Man kann den Regenwald auch mit solarbetriebenen Kettensägen abholzen.
Hans-Peter Dürr, Physiker, Umwelt- und Friedensaktivist
GRÜNES WACHSTUM – WELTRETTUNG ODER »AMOKLAUF GEGEN DIE NATUR«?
Die nebelnassen Bäume werfen ihre letzten Blätter von den schwarzen Ästen, ihre Kronen sind im dichten grauen Dunst verborgen. Auch der riesige, düstere Klotz hinter den Bäumen verschwindet fast im Nebel: Die Glasfassade des Maritim-Hotels am Düsseldorfer Flughafen wirkt stumpf und bleiern. Es ist unwirtlich und kalt an diesem tristen Novembermorgen. Doch drinnen, im Saal Düsseldorf, wo sich mehr als tausend Gäste versammelt haben, da wird es gleich leuchten und strahlen.
Ram-tam-tam-ta-ram-tam-ta-ram-tam … Eben saßen noch einige zusammengesunken auf ihren Stühlen und versuchten, das Muster auf dem Teppichboden zu entwirren. Doch als das beschwingte Dreizehn-Sekunden-Intro von Coldplays Superhit Viva La Vida durch den Raum schallt, sind die Gäste wie auf Kommando gut gelaunt und hellwach, sie strahlen und klatschen, als würden sie dafür bezahlt.
Es ist der Deutsche Nachhaltigkeitstag. Und der ist für die Industrie wie ein vorgezogenes Weihnachtsfest. An diesem 22. November 2013 wird in Düsseldorf zum sechsten Mal der Deutsche Nachhaltigkeitspreis verliehen. Deutsche Unternehmen, ihre Verbände, Forschungseinrichtungen, der Rat für nachhaltige Entwicklung und die deutsche Bundesregierung vergeben diesen Nachhaltigkeitspreis für, wenig überraschend, »Spitzenleistungen der Nachhaltigkeit« an, noch weniger überraschend, deutsche Unternehmen, »die vorbildlich wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer Verantwortung und Schonung der Umwelt verbinden«, sowie an Kommunen, Forschung und internationale Popstars.
Stefan Schulze-Hausmann tritt ins Rampenlicht. Der Rechtsanwalt und ehemalige TV-Moderator (»neues«, »nano«, 3Sat) hat den Preis 2008 initiiert. »Nachhaltigkeit ist ein Mega-Thema«, ruft Schulze-Hausmann, »die Zahl der Unternehmen, die krass ignorant sind, sinkt beständig.« Die Gäste applaudieren begeistert. Kein Wunder, sie applaudieren sich schließlich selbst, und sich selbst finden sie gut. Denn da in Düsseldorf im Saal Düsseldorf sitzen keine Ökos mit langen, ungewaschenen Haaren, sondern Männer in Anzügen und Frauen in Kostümen. Viele sind Unternehmensvertreter, und sie repräsentieren die deutsche Industrie von A bis Z: von Allianz, Bayer, BMW, Coca-Cola, Danone, Frosta, Henkel, Lufthansa, Rewe, Siemens und Unilever bis zur Zehnder Group, dazu Vertreter von Verbänden wie dem Deutschen Markenverband, dem Handelsverband, dem Gesamtverband der Kunststoff verarbeitenden Industrie und dem Deutschen Tourismusverband.
Schulze-Hausmann schwärmt von einem »Familientreffen der Nachhaltigkeit«. Auch für mich ist es ein Wiedersehen mit – guten? – na ja, jedenfalls mit alten Bekannten: Einige von ihnen habe ich schon interviewt, nämlich die Vertreter von Unternehmen, zwischen deren proklamiertem »grünem Engagement« und den tatsächlichen Auswirkungen ihres Kerngeschäfts eine Lücke so groß wie der Marianengraben klafft.
