwortlich waren. Sie hat seit 2003 mehr als 720 Millionen Dollar von der Gates Foundation erhalten. Weitere 678 Millionen Dollar gingen an Universitäten und Forschungseinrichtungen weltweit, drei Viertel davon abermals nach USA und Europa.520 Die Agenda der Gates-Foundation ist deutlich: die Förderung von Biotechnolgie, also die Entwicklung von lizenziertem Hochleistungs- und patentiertem gentechnisch verändertem Saatgut. Die CGIAR konzentriert sich ebenfalls darauf. Sie und ihre Forschungsinstitute haben gemeinsame Projekte mit den Saatgut-Riesen Pioneer Hi-Bred, Syngenta und Monsanto.521 CGIAR wird außerdem von vielen westlichen Regierungen finanziell unterstützt. Deutschland ist seit 1971 Mitglied.522

Auch die Cornell Universität in New York, eine sprichwörtliche Keimzelle der biotechnologischen Forschung und Entwicklung, insbesondere von gentechnisch verändertem Saatgut, steht auf dem Spendenzettel der Gates Foundation. 109 Millionen US-Dollar hat Gates der US-amerikanischen Universität bereits gespendet. Mehr als ein Viertel davon etwa für die Erforschung von gentechnisch verändertem Weizen.

»Durch die Wahl der Investitionen verwandelt die Gates-Stiftung ihren Glauben in die Wirklichkeit«, schreibt Raj Patel in seinem Essay »Das Ende von Afrikas Hunger«.523 Es ist ähnlich wie beim Geo-Engineering: Je mehr Gates-Geld ins Pflanzen-Engineering fließt, in Forschung, Entwicklung, Öffentlichkeitsarbeit sowie in die »Beratung« der Politik hin zu industriekompatiblen Gentechnikgesetzen, desto mehr erscheinen auch genmanipulierte Zauberpflanzen als einzige »Lösung«. Bereits 2008 sei ein Drittel des Geldes, das die Stiftung für landwirtschaftliche Technologie und Wissenschaft bewilligte, in die Entwicklung und Förderung der Saatgut-Biotechnologie geflossen. Dabei taucht immer wieder ein Name auf: Monsanto.524

Monsanto – von seinen ungezählten Gegnern weltweit auch als »Monsatan« bezeichnet – ist wohl der umstrittenste Konzern der Welt. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, bei all den Verheerungen und Skandalen, die dieses Unternehmen mit Sitz in St. Louis in seiner mehr als hundertjährigen Geschichte verursacht hat – ganze Bücher und Filme gibt es darüber, zum Beispiel Mari-Monique Robins preisgekrönte Dokumentation Mit Gift und Genen. Bevor Monsanto zum Monopolisten für gentechnisch verändertes Saatgut aufstieg, war das Unternehmen ein Chemiekonzern. Es lieferte neben Dow Chemical und fünf weiteren Unternehmen während des Vietnamkriegs das Entlaubungsmittel Agent Orange. Das US-amerikanische Militär versprühte das Herbizid, das die giftigste Dioxin-Variante enthält, mit Flugzeugen über dem südvietnamesischen Dschungel, um dem Vietcong die Deckung zu nehmen, und auf Felder, um die Ernte zu zerstören. Hunderttausende Menschen wurden vergiftet, darunter auch US-Soldaten. Bis heute sind Regionen in Südvietnam belastet, noch immer erleiden Frauen Fehlgeburten und bekommen Kinder mit schweren Missbildungen. Über Jahrzehnte hat Monsanto außerdem das hochgiftige PCB produziert, das als feuerfestes Schmier- und Kühlmittel eingesetzt und 2001 weltweit verboten wurde. Die Produktionsstätte des Konzerns in Anniston (Alabama) leiteten 40 Jahre lang kontaminierte Abfälle in den Fluss Snow Creak. Das führte nicht nur zu immensen Umweltschäden: In der Umgebung der Fabrik in Alabama häuften sich Krebs und Nervenkrankheiten.525 Monsanto hat außerdem das weltweit am meisten verwendete Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat entwickelt, das das Unternehmen unter dem Namen Roundup vertreibt. Mehrmals wurde die Firma, der vorgeworfen wird, die Gefahren ihrer Produkte zu verharmlosen oder Behörden gefälschte Studien vorzulegen, verurteilt. Etwa dafür, dass sie Roundup als »biologisch abbaubar« oder »umweltfreundlich« beworben hatte.526 Dabei hat die Weltgesundheitsorganisation das giftige Pflanzenschutzmittel im April 2015 als krebserregend eingestuft.527

