Und darum ist meine Aufforderung an die Anti-Gen-Lobby, angefangen bei britischen Aristokraten und Promiköchen bis zu den bäuerlichen Lobbygruppen in Indien, diese: Sie haben ein Recht auf Ihre Ansichten. Aber Sie müssten jetzt längst wissen, dass sie nicht durch die Wissenschaft gestützt werden. Wir kommen an einen entscheidenden Punkt, und zum Wohle der Menschheit und des Planeten ist es jetzt Zeit für Sie, beiseite zu treten und dem Rest von uns Platz zu machen, die die Welt nachhaltig ernähren wollen.541
Mark Lynas, »Öko-Modernist«
VIII. DAS MÄRCHEN VON DEN WUNDERPFLANZEN
Gentechnik zur Hungerbekämpfung als trojanisches Pferd der Saatgutkonzerne
1. Bt Brinjal: Labor-Auberginen für Bangladesch
Die Sonne hat das Blei vom Himmel geschmolzen, leichte weiße Wolken ziehen über das Blau. Bis zum Horizont leuchtet das Grün der weiten Wiesen, auf denen Kühe grasen. Manche suchen, wie ihre Hirten, Schatten unter dem Dach der großen, alten Bäume. Im Bach schnaubt ein Wasserbüffel, der sich im trüben Nass Kühlung verschafft. Wir sind im Dorf Baradayd, ein pastorales Idyll im Distrikt Gazipur, nur 60 Kilometer nordöstlich von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka. In dieser Region leben die Menschen vom Gemüse- und Reisanbau.
Zum Beispiel Masud Sarker. Der Bauer trägt den bangladeschischen Männerwickelrock Lungi, der ist braun und hat blaue und grüne Streifen – so wie der Himmel, das Gras und das nackte Stück Erde, auf dem Masud steht. Bis vor kurzem wuchs dort Bt Brinjal, die gentechnisch veränderte Aubergine. Masud Sarker ist einer von 20 Bauern in vier Regionen von Bangladesch, denen das staatliche Agrarforschungsinstitut BARI (Bangladesh Agricultural Research Institute) das umstrittene Gemüse zum Test-Anbau gegeben hatte. In die Aubergine ist ein Insektengift hineingezüchtet, das sie gegen Leucinodes orbonalis, den Auberginenfruchtbohrer schützen soll – eine Mottenart, deren Larven die Auberginenpflanze zerstören. Die Pflanzen mit dem eingebauten Gift, das sich Monsantos indische Tochterfirma Mahyco hat patentieren lassen, soll den Bauern zu Wohlstand verhelfen. Angeblich sorgt das veränderte Saatgut für eine reichere Ernte und hilft ihnen, Geld zu sparen, schließlich sparen sie ja am Pestizid. Das wiederum schone obendrein die Umwelt.
Das sind nun zwei Standardargumente, die glauben machen sollen, dass eine »nachhaltige Entwicklung« in den Ländern des Südens nicht ohne gentechnisch veränderte Pflanzen zu erreichen ist. »Es stimmt, es kamen nicht so viele Schädlinge wie sonst«, sagt Masud und schaut über sein leeres Feld. Jedenfalls nicht in der kurzen Zeit, als die Pflanzen darauf wuchsen. Doch von den 1 100 Setzlingen, die er bekommen hatte, hätten nur 100 überlebt. Die meisten seien schnell eingegangen. 50 000 Taka Verlust habe er gemacht, sagt Masud, das sind umgerechnet etwa 560 Euro, ein ziemlicher Batzen Geld für einen Bauern in Bangladesch. Alleine 40 000 Taka, 450 Euro also, habe er in eine Wasserpumpe investiert, weil die Pflanzen mehr Wasser gebraucht hätten. Jetzt hat er sie alle herausgerissen, rechts und links von dem Versuchsfeld wachsen lokale Auberginenpflanzen heran und tragen große lila Früchte. »Nie wieder werde ich das Zeug verwenden, nur noch die lokalen Sorten«, schimpft er. »Dabei habe ich alle Anleitungen befolgt.« Am Anfang hätten die BARI-Leute gleich zwei Mal die Woche angerufen, um sich nach dem Zustand der Pflanzen zu erkundigen. »Aber jetzt geht keiner mehr ans Telefon«, sagt Masud. Eine Entschädigung hat er nicht erhalten. Doch als klar war, dass der Versuch auf seinem Feld gescheitert ist, sei ein Mitarbeiter des Instituts mit einem Pick-up vorgefahren und habe das große BARI-Schild, welches das Versuchsfeld auswies, abmontiert und mitgenommen.
Masud bringt uns zu Monsur Sarker. Auf seinem Auberginenfeld steht noch das große blaue BARI-Schild mit der gelben Schrift, man kann es von weitem durch die Obst- und Bananenbäume leuchten sehen. Das scheint auch das Einzige zu sein, was von den großen Versprechen übrig geblieben ist. Und eine Menge toter Pflanzen, zu braunen Gerippen vertrocknet, an denen wenige winzige, verschrumpelte Auberginen hängen. Graue Blätter, die aussehen, als zerfielen sie jeden Moment zu Staub. Auf seinem Feld stehen viele solcher Gerippe, je genauer man hinschaut, desto mehr werden es ist so, als könnte man ihnen direkt beim Absterben zusehen.
»Warum sterben die Pflanzen?«, frage ich Monsur Sarker. Er kneift seine dunklen Augen zu wütenden Schlitzen zusammen und wirft sich wirsch ein Tuch um seine schmale Brust. »Die sterben nicht, ich sterbe!« zischt er, »die bringen mich um!« In einem Akt der Verzweiflung hockt er sich auf den Boden und rüttelt an einer raschelnden toten Pflanze. Dann steht er auf, reißt sie mit einem Ruck aus der Erde und wirft sie zu den anderen Leichen. Einen Monat lang habe er das Feld vorbereitet, 40 000 Taka hätte er ausgegeben, zum Beispiel für Bewässerung, 8 000 Taka alleine für den Dünger. »Das ist überhaupt das erste Mal, dass wir künstlichen Dünger benutzen mussten«, schimpft er. Hinter einem Jackfrucht-Baum taucht nun seine Frau auf, Iaki Begum. »Die Autoritäten zerstören unsere Landwirtschaft! Wir haben nichts davon, wir verdienen nichts«, schreit sie. Sie erschrickt, als sie unsere Kameras sieht, verschwindet wieder hinter den Baum und flucht dort weiter. 80 000 Taka würde er verdienen, wenn er lokale Auberginensorten anbauen würde, sagt Monsur, der vier Kinder zu versorgen hat. Die mickrigen Bt Brinjal-Früchte, die er auf dem lokalen Markt verkauft hat, waren jedoch kein Schlager. »Die Leute wollten ihr Geld zurück, weil sie scheußlich geschmeckt haben«, sagt Monsur Sarker.
Wie Masud und Monsur sei es den meisten Bauern ergangen, die die Wunderpflanze ausprobiert hätten, schreibt die bangladeschische Zeitung New Age, deren Reporter mehrere Bauern besucht hatten.542 Nur auf einem von 20 Feldern sei der Versuch erfolgreich verlaufen, auf 13 Feldern seien die Pflanzen zum Teil abgestorben, auf sechs komplett. Das gibt auch das landwirtschaftliche Forschungsinstitut zu.543
»Aber für das Institut ist das ja kein Schaden«, sagt Golam Sorowor. »Wenn es nicht klappt, können sie weiteres Geld für weitere Forschung bekommen.« Er ist von der bangladeschischen Farmarbeitergewerkschaft BAFLF (Bangladesh Agricultural Farm Labour Federation), er und Nasrin Sultana hatten mich zu den Bauern begleitet. Wir fahren jetzt nach Joydepur zum Forschunsginstitut BARI. Dort wurde Bt Brinjal für Bangladesch mitentwickelt und getestet. »Das ist der Masterplan: unser Saatgut zu zerstören, damit die Saatguthersteller hier die Führung übernehmen können«, sagt Sorowor. Um eine industrielle Landwirtschaft einzuführen, die weniger Landarbeiter bräuchte – und noch weniger Kleinbauern.
Auf dem Gelände des Forschungsinstituts treffe ich Abdul HosseinIX. Der Mann heißt anders, aber er will anonym bleiben. Denn er bringt mich zu den Gewächshäusern, in denen auf dem Institutsgelände Bt Brinjal wächst. Die mit Gaze überdachten Beete befinden sich hinter einem hohen Zaun. Daran hängt ein ebensolches blau-gelbes Schild wie auf dem Acker von Monsur Sarker. Darauf ist das Logo der US-amerikanischen Entwicklungsorganisation USAID zu sehen, die die Grüne Revolution vorangetrieben hatte. Direkt daneben: das Logo der Cornell Universität, die den Versuch in Bangladesch begleitet. »Hier kommt sonst niemand rein«, flüstert Abdul, als er das Gatter aufsperrt. Er schaut sich nervös um. Die Pflanzen sehen etwas besser aus als auf Monsur Sarkers Feld, allerdings gibt es auch hier vertrocknete Exemplare und mickrige, schrumpelige und angefressene Auberginen. Abdul sagt, die Ernte sei sehr schlecht gewesen in diesem Jahr. Außerdem wären die Pflanzen von allerlei Schädlingen heimgesucht worden, vier bis fünf verschiedene Pestizide hätten sie ausbringen müssen, »wir haben nur noch gesprüht«. Sollte Monsanto-Mahycos Wunderpflanze nicht genau das verhindern?
IX Name geändert
Das Märchen, das Saatgutkonzerne und Technokraten der Welt über die Grüne Gentechnik erzählen, ist dieses: Gentechnisch veränderte Pflanzen seien die lang ersehnte Wunderwaffe, mit der man die wachsende Weltbevölkerung ernähren könne. Mit ihnen könne man auf den weniger werdenden Flächen höhere Erträge produzieren. Die Pflanzen bräuchten weniger Pestizide, vor allem wenn man die Insektengifte, die gegen Schädlinge wirken, gleich in Baumwolle, Getreide und Gemüse hineinzüchtet. So sei es möglich Pflanzen entwickeln, die sich dem Klimawandel, Dürren und versalzten Böden anpassen und mehr Vitamine oder Mineralstoffe enthalten, an denen hungernde Menschen besonders Mangel leiden.
Doch trotz vollmundiger Versprechen der Saatgutkonzerne und jahrzehntelanger Forschung wurden bisher keine Wunderpflanzen mit derartigen Eigenschaften eingesetzt. Die kommerziell angebauten genmanipulierten Pflanzen weisen nur ganze zwei Eigenschaften auf – und keine davon hat mit Klima-Anpassung, Ertragssteigerung oder einem höheren Nährstoffgehalt zu tun: Sie sind entweder gegen ein bestimmtes Unkrautvernichtungsmittel resistent oder produzieren, wie Bt Brinjal, ein Insektengift, das Schädlinge tötet. Bt ist die Abkürzung für Bacillus thuringiesis, ein Bakterium, das nur im Boden vorkommt. Es wird gentechnisch verändert und den Pflanzen eingebaut, sodass diese selbst Gift produzieren. Hauptsächlich vier genmanipulierte Pflanzen, nämlich Baumwolle, Mais, Raps und Soja, werden auf insgesamt 1,7 Millionen Quadratkilometern kommerziell angebaut, vorwiegend in Argentinien, Brasilien, China, Indien, Kanada und den USA.