»Die Industrie versucht, sich zu engagieren, da lernen alle. Das ist ein Prozess, den müssen wir gestalten.«1 Das hat mir, obwohl solche Formulierungen zum Standardrepertoire der Industrie gehören, ein Nachhaltigkeitsmanager von Henkel erklärt. Der deutsche Chemiekonzern hat als einer der ersten 2008 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis bekommen und ist, wie Coca Cola, Rewe, Siemens und der Deutsche Markenverband, einer der Sponsoren des Events. Man würde nicht sofort draufkommen, dass Henkel ein Ökounternehmen ist. Drum braucht es auch die Teilnahme am Nachhaltigkeitspreis. Was man dem Chemiekonzern lassen muss, der mit 2,2 Millionen Megawattstunden so viel Energie verbraucht wie eine mittlere Großstadt: Er kämpft wirklich engagiert. Zum Beispiel gegen den Ausstieg aus der Atomenergie und für die Kohlekraft, Seit’ an Seit’ mit den großen Stromkonzernen.2 Aber nun, man kann nicht alles haben, und Henkel stellt ja gleichzeitig einen Kleber her, der beim Zusammenkleben von Windturbinen eingesetzt wird, und das hält der Konzern für einen »wichtigen Beitrag zu erneuerbaren Energien«.3 Für Henkel, so erklärt Nachhaltigkeitsmanger Uwe Bergmann später auf dem Podium, »hat Nachhaltigkeit mit Business zu tun«. Und da hat Henkel beste Gesellschaft: auch BASF, Bayer, C&A, General Electrics, Otto, Puma, Siemens, die Axel Springer AG und Volkswagen sind Träger des Weltrettungspreises. Der deutsche Supermarkt-Gigant Rewe hat ihn gleich vier Mal bekommen.
Aber derartige Widersprüche werden auf dem Deutschen Nachhaltigkeitstag nicht kritisiert. Im Gegenteil: Sie werden zelebriert. »Verantwortliches Handeln«, lautet die Parole, helfe nicht nur dabei, »soziale und ökologische Probleme im globalen oder lokalen Maßstab zu lösen«, sondern könne auch »Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit erhöhen«.
Jetzt zeigt Günther Bachmann, der Generalsekretär des Rats für nachhaltige Entwicklung, ein Filmchen über das gut gelaunte Öko-Deutschland: Windräder im Sonnenuntergang, Elektroautos und Menschen im Supermarkt. Ein Unternehmer sagt, »Nachhaltigkeit bedeutet, die Schere zu schließen zwischen Ökonomie und Ökologie«. Lauter tolle Ideen werden präsentiert: Stofffasern aus Milch, Fahrräder aus Holz, Tomaten in einem urbanen Gewächshaus, gedüngt mit dem Abwasser aus Fischtanks, und »Wurst mit Gesicht«, für die sich der Konsument per Mausklick im Internet selbst ein »glückliches Schwein« aussuchen kann, das dafür abgestochen wird. Menschen halten Schilder mit Buchstaben in die Luft, die den Satz »Jeder entscheidet« ergeben.
»Mal ehrlich, jeder von uns könnte mehr für die nachhaltige Entwicklung tun, beim Einkaufen, beim Reisen, auch beim Geldanlegen«, sagt Bachmann in eine Kamera. Alle, die hierhergekommen sind, wollen etwas tun, und sei es nur, sich selbst und allen, die es hören wollen, zu versichern, wie »›Sustainability made in Germany‹ erfolgreich den Herausforderungen der Nachhaltigkeit begegnen und gleichzeitig Wettbewerbschancen eröffnen kann«. Na freilich: Wenn Klima- und Umweltschutz »Wachstumsförderer« sind, dann sind dementsprechend klarerweise die Unternehmen selbst die »Problemlöser«. Das sogenannte »Drei-Säulen-Modell« der Nachhaltigkeit, in dem wirtschaftliche, ökologische und soziale Ansprüche gleichrangig berücksichtigt werden müssten und einander bedingen, findet breiten Zuspruch und wird auch von der Politik beglaubigt – obwohl es schlicht eine Erfindung der Wirtschaft ist, genauer des Verbands der Chemischen Industrie, der diese »Theorie« in die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages »Schutz des Menschen und der Umwelt« eingebracht hat.
Ram-tam-tam-ta-ram-tam-ta-ram-tam … Nach jedem Auftritt fegt das Intro der Stadionhymne von Coldplay über die Bühne, als wäre wieder ein Tor für Umwelt und Klima gefallen. Deutschland – ein Spätherbstmärchen der Nachhaltigkeit. Ich warte nur darauf, dass der freundliche grüne Riese aus der RWE-Werbung kommt, den Unternehmern Windrädchen auf den Kopf steckt und ihnen ein grünes Mäntelchen aus Rollrasen umhängt.