Heute kontrolliert Monsanto ein Viertel des globalen Saatgutmarktes – unter anderem deswegen, weil der Konzern zahlreiche Saatgutfirmen aufkaufte. Zum Vergleich: Vor 40 Jahren gab es mehr als 7 000 Saatgutfirmen weltweit, die jeweils höchstens ein halbes Prozent Anteil am Weltmarkt hatten.528 Heute kontrollieren drei Konzerne, Monsanto, DuPont und Syngenta, die Hälfte des globalen Marktes. Die rasche und massenhafte Ausbreitung seines lizenzierten und gentechnisch veränderten Saatguts erreichte Monsanto durch eine skrupellose Geschäftspolitik, die sogar die von Microsoft in den Schatten stellt. In Brasilien konnte Monsanto sein Sojasaatgut sogar auf den Markt drücken, obwohl der Anbau dort verboten war. Als diese Entwicklung nicht mehr rückgängig zu machen war, genehmigte die Regierung den Anbau schließlich.529 Kern des profitablen Monsanto-Regimes sind Patente und Knebelverträge: Wer einen Vertrag mit dem Konzern abschließt, muss dessen Saatgut jedes Jahr neu erwerben. An diese Verträge sind die Landwirte jahrelang gebunden. Dieses Saatgut zurückzubehalten und neu auszusäen, ist ihnen verboten, es verstößt gegen das Patentrecht.

In den USA führt der Konzern mit seinen Patenten Krieg gegen seine eigenen Kunden. Er gibt jedes Jahr geschätzte zehn Millionen Dollar dafür aus, den Farmern Detektive auf den Hals zu hetzen und eine riesige Rechtsabteilung zu unterhalten, die mit nichts anderem beschäftigt ist, als Bauern zu verklagen, die Monsantos Patente verletzen. Zusätzlich hat Monsanto eine anonyme Hotline eingerichtet und ermutigt damit Landwirte, ihre Kollegen zu verpfeifen.530 Laut dem Center for Food Safety in Washington schreiten Monsantos Leute in 500 Fällen pro Jahr ein.531 Bauern, die sich gegen Monsantos Drangsal zu Wehr setzen, landen auf einer schwarzen Liste von Menschen, an die Monsanto nicht verkauft.532 Allein die Existenz einer solchen Liste belegt die Monopolmacht des Konzerns, schließlich gibt es in den USA fast kein konventionelles Saatgut für Mais, Raps und Soja mehr. Bislang hat Monsanto mehr als 140 Klagen wegen angeblicher Patentverletzungen bei Saatgut angestrengt. Davon hat es zwar nur neun Gerichtsprozesse gegeben – oft, weil sich die eingeschüchterten, mitunter unschuldigen Bauern aus Angst um ihre Existenz auf einen Vergleich einließen – die neun Prozesse hat Monsanto aber alle gewonnen.533 Die Strafen sind drakonisch und können Bauern in den Ruin stürzen. So verklagte der Konzern 2007 Vernon Hugh Bowman, einen Soja-Bauern aus Indiana. Der hatte in einem kleinen Getreidesilo Sojabohnen für die Aussaat gekauft, die mit verschiedenen Sorten gemixt waren. Ein Teil dieses Saatgutes stammte von Monsanto. Bowman hatte dieses Saatgut weitervermehrt und ausgesät. Dafür musste er Monsanto eine Strafe von 85 000 Dollar bezahlen. Berühmt geworden ist der Fall von Percy Schmeiser, der sich mit Monsanto jahrelang vor Gericht stritt und schließlich unterlag. Nach Schmeisers Angaben hatte das Monsanto-Saatgut, das der Wind auf seine Felder getragen hätte, seine Rapsfelder verunreinigt. Deswegen vermehrte er trotzig das Monsanto-Saatgut und pflanzte es weiter an. Monsanto verklagte den kanadischen Bauern zu einem Schadensersatz von 19 000 Dollar. Das Gericht entschied zwar abermals zugunsten von Monsanto, doch Schmeiser musste keinen Schadensersatz an den Gentechnik-Konzern bezahlen. Schmeiser gilt seither als Held im Kampf gegen Monsanto. Für sein Engagement wurde ihm 2007 der Alternative Nobelpreis verliehen.