Das sind nun beachtliche zehn Prozent der globalen landwirtschaftlichen Fläche.544 Bei den angebauten Pflanzen handelt es sich allerdings nicht um Nahrungsmittel, sondern um Futter- und Energiepflanzen sowie Textilfasern. Diese wachsen ausschließlich in Monokulturen, die besonders anfällig für den massiven Befall von Schädlingen sind. Vor allem dann, wenn ohne Fruchtwechsel Jahr für Jahr dieselbe Pflanze angebaut wird. Bt-Pflanzen, die gegen diese Schädlinge immun sein sollen, sind entwickelt worden, um genau diese nicht nachhaltige Form der Landwirtschaft auszuweiten. Nicht anders verhält es sich mit der zweiten Eigenschaft, der Herbizidresistenz. Die DNA dieser Pflanzen ist so manipuliert worden, dass sie regelrechte Giftduschen überstehen, während alle anderen unerwünschten Pflanzen, gemeinhin als Unkräuter abgewertet, dadurch abgetötet werden.
Die gentechnisch veränderten Pflanzen werden dabei von den Saatgutkonzernen zusammen mit dem dazu passenden Unkrautvernichter verkauft. Dieses Geschäftsmodell hat sich der Saatgutgigant Monsanto mit seinen Roundup-Ready-Pflanzen Ende der Achtzigerjahre ausgedacht, die gegen seinen Top-Seller Glyphosat immun sind. Dabei hatte der Konzern bis dahin kaum in Pflanzenzucht investiert und dementsprechend wenig Erfahrung damit.545 Heute kontrolliert das Unternehmen fast 90 Prozent des Weltmarktes für genmanipulierte Pflanzen und besitzt die meisten Patente auf gentechnisch veränderte Eigenschaften.
Roundup-Ready-Pflanzen ersparen Bauern also in der Theorie eine Menge Zeit und Arbeit(skräfte). Sie können das Gift jederzeit etwa per Flugzeug über ihren riesigen Feldern ausbringen. Das hilft ihnen tatsächlich, ihre Gewinne zu erhöhen. Allerdings nur kurzfristig, denn die Natur ist mit eigenen Entwicklungen nur unwesentlich langsamer als Konzernwissenschaftler: Schon nach wenigen Jahren werden Unkräuter resistent gegen das Gift. Bevor in den USA gentechnisch verändertes Saatgut eingeführt wurde, hatten Unkräuter in Soja-Monokulturen Resistenzen gegen Herbizide entwickelt, sodass die Bauern ihnen mit vier verschiedenen Unkrautvernichtern zu Leibe rücken mussten. Insgesamt gibt es weltweit 432 herbizidresistente Wildpflanzen, 145 davon wachsen in den USA. Roundup-Ready-Soja erschien deshalb als Ausweg aus der Krise – denn damit konnte Glyphosat, das damals gegen alle Unkräuter wirksam war, großflächig ausgebracht werden.
Am besten sind die Folgen der Gentechnik in den USA untersucht. Dort ist die Fläche, auf der Gentechnikpflanzen angebaut werden, seit ihrer Einführung 1995 auf die Größe von Texas herangewachsen. Mehr als die Hälfte des genmanipulierten Mais- und Sojasaatguts weltweit wird in den USA angebaut. Bei Baumwolle, Mais und Soja sind bereits 90 Prozent gentechnisch verändert, der Großteil davon ist immun gegen Glyphosat.546 Allerdings werden ihrerseits immer mehr Unkräuter ebenfalls gegen Glyphosat immun. Laut US-Landwirtschaftsministerium gibt es allein in den USA 14 Glyphosat-resistente Unkrautarten, die in 30 Bundesstaaten auf insgesamt 280 000 Quadratkilometern wachsen – das ist fast die Hälfte der Fläche, auf der dort Gentechnik-Pflanzen angebaut werden. Diese Resistenzen haben sich vor allem zwischen 1996 und 2012 gebildet, nachdem das Roundup-Ready-Saatgut in den USA eingesetzt worden war. Eine solche Entwicklung hatte Monsanto noch im Jahr 2000 gegenüber der US-Regierung angezweifelt: »Obwohl nicht behauptet werden kann, dass es nicht zur Entstehung von Resistenzen gegen Glyphosat kommen wird, ist zu erwarten, dass die Entstehung von Resistenzen nur ein sehr seltenes Ereignis sein wird.«547 Heute gibt es weltweit 29 Wildpflanzen, gegen die Glyphosat nichts mehr auszurichten vermag. In der Landwirtschaft führt die Resistenz gegen Glyphosat dazu, dass sich sogenannte Superunkräuter entwickeln. Sie verbreiten sich rasant, wachsen schnell und teils meterhoch, mindern Erträge, ruinieren Ernten, machen ganze Felder unbrauchbar und verdrängen in der Natur andere Pflanzen. Deswegen sprühen US-Farmer noch höhere Dosen Glyphosat oder zusätzliche, noch giftigere Pestizide. Zum Beispiel Dicamba oder die hochgiftigen Herbizide D-2,4, Glufosinat und Paraquat. Laut der Studie des Washingtoner Agrar-Ökonomen Charles Benbrook ist der Spritzmittelverbrauch in den USA zwischen 1998 und 2011 um 239 Millionen Kilo gestiegen. Der Zeitschrift Science zufolge sind die Kosten dafür bei Sojafarmern in Illinois sogar von 25 auf 160 Dollar pro Hektar gewachsen, bei Baumwollpflanzern im Süden der USA haben sie sich fast versechsfacht: von 50 bis 75 Dollar pro Hektar auf 370 Dollar.548
Für die Agrarindustrie ist genau das die Grundlage für ein sicheres Milliardengeschäft: Die industrielle Landwirtschaft in den USA hängt an ihrem Gifttropf. Sie kann den Bauern nicht nur zusätzliche und neue Pestizide verkaufen, sondern auch neue Pflanzen, die gegen weitere Pestizide immun sind: Monsanto & Co. haben bereits Organismen gentechnisch so verändert, dass sie gegen Dicamba, Glufosinat oder 2,4-D-resistent sind – ein tödliches Gift, das Bestandteil von Agent Orange war. Der Pestizideinsatz wird also immer weiter steigen.
Das Gift degradiert Böden, zerstört Mikroorganismen, tötet Insekten und Amphibien und bringt das ganze Ökosystem aus dem Gleichgewicht. Es findet außerdem seinen Weg in die Nahrungskette. Die Spritzmittel gelangen auf Nachbarfelder und zerstören dort Nutzpflanzen, so dass auch Landwirten, die bislang kein D-2,4 gesprüht haben, früher oder später dazu gezwungen sind, die D-2,4-resistenten Pflanzen samt zugehörigem Gift zu kaufen. Je größeren Schaden sie anrichten, desto mehr verdienen die Agrarkonzerne.
In Argentinien wird bereits auf der Hälfte der gesamten Ackerfläche des Landes Roundup-Ready-Soja von Monsanto angebaut. Konventionelles Saatgut ist dort überhaupt nicht mehr zu bekommen, denn Monsanto hat fast alle Saatgutfirmen dort aufgekauft. In Brasilien wächst in 70 Prozent der Soja-Monokulturen Roundup-Ready. In Argentinien sind seither sieben Unkräuter gegen Glyphosat immun, in Brasilien fünf. Nicht nur, dass im Namen des Sojas in Argentinien, Brasilien, Bolivien und Paraguay große Flächen Regenwalds weichen mussten und Indigene vertrieben wurden. Insbesondere die Landbevölkerung in diesen »Soja-Republiken« leidet obendrein massiv unter den Giftduschen, die von Flugzeugen herunterregnen. Allein 2008 wurden in Argentinien 200 Millionen Liter Glyphosat versprüht. Insgesamt werden dort pro Jahr 317 Millionen Liter Herbizide verwendet, darunter auch hochgiftiges Endosulfat und D-2,4.
Seit die Menschen in den Anbaugebieten im Giftnebel leben, ist die Krebsrate dort um ein Vielfaches höher als in anderen Regionen. Fehl- und Totgeburten mehren sich. Kinder kommen mit Hirn- und Organschäden und mit Behinderungen zur Welt. Depressionen, Haarausfall, Haut- und Atemwegserkrankungen scheinen da fast zu den harmloseren Folgen zu gehören.549 Doch genau das unter diesen Bedingungen erzeugte genmanipulierte Soja aus Argentinien und Brasilien gelangt, mit einem Nachhaltigkeitssiegel versehen, nach Deutschland – und zwar nicht zuletzt mit Hilfe von WWF und Unilever. Diese Unternehmen haben nämlich den Runden Tisch für verantwortungsvolles Soja (Roundtable for Responsible Soy – RTRS) mitbegründet. 80 Prozent der Mitglieder in dieser Industrie-Initiative sind Soja-Produzenten, -Exporteure und -Verbraucher, Banken sowie multinationale Agrar-, Chemie- und Saatgutkonzerne – darunter Bayer Crop Science, Cargill, Syngenta und Monsanto, die darüber ihr Milliardengeschäft absichern.
Aber nicht nur die Unkräuter werden immun gegen Pestizide. Gegen das Bt-Gift, das die Pflanzen selbst produzieren, entwickeln auch Schädlinge Resistenzen. 2013 belegte ein Studie von Bruce Tabashnik von der Universität in Arizona, dass neun von 13 Schädlingsarten, die gentechnisch veränderter Mais töten soll, gegen sechs verschiedene Bt-Gifte resistent waren. Außerdem machen sich auf den Feldern, auf denen Bt-Pflanzen wachsen, neue Schädlinge breit.550 Das war etwa in Indien der Fall, wo Bt-Baumwolle von Monsanto 2002 eingeführt wurde. Das Gift, das Monsantos Baumwoll-Sorte Bolgard I produziert, sollte eigentlich gegen den Baumwollkapselbohrer wirken. Doch diesem konnte das Herbizid schnell nichts mehr anhaben. Der Baumwollkapselbohrer kam trotzdem – und mit ihm neue Schädlinge. Nach einer Untersuchung des indischen Instituts für Baumwollforschung wurden die Bt-Pflanzen nach drei Monaten wieder vom Baumwollkapselbohrer befallen. Das Problem des Schädlingsbefalls hatte bei den meisten Bt-Baumwollsorten sogar erheblich zugenommen.551
Also mussten die Bauern mehr und teurere Pestizide sprühen. Die hohen Kosten für den Anbau trieben tausende von ihnen in die Schuldenfalle, denn das Saatgut ist nicht nur teurer als das konventionelle, es muss wegen Monsantos Eigentumsrechten jedes Jahr neu gekauft werden. Seit 1995 haben sich 290 000 indische Bauern das Leben genommen. Den Verdacht, dass es einen Zusammenhang zwischen den Suiziden und den Folgen der Bt-Baumwolle geben könnte, versuchten viele Studien zu zerstreuen. Ein nicht geringer Teil stammt von Biotechnologen selbst: zum Beispiel von Martin Quaim von der Universität Göttingen, der in Deutschland zu den vehementesten Streitern für die Gentechnik gehört, sowie vom Internationalen Forschungsinstitut für Nahrungspolitik (IFPRI), das sich für die Verbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen zur »Ernährungssicherung« einsetzt.Laut IFPRI seien die Selbstmorde »ein komplexes Phänomen, das nicht einfach durch eine Technologie erklärt werden kann«.552
Die indische Wissenschaftlerin und Gentechnik-Gegnerin Vandana Shiva hingegen betont, dass man diese neue Technologie »nicht vom Kontext trennen kann«.553 Die Grüne Gentechnik sei untrennbar verbunden mit einem Agrarregime, das gekennzeichnet ist von Cash-Crop-Monokulturen, hohen Investitionskosten und Sicherheitsrisiken für Bauern, die nicht nur von den schwankenden Weltmarktpreisen, sondern zunehmend auch von Krediten und Agrarkonzernen abhängig sind. Noch in den Sechzigerjahren, vor der Grünen Revolution in Indien, gab es dort weder gigantische Monokulturen, noch wurde eine derartige Menge an Pestiziden gesprüht. Auf den Baumwollfeldern trieben damals lediglich sechs oder sieben Schädlinge ihr Unwesen. Heute wächst die gentechnisch veränderte Textilfaser auf mehr als 80 Prozent der indischen Baumwollfelder – und die Bauern kämpfen dort mit bis zu 165 verschiedenen Schädlingen, während die Bt-Gifte nur gegen eine kleine Anzahl – wenn überhaupt – wirken.554
Deswegen rüsten Monsanto & Co. gewaltig auf: Sie entwickeln Pflanzen, die gegen neue Herbizide immun sind und gleichzeitig Insektengifte produzieren. In diesen sogenannten Stacked Events werden mehrere gentechnisch veränderte Eigenschaften gekreuzt, sodass diese Pflanzen jeweils Giftduschen von bis zu vier verschiedenen Unkrautvernichtern überstehen und bis zu sechs Gifte selbst produzieren. Nach Angaben der Industrie werden auch künftig die beiden Eigenschaften Herbizidresistenz und Insektengiftigkeit den Markt dominieren. Am stärksten würden dabei die Stacked Events zunehmen. Was könnte schiefgehen, wenn dieser monströse toxische Mix auf immer größeren Flächen angebaut wird und sich unkontrolliert verbreitet? Die Wahrheit ist: Das kann niemand voraussagen.
