Gewalttaten muss man alle auf einmal begehen, damit sie weniger empfunden werden und dadurch weniger erbittern.

Niccolò Machiavelli,  Der Fürst

IV. KLIMASCHUTZ GEGEN MENSCHENRECHTE

Wie Industrienationen die Wälder der Welt per Emissionshandel unter sich aufteilen

1. REDD+: Hoffnung für den Wald?

Hyloscirtus princecharlesi hat lange Arme, Beine, Finger und Zehen; sein schwarz glänzender, graziler Leib ist mit orangeroten Punkten übersät. Es ist ein hübsches Baumfröschlein, das der ecuadorianische Wissenschaftler Luis A. Coloma 2012 an einem Fluss im Regenwald entdeckt hat. Doch die Amphibie ist so bedroht wie ihre Heimat, denn Holz- und Bergbaukonzerne rücken den Nebelwäldern von Ecuador zu Leibe. Coloma hat das Tierchen nach Prinz Charles getauft, denn der Fürst von Wales und Herzog von Cornwall ist der Welt als Naturschützer und Regenwaldretter bekannt. Statt des Vereinigten Königreichs regiert er die Blumen und Bäume in seinen Gärten Highgrove, Clarence House und im schottischen Balmoral. Da gibt es Wälder, Blumenwiesen, Obstbäume und Gemüsegärten, die Charles ökologisch bewirtschaften lässt. Charles sagt, er würde mit den Blumen und Bäumen sprechen, sie seien ihm wie Kinder, sein eigen Fleisch und Blut, dem er beim Wachsen zusehe.

»Sie wissen vielleicht, dass Prinzen und Frösche eine alte Verbindung haben«, sagt Charles und lächelt sanft ironisch in die Kamera. In einem Imagefilm der britischen Zeitung The Guardian stellt er The Prince’s Rainforest Project vor, dessen Symbol ein Regenwaldfrosch ist.253 Der Prinz hat bereits 19 Natur- und Artenschutzorganisationen gegründet und ist Präsident des WWF Großbritannien. Seit 2007 hat er auch noch ein eigenes Regenwaldprojekt. Die Idee ist, den Bäumen einen Wert zu geben, sodass es finanziell lohnenswerter ist, sie zu erhalten, als sie zu fällen. Er sammelte Geld, bestellte Politiker wie Angela Merkel, Nicolas Sarkozy und Hilary Clinton in seinen Palast, um sein Rettungsprogramm vorzustellen. Er reiste nach Brüssel, um der EU-Kommission zu erklären, dass die Regenwälder lebendig wertvoller sind als tot. Für seine Mission tat sich der Prinz nur mit den Besten zusammen: dem Ölgiganten Shell, dem Bergbaukonzern Rio Tinto, McDonald’s, den Banken Morgan Stanley, Goldman Sachs und der Deutschen Bank, dem Hedgefondsanbieter Man Group und der größten Börse für den Handel mit CO2-Zertifikaten, European Climate Exchange.254

Im November 2008 stapft der royale Regenwaldretter durch ein Stück Dschungel in Sumatra. Mit seinem beigen Tropenanzug, das Hemd mit den aufgesetzten Taschen in der Taille gegürtet, und mit seinem Spazierstock mit dem edel verzierten Knauf wirkt er wie ein Kolonialherr aus längst vergangenen Zeiten, der in die Gegenwart katapultiert wurde. Genauer: nach Bungku. Denn der Waldrest wächst neben der Palmölplantage von PT Asiatic Persada in Jambi und soll geschützt werden. Hutan Harapan heißt das Regenwaldprojekt, Wald der Hoffnung. 1 000 Quadratkilometer Wald, der sich über die zwei Provinzen Jambi und Südsumatra erstreckt, sollen vor der Abholzung geschützt und eine Fläche halb so groß wie der Chiemsee darin wieder aufgeforstet werden. Das Projekt wurde 2001 gemeinsam von der indonesischen Naturschutzorganisation Burung Indonesia, der britischen Royal Society for the Protection of Birds (RSPB), der Business-NGO Birdlife International und dem Naturschutzbund Deutschland (Nabu)255 ins Leben gerufen und von 2009 bis 2013 umgesetzt. Es ist eines der 400 Klima- und Biodiversitätsschutz-Programme in sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländern, die die Internationale Klimaschutzinitiative der deutschen Bundesregierung unterstützt:256 Das Bundesumweltministerium hat das Vorhaben in Sumatra über die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit 7,5 Millionen Euro gefördert.