Die Gerichtsentscheidungen mögen auch damit zu tun haben, dass es Monsanto gelungen ist, eigene Mitarbeiter in Behörden, Justiz und Verwaltung zu schmuggeln. Laut der Organisation Food First besetzten mindestens 22 ehemalige Monsanto-Mitarbeiter wichtige Positionen in US-Ministerien. Ein ehemaliger Monsanto-Anwalt gehört gar dem Obersten Gerichtshof an: Clarence Thomas. Er hatte in einigen Fälle zugunsten von Monsanto entschieden.534 Ein weiterer Konzern-Anwalt, Michael Taylor, hatte einige Zeit in der Aufsichtsbehörde für Lebensmittelsicherheit in den USA, der Food and Drug Administration, gearbeitet. Der Jurist hatte dabei großen Einfluss auf gesetzliche Regelungen für genetisch veränderte Pflanzen. In Taylors Amtszeit waren Hinweise auf negative Folgen der Gentechnik aus politischen Stellungnahmen entfernt worden. Auch die Zulassungsverfahren von gentechnisch veränderten Pflanzen soll Taylor in seiner Amtszeit verwässert haben: Bis heute gibt es in den USA kein Prüfungsverfahren für gentechnisch veränderte Pflanzen.535

Auf einer Biotechnologie-Konferenz im Jahr 1999 erklärte ein Unternehmensberater der Firma Arthur Anderson, wie sie ihrem Kunden Monsanto dabei halfen, dessen Geschäftsstrategie auszuarbeiten. Sie hatten die Monsanto-Bosse gefragt, wie sie sich die Zukunft in 15 bis 20 Jahren idealerweise vorstellten. Diese hätten eine Welt beschrieben, in der das gesamte kommerzielle Saatgut gentechnisch verändert und patentiert sei.536

»Es gibt bemerkenswerte Synergien zwischen Gates und Monsanto: Beides sind Riesenunternehmen, die Millionen mit Technologien, insbesondere durch die aggressive Verteidigung des geistigen Eigentums, gemacht haben«, schreibt Raj Patel.537 Und es gibt eine enge Verknüpfung zwischen Stiftung und Konzern über die Förderungen Monsanto-affiner Forschungseinrichtungen und Organisationen hinaus: Der ehemalige Vize-Präsident von Monsanto, Robert Horsch, ist seit 2006 bei der Gates Foundation ab stellvertretender Direktor für landwirtschaftliche Entwicklung.538 Mehr als 100 Millionen Dollar hat die Stiftung laut AGRA-Watch an Organisationen gespendet, die in Verbindung mit Monsanto stehen.539 In Kenia würden 70 Prozent der Empfänger, die Fördergeld der Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika bekommen hatten, in Projekten mit Monsanto arbeiten. 2010 stieß AGRA Watch auf eine amerikanische Finanzwebsite, die das Anlagenportfolio der Bill&Melinda Gates Foundation hatte: Dieses enthielt 500 000 Monsanto-Aktien im Wert von 32 Millionen Dollar.540