Pollen, die in die Luft gelangt sind, vermag niemand aufzuhalten. Und nichts kann die Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen daran hindern, dorthin zu gelangen, wo sie niemand haben will: auf Felder von Bauern, die Gentechnik ablehnen, in die ökologische Landwirtschaft und selbst über Landesgrenzen hinweg dorthin, wo ihr Anbau gesetzlich verboten ist. Aber was passiert, wenn sich manipuliertes Erbgut mit anderen Pflanzen kreuzt? Was, wenn die eingebauten Gene mutieren und ganz andere Organismen entstehen? Diese Folgen kann man weder abschätzen noch rückgängig machen. Wenn der Geist aus der Flasche ist, kann ihn niemand zurückbefehlen.
Die Bt-Pflanzen produzieren ihr Gift rund um die Uhr, mit einer radikal veränderten DNA sowohl in der Pflanze als auch in den ihr eingebauten Insektiziden. Trotzdem gibt es bis heute keine zuverlässigen Untersuchungen darüber, wie genau diese Toxine in der Natur langfristig wirken –, ob sie auch andere Insekten wie Marienkäfer, Schmetterlinge und Bienen töten oder Vögel, Säugetiere oder Amphibien gefährden. Es gibt keine wissenschaftliche Methode, mit der man den Giftgehalt in der Pflanze selbst bestimmen könnte und wie sich dieser verändert, wenn die Pflanze zum Beispiel klimatischen Veränderungen ausgesetzt ist. Es gibt auch keine ausreichenden Untersuchungen dazu, wie die Bt-Toxine zusammen mit Pestiziden, Bakterien und Pflanzenenzymen wirken und welche Auswirkungen das auf die menschliche Gesundheit hat.555 Zwar behaupten Biotechnologen und Gentechnikbefürworter stets, es geben keine Belege dafür, dass gentechnisch veränderte Pflanzen gesundheitsschädlich seien. Das stimmt. Aber nur deshalb, weil es keine Langzeitstudien dazu gibt. Was nicht sein darf, das kann auch nicht sein.
»Grundsätzlich wird mit der Einführung gentechnisch veränderter Pflanzen eine neue Qualität der Ungewissheit erreicht«, schreibt Christoph Then in seinem Handbuch Agrotechnik.Then leitet Testbiotech, das Institut für unabhängige Folgenabschätzung der Biotechnologie in München. Er kritisiert, dass die wissenschaftlichen Methoden, mit denen die Risiken der Gentechnik untersucht werden, fragwürdig seien. Hauptsächlich werde die vergleichende Risikoprüfung vorgenommen, eine Methode, die mit der Industrie entwickelt wurde. Sie unterstellt, dass gentechnisch veränderte Pflanzen denen aus konventioneller Zucht im Wesentlichen gleichwertig seien – bis auf das neu eingebaute Merkmal. Tatsächlich aber unterscheiden sie sich radikal von ihnen, schließlich wurde ihr Erbgut und das der ihr eingebauten Wirkstoffe verändert.
Gentechnikpflanzen werden oft nur über eine einzige Vegetationsperiode zusammen mit ihren konventionelle Ausgangspflanzen angebaut und beobachtet. Wechselwirkungen mit anderen Pflanzen würden meist nicht untersucht, oft gebe es nicht einmal Fütterungsversuche. Then kritisiert vor allem, dass die meisten Studien von den Unternehmen selbst stammen und oft von den eigenen Angestellten durchgeführt werden. Unabhängige Kontrollen fehlten meist völlig. Biotechnologiefirmen können die Veröffentlichung kritischer Forschungsergebnisse sogar verhindern: Wissenschaftler, die von den Firmen patentierte Pflanzen erhalten, müssen Verträge unterschreiben, nach denen die Veröffentlichung der Ergebnisse von der Firma genehmigt sein muss. Wissenschaftler haben sich bereits bei der US-Umweltbehörde darüber beschwert, dass ihre unabhängige Forschung systematisch behindert werde.556
Zwar gibt es in der EU einen verhältnismäßig starken Verbraucherschutz im Vergleich zu den USA und anderen Ländern. Die EU schreibt vor, dass eine Risikobewertung unabhängig, transparent und objektiv vorgenommen werden muss. Dabei gilt das Vorsorgeprinzip:557 Wenn Sicherheit und Gefahren eines Produktes nicht eindeutig nachgewiesen sind, muss im Sinne von Umwelt und Verbraucher vorbeugend gehandelt werden. Im Zweifel kann ein Produkt dann keine Zulassung bekommen.558 Doch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA, die wissenschaftliche Daten zur Risikoabschätzung von Lebensmittelchemikalien, Pflanzenschutz und Gentechnik erhebt und Gutachten für die EU-Kommission erstellt, verlässt sich bei Studien zur Gentechnik ebenfalls nur auf die vergleichende Risikoprüfung.
Der EFSA wird seit vielen Jahren vorgeworfen, von der Lebensmittel- und Gentechnik-Lobby unterwandert zu sein. Laut der NGO Corporate Europe Observatory hatten 2013 123 von 209 Wissenschaftlern in den Gremien der EFSA, die solche Gutachten erstellen, mindestens eine Verbindung zur Industrie.559 Auffällig viele Forscher sind oder waren gleichzeitig für das International Life Sciences Intitute (ILSI) tätig. Die scheinbar unabhängige US-amerikanische Organisation wird unter anderem von BASF, Bayer Crop Science, Cargill, Coca-Cola, Danone, Mars, McDonald’s, Monsanto, Nestlé, Procter&Gamble, Syngenta, Unilever und Wilmar International finanziert.560 Thens Institut Testbiotech hat die scheinbar unabhängigen Studien zum umstrittenen Mais 1 507 untersucht, aufgrund welcher der Genmais 2014 beinahe für den Anbau in Europa zugelassen wurde. Die Mehrzahl der in Fachzeitschriften veröffentlichten Studien dazu sei von industrienahen Kreisen verfasst worden.561
In nur wenigen europäischen Ländern wächst bislang gentechnisch veränderter Mais; in Deutschland werden Genpflanzen nur auf Testfeldern angebaut. Doch mehr als 50 gentechnisch veränderte Pflanzen sind bei der EFSA zur Zulassung angemeldet.562 Außerdem führt die EU große Mengen gentechnisch veränderten Tierfutters ein. Die EU-Kommission erlaubt dafür 58 gentechnisch veränderte Sorten. Die EU importiert 30 Millionen Tonnen Soja aus Brasilien und Argentinien, wo überwiegend Gensaatgut benutzt wird. Diese Importe machen mehr als 60 Prozent des pflanzlichen Eiweißfutters aus, das via Fleisch, Eier und Milchprodukte auch auf die Teller gelangt. Dabei war es die EU selbst, die 2005 feststellte: »Da alle entsprechenden Daten fehlen, kann im Hinblick auf chronische Krankheiten wie Allergien und Krebs keinerlei Aussage getroffen werden, ob die Einführung gentechnisch veränderter Produkte irgendwelche Effekte auf die menschliche Gesundheit hätte.« Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Doch wenn es nach der Saatgutindustrie und den Gentechnikern geht, dann soll das Vorsorgeprinzip in der EU ganz abgeschafft werden. Schon lange arbeitet die Gentechnik-Industrie daran, dass die Standards für die Risikoprüfung international gesenkt werden, um so die Zulassung für gentechnisch veränderte Pflanzen zu beschleunigen. 2013, pünktlich zum Start der TTIP-Verhandlungen, erschien der Bericht »Planting our Future« des European Academy Scientific Advisory Panels.563 Darin wurden die »Möglichkeiten und Herausforderungen« der Grünen Gentechnik für eine globale »nachhaltige Landwirtschaft« beschrieben. Der EU empfahlen die Verfasser – zu denen ausgewiesene Gentechnikbefürworter gehörten564 – die Grüne Gentechnik nicht länger als »Risikotechnologie« zu betrachten und die Regulierung zu lockern. Das Vorsorgeprinzip sei überholt, man habe mittlerweile genug Erfahrung gesammelt, um zu wissen, dass gentechnisch veränderte Pflanzen nicht gefährlich seien. Der Bericht forderte, dass Zulassungen nur noch dann abgelehnt würden, wenn eindeutige Beweise für negative Auswirkungen vorlägen – was nun schlechterdings unmöglich ist.
Die Lobby-Arbeit zeigt Wirkung: Laut Christoph Then hat die EU-Kommission angekündigt, die Regeln für die Risikobewertung von gentechnisch veränderten Pflanzen zu überprüfen. Dazu dient das EU-Projekt GRACE (GMO Risk Assessment and Communication of Evidence), das sich mit diesen Risiken beschäftigt. Einige der GRACE-Experten haben enge Verbindungen zum International Lifescience Institute oder werden direkt von der Industrie finanziert, etwa von Monsanto.565
4. Die Ignoranz der Wissenschaft und der Behörden
»Unser Wissen über die Risiken der Gen- und Biotechnologie ist im Wesentlichen ein Abbild dessen, was uns die Industrie glauben machen will«, sagt Christoph Then. Er vergleicht deren Methoden mit denen der Tabakindustrie, der es über Jahre gelungen ist, Behörden dahingehend zu beeinflussen, die gesundheitlichen Folgen des Rauchens zu leugnen. »Weder Politik noch Industrie haben Interesse an kritischer Forschung«, sagt Then. Die Forschung zu Gentechnik an den Universitäten werde über Drittmittel von der Industrie finanziert, Biotechnologie am »Technologiestandort« Deutschland besonders gefördert. »Wissenschaftler, die die Folgen der Gentechnik wirklich vernünftig untersuchen wollen, haben keine Chance zu überleben«, sagt Then. Nicht nur wirtschaftlich: Sie würden oft gemobbt, ihre Ergebnisse würden von den Behörden nicht anerkannt oder nicht herangezogen.