Hutan Harapan ist ein Pilotprojekt: Es wird kein Primärwald geschützt, sondern Sekundärwald. Bis 2007 gab es dort eine Lizenz für den Einschlag von Tropenholz. 2004 führte die indonesische Regierung die »Ecosystem Restoration Licence« für wirtschaftlich genutzte Wälder ein, für die nun auf solchen Flächen Lizenzen zum Waldschutz erworben werden können. Abholzung und Monokulturen wie Palmöl sind auf diesen Flächen dann verboten. Das Harapan-Gebiet ist das erste, das diese Lizenz erhalten hat – für einhundert Jahre. Halter der Lizenz ist das Unternehmen PT Restorasi Ekositem Indonesia, kurz: PT REKI, das dafür gegründet wurde.

Hier also pflanzt His Royal Highness am zweiten November 2008, klickklickklick, symbolisch und kamerawirksam, den ersten Eisenholzbaum. Illegal, genau genommen. Denn für das Projektgebiet in der Provinz Jambi gibt es zu dieser Zeit noch gar keine Lizenz. Aber wer wollte schon nickelig werden, wenn die Reichen endlich anpacken, um das Klima zu retten?

Zur selben Zeit baut Pak Pauzi nicht weit entfernt ein Haus für seine Familie in Simpang Macan Luar. Legal. Er gehört zu den Suku Anak Dalam, genauer: zum Stamm der Batin Sembilan, der dort schon zu Kolonialzeiten vom Wald lebte. Seit Generationen jagten und fischten sie in den neun Flüssen, pflanzten Obstbäume an, Durian, Mango und Jackfrüchte, sie hatten Bananen, Gemüse, Süßkartoffeln und Reisfelder, gelegentlich fällten sie Bäume für Feuerholz oder für den Bau ihrer Hütten. Sie sammelten Honig und Rattan und bauten Gummibäume an.

Ihr Wald soll jetzt der Wald der Hoffnung sein. Aber die Indigenen und Kleinbauern dürfen sich keine Hoffnung machen: Denn im Namen des Klima- und Naturschutzes wird ihnen das traditionelle Bewirtschaften ihres Waldes verboten. Keiner hat sie um Erlaubnis gefragt, wie es das Prinzip des Free Prior and Informed Consent (FPIC) vorsieht. Pak Pauzis Haus auf dem Land, das ihm per Gewohnheitsrecht gehört, ist noch nicht fertig, da wird er von Militärs bedroht. Die Soldaten raten ihm, das Haus abzureißen und zu verschwinden. Pak Pauzi flieht mit seiner Familie zu Verwandten. Nach ein paar Tagen kehren sie schließlich zurück. Es gibt keinen anderen Ort, an dem sie leben könnten. Denn Simpang Macan Luar liegt auf der Grenze zwischen der Plantage von PT Asiatic Persada, auf der seit Jahren der Landkonflikt mit den Suku Anak Dalam tobt, und dem neu ausgewiesenen Schutzgebiet, in dem ebenfalls keine Menschen erwünscht sind. Schon gar keine, die dort so leben wollen, wie es ihrer Tradition entspricht.

Im Harapan-Wald sollen binnen 30 Jahren zehn bis 15 Millionen Tonnen CO2 gespeichert werden werden. Das ist so viel, wie die deutsche Bundesregierung zwischen 2005 und 2012 der Industrie jährlich an Emissionszertifikaten – sogenannten Verschmutzungsrechten – geschenkt hat. Auch der Harapan-Wald könnte einmal dem Emissionshandel dienen. Die aus dem Projekt gewonnenen Erkenntnisse »liefern wichtige Informationen zur Entwicklung einer REDD+ Strategie für Indonesien und andere globale Regenwaldgebiete«, heißt es bei der Internationalen Klimainitiative.257 Hutan Harapan soll Modell für weitere 2 400 Quadratkilometer tropischer Wälder in Indonesien sein, »die zurzeit weder aktiv bewirtschaftet noch geschützt werden.« REDD+ ist die Abkürzung für »Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation« (Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und Schädigung von Wäldern). Das bedeutet, dass die Erhaltung oder Aufforstung von Wald im Süden finanziell belohnt wird, indem Industrieländer oder Unternehmen dort Emissionszertifikate kaufen, um ihren gewaltigen CO2-Ausstoß auszugleichen.