»I used to rule the world. Seas would rise when I gave the word«: sehr im Kontrast zur freundlich beschwingten Melodie handelt der Coldplay-Song von einem paranoiden Herrscher, der seine Macht verloren hat. Genauso verbirgt sich hinter dem dick aufgetragenen Optimismus, dem dröhnenden Hurra-Patriotismus, der »Macher«-Inszenierung samt ihrer abgeschmackten Hauruck-Parolen, wie sich »Deutschland im globalen grünen Wettrennen bewähren« soll, eigentlich nur die tiefe Sorge der deutschen Wirtschaft, dass ihre Profite und ihr grenzenloser Wachstumsdrang durch so etwas unangenehmes wie Klimaschutz gebremst werden könnten. Lieber eignet man sich die Kritik an, schreibt sich selbst dick »Umweltschutz« auf die Fahnen und produziert ordentlich Wind, damit diese Fahnen auch schön flattern. Es passt, dass ausgerechnet die »Klimakanzlerin« Angela Merkel gleich drei Mal Schirmherrin dieser Veranstaltung war.
»Once you’re gone you’re gone, there was never, never an honest word. And that was when I ruled the world.« Tatsächlich sieht die Bilanz des »Vorreiters« in Sachen »Nachhaltigkeitsexzellenz« so aus: Zwischen 2004 und 2012 hat Deutschland den Transport von Waren mit dem Flugzeug, dem mit Abstand klimaschädlichsten Fortbewegungsmittel, um mehr als 50 Prozent gesteigert. Der Export der deutschen Industrie ist zwischen 2007 und 2013 von 35 auf 43 Prozent gestiegen, parallel dazu natürlich auch der CO2-Ausstoß.4 Zugleich importiert Deutschland Agrarprodukte und andere Verbrauchsgüter, deren Herstellung mit knapp 80 Millionen Hektar mehr als das Doppelte der gesamten Fläche Deutschlands benötigen.5 Die Deutschen essen mit 60 Kilo pro Kopf und Jahr überdurchschnittlich viel Fleisch. Trotz Energiewende werden weitere Kohlekraftwerke gebaut, die die CO2-Einsparung durch erneuerbare Energie zunichte machen. Niemand in Europa hat so viele Autos wie wir Deutschen: Auf 1 000 Einwohner kommen 530 PKW, jeder fünfte neu angemeldete ist ein SUV. Kein Land trennt so besessen seinen Abfall wie wir – was nichts daran ändert, dass wir auch mit am meisten Müll in Europa produzieren, nämlich 453 Kilo pro Kopf und Jahr.6 Außerdem steigen immer mehr Deutsche ins Flugzeug, und die meisten Vielflieger finden sich, welche Ironie: ausgerechnet unter den Wählern der Grünen.7
Doch mit der hässlichen Realität hält sich der Deutsche Nachhaltigkeitstag nicht auf. Er schaut in eine grüne Zukunft, in der der brummende Motor der Konjunktur auch noch gut sein soll für Umwelt und Klima. Die Zauberformel heißt: Green Economy.
Hinter dem Schlagwort verbirgt sich die Idee, Wachstum und Naturverbrauch mit Hilfe neuer Technologien zu »entkoppeln« – und die Theorie, dass dieses Entkoppeln so funktioniert, als wären die guten und die schlechten Effekte des Kapitalismus wie Lokomotive und Waggon, die man mit den richtigen Handgriffen einfach voneinander trennen könnte. Diese »dritte industrielle Revolution« soll Schäden aber nicht nur vermeiden, sondern sogar beheben – mit Elektroautos, Solar- und Windkraftanlagen, Pflanzentreibstoffen, effizienten Kraftwerken, CO2-Speicherung, Landwirtschaft auf Hochhausdächern, Nachhaltigkeitszertifikaten für Problemrohstoffe, Aufforstung von Schutzgebieten, Emissionshandel, Biotechnologie und Grüner Gentechnik.