Aber es gibt kritische und unabhängige Untersuchungen zu den Gesundheitswirkungen gentechnisch veränderter Produkte – und ihre Ergebnisse sind beunruhigend. Es mehren sich Hinweise darauf, dass das Immunsystem auf gentechnisch veränderte Organismen reagiert. Bei Fütterungsversuchen mit Bt-Toxinen bei Fischen, Mäusen, Ratten und Schweinen wurden immer wieder Immun- und Entzündungsreaktionen festgestellt. Denn anders als die Industrie behauptet, bauen sich diese Insektengifte im Darm nur langsam oder unvollständig ab. Kanadische Wissenschaftler der Universität Quebec haben eine Belastung mit Bt-Toxinen vor allem im Blut von Schwangeren gefunden – und bei acht von zehn Neugeborenen.566 Eine Gruppe unter Leitung des französischen Wissenschaftlers Gilles-Éric Séralini untersuchte in einer Studie, wie Ratten, die zwei Jahre mit Roundup-Ready-Mais von Monsanto gefüttert werden, reagieren. Es war die erste Langzeitstudie überhaupt. Die Tiere hätten bereits nach vier Monaten Tumore entwickelt und starben nach einem Jahr an Nieren- und Leberkrankheiten.
Die Studie stand nach ihrer Veröffentlichung stark unter Beschuss: Viele Kontrollbehörden, darunter auch die europäische Lebensmittelbehörde EFSA wiesen die Studie als mangelhaft zurück, Biotechnologen veröffentlichten entsprechende ablehnende Statements. Die Lobby-Organisation European Federation of Biotechnology, der auch Monsanto angehört, verlangte, dass die Studie zurückgezogen würde. Tatsächlich gab die Fachzeitschrift Food and Chemical Toxicology, in der diese erschienen war, dem Druck nach und zog Séralinis Studie zurück.567
»Die meisten Studien, die veröffentlicht werden, haben noch geringere wissenschaftliche Standards. Es werden unterschiedliche Maßstäbe angelegt. Die Wissenschaftler, die etwas finden, werden regelrecht verfolgt. Denen, die lausige Studien abliefern, aber nichts finden, gibt man einen Persilschein«, ärgert sich Then. Denn selbst wenn die Studie von Séralini Mängel aufwies, so hätten die alarmierenden Ergebnisse zumindest Anlass sein müssen, die Auswirkungen der Bt-Toxine erst recht zu untersuchen. Doch nichts dergleichen ist geschehen.
Im Jahr 2010 hatte die neuseeländische Wissenschaftlerin Lou Gallagher Ratten mit Bt Brinjal, der gentechnisch veränderten Aubergine, gefüttert. Bereits nach 90 Tagen stellte Gallagher bei den Tieren Leberschäden und Veränderungen im Immunsystem fest. Bei den weiblichen Ratten hatte sich das Gewicht der Eierstöcke reduziert. Gallagher kritisierte außerdem die Unbedenklichkeitsstudien, die Monsanto-Mahyco in Indien zur Zulassung vorgelegt hatte:568 »Die behauptete gesundheitliche Unbedenklichkeit der gentechnisch veränderten Auberginen kann nicht aus den von der Industrie vorgelegten Daten abgeleitet werden. Im Gegenteil gibt es vielmehr Hinweise darauf, dass der Verzehr dieser Pflanzen zu gesundheitlichen Schäden führen kann. Zudem zeigen die Fütterungsstudien erhebliche Mängel in Aufbau und Durchführung, sie genügen den internationalen Standards nicht«, warnte Gallagher. Ihr Fütterungsversuch hatte unbestritten alle wissenschaftlichen Standards erfüllt. Sie empfahl, das Gemüse nicht zu genehmigen.569 Bt Brinjal müsste besonders gründlich auf gesundheitsschädigende Wirkung hin untersucht werden – schließlich ist es das erste gentechnisch veränderte Gemüse, das kommerziell angebaut werden soll. Wegen dieser Sicherheitsbedenken entschied sich die philippinische Regierung dazu, den Anbau von Bt Brinjal zu verbieten, auch Indien beschloss ein unbefristetes Moratorium.
In Bangladesch jedoch wurden diese Belege für die gesundheitsschädliche Wirkung offenbar schlicht ignoriert – sowohl von der Regierung als auch vom landwirtschaftlichen Forschungsinstitut BARI und von der US-amerikanischen Cornell-Universität, die Partner des Projekts ist. Das Gen-Gemüse wurde zugelassen, obwohl Kleinbäuerinnen und Kleinbauern immer wieder protestiert hatten. Ja, die Aubergine gelangte sogar noch während der Testphase auf lokale Märkte, wo die Kunden nicht einmal wussten, was sie da kauften, weil die Auberginen nicht gekennzeichnet waren. Denn in Bangladesch gibt es weder ausreichende Richtlinien zu Biologischen Sicherheit noch zum Schutz der Biodiversität. Auch existiert keine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Organismen.570 Millionen Menschen werden so zu Versuchskaninchen – in einem armen Land wie Bangladesch, in dem die Menschen ohnehin an Hunger, Mangelernährung und Krankheiten leiden und in dem die Gesundheitsversorgung mehr als mangelhaft ist.
Zu Gallaghers wissenschaftlichen Erkenntnissen gesellt sich eine weitere alarmierende Studie, die der britische Pflanzenbiologe John Samuel im Auftrag von Greenpeace 2012 an Bt Brinjal durchführte. Er kommt darin zu dem Ergebnis, dass »das Potenzial für die Störung des ökologischen Gleichgewichts und der Artenvielfalt erheblich« sei. Auberginen vermehren sich durch Pollenflug, deswegen wachsen auch wilde und verunkrautete Sorten in der Natur. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich unter diesen und den vielen verschiedenen von Kleinbauern kultivierten traditionellen Auberginensorten das gentechnisch veränderte Erbgut verbreite und die DNA jener verwandten Sorten verändere, sei hoch. Das verletzt nicht nur die Rechte der Bauern, die kein gentechnisch verändertes Saatgut anpflanzen wollen, sondern kann die Pflanzen aggressiv und das am meisten verzehrte Gemüse gesundheitsschädlich machen. Dazu kommt, dass das Bt-Gift der Aubergine neben dem Auberginenfruchtbohrer auch andere Insekten wie Bienen und Schmetterlinge schädigen oder töten kann.571 All das sei bei den Risikoprüfungen übersehen worden, sagt Samuel. Zu seinen und den Ergebnissen Gallaghers kommt hinzu, dass nichts darüber bekannt ist, wie Bt Brinjal und das ihr eingebaute Gift auf klimatische Veränderungen reagiert – und das in jenem südasiatischen Land, in dem die Folgen des Klimawandels schon heute zu spüren sind. Bt Brinjal ist, mit anderen Worten, eine tickende Zeitbombe.
»Ich weiß, dass Umweltschützer Gentechnik nicht mögen, aber ich muss schließlich meine Leute ernähren«, sagt Jiban Krishna Biswas und zuckt wie zur Entschuldigung mit den Achseln. Er leitet das staatliche Reisforschungsinstitut in Bangladesch (Bangladesh Rice Research Institute BRRI), das zum landwirtschaftlichen Forschungsinstitut BARI gehört. Ich sitze in seinem Büro und versuche, mit ihm über die Folgen der Gentechnik zu diskutieren. Aber er will sich nicht darauf einlassen. »Was soll ich sagen, ich muss meine Leute ernähren«, sagt er noch einmal, zuckt mit den Achseln und lächelt höflich. Sein Institut arbeitet auch am Golden Rice, den Bangladesch als nächste gentechnisch veränderte Pflanze zulassen will. Er ist so manipuliert, dass er Vitamin A produziert. Den Befürwortern dient der Golden Rice als Beweis dafür, dass die Grünen Gentechnik vor allem eine humanitäre Angelegenheit und damit unverzichtbar ist. Doch die Kritiker fürchten, dass dieser Reis nur als trojanisches Pferd dient, um die Herrschaftstechnologie in den Ländern des Südens durchzusetzen.
»Dieser Reis könnte jedes Jahr eine Million Kinder retten.« Diese fromme Hoffnung prangt im Juli 2000 in großen Lettern auf dem Cover des Time Magazine.572 Das Titelfoto zeigt das Gesicht eines Mannes mit grauem Vollbart, umgeben von grünen Reis-Ähren. Es ist der heute emeritierte deutsche Biologe Ingo Potrykus, der an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (ETH) den Golden Rice erfunden und entwickelt hat. Dieser Reis soll in seinen Körnern Carotinoide produzieren. Aus ihnen bildet der Körper Vitamin A. Diese gentechnische Veränderung färbt die Reiskörner gelb. Darum heißt die Erfindung Golden Rice – doch der verheißungsvolle Name suggeriert viel mehr: Der vermeintliche Schatz aus dem Labor soll Leben retten und den Vitamin-A-Mangel in sogenannten Entwicklungsländern bekämpfen. Laut dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen leiden 140 Millionen Kinder an Vitamin-A-Mangel, in armen Ländern ist das die häufigste Ursache für Erblindung. Wenn dem Körper Vitamin A fehlt, steigt auch das Risiko, tödliche Krankheiten wie Malaria, Masern oder Durchfall zu bekommen und daran zu sterben. Potrykus und seine Anhänger propagieren seit mehr als 15 Jahren, dass ihre goldene Wunderwaffe die »Lösung« für dieses Problem sei und damit alternativlos. Den Gegnern dieses Projekts werfen Potrykus und Konsorten vor, sich eines »Verbrechens gegen die Menschlichkeit« schuldig zu machen.573 Dabei gibt es mehr als gute Gründe dafür, den Golden Rice abzulehnen.
Als das Time Magazin vor 15 Jahren Potrykus und dem Golden Rice eine Titelgeschichte widmete und damit große Hoffnungen weckte, war es lediglich gelungen, in Reiskörnern eine geringe Konzentration von Carotinoiden gentechnisch zu produzieren. Im selben Jahr wurde die Erfindung patentiert. Doch dass dieser gentechnisch veränderte Reis wirklich geeignet ist, den Vitamin-A-Mangel in sogenannten Entwicklungsländern zu beheben, war nicht ausgemacht. Genau so wenig, welche ökologischen und gesundheitlichen Risiken der Golden Rice birgt. Daran hat sich, obwohl seit mehr als einem Vierteljahrhundert über ihn geforscht wird, bis heute nichts geändert. Deswegen ist er auch nirgends auf der Welt zum Anbau zugelassen.