Grundsätzlich klingt die Idee, dass die Verursacher des Klimawandels den Walderhalt finanzieren, nicht schlecht. Sie stammt von den Regenwaldnationen, darunter Indonesien und Papua. Doch dann bemächtigte sich die Weltbank des Konzepts, die weltweit Milliardenkredite in gigantische Projekte investiert hat, die ihrerseits eine massive Abholzung von Wäldern zur Folge hatten. Auf dem UN-Klimaschutzgipfel 2007 in Bali verkündete die Weltbank, mit REDD+ »einen Wald-Kohlenstoff-Markt zu starten, der das ökonomische Gleichgewicht zugunsten des Waldes verschiebt.« Es soll für die Länder, in denen die meiste Abholzung stattfindet, lohnenswerter sein, Wälder zu schützen als sie zu zerstören. Wälder müssten dafür in den Emissionshandel einbezogen werden.258 Genau genommen geht es der Weltbank also nicht um einen generellen Entwaldungsstopp – sondern um die Dienstleistung von Bäumen als Kohlenstoffspeicher, die in der Finanzlogik der Bank klarerweise bezahlt werden muss. Beim Klimagipfel in Cancún 2010 haben sich 194 Länder, die der Klimaschutzkonvention der UN beigetreten sind, auf den REDD+-Mechanismus geeinigt.

2. Natur als Rechnungsposten

»Derzeit bezahlt niemand für die Leistungen, die uns Ökosysteme bieten. Deshalb bekommen Menschen, die diese Systeme erhalten sollen, auch kein Geld dafür. Es fehlt also ein wirtschaftlicher Anreiz, das Richtige zu tun«, sagt Pavan Sukhdev.259 Der Manager der Deutschen Bank wurde 2007 von Bundesregierung und EU-Kommission beauftragt, den ökonomischen Wert der Biodiversität zu berechnen. 2006 hatte der damalige Chef-Ökonom der Weltbank, Nicholas Stern, berechnet, dass die Kosten, die der Klimawandel verursacht, höher sein werden als die Investitionen in den Klimaschutz. Seine Prognose: Die weltweite Wirtschaftsleistung könnte um bis zu 20 Prozent sinken. Solche Botschaften schrecken kapitalistische Regierungen mehr auf als die Aussicht auf Naturkatastrophen und Millionen Tote in den Ländern des Südens.

Dass man der Natur und ihren Dienstleistungen einen monetären Wert geben müsse, um sie schützen zu können, ist das Hohelied der Green Economy. Die Natur würde nur deshalb zerstört und ausgebeutet, weil ihre »Dienstleistungen«, also etwa die Bereitstellung von Luft, Wasser, Nahrung und Medizinalpflanzen, ihre Fähigkeit, das Klima zu bewahren und vor Hochwasser zu schützen, aber auch die Freizeitvergnügen, kostenlos seien und damit »nichts wert«. Das zeichnet ein zweifelhaftes Gesellschaftsbild: Der Mensch handelt nur, wie er soll, wenn es sich für ihn »lohnt«. »Die neue Ökonomie der Natur erweitert den Homo Oeconomicus um die Natura Oeconomica«, schreibt Barbara Unmüßig von der Heinrich-Böll-Stiftung in ihrem kritischen Essay »Vom Wert der Natur«.260 Es ist ein neoliberales Konzept: Die öffentlichen Kassen sind leer, Naturschutz ist teuer, Regulierungen, die zu einer realen Einsparung von CO2 in den Industrieländern führen, sind für deren Regierungen und Unternehmen nicht verhandelbar. Wenn aber die Natur selbst Quelle des Profits wird, schließen sich Wachstum und Klimaschutz, Ökonomie und Ökologie nicht aus, sondern bedingen sich gegenseitig: eine Win-win-Situation, die Optimismus verbreiten soll. Tatsächlich macht die Idee vom »Naturkapital« Natur zu einem Wirtschaftssubjekt, das mit seinen »Dienstleistungen« zu einem bestimmten Preis auf einem Markt konkurrieren muss. »Es hat Sinn, weil wir erst dann abschätzen können, wie viel es uns beispielsweise kostet, eine Straße durch einen Wald zu bauen. Denn wenn wir dadurch den Wald verlieren, sind das ökonomisch betrachtet Kosten, die bisher in keiner Rechnung auftauchen«, sagt Pavan Sukhdev. Die Monetarisierung der Naturleistungen soll es möglich machen, Kosten und Nutzen solcher Entscheidungen gegeneinander abzuwägen. »Trade off« nennt sich das Instrument – da orientiert sich der grüne Kapitalismus sprachlich ganz an der Phantasiewelt Börse. Und genauso phantastisch ist die Idee, mit solchen Effizienzberechnungen zum »richtigen« Ergebnis zu kommen. Wie ausgemacht ist es, dass der Erhalt von Ökosystemen immer lohnenswerter ist? Wenn ein Moorgebiet zur Disposition steht, weil darauf ein Hotel mit Golfanlage geplant ist, ein Flughafen, ein Gewerbegebiet, oder wenn Erdöl dort gefunden wird: Was ist wohl finanziell rentabler? Und für wen?