2008, im selben Jahr, als der Deutsche Nachhaltigkeitspreis gegründet wurde, veröffentlichte das Umweltprogramm der Vereinten Nation (UNEP) den »Green Economy Report«. Demgemäß soll durch eine grüne Wirtschaft »das menschliche Wohlergehen gesteigert und soziale Gleichheit sichergestellt« werden, »während gleichzeitig Umweltrisiken und die Knappheit ökologischer Ressourcen berücksichtigt werden«. Dieser Gedanke wurde 2012 auch auf der Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung in Rio verhandelt, nachdem schon alle Strategien nachhaltiger Entwicklung gescheitert waren. Schließlich griff die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) das neue Wirtschaftsparadigma auf und propagierte ein grünes Wachstum mit neuen »grünen« Märkten und Sektoren«. Die Europäische Union entsann 2010 einen Plan für nachhaltiges Wachstum, und auch die Bundesregierung hat das »Leitbild der Green Economy als international wettbewerbsfähige, umwelt- und sozialverträgliche Wirtschaft« übernommen.
Glaubt man den Aposteln der Ökotechnik, so dauert es nicht mehr lange, bis man ohne schlechtes Gewissen zum Wochenendeinkauf nach New York jetten kann, um dort recycelte Designerturnschuhe zu kaufen. Das Geld dafür könnte aus Investitionen in »Klimawälder« in armen Ländern stammen, das Flugzeug mit nachwachsender Energie aus Algen fliegen, und die Bezüge der Flugzeugsitze könnten essbar sein. Man wird sie nicht mehr wegwerfen müssen, sondern kann sie zu Industrieessen recyceln und, mit Vitaminen angereichert, zum Beispiel den Armen servieren – samt gentechnisch verändertem Beilagensalat, der einen Impfstoff gegen Tropenkrankheiten enthält. Der Armut glücklich entronnen, werden auch die qua Geburt Unterprivilegierten endlich in der Lage sein, mit Elektroautos aus ihren Hüttendörfern hinauszubrummen, die eh bloß Plantagen für nachwachsende Rohstoffe den Platz wegnehmen, hinein in die nachhaltige Wohnanlage aus Passivhäusern mit Solarstrom.
Diese schöne grüne Sciencefiction stammt nicht etwa aus Daniel Düsentriebs Geheimnotizen. Es sind Visionen Grüner-Technik-Apologeten wie sie etwa der Popstar des grünen Wachstums, Michael Braungart, hat. Letzterer, Verfahrenstechniker und Leiter des Hamburger Umweltinstituts, hat mit dem US-amerikanischen Designer William McDonough das »Cradle-to-Cradle«-Prinzip erfunden, demzufolge alle Produkte wieder vollständig in den Stoffkreislauf zurückkehren sollen. 600 Produkte hat Braungart entwickelt – darunter auch die oben genannten essbaren Flugzeugsitzbezüge.
Braungart ist ein gern gesehener Interviepartner und Veranstaltungsgast, denn er verbreitet die ersehnte frohe Botschaft unter den westlichen Mittel- und Oberschichten: Wirtschaftliches Wachstum, überbordender Konsum und Verschwendung sind nicht nur völlig unproblematisch, sondern sogar gut für die Welt – solange sie mittels technischer Innovationen nur »intelligent« gemacht sind. Intelligente Verschwendung. Auf dem Weg in eine neue Überflussgesellschaft heißt Braungarts jüngstes Buch.8 Allerdings ist die Green Economy kein alternatives Wirtschaftssystem, sondern lediglich ein grün schimmernder Kapitalismus, der weiterhin bestimmt ist von Wachstum und Wettbewerb und den Profitinteressen der Industrie – also das ökonomische Wunderding der eierlegenden Wollmilchsau. Aber auch ein grünes Wachstum braucht Energie und Ressourcen. Eine »Entkopplung von Wachstum und Naturverbrauch« wird es in einer Welt die ja immer noch nach thermodynamischen Gesetzen funktioniert, genauso wenig geben wie das Perpetuum mobile: Zerstörung der Natur, Plünderung von Ressourcen, Ausbeutung und Armut sind unvermeidbar auch die Grundlagen des grünen Wachstums.9
Alle Versuche, destruktive Techniken und Rohstoffe durch »nachhaltigere« zu ersetzen, sind aber, wie ich in diesem Buch an mehreren Beispielen zeigen werde, krachend gescheitert oder haben die Probleme sogar noch verschärft: Die Herstellung von Elektroautos, von Windrädern und Solarzellen benötigt riesige Mengen Seltener Erden und Konfliktrohstoffe, die aus Kriegsgebieten beschafft werden oder Indigenen das Land rauben, weil sie sich unter ihrer regenbewaldeten Erde befinden. Die fatale Idee, Lebensmittel zur Energiegewinnung zu verbrennen, hat den Hunger noch verschärft. Für die nächste Idee, »Energiepflanzen« wie beispielsweise Ölpalmen zu kultivieren, ist in Südostasien der Regenwald gigantischen Palmölplantagen gewichen. Die »zweite Generation« nachhaltiger Kraftstoffe, zum Beispiel aus künstlicher Photosynthese, auf der jetzt die große neue Hoffnung liegt, befindet sich im Laborstadium. Welche Folgen ihr Einsatz haben wird, wird man ebenfalls erst feststellen, wenn Schäden bereits entstanden sind. Aber dann wird den Menschen wieder etwas Neues, noch Tolleres einfallen. Davon jedenfalls sind die grünen Technikoptimisten fest überzeugt.