Christoph Then hat 2012 die Metastudie »Golden Lies. Das fragwürdige ›Golden-Rice-Projekt‹ der Saatgutindustrie«574 für die Verbraucherorganisation Foodwatch angefertigt und die Forschungsergebnisse zum Golden Rice untersucht. 2014 hat er diesen Bericht aktualisiert.575 Demzufolge fehlen verlässliche Daten darüber, wie sich der Vitamin-A-Gehalt576 in den Körnern ändert, wenn der Reis gelagert wird. In den Ländern des Südens wird der Reis nach der Ernte über Monate als Vorrat aufbewahrt. Selbst die Weltgesundheitsorganisation WHO verweist darauf, dass sich Carotinoide bei der Lagerung abbauen können. Aber in welchem Ausmaß und bei welchen Licht-, Temperatur- und Witterungsbedingungen das im Golden Rice geschieht, dazu gibt es keine veröffentlichten Studien.577
Ebenso ist nicht einmal bekannt, in welchem Umfang die Carotinoide des Goldenen Reis überhaupt im Körper aufgenommen werden. In den USA wurde der Golden Rice an fünf freiwilligen Personen getestet – doch diese hatten zu den Mahlzeiten Butter erhalten, was die Vitamin-A-Aufnahme beschleunigt. Unter den realen mangelhaften Ernährungsbedingungen derjenigen, denen der Reis das Leben retten soll, wurde die Vitamin-A-Aufnahme nicht getestet. Es kann nicht einmal ausgeschlossen werden, dass der Golden Rice, der angeblich eines der größten Gesundheitsprobleme in den Ländern des Südens lösen soll, selbst ein Gesundheitsrisiko darstellt: Über die Konzentration und Art der Inhaltsstoffe, ihre Genaktivität und die Wirkung auf das Immunsystem sind bislang keine Studien verfügbar. Auch Fütterungsstudien an Tieren sind bislang nicht vorgelegt worden.
Erst 2011, zwölf Jahre nach der öffentlichen Ankündigung der Wunderpflanze, versprach das Internationale Reisforschungsinstitut IRRI, das am Golden Rice beteiligt ist, Risikobewertungen und eine Fütterungsstudie – und zwar nachdem der Golden Rice auf den Philippinen bereits in Freilandversuchen angebaut worden und eine Zulassung bereits für 2012 geplant war. Neben dem IRRI sollte außerdem das Helen Keller Institute den Ernährungsnutzen testen. Die Privatorganisation mit Sitz in New York, zu deren Partner die Bill&Melinda Gates Foundation gehört, die ihrerseits Millionen in den Golden Rice investiert, zählt neben Nahrungs- und Pharmakonzernen auch Monsanto zu ihren Spendern.578 2013 stellte IRRI schließlich fest, dass eine Markteinführung nicht ohne weitere Prüfungen erfolgen kann. Damit hatten zum allerersten Mal die Betreiber des Projekts selbst zugegeben, dass entscheidende Daten für eine Marktzulassung fehlen.579
Das hinderte jedoch die Wissenschaft nicht daran, Versuche an Schulkindern durchzuführen. Im Sommer 2012 kam an die Öffentlichkeit, dass Forscher der Tufts-Universität in Massachusetts mit ihren chinesischen Kollegen vier Jahre zuvor 72 chinesischen Schülern den Golden Rice verabreicht hatten. Laut den chinesischen Behörden hatten diese aber gar keine Erlaubnis zu diesem Experiment erteilt. Schlimmer noch: Weder die Lehrer noch die Eltern der Sechs- bis Achtjährigen, die eine Einverständniserklärung unterschreiben mussten, waren darüber aufgeklärt worden, dass ihre Kinder gentechnisch veränderten Reis essen. Es habe geheißen, sie bekämen ein sehr gesundes Schulessen gratis – mit Reis und Spinat. Drei Wochen lang aßen die Kinder jeden Tag den gentechnisch veränderten Reis, zu dem es keine ausreichende Risikoprüfung gab. Greenpeace war auf den Versuch aufmerksam geworden, weil ein Bericht darüber im American Journal of Clinical Nutrition veröffentlicht wurde. Dort hatten die Wissenschaftler ihr Experiment vorgestellt und berichtet, dass der Vitamin-Reis gut abgeschnitten habe.580 Die drei verantwortlichen chinesischen Forscher wurden daraufhin entlassen, die betroffenen Familien enthielten jeweils 13 000 Dollar Schadenersatz.
Erstaunlicherweise hat dieser Skandal kein großes Echo in den Medien gefunden, die über den Golden Rice seit Jahren mit unverhohlener Begeisterung berichten. Das liegt nicht zuletzt an den Botschaften der Forscher, die ihr zweifelhaftes Produkt mit grotesk überzogenen moralischen Argumenten aufladen. »Wenn der Golden Rice 2002 oder 2003 verteilt worden wäre, hätten Millionen Leben gerettet werden können. Dass das Saatgut des Golden Rice bis heute nicht verbreitet worden ist, hat es möglich gemacht, dass so viele Menschen lautlos sterben wie im Holocaust umgebracht worden sind.« Das schrieb 2010 der US-amerikanische Ernährungswissenschaftler Bruce Chassy unter der zynischen Überschrift »Der stille Holocaust«.581
Wer derart unangemessene Geschütze wie einen Holocaust-Vergleich auffährt, der hat eine Agenda – und womöglich anderes im Sinn, als Leben zu retten. Chassy ist ein Befürworter der Grünen Gentechnik. Er setzt sich insbesondere für die Verbreitung des Gentechnikreises auf den Philippinen ein. Er gehörte einer Arbeitsgruppe des umstrittenen industriefinanzierten International Life Sciences Institute (ILSI) an, das sich mit dem Nährwert gentechnisch veränderter Nahrungs- und Futterpflanzen beschäftigte. Auch BASF, BayerCropScience, Dow Agro Sciences, Monsanto, Pioneer Hi-Bred, DuPont und Syngenta waren Mitglieder dieser Arbeitsgruppe, die von Kevin Glenn geleitet wurde, der bei Monsanto für Produktsicherheit verantwortlich ist.582 2008 hatte diese Gremium den Golden Rice bewertet und kam zu dem Schluss, dass es besonders wichtig sei, bei entsprechend angereicherten Pflanzen den geplanten Nutzen gegen die Risiken abzuwägen. »Die wahrgenommen Gefahren stellen oft nur relativ kleine Risiken dar, während das Potenzial des Ernährungsnutzens relativ hoch ist.«
Mit anderen Worten: Über Risiken der Technologie – und auch deren nähere Untersuchung – soll zugunsten der angenommenen Vorteile schlicht hinweggesehen werden. Chassey, Potrykus und andere Alchimisten missbrauchen humanitäre Argumente für eine Pro-Gentechnik-Kampagne, um die Regulierung für gentechnisch veränderte Produkte und die Anforderungen der Risikoabschätzung allgemein zu schwächen und eine schnelle Zulassung zu ermöglichen. Dabei behaupten auch sie, dass gentechnisch veränderter und konventioneller Reis gleichwertig seien. Drum wollten sie auch die Aufregung darüber nicht verstehen, dass Schulkinder ohne das Wissen ihrer Eltern zu Versuchskaninchen gemacht wurden. »Warum müssen sie das denn wissen?« echauffierte sich der Ex-Syngenta-Mitarbeiter und Golden-Rice-Projektmanager Adrian Dubock, »es gibt keinen Hinweis, dass von Gentechnologie irgendeine Gefahr ausginge.« Potrykus meinte, wir hätten doch alle schon kiloweise Karotten gegessen, ohne dass es dafür Langzeitstudien gegeben hätte. Dasselbe Molekül sei im Golden Rice, und da sei es doch »ein bisschen gesponnen«, dafür Langzeitstudien zu fordern.583
Diese hysterischen Schuldzuweisungen in Richtung von Kritikern und Behörden, die angeblich aus ideologischen Gründen oder wegen einer »Überregulierung« den Anbau des Golden Rice verhindern, verdecken schlicht die Tatsache, dass es bis heute keine stichhaltigen Belege für die erhoffte Wirksamkeit des Reises gibt. »Ich würde [die Behörden und Kritiker] zur Verantwortung ziehen und sie vor ein internationales Gericht bringen, vor dem sie die Schmerzen und Leiden, die sie so vielen Menschen zufügen, rechtfertigen müssen«, sagte Potrykus 2003.584 Zu diesem Zeitpunkt wies der Reis sogar noch eine wesentlich geringere Menge an Vitamin A auf als heute.
Die Propagandisten der Grünen Gentechnik sind sich nicht einmal zu schade, den Vatikan und den Papst für ihren Feldzug zu instrumentalisieren. Im Mai 2009 hatten Biotechnologen im Rahmen der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften die Studienwoche »Transgene Pflanzen für die Nahrungsmittelsicherheit im Entwicklungszusammenhang« organisiert. Neben Konzernvertretern von Monsanto, Syngenta und Lobbyorganisation der Biotechnologie-Industrie hatten auch Ingo Potrykus, Bruce Chassey und Adrian Dubock daran teilgenommen. Ziel der Veranstaltung: die Hürden der angeblich übertriebenen Vorsorge zu überwinden, die rechtliche Unterscheidung zwischen konventionell gezüchteten und gentechnisch veränderten Pflanzen aufzuheben und zu »mehr wissenschaftlicher Einschätzung« zu gelangen. Schließlich sei die Kritik an der Gentechnik vor allem »ideologisch motiviert«.585 In ihrem Positionspapier zur Tagung betonten die Autoren den »moralischen Imperativ«, die neue Technologie den Armen zur Verfügung zu stellen, beschworen die »Vorteile des in vielen Ländern der Welt großflächigen Anbaus von gentechnisch veränderten Pflanzen mit Herbizid-Toleranz für die Umwelt«, behaupteten »dank Gentechnik auf den Klimawandel reagieren zu können« sowie die »Dringlichkeit der Umsetzung technologischer Fortschritte aufgrund der Welternährungssituation«. Mit ihren Forderungen würden die Konferenzteilnehmer mit der Enzyklika Caritas in veritatae von Papst Benedikt XVI. übereinstimmen, in der es heißt: »Die Technik fügt sich daher in den Auftrag ein, den Gott dem Menschen erteilt hat, ›die Erde zu bebauen und zu hüten‹ (vgl. Gen. 2, 15) und muss darauf ausgerichtet sein, jenen Bund zwischen Mensch und Umwelt zu stärken, der Spiegel der schöpferischen Liebe Gottes sein soll.«586 Genau: »Gen.« (für Genesis) klingt ja schon wie Gentechnik, Gentechnik ist also gewiss Gottes Wille, schließlich hat der ja offenbar vergessen, Vitamin A in Reis und Gift in Auberginen zu basteln und Pflanzen gegen Herbizidduschen immun zu machen.
Es beschreibt die Allmachtsphantasien der Laborgötter ziemlich gut, dass sie glauben, es sei ihr universeller Auftrag, die unzulängliche Natur auf Vordermann zu bringen. Dass ausgerechnet die ach so aufgeklärten Gentechniker, die ihren Gegnern vorwerfen, sie seien ideologisch verblendet, ihr Anliegen auf einmal spirituell verbrämen, ist weniger skurril denn entlarvend: Schließlich verbirgt sich hinter ihrer Forderung nach »mehr Wissenschaft« nichts anderes als der Wille, dieselbe samt ihren Standards und Prüfungsmethoden auszuschalten. Damit outen sie die Grüne Gentechnik unfreiwillig als das, was sie eigentlich ist: eine Religion des Fortschritts für bedingungslose Technikanhänger, die allen fehlenden Belegen und allen Gegenbeweisen zum Trotz ihren Glauben verteidigen.
»Wissenschafts-Konferenz im Vatikan sagt Ja zur Grünen Gentechnik«: So titelte nach der Konferenz Novo Argumente. Das wirtschaftsfreundliche Magazin, das für Spender mit dem Slogan »Aufklärung fällt nicht vom Himmel« wirbt, steht dem umstrittenen Blog »Achse des Guten« nahe und veröffentlicht Artikel mit so klingenden Titeln wie »Lasst Glyphosat in Ruhe!«, »NGOs Hand in Hand mit dem Verbotsstaat« oder »Atomangst? Nein danke!«. Zu den Autoren gehört das Ökohasser-Duo Dirk Maxeiner und Michael Miersch (»Ökologismus entwickelt sich in vielen Ländern zur neuen Frömmigkeit«), und Chefredakteur Thomas Deichmann ist gleichzeitig Chefredakteur des Online-Auftritts des Forums Grüne Vernunft, ein Biotechnologie-Lobbyverein. Darüber hinaus war er Kommunikationschef von BASF Plant Science.