CO2 ist die Währung des grünen Kapitalismus. Auf Empfehlung der Europäischen Union hat eine Tonne CO2 den Wert von 70 Euro. Mit dieser Zahl arbeitet auch das Umweltbundesamt, um externe Kosten zu berechnen. Damit sind soziale oder ökologische Auswirkungen gemeint – etwa Luft- und Wasserverschmutzung, Lärmbelastung oder der Ausstoß von Treibhausgasen – die Kosten verursachen, aber kein betriebswirtschaftlicher Rechnungsposten des verursachenden Unternehmens sind. Externe Kosten werden nicht von den Unternehmen beglichen, sondern von der Allgemeinheit. Würden die Verschmutzer für ihre Schäden bezahlen müssen, würde schädliches Wirtschaften so teuer, dass es nicht mehr rentabel wäre. Es würde eine große Einschränkung für Energie-, Auto-, Flug-, Lebensmittel- und Agrargroßunternehmen bedeuten, die die größten Treiber von Umwelt- und Klimazerstörung sind. Doch wollte man die Unternehmen dazu zwingen, diese Kosten zu schultern, müsste zunächst einmal ein entsprechendes Gesetz gemacht werden – gegen, wie zu erwarten wäre, immensen Widerstand der Industrie. Weil ein solches Gesetz also nicht durchsetzbar ist, soll die Naturökonomie jenseits von Ordnungspolitik funktionieren. Als Marktmechanismus. Doch so wie das älteste ökonomische Instrument, der Emissionshandel, untergräbt ein solcher jede wirkungsvolle Klimapolitik. Der weltweit erste und größte Emissionsrechtehandel ist der der Europäischen Union (EU ETS). Er trat 2005 in Kraft und gilt für Energie- und Industrieunternehmen. Die EU-Kommission legt jedes Jahr fest, wie viele Tonnen Treibhausgase insgesamt in die Atmosphäre entlassen werden dürfen. Dafür gibt es die entsprechende Menge an Zertifikaten, die Unternehmen von der EU erhalten. Stoßen sie mehr aus, müssen sie Rechte von anderen Unternehmen kaufen, die weniger ausstoßen. So weit die Theorie.