Berlin, das Büro von Ralf Fücks. Der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung war einer der ersten »Realos« der Grünen und gilt als Vordenker einer rot-grünen Regierung. Und er ist, im Gegensatz zu anderen Vertretern der Heinrich-Böll-Stiftung, ein glühender Anhänger der Green Economy. Intelligent wachsen. Die Grüne Revolution heißt sein Werk, in dem er der »autoritären Tugendherrschaft« der Umweltschützer etwas entgegensetzen will: nämlich die positive »ökologische Transformation des Kapitalismus« mittels Technologie und Effizienz.10 Fücks vertritt die Theorie des Anthropozäns, jenes Zeitabschnitts also, in dem der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktor der biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde wurde, weswegen er auch fähig sei, die daraus resultierenden Probleme mit neuer Technik in den Griff bekommen. »Das hat die Zivilisation trotz aller Katastrophen getragen«, schwärmt Fücks. Auf meinen Einwand, dass dies aber immer wieder zu neuen Problem führt, sagt er leicht gereizt: »Niemand kann garantieren, dass Innovationen auch funktionieren. Man muss Fehlentwicklungen möglichst rasch korrigieren und aus Erfahrungen lernen.« Aber sollte man nicht viel eher aus der Erfahrung lernen, dass Wachstum selbst das Problem ist, und dazu Alternativen finden? Zack, fährt der »Öko-Optimist« aus der Haut: »Wie wollen Sie denn einen globalen Wachstumsstopp implementieren? Das halte ich für so was von menschenfeindlich! Die Menschen würden Ihnen den Vogel zeigen und sagen, ihr habt die Party hundert Jahre gefeiert, und wir sollen jetzt auf die Segnungen des Fortschritts verzichten?«
Dieses Argument habe ich auf meiner Reise durch die Green Economy in den Ländern des Südens nie gehört, jedenfalls nicht von den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Merkwürdig, dass auf einmal Konsumexzesse nach westlichem Vorbild in sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländern als Menschenrecht verteidigt werden, während es weiter hingenommen wird, dass verbriefte Menschenrechte dort zu jeder Sekunde mit Füßen getreten werden: Der Zugang zu überlebenswichtigen Ressourcen wird den Menschen im Süden genauso vorenthalten wie die Realisierung ihrer Vorstellung von einem guten und gerechten Leben. Denn in Wahrheit ist es ja genau andersherum: Mit unserem westlichen Wachstums- und Wohlstandsmodell schreiben wir ihnen exakt vor, wie sie zu leben haben, weil sie nämlich die Folgen unseres Handelns ausbaden müssen. Ethik und Verantwortung werden mit der Utopie des grünen Wachstums in ihr Gegenteil verkehrt. Denn es gibt eben kein Recht auf einen Lebensstil, der anderen schadet.