Viele deutsche Medien schrieben die dubiosen Behauptungen der Novo Argumente ohne Vorbehalte ab: »Papst gibt der Grünen Gentechnik seinen Segen«, schrieb unter anderen der Gentechnik-Fan Ulli Kuhlke in der Welt. Diese Schlagzeile erwies sich allzu schnell als Ente, denn der Vatikan distanzierte sich von der Konferenz und ihrem Positionspapier. Bischof Marcelo Sánchez Sorondo, Leiter der päpstlichen Akademie, sagte: »Das Statement ist kein Statement der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, weil die Päpstliche Akademie der Wissenschaften – wie ihre 80 Mitglieder – dazu nicht hinzugezogen worden sind und dazu auch nicht hinzugezogen werden.«587
Neuer Papst, neues Glück: Bei einem Kongress der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften über die Auswirkungen von Mangelernährung auf die Hirnentwicklung von Kindern 2013 erhielt Ingo Potrykus die Gelegenheit, bei Papst Franziskus persönlich vorzusprechen. Potrykus drückte dem Pontifex ein kleines Säckchen Golden Rice in die Hand und sagte später, der Papst hätte ihm den Reis mit den Worten »jetzt ist er gesegnet« zurückgegeben. »Ein päpstlicher Segen, das war mehr als der emeritierte Molekularbiologe bis dahin für möglich gehalten hatte«,588 jubelte der glühende Gentechnikfan der FAZ, Joachim Müller-Jung, der Gentechnikgegner schon mal als »Pegida in Grün«589 bezeichnet. Allerdings war das nur ein persönlicher Segen für Potrykus, das gibt der deutsche Biologe selbst zu.590 Aber für ihn und dessen Anhänger bedeutet er ein vorläufiges Happy End, wenn schon, aus Mangel an Beweisen, der Genreis nicht als Wunder anerkannt wird.
6. Widerstand gegen die Alchimisten
Jenseits der Gentechnik gibt es bei der Behandlung des Vitamin-A-Mangels durchaus Erfolge. Staatliche Gesundheits- und internationale Hilfsprogramme haben durch gezielte Gaben von Vitamin-Tabletten in den Ländern des Südens tatsächlich Fortschritte erzielt. Laut einem Unicef-Bericht von 2009 hat sich der Anteil derer, denen das Hilfsprogramm zugutekam, zwischen 1999 und 2007 vervierfacht. In den am schlimmsten betroffenen Regionen seien 80 Prozent der Zielgruppe erreicht worden.591 Die Befürworter des Golden Rice argumentieren jedoch, dass dieser eine viel kostengünstigere Möglichkeit der Vitamin-A-Versorgung biete. Sollten sie sich durchsetzen mit ihrer Forderung, diesen Reis sofort ungeprüft zuzulassen und anzubauen, kann das bereits wirksame und kontrollierbare Programme verdrängen, Erfolge rückgängig machen und die Situation verschlimmern.
Mit ihrer Fixierung auf den Golden Rice erklären die Technologen den Vitamin-A-Mangel zu einem singulären Problem, für das es eine singuläre Lösung gäbe. Aber Vitamin-A-Mangel ist keine isolierte Krankheit wie Malaria oder Masern, sondern die Folge von Mangelernährung, die ihre Ursache in Armut und Hunger hat: Die Menschen, die darunter leiden, haben keinen Zugang zu einer ausreichenden und ausgewogenen Ernährung. Es ist ein politisches und soziales Problem. Und der goldene Reis ist Teil des Systems, das genau dazu geführt hat: Die monokulturelle Landwirtschaft verschlingt Land, verdrängt Kleinbauern, zerstört Biodiversität und verhindert so, dass sich die Menschen mit nährstoff- und vitaminreicher Kost selbst versorgen können. Es war das westliche Diktat der Grünen Revolution, das genau diese Verheerungen angerichtet hat, die jetzt Ursache dauerhafter Mangelernährung sind. Sie hat die traditionelle Landwirtschaft von einem sozialen und selbstbestimmten in ein fremdbestimmtes industrielles Modell verwandelt, und die Grüne Gentechnik wird diese Entwicklung noch beschleunigen. Der Golden Rice gehört wesentlich zu dieser technokratischen Ideologie, die in der Neuauflage der um Gentechnik erweiterten Grünen Revolution auf diesen Ruinen umgesetzt werden soll. Dabei gibt es in den Ländern des Südens eine große Bandbreite lokaler Sorten von Blatt- und Wurzelgemüse und vitaminreichen Früchten, die auf den Feldern der Kleinbauern, in Gemeinschafts- und Schulgärten und selbst in winzigen Küchengärten wachsen können. Das würde auch die Gabe von Vitamin-Tabletten überflüssig machen. Vandana Shiva etwa arbeitet mit genau diesen Modellen. Doch anstatt solche und die Kleinbauern zu unterstützen, kapriziert sich die westliche Welt auf ein Hirngespinst, das glauben macht, man könne Hunger und Mangelernährung beseitigen, ohne die Armut abzuschaffen.
Erstaunlicherweise aber soll der Golden Rice ausgerechnet dort erstmals zugelassen werden, wo der Vitamin-A-Mangel vergleichsweise niedrig ist: auf den Philippinen. Dort ist es innerhalb von fünf Jahren gelungen, diesen von 40 auf 15 Prozent zu senken, heute soll er bei zehn Prozent liegen. Wie, das hat der Journalist Daniel Mennig für seine Reportage Der Wunderreis für das Schweizer Fernsehen 2013 auf den Philippinen recherchiert.592 Er hat dort die Insel Bohor besucht, wo es laut Statistik einen besonders hohen Vitamin-A-Mangel gibt. Doch den Gesundheitsarbeiterinnen vor Ort waren keine Fälle bekannt – den letzten hätten sie 1986 festgestellt. Denn zum staatlichen Gesundheitsprogramm gehört neben dem Verteilen von Vitamin-A-Kapseln auch das Angebot von Kursen für Kleinbauern und Familien sowie Ernährungsberatung, in der man lernt, welche Pflanzen und Früchte viel Vitamin A enthalten: Blattgemüse, Mango, Papaya, Süßkartoffeln, Maniok, Bananen – lokale Pflanzen, die leicht und günstig angebaut werden können.
Mennig hat außerdem Chito Medina von der philippinischen Kleinbauernbewegung Masipag getroffen, der 35 000 Mitglieder angehören. Sie bauen auf ihren Feldern mit traditionellen Methoden lokalen Reis an, den sie selbst züchten, verbessern und tauschen. Insgesamt gibt es 2 600 verschiedene Sorten auf den Philippinen. Sie werden aber nicht in Monokultur angebaut: Es wachsen bis zu 1 200 verschiedene Sorten auf nur einem Reisfeld – denn auf diese Weise ist der Anbau immer an verschiedenste Umwelt- und Wetterbedingungen, auch den Klimawandel, angepasst. Selbst Syngenta gibt zu, dass die konventionelle Züchtung sehr viel besser als Gentechnik geeignet ist, um Pflanzen zum Beispiel an unterschiedliche Umweltbedingungen anzupassen. 2004 sagte deren Forschungschef David Lawrence in der Welt: »Wir haben bei Saatgut und Pflanzenschutz schon viel mit der Gentechnik experimentiert und sind oft gescheitert.« Im Gegensatz dazu gebe es oft hervorragende Ergebnisse mit dem traditionellen Züchtungsansatz.593 Nur: Die lassen sich, anders als gentechnisch veränderte Merkmale, nicht als Erfindung patentieren, mit der man Geld verdienen kann.
»Wir brauchen diese große Vielfalt, damit wir immer zu essen haben«, sagt Medina. Im Film sieht man ihn vor einem wandgroßen Setzkasten, in dem ungezählte kleine Fläschchen mit Reis stehen. Auch Masipag entwickelt Sorten weiter und gibt sie den Bauern kostenlos. »Wir brauchen keinen Golden Rice zum Überleben«, sagt Medina. Masipag lehnt, wie sämtliche Kleinbauernbewegungen des Südens, Gentechnik und den patentierten Reis aus den Laboren der westlichen Welt strikt ab. Sie kämpfen dafür, dass das Saatgut und damit die biologische Vielfalt in Bauernhand bleibt. Viele dieser Organisationen des Südens haben deshalb Saatgutzentren eingerichtet, die sie selbst verwalten und kontrollieren. Doch der Golden Rice wird genau diesen zur Gefahr. Wie alle genmanipulierten Pflanzen würde auch er in Monokulturen wachsen, die per se anfälliger für Schädlinge und Ernteschäden sind, und deshalb jede Menge Pestizide brauchen. Vor allem aber sind auch beim Lebensretter-Reis die biologischen Folgen noch nicht abzusehen. Denn auch er kann sich per Pollenflug mit anderen wilden und lokalen Sorten kreuzen. Wenn das manipulierte Erbgut erst einmal in die Natur gelangt ist, kann das den Reisanbau und die Ernährungssituation insgesamt bedrohen. Vor allem wenn sich am Ende sogar noch herausstellen sollte, dass der Reis gesundheitsschädlich ist. In einem Land, in dem Reis das Hauptnahrungsmittel für 90 Millionen Menschen ist, wäre dies eine humanitäre Katastrophe.
Potrykus und seine Kollegen betonen immer wieder, dass der Reis, obwohl er patentiert ist, den Bauern kostenlos zur Verfügung gestellt würde. Es sei ein rein humanitäres Projekt. Aber warum hat er dann überhaupt ein Patent? »Hätten die Erfinder kein Patent beantragt, wäre es nicht möglich gewesen, solche beiderseitig nützlichen Vereinbarungen zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor zu entwickeln«, schreiben die Macher auf ihrer Seite.594 In den ersten zehn Jahren hatte die Entwicklung des Golden Rice bereits 100 Millionen US-Dollar öffentliches Geld verschlungen, ohne auch nur in die Nähe der vollmundig angekündigten Ziele gelangt zu sein. Mit diesen Millionen hätte man, nur mal so nebenbei, eine Menge Familien mit Hausgärten versorgen oder Kleinbauern bei agrarökologischen Anbaumethoden unterstützen können. Die Entwicklung wurde staatlich subventioniert, damit der Reis in öffentlicher Hand bleibt.595 Trotzdem verkauften Potrykus & Co. 2001, als es keine öffentliche Unterstützung mehr gab, die Rechte am Golden Rice an Syngenta. Der größte Agrarkonzern der Welt wollte eine kommerzielle Linie entwickeln. Den Erfindern gelang es gerade einmal, ihr moralisches Ansinnen in den Verträgen so weit durchzusetzen, dass das Saatgut an Bäuerinnen und Bauern, die weniger als 10 000 Dollar pro Jahr verdienen, kostenlos verteilt wird. Mit Großbauern, die wiederum die Kleinbauern verdrängen, kann Syngenta mit den Eigentumsrechten Geld verdienen. Syngenta legte 2005 eine neue Variante vor, die mehr Betacarotin enthielt. Für die Weiterentwicklung musste Syngenta allerdings weitere Patente einholen. Mit dem Golden Rice sind mindestens 70 unterschiedliche Patente unterschiedlicher Firmen verknüpft: darunter auch welche von Bayer, Monsanto und Syngenta. Angeblich sei es Syngenta gelungen zu erwirken, dass alle Patentinhaber der freien Nutzung der Lizenzen zugestimmt hätten. Obwohl Syngenta die Entwicklung einer kommerziellen Linie aufgegeben hat, ist aber nicht sicher, inwieweit die Patente der Firmen doch wirksam werden könnten.