Tatsächlich gelang es den Lobbyisten der europäischen Wirtschaft, die EU-Kommission zu überreden, sehr viele Zertifikate kostenlos an die Industrie zu verteilen. Der deutschen Wirtschaft zum Beispiel wurden mehr Verschmutzungsrechte zugeteilt, als sie überhaupt Kohlendioxid erzeugte. Das führte dazu, dass der Börsenpreis für die Zertifikate derart in den Keller rauschte, dass das Zertifikat für eine Tonne CO2 teilweise nur noch Cents kostete.261 Wohl wissend, dass zu niedrige Preise das Konzept ruinieren, setzte »Klimakanzlerin« Merkel in der EU durch, dass ausgerechnet die energieintensiven Industrien bis 2020 jede Menge Verschmutzungsrechte nachgeworfen bekommen sollen. So ist das in der Green Economy: Kaum sind Wachstum und Profite gefährdet, rutschen Umwelt- und Klimaschutz ans Ende der Prioritätenliste. Das Problem an Marktmechanismen: »Freie Märkte« existieren nicht. Die Industrie setzt ihre Interessen immer ordnungspolitisch durch. Es ist eine Frage von Macht und Interessen – nicht von Angebot und Nachfrage. Selbst wenn das Modell »funktionieren« würde: Es ist an die Zerstörung von Natur und Klima gekoppelt. Die Verschmutzer werden nicht bestraft, sondern können sich ihr Recht auf Zerstörung kaufen.

Doch mit wem ist dieses vermeintliche Recht ausgehandelt worden? Sind es die Menschen in Bangladesch, die für die Folgen des Klimawandels mit ihrem Leben bezahlen, die das Recht auf Verschmutzung der Atmosphäre zu Markte tragen? Oder Indigene in Regenwaldnationen, deren Wald nun den Zerstörern als CO2-Deponie dienen soll?

»Der Handel mit CO2-Zertifikaten oder anderen monetären Ökosystemdienstleistungen setzt in der Regel Privateigentum an diesen ›Naturdienstleistungen‹ voraus. So stellt sich die Frage, wem der Wald mit dem CO2-speichernden Baum, der Boden, das Moor oder gar die Luft gehören?«, fragt Barbara Unmüßig.262 Die Ökonomisierung der Naturdienstleistungen, die hinter dem REDD+-Mechanismus steckt, ist gleichzeitig eine Privatisierung der Natur. Industrieländer eignen sich Wälder in sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländern an, um damit künftig Geld zu verdienen.

Thomas Fatheuer, der ehemalige Leiter des Büros der Heinrich Böll Stiftung in Brasilien und Autor des kritischen Buchs Neue Ökonomie der Natur, bezeichnet REDD+ als »größten Top-Down-Ansatz der Geschichte internationaler Umweltfinanzierung«.263 Es folgt den Profitinteressen der Industrieländer, die ihre Emissionen nicht senken wollen, und weckt Begehrlichkeiten bei den korrupten Eliten in den Ländern des Südens und kriminellen Geschäftsleuten. Schon heute gibt es sogenannte »Carbon Cowboys«, die unter dem Vorwand der »Kohlenstoffspeicherung« und dem Versprechen »grüner Jobs« Indigenen das Land abschwatzen. Zweifelhafte Berühmtheit erlangte etwa der australische Immobilienhai David Nilsson, der im Amazonasgebiet von Peru Yagua-Indianern Geld, Arbeit, Bildung und Gesundheitsversorgung versprach, wenn sie ihm ihren Wald für ein REDD+-Programm überließen. Nilsson soll später versucht haben, die Verträge an Palmölfirmen zu verkaufen.264 Wo mit etwas Unsichtbarem gehandelt wird, sind Betrüger nicht weit.