»Grünen Kapitalismus hat es immer schon gegeben«, sagt der Politikwissenschaftler und Globalisierungskritiker Elmar Altvater. Und zwar dann, wenn die Einsparung von Ressourcen oder Energie die Kosten gesenkt habe und man so in weiteres Wachstum investieren konnte. Trägt aber Umwelt- oder Klimaschutz nicht mehr zu Wachstum und Profit bei, ist damit schnell Schluss. Dann sorgt zum Beispiel die »Klimakanzlerin« dafür, dass die energieintensivsten Industrien kaum mehr etwas für ihre riesigen Mengen Kohlestrom bezahlen müssen, oder die Verschrottung von Autos zum Zwecke einer Neuanschaffung wird mit einer »Umweltprämie« subventioniert. Bei der Green Economy, sagt Altvater, ginge es nicht darum, die ökologischen Grenzen des Planeten einzuhalten, sondern diese mittels technischer Innovation zu erweitern. »Was daran grün ist und was nicht, ist eine Ermessenssache, bei der das Ausmaß des Zynismus zum Maßstab auf der Messlatte wird.«
Auch im grünen Kapitalismus bleiben die altbekannten Macht-, Besitz- und Produktionsverhältnisse bestehen. Lange Zeit hat der reiche Westen diese Grenzen in die Länder des Südens ausgedehnt, um dort seinen zerstörerischen Rohstoffhunger zu stillen und die schmutzige Produktion seiner Konsumgüter mit all ihren Folgen dorthin zu verlagern. Jetzt bürdet er den Menschen dort auch noch die Lösung seiner Energie- und Klimaprobleme auf.
»Hey, Dieter, pssst!« – Klickklickklick. – »Hier, Dieter, ho!« – Klickklickklick. – »Diiieeter, zu mir, huuuhuuuu!« – Klickklickklick. – »Jetzt mit der Anastacia, jaaa, suuuupi!« – Klickklickklick. Dieter Thomas Heck steht im Smoking auf dem roten Teppich und hat den Arm um die amerikanische Sängerin Anastacia gelegt. Hinter ihm steht eine graue Wand, auf der die Namen der Sponsoren des Deutschen Nachhaltigkeitspreises prangen. Gegenüber ist eine Treppe aufgebaut, auf der sich die Fotografen drängeln und um die Aufmerksamkeit der Promis buhlen. Durch das Foyer staksen Frauen auf High Heels, angetan mit glitzernden Abendkleidern und Pelzmänteln, Sektgläser in der Hand. Bald beginnen die Preisverleihung und das Gala-Dinner, das Holger Stromberg zubereitet hat, der Küchenchef der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Das Festessen besteht ausschließlich aus Fisch und Fleisch, wie nachhaltig, denke ich, eine vegetarische Alternative muss man sich extra zubereiten lassen. Auf dem Deutschen Nachhaltigkeitstag scheinen sie mit Vegetariern und Veganern nicht zu rechnen. Selbst der »Mitternachtsimbiss« ist aus Fleisch, nämlich Curry-Wurst, allerdings »ohne Reue«. Muss man wahrscheinlich erst extra verlangen. Man will die Leute halt nicht überfordern, sondern dort »abholen, wo sie stehen«. Dafür gibt es auch einen Shuttle-Service vom Sponsor Citroën. »Sustainability made in Germany« darf alles sein – bloß keine Zumutung oder gar Einschränkung. Der imperiale Lebensstil – oder, wie Harald Welzer in seinem Buch Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand11 schreibt, die entgrenzte »Kultur des alles immer« – ist im grünen Kapitalismus nicht verhandelbar.
Nach der Preisverleihung12 treten auf der »Bühne der Besten« Dionne Warwick und Anastacia auf. Sie haben ihrerseits einen Ehrenpreis für nachhaltiges Engagement bekommen. Das Ganze hat die Anmutung antiquierter öffentlich-rechtlicher Samstagabendunterhaltung – »Wetten, dass…?« meets Vorstandssitzung. Dazu gehören eben auch aus den USA eingeflogene Superstars. Dass das jegliche Nachhaltigkeitsbestrebung mit einem Schlag zunichte macht, scheint niemandem aufzufallen. Nach eigenen Angaben haben die zwei Tage Weltrettungsevent mehr als 220 Tonnen CO2 verursacht13 – das ist so viel wie 600 Menschen in Bangladesch zusammen in einem Jahr ausstoßen. Was nicht passt, wird passend gemacht, nämlich »klimaneutral«: Der absurde CO2-Ausstoß wird kompensiert – und zwar in der »Dritten Welt«. In einem Aufforstungsprojekt in Äthiopien pflanzen arme Afrikaner Bäume, damit die Reichen im Norden sich für ihre scheinheiligen Öko-Versprechen gegenseitig angemessen auf die Schulter klopfen können. Ansonsten haben Vertreter aus den Ländern des Südens auf diesem »Green Event« nichts zu suchen. Womöglich weil sie ganz andere Vorstellungen von ökologischer und sozialer Gerechtigkeit haben, als sie sich die netten Kolonialherren für sie ausgedacht haben. Das würde nur für schlechte Laune sorgen, und das kann ja nun keiner wollen, wo doch alle in so euphorischer grüner Aufbruchstimmung sind.