Syngenta hat die Rechte und das Genmaterial des Golden Rice zur Weiterentwicklung an das Internationale Reisforschungsinstitut IRRI übertragen. Dort war bis 2013 Gerard Barry für das Golden Rice Projekt verantwortlich, der zuvor als Forschungsdirektor bei Monsanto gearbeitet hatte.596 Die Financiers des Golden Rice sind heute die Bill&Melinda Gates Foundation, Warren Buffet, die Rockefeller-Foundation und die amerikanische Entwicklungsbehörde USAID.
Die Stiftung des Gentechnik- und Monsanto-Fans Bill Gates ist mittlerweile Hauptsponsor des Projekts. Er hat dem IRRI mehr als zehn Millionen Dollar dafür zur Verfügung gestellt. »Die Stiftung ist eingestiegen, als das Projekt nach 20 Jahren fast fertig war, 20 Jahre haben wir keine Unterstützung von ihr bekommen. Und am Ende kommt Gates mit seinem Reichtum und macht ein Gates-Projekt draus«, sagt Potrykus verärgert.
In Mennigs Film sieht man einen enttäuschten Mann, der die Kontrolle und den Einfluss auf sein Projekt schon lange verloren hat. Nur nicht seine Hoffnung. Er ist inzwischen 81 Jahre alt und hofft, dass er noch erleben wird, wie sein Werk endlich umgesetzt wird. Dabei ist mittlerweile einiges anders gelaufen, als er sich das vorgestellt hat – zum Beispiel, dass der Golden Rice nun als erstes auf den Philippinen geplant ist, wo auch Potrykus es nicht für nötig hält. »Das hat Bill Gates so bestimmt«, sagt er. Mit seiner bekannten Aggression setzt der Microsoft-Gründer auch hier seinen Willen durch. »Die geschickte Bewerbung des Golden Rice als humanitär dient dazu, das Image der Gentechnik zu verbessern. Aber es geht um viel mehr als den Golden Rice – er ist dazu gemacht, die Gentechnik in dieses Land zu drücken«, sagt der philippinische Professor für Soziologie, Walden Bello. Er glaubt, dass die Philippinen nur als Sprungbrett dienen sollen, Gentechnik in ganz Südostasien durchzusetzen, wo es einen Markt von 600 Millionen Menschen gibt.597 Entsprechend kann man Bangladesch, wo der Golden Rice ab 2017 angebaut werden soll, als Einfallstor für den Südasiatischen Markt betrachten: Dort lebt beinahe ein Viertel der Weltbevölkerung. Ist erst einmal das für zwei Milliarden Menschen wichtigste Grundnahrungsmittel gentechnisch verändert worden, dann werden ihm unter dem Deckmäntelchen der Hungerbekämpfung weitere Produkte folgen, sind Kritiker überzeugt.
7. Vom Paulus zum Saulus: Öko-Renegaten und Öko-Modernisten
Im August 2013 zerstörten 400 Bauern und Gentechnikgegner ein Golden-Rice-Versuchsfeld des philippinischen Reisforschungsinstituts. Die Protestaktion wurde vom philippinischen Bündnis Sikwal-GMO, einer Gruppe von Akademikern, Bauern, Kirchen, Studenten und Umweltschützern, organisiert und auch von der Kleinbauernorganisation Masipag unterstützt.598 Der deutsche Biotechnologe Hans-Jörg Jacobsen von der Universität Hannover behauptet in einem Beitrag im Magazin Novo Argumente, dass hinter dieser Aktion in Wahrheit Greenpeace stecke, die »zweifelhafte Organisationen wie Masipag auf den Philippinen« finanziere, »um die Drecksarbeit für Greenpeace zu erledigen«. Masipag, so behauptet er weiter, sei »der verlängerte Arm von Greenpeace auf den Philippinen«. Masipag hat aber außer der gemeinsamen Ablehnung der Grünen Gentechnik nichts mit Greenpeace zu tun, sondern ist die größte Kleinbauernbewegung der Philippinen.
»Diese Arroganz muss aufhören!«, echauffierte sich Vandana Shiva in einem BBC-Streitgespäch mit Jacobsen, als dieser Masipag als »Ökoterroristen« verunglimpfte.599 Shiva wiederum bezeichnete der Wissenschaftler in einem anderen Novo Argumente-Beitrag als »Anti-GMO-Diva und Hochstaplerin«.600 Abgesehen davon, dass es einem von öffentlichem Geld finanzierten Hochschulprofessor nicht zusteht, sich derart respektlos zu äußern, stellen solche Worte vor allem eines in Frage: das angeblich rein humanitäre Interesse.
Jacobsen ist ein Vertreter der PR-Kampagne »Allow Golden Rice now!«, die 2013 von Patrick Moore gegründet wurde. Moore ist eine zentrale Figur der Golden-Rice-Propaganda. Er kämpft vor allem gegen Greenpeace, weil die NGO Grüne Gentechnik generell und insbesondere den Golden Rice ablehnt. »Greenpeace’ Verbrechen gegen die Menschlichkeit: 8 Millionen Kinder tot. Golden Rice Now«, stand auf dem Transparent, mit dem der Kanadier und seine Anhänger im Januar 2014 vor der Greenpeace Zentrale in Hamburg eine »Mahnwache« abhielten.601
Moore gehörte zu den ersten Mitgliedern der Umweltschutzorganisation; die Gründungsurkunde von Greenpeace Deutschland trägt seine Unterschrift. Er war Präsident von Greenpeace Kanada, bis er 1986 ausstieg, weil sich die NGO seiner Meinung nach »von Logik und Wissenschaft verabschiedet« hatte und von »Extremisten« übernommen worden war. Heute inszeniert sich Moore als »wahrer Umweltschützer«, der zur Vernunft gekommen sei, und lässt sich dafür in den Medien feiern. Für die scheint seine Wandlung geradezu ein Ausweis von Glaubwürdigkeit zu sein. Und so profitiert Moore von seiner 30 Jahre zurückliegenden Mitgliedschaft mehr denn je. Dabei ist Moore längst kein Umweltschützer mehr, sondern PR-Profi und Wirtschaftslobbyist. 1991 gründete er in Vancouver die PR-Firma Greenspirit Strategies, die die denkbar zerstörerischsten Unternehmen vertritt und ihnen ein sauberes Öko-Image auf den ungewaschenen Leib schneidert. Moores Unternehmensberatung arbeitet für die Aquakultur-, Forst-, Bergbau-, Energie-, Chemie-, Pestizid-, Landwirtschafts- und die Biotechnologie-Industrie. Moore und seine Firma propagieren die Gewinnung von Öl aus kanadischem Teersand als »umweltschonend« und Atomenergie als »sicher, verlässlich und sauber«.602 2010 wurde Moore als Repräsentant der indonesischen Firma PT Asia Pulp & Paper engagiert, einer der größten Holz- und Papierkonzerne der Welt. Diesem Konzern wird Landraub, illegale Abholzung und zuletzt die Ermordung von Aktivisten vorgeworfen. Moore war außerdem als Lobbyist für die Atomindustrie tätig und versuchte in ihrem Auftrag, den US-Kongress davon zu überzeugen, mehr Kernkraftwerke zu bauen.603 Vom Heartland Institute, einem US-Think Tank der Klimawandel-Leugner, wurde er als Redner eingeladen und verblüffte dort 2014 mit der Aussage, dass er eher eine globale Abkühlung als eine Erwärmung fürchte. »Wenn es zwei Grad wärmer wird, hoffentlich eher in Kanada und im Norden, wäre das vielleicht eine gute Sache.«604
Seinen beeindruckendsten Aufritt aber hatte Patrick Moore im März 2015, als ihn ein Journalist vom französischen Sender Canal+ zum Herbizid Glyphosat befragte, das kurz zuvor von der Weltgesundheitsorganisation WHO als krebserregend klassifiziert worden war.
Moore: Sie können ein ganzes Glas davon trinken und es würde Ihnen nicht schaden.
Interviewer: Wollen Sie eines trinken? Wir hätten welches da.
Moore: Mit Vergnügen! – Nicht wirklich, aber ich weiß, dass es mir nichts ausmachen würde.
Interviewer: Wenn Sie das sagen … Wir haben Glyphosat hier …
Moore: Nein, ich bin ja nicht blöd. Aber ich weiß, dass Leute versuchen, sich damit umzubringen, und sie scheitern damit dauernd.
Interviewer: Also ist es in Wahrheit gefährlich?
Moore: Nein, es ist nicht gefährlich für Menschen.
Interviewer: Also sind Sie bereit, ein Glas zu trinken?
Moore: Nein, ich bin kein Idiot. Befragen Sie mich über den Golden Rice, das ist das, worüber ich sprechen will. Ok, das Interview ist jetzt beendet.
Interviewer: Das ist ja eine gute Möglichkeit, die Dinge zu lösen.
Moore (steht auf und geht. Aus dem Off). »Sie sind ein echter Vollidiot.«605
Versteht denn keiner, dass es dem Mann um nichts anderes geht, als Greenpeace vom Kindermassenmord abzubringen?! – Doch, doch. Die deutsche Qualitätspresse versteht das durchaus. Sie trägt seine Kampagne gern in die Welt: »Doch je länger der Öko-Protest dauert – inzwischen sind es 15 Jahre –, desto mehr müssen sich die Umweltschützer fragen lassen: Ist es moralisch gerechtfertigt, Krankheit und Tod von Hunderttausenden Menschen in Kauf zu nehmen, um einen wie auch immer begründeten ideologischen Standpunkt zu verteidigen?« fragte das SZ-Magazin.606 »Gegen diese (Bt-)Pflanzen müssen Gentechnikgegner weiter kämpfen – aber nicht gegen den Goldenen Reis. Sonst bieten sie Monsanto und den anderen Gentech-Konzernen eine Angriffsfläche. Denn die Aktivisten wären sonst mitverantwortlich dafür, dass Kinder nicht vor Erblindung und Tod bewahrt werden«, hieß es selbst in der taz.607
Moore gehört zu jener Gruppe von Öko-Renegaten, deren Stimmen immer lauter werden. Wie Moore inszenieren sie sich als Geläuterte, als Bekehrte, die den falschen Ideologien abgeschworen haben und zur Erkenntnis gelangt sind, wie die Welt wirklich zu retten ist. Deswegen sprechen sie gegen den vermeintlich ökoverblendeten Mainstream sogenannte »unbequeme Wahrheiten« aus: zum Beispiel die, dass Bioprodukte lebensgefährlich sind, dass das Klima nicht ohne Atomkraft zu retten ist, dass Vegetarier die Welt zerstören und die Menschheit nur mit Gentechnik überleben kann. Dabei sind diese »Wahrheiten« die allerbequemsten von allen: Sie suggerieren, dass alles weitergehen kann wie bisher – die Technik wird’s schon richten. Sie diskreditieren die Umweltbewegung als »Ersatzreligion«, und während sie ihren Gegnern vorwerfen, mit Horrorszenarien zu arbeiten, schüren sie selbst Paranoia (Hungertod, Stromlücke, Verbotsgesellschaft) und arbeiten mit maßlosen Schuldzuweisungen (Holocaust). Dabei schlagen sie die schrillsten Töne an, die man nur treffen kann: Wenn sie kein Nicht-Argument parat haben, tut es schon mal der Vorwurf eines »Verbrechens gegen die Menschlichkeit« oder ein Nazi-Vergleich.