Bis heute gibt es keine internationalen Richtlinien für die Umsetzung von REDD+. Ebenso wenig ist klar, wie der globale Mechanismus finanziert werden soll: durch staatliche Mittel oder aus privaten Quellen – also aus Spenden, Kompensationsprogrammen, »Waldaktien« oder dem Emissionshandel. Aber bereits heute gibt es rund 2 000 freiwillige Projekte weltweit, die sich auf die Teilnahme an REDD+ und die zu erwartenden Investitionen in Milliardenhöhe vorbereiten.265 Viele der Pilotprojekte werden mischfinanziert von Staaten, dem Weltbankprogramm Forest Carbon Partnership Facility, dem REDD+-Partnerschaftsprogramm266 der Vereinten Nationen, der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) sowie von Konzernen wie Allianz, BP, Gazprom, Shell, Singapore Airlines und der Walt Disney Company. Deutschland gehört zu den größten Geldgebern für REDD+. Um die Umsetzung vor Ort kümmern sich Naturschutz-Multis wie die Rainforest Alliance, Birdlife International, Conservation International, The Nature Conservacy und der WWF, die auch an der umstrittenen Errichtung von Nationalparks beteiligt sind. Weil es sich um freiwillige Projekte handelt, sind auch die Kriterien – vor allem was die Rechte Indigener und lokaler Gemeinden angeht – unverbindlich. Wenn CO2 nur eine Ware ist wie Palmöl, Soja, Kohle, Mineralien oder Holz, wird REDD+ den Druck auf Indigene und Kleinbauern verstärken. Zum Landgrabbing für Plantagen und Minen gesellt sich das Greengrabbing für Natur- und Klimaschutzprojekte. Viele NGOs, Kleinbauerninitiativen und soziale Bewegungen lehnen den Mechanismus REDD+ deshalb ab. Ohnehin ist fraglich, ob damit überhaupt Biodiversität geschützt wird: Die Definition von Wald im REDD+-Modell lehnt sich an die FAO-Definition an. Danach muss Wald eine Mindestfläche von einem halben Hektar haben, die nur zu einem Zehntel von Baumkronen bedeckt sein muss. Die Bäume müssen mindestens fünf Meter hoch werden. Zwischen Naturwald, Nutzwald und Plantage wird nicht unterschieden.267 Wenn es nur um die geldwerte Dienstleistung Kohlenstoffspeicherung geht, könnte die Umwandlung von Wäldern hoher Biodiversität oder von sogenannten degradierten Flächen, die von Landlosen genutzt werden, in Plantagen durch REDD+-Projekte finanziert werden. Kein Witz: Die indonesische Regierung wollte durchsetzen, dass Palmölplantagen im REDD+-Mechanismus berücksichtigt werden. Damit würde es Palmölkonzernen, die mit Klimazerstörung Milliarden verdienen, auch noch erlaubt, mit dem Zertifikathandel ihren Reibach zu machen.

3. Vertreibung für den Klimaschutz

Die Menschen, klagt Prinz Charles in seinem Buch Harmonie. Eine neue Sicht der Welt, hätten »mit dem wachsenden Wohlstand und technischem Fortschritt vergessen, dass das Leben im Einklang mit der Natur die Welt bedeutet«. Am selben Tag, als er den ersten Baum in Bungku pflanzt und das Schicksal derer besiegelt, die nichts anderes wollen, als im Einklang mit der Natur zu leben, hält Prinz Charles bei den Batin Sembilan Hof. Auf den Fotos sieht man einen strahlenden Monarchen im Tropenanzug zwischen Eingeborenen – königliche Folklore wie einst die Großwildjagd in den Kolonien. Heute ist die Ignoranz gegen Indigene und ihre Entrechtung unter einem grünen Mantel verborgen. Prinz Charles’ Auftritt hat viele Indigene, Kleinbauern und lokale Bewegungen in Bungku verärgert. Denn bereits die Ankündigung des Harapan-Projekts sorgte für Landkonflikte mit den Batin Sembilan und Kleinbauern. In REDD+-Projekten wird Indigenen nur dann eine Daseinsberechtigung zuerkannt, wenn sie darin klimaschutzrelevante Arbeit verrichten. Damit ist nicht ihre Lebensweise gemeint, die dazu geführt hat, dass überhaupt noch Wald zum Schützen da ist. Sondern eine Leistung, die sich in einem monetären Gegenwert ausdrücken lässt: eine messbare Reduzierung von CO2, die man verkaufen kann. Würde REDD+ funktionieren, müsste es wirtschaftlich rentabler sein, Wald zu erhalten als darauf Plantagen anzulegen oder Rohstoffe aus dem Boden zu holen. Doch das ist natürlich nicht der Fall: Plantagen, Minen und der Handel mit Holz, Papier, Mineralien, Öl, Kohle, Gold, Palmöl, Baumwolle, Soja ist für die globale Agrar-, Lebensmittel- und Konsumgüterindustrie lukrativer. Auf der ganzen Welt werden weiterhin Bergbau- und Plantagenkonzessionen vergeben. Wenn die indonesische Regierung jetzt auch noch in ein riesiges lokales Biospritprogramm investieren will, würden weitere 90 000 Quadratkilometer in Palmölplantagen umgewandelt werden. Dazu kämen etliche tausend Quadratkilometer Fläche für Zuckerrohr und Sagopalmen