Vor der Bühne hopsen die Gäste ausgelassen, zwischen den Männern, die schon ihre Krawatten lockern, tanzt Christoph Harrach. Auch er ist für mich ein alter Bekannter, ich hatte den Yogalehrer, Marketingexperten und Gründer des Blogs »Karmakonsum« bereits für mein Buch Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die LOHAS und Lifestyle-Ökos vereinnahmt porträtiert. Inzwischen hat der Unternehmer und CSR-Berater selbst den Deutschen Nachhaltigkeitspreis bekommen und ist von der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis in die »N100« berufen worden. In dieser »Community der Besten« sitzen Öko-Granaten wie Coca Cola, Bayer, BASF, C&A, Procter&Gamble, Axel Springer, Rewe, Unilever, VW und der WWF. Auch die Unternehmensberatung A. T. Kearney, deren Kunden aus der Auto-, Chemie-, Öl- und Rüstungsindustrie stammen,14 gehört zu den »Kennern, Trendsettern und Vordenkern der Nachhaltigkeit«, genauso der Verband der Chemischen Industrie und der Verband der Automobilindustrie.15 All diese Firmen, die eine gesetzliche Regulierung fürchten wie den Gottseibeiuns und mit ihren Lobbyisten genau diese immer wieder vereiteln, die wollen jetzt also die Welt retten. Und vorher noch ein bisschen tanzen.
»Die Nachhaltigkeitsdebatte hat in erster Linie Symbole produziert. Und die helfen, moralische Kompensation zu betreiben. Im Kontext des grünen Wachstums hat diese reine Symbolproduktion dazu geführt, dass die Schäden zunehmen konnten, ohne dass sich jemand aufregt«, sagt Niko Paech. Er ist Professor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an der Universität Oldenburg und gehört zu den wichtigsten Wachstumskritikern in Deutschland.16 Sein Gegenkonzept heißt Postwachstum: weniger Konsum, weniger Produktion, verkürzte Wertstoffketten, regionale Produktion, teilen statt kaufen, Selbst- statt Fremdversorgung, Zeitwohlstand statt Hamsterrad, soziale Beziehungen und Sesshaftigkeit statt dauernd durch die Welt zu hetzen. Wir sitzen in Weilheim in Oberbayern, und er erzählt mir lachend, dass ausgerechnet in seinem Hotelzimmer das Telefon kaputt ist – was offenbar lange niemand gemerkt hat, da inzwischen jeder ein Handy hat. Außer Niko Paech: Er fliegt nicht, isst kein Fleisch, besitzt kein Auto, keinen Fernseher und kein Handy. Er lebt das, was er propagiert. Paech bezeichnet das grüne Wachstum als »Amoklauf gegen die Natur«, bei dem in noch größerer Geschwindigkeit noch größere Schäden angerichtet werden – und zwar in Naturgegenden, die bislang vom materiellen Raubbau verschont geblieben waren. Nicht nur in den Ländern des Südens, sondern auch in Deutschland.
Für Windparks werden, wie in Oldenburg, wo Paech wohnt, selbst Naturschutzgebiete dem Klimaschutz geopfert. Auf den Feldern wogt weniger Weizen, stattdessen wächst dort Energiemais oder -raps. Im letzten Stadium der industriellen landwirtschaftlichen Transformation konkurriert die Lebensmittelproduktion mit der hoch subventionierten Energieerzeugung. Paech ist kein Gegner der Energiewende: »Es gibt keine Alternative zu regenerativen Energieträgern. Aber der erste Schritt muss sein, radikal Energie zu sparen. Die beste Energie ist die, die wir nicht verbrauchen.« Wenn die Wende wirken soll, müssten gleichzeitig alte Kapazitäten, insbesondere Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Auf stillgelegten Industrieflächen, Flughäfen oder Autobahnen, die nicht mehr zu regenerieren sind, könnten etwa Solaranlagen gebaut werden.
Paechs Konzept ist radikal. Technikoptimisten wie Ralf Fücks ist er deshalb ein Dorn im Auge. »Postwachstumskritik ist leider nicht modern, sondern eine Zumutung«, sagt Paech. »Letztlich liegt die Attraktivität der grünen Fortschrittsreligion darin, ein auf Plünderung beruhendes Wohlstandsmodell von der eigenen Verantwortung zu entkoppeln. Grüne Technologien funktionieren als moralischer Blitzableiter in ihrer Mischung aus Hoffnungsträger und geduldigem Prügelknaben. Nicht maßloser Konsum oder Mobilitätsansprüche sind dann schuld am Desaster, sondern der noch nicht eingeleitete Entkopplungsfortschritt.«
Nicht nur, dass Wachstum grundsätzlich Rohstoffe und Energie verbraucht. Der Einsparung durch effiziente Technologie folgt der sogenannte Rebound-Effekt auf dem Fuß: Die erreichte Effizienz wird genutzt, um weiter zu wachsen. Wachstum erzeugt wiederum wachsende Kaufkraft, die sich in materiellem Konsum niederschlägt. »Unter den Bedingungen eines beständigen Wirtschaftswachstums ist es unmöglich, die Ökosphäre absolut zu entlasten. Unter den Bedingungen einer absoluten Entlastung der Ökosphäre ist es unmöglich, ein beständiges Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten«, sagt Paech. Die Alternative könne deshalb nur Reduktion heißen.
Aber gegen eine Reduktion der Rohstoffe, die ihren Profit begründen, wehrt sich die Industrie mit Händen und Füßen. Im Jahr zuvor hatte der Deutsche Nachhaltigkeitpreis deshalb seinen ersten und einzigen Skandal: Er wurde, trotz heftiger Kritik von NGOs, und Medien, ausgerechnet dem Konsumgüterkonzern Unilever verliehen. Und der ist vor allem dafür bekannt, am meisten Palmöl für seine Produkte zu benötigen, für das in Südostasien der Regenwald abgeholzt wird.
»Die Verleihung des Nachhaltigkeitspreises an Unilever war ein Reizthema«, sagt Günther Bachmann beim Nachhaltigkeitstag 2013. »Wir haben das ernst genommen und versprochen, dass wir da dran bleiben.« Abrakadabra, schon hat die Industrie eine neue grüne »Lösung« wie ein Bio-Kaninchen aus dem Hut gezaubert: das Forum für nachhaltiges Palmöl. Es ist eine von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) geleitete Intiative, deren Mitglieder und »Initiativpartner« Henkel, Rewe, Unilever und WWF versprochen haben, nur noch Palmöl mit Nachhaltigkeitssiegel zu beziehen. Merlin Koene, Unilever-Sprecher und Mitglied im »N100-Club der Besten« sagt: »Man kann die Kritik an Palmöl absolut verstehen. Aber um etwas zu ändern, brauchen wir eine Koalition der Willigen.«
Eine »Koalition der Willigen«? Dass Koene für den konzertierten kontrollierten Raubbau ausgerechnet den Begriff benutzt, der die Allianz der Staaten beschreibt, die den Irak-Angriffskrieg der USA 2003 politisch und militärisch unterstützten, hat seine ganz eigene Sinnfälligkeit. Jenny Walther-Thoß vom WWF springt dem Unternehmer zur Seite: »Ich finde einen Palmölboykott kontraproduktiv. Wir müssen den Leuten in Indonesien eine Entwicklungsmöglichkeit geben, das geht nur mit nachhaltigem Palmölanbau.« Natürlich, »wir«. Wer sonst. Mit »nachhaltigem Palmöl«, dem Schmierstoff des grünen Kapitalismus, dieser weithin gefeierten »Lösung«. Und um nichts anderes als solche »Lösungen« soll es in diesem Buch gehen.