In Deutschland gehört das Autoren-Duo Dirk Maxeiner und Michael Miersch zu den prominentesten Öko-Renegaten. Mit ihrem Buch Alles grün und gut? Eine Bilanz des ökologischen Denkens möchten sie »Orientierung für ein zeitgemäßes ökologisches Denken« geben, damit die Menschen nicht »Versprechungen und Stimmungsmache einer inzwischen mächtigen Öko-Industrie auf den Leim« gehen oder gar »Ideologen«, denen es um nichts anderes geht als, was schon, natürlich: um »die Beherrschung der Menschen, die machen sollen, was andere für richtig und moralisch geboten halten«.608 Ihr Buch, das sich gegen einen vermeintlich schädlichen »Weltrettungsfuror« richtet, ist nichts anderes als ein Plädoyer für Wirtschaftswachstum, technischen Fortschritt, Gentechnik, Atomkraft und Fracking. Im Westen nichts Neues also – nur das verzweifelte Festhalten an den herrschenden Verhältnissen, das sich heute ganz fortschrittlich »Ökomodernismus« nennt.
»Ich würde gern mit einigen Entschuldigungen beginnen: Für’s Protokoll, hier und vor dem Podium entschuldige ich mich dafür, viele Jahre damit verbracht zu haben, Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen zu zerstören. Es tut mir ebenfalls leid, am Aufbau und der Etablierung der Anti-Genfood-Bewegung in den 1990er Jahren mitgewirkt zu haben und somit eine wichtige technologische Option zu dämonisieren, die zum Wohl der Umwelt eingesetzt werden kann. Als Umweltschützer und als jemand, der daran glaubt, dass jeder auf dieser Welt das Recht auf eine gesunde, nahrhafte und selbstbestimmte Ernährung hat, hätte ich keinen schlechteren Weg wählen können. Heute bedaure ich dies vollständig.«609
Mit diesem Geständnis eröffnet der Brite Mark Lynas seinen mittlerweile vielfach veröffentlichten Vortrag, in dem er erklärt, warum die Welt auf Grüne Gentechnik nicht verzichten kann. Lynas ist Autor und bezeichnet sich als »Öko-Modernist«. Medien in den USA und Deutschland, zum Beispiel die New York Times, der New Yorker, die BBC, sowieso Novo Argumente und das Blog »Achse des Guten« ließen Lynas seine Bekehrungsgeschichte immer wieder von Neuem erzählen oder berichteten über dessen wundersame Wandlung vom Anti-Gentechnik-Aktivsten zum Kämpfer pro Gentechnik.
Allein: Lynas hat weder zu den Gründern der britischen Anti-Gentechnik-Bewegung gehört, noch hat er jemals die Rolle darin gespielt, die er behauptet – das geben 19 führende Figuren und Gründer der britischen Anti-Gentechnik-Bewegung zu Protokoll.610
»Die Debatte über die Grüne Gentechnik ist zu Ende. Aus und vorbei. Wir brauchen nicht länger darüber zu diskutieren, ob sie sicher ist oder nicht – nach anderthalb Jahrzehnten und drei Billionen verzehrten genmodifizierten Mahlzeiten gibt es nicht einen einzigen substantiierten Schadensfall«, erklärt Lynas.611 Neo-Ökos wie er geben an, sich allein an neutralen und nüchternen Fakten, der Wissenschaft also, zu orientieren. Zu behaupten, es bräuchte keine Forschung mehr, weil man ja nun schon alles wüsste, ist aber im Gegenteil zutiefst anti-wissenschaftlich. Jede einzelne von Lynas Behauptungen lässt sich – Daten und Fakten – widerlegen. Und eine ganze Reihe von Leuten, darunter Wissenschaftler der US-amerikanischen Union of Concerned Scientists, die Gentechnik selbst gar nicht strikt ablehnen, haben dies auch bereits getan.612
Aber Lynas ist ja auch kein Biotechnologe, sondern bezahlter Gentechnik-Botschafter der amerikanischen Cornell Universität und Mitglied der Cornell-Akademie für Landwirtschaft und Biowissenschaften. Seit 2014 arbeitet er für das neu gegründete Programm »Alliance for Science« der Akademie. Diese »Allianz für die Wissenschaft« ist eine PR-Kampagne, die die »aufgeladene Debatte um landwirtschaftliche Biotechnologie und gentechnisch modifizierte Organismen entpolarisieren« will. Cornells Propaganda für die Gentechnik wird von der Bill&Melinda Gates Foundation mit 5,6 Millionen Dollar unterstützt.613
Für die Cornell Universität ist Lynas auch in Bangladesch aktiv – und zwar für die gentechnisch veränderte Aubergine Bt Brinjal. Was Patrick Moore für den Golden Rice ist, das ist Mark Lynas für Bt Brinjal: Wann immer man positive Nachrichten und schöne Geschichten über das Gen-Gemüse liest, dann stammen sie von Mark Lynas. Sämtliche Gegendarstellungen zu Kritik an Bt Brinjal und negativen Medienberichten darüber stammen nahezu ausschließlich von: Mark Lynas. Dabei greift er zu eher schlichten Mitteln, indem er die vielen Reporter, die die Bauern besucht und deren Misserfolg mit Bt Brinjal dokumentiert hatten, einfach als Lügner darstellt. Er unterstellt sogar, dass diese – er setzt das Wort in Anführungszeichen – Journalisten gar nicht vor Ort gewesen seien und es also eher Anti-Gentechnik-Aktivisten gelungen sei, ihre Texte in so renommierten Zeitungen wie die Financial Times614 zu lancieren.615 Und Anti-Gentechnik-Aktivisten würden schließlich »oft lügen«616. Lynas geht sogar so weit zu behaupten, dass diese »ausgedachten Berichte« von Leuten stammten, die womöglich Pestizide befürworteten, denn Bt Brinjal würde doch sehr viel weniger davon benötigen.
»Bt Brinal in Bangladesch – die wahre Geschichte«, so lautet Lynas’ mittlerweile vielfach, auch von der Cornell Universität, verbreiteter Bericht. Darin stürzt sich Lynas auf einen Report mit dem Titel »Bt Brinjal Anbau ruiniert Bauern in Gazipur«,617 der am 7. Mai 2014 in der bangladeschischen Zeitung New Age erschienen war. Die Reporter hatten zwei Tage zuvor die Bt-Brinjal-Versuchsfelder in Gazipur besucht und dort mit den Bauern gesprochen, die sich über den Misserfolg beschwert hatten. Lynas erklärt ihren Bericht schlichtweg für »vollkommen falsch«. Er selbst hätte zusammen mit »verschiedenen Wissenschaftlern« der Cornell Universität und des landwirtschaftlichen Forschungsinstituts BARI dieselben Farmen nur einen Tag vorher besucht und die Pflanzen »bei guter Gesundheit« und »glückliche Bauern« vorgefunden. 618
Ich staune nicht schlecht, als ich die Fotos der Delegation sehe, die Mark Lynas veröffentlicht hat. Sie zeigen Monsur Sarker, den wütenden Bauern, dessen vertrocknetes Feld ich fünf Wochen später, am 28. Juni, besuchen würde. Auch die New Age-Journalisten hatten Sarker getroffen und einen enttäuschten Mann erlebt. Noch mehr staune ich allerdings, als ich das »Beweisvideo« sehe, das Lynas am 9. Juli gedreht hat, also fast zwei Wochen nach meinem Besuch bei Monsur Sarker. Neben Sarker steht Kamrul Hasan vom Landwirtschaftsinstitut BARI und sagt auf Englisch in die Kamera, dass Monsur Sarker »sehr glücklich ist mit Bt Brinjal«. Monsur Sarker, der kein Englisch spricht, schweigt und betrachtet missmutig seine Fingernägel. Hasan sagt, dass Sarker 300 Kilo Auberginen geerntet hätte, sich aber eine größere Sorte wünsche. Mit der Bt-Technologie sei er aber sehr zufrieden. Bei meinem Besuch ohne offizielle Begleitung des Instituts hatte ich – wie die anderen Journalisten auch – einen unmissverständlich aufgebrachten Monsur Sarker angetroffen, der vertrocknete Pflanzen ausgerissen und sich über seinen Verlust beschwert hat. Als Mark Lynas dann offenbar vertrocknete Pflanzen sieht (aber nicht zeigt), sagt ein anderer Mann von Institut, es hätte – wie ungewöhnlich für Bangladesch! – viel geregnet. Und Monsur Sarker sagt: gar nichts.619
Lynas, Cornell und BARI wiesen den Misserfolg des Experiments sogar noch zurück, als im August 2014 die Versuchsbauern bei einer Pressekonferenz Entschädigung für ihren Verlust einforderten.620 Jene Bauern seien »vermutlich von den Anti-Gentechnik-Gruppen zu den Sprachrohren ihrer Kampagne manipuliert worden«, mutmaßten die Projektbetreiber in ihrem Statement zu dieser Konferenz, »die mächtige Anti-Gentechnik-Lobby sammelt ihre Kräfte, um Bauern kompromisslos davon abzubringen, die pestizidreduzierende Bt Brinjal anzubauen.«621 Nun, so mächtig sind sie wiederum leider nicht, dass sie mit ihrem vehementen Protest hätten verhindern können, dass das gentechnisch veränderte Saatgut an mittlerweile mehr als hundert weitere Bauern verteilt wurde.
Farida Akther, die mit ihrer NGO Ubinig gegen Gentechnik und für Saatgut in Bauernhand kämpft, hat in Bangladesch die NGO-Koalition gegen Bt Brinjal mitbegründet, die mehrere Menschenketten und Proteste gemeinsam mit Kleinbauern organisiert hat. Auch Ubinig hat Kontakt zu den Versuchsbauern und beobachte Lynas’ Kampagne. Akther hat beispielsweise den Bauern »Mr. Rahman« ausfindig gemacht, den Lynas in einer Reportage in der New York Times im April 2015 als Beleg für den unglaublichen Erfolg von Bt Brinjal heranzog: »Jetzt, mit seinen erhöhten Profiten, freut er sich darauf, seine Familie noch weiter aus der Armut befreien zu können. Ich konnte sehen, warum dies so dringend ist: Ein halbes Dutzend Kinder ohne T-Shirts versammelte sich um uns und forderte unsere Aufmerksamkeit. Sie alle schienen gezeichnet von Mangelernährung. In einer vernünftigen Welt würden ihm alle zur Seite stehen. Er verbessert die Umwelt und bewältigt Armut.«622 Akther besuchte diesen »Mr. Rahman«. Der erinnerte sich genau an den westlichen Besucher und zeigte Akther ein Handy-Foto von Lynas. Aber anders als Lynas es in seiner rührseligen Geschichte darstellt, ist er keineswegs glücklich mit Bt Brinjal. Rahman, der zur neuen Riege der Versuchsbauern gehört, hätte eine Menge Dünger und auch Pestizide ausgebracht, denn mindestens zehn Prozent der Pflanzen seien von Viren und anderen Schädlingen jenseits des Auberginenfruchtbohrers befallen worden. Vor allem aber ist Rahman weder arm, noch hat er mangelernährte Kinder. Er ist ein wohlhabender Gemüsebauer mit Universitätsabschluss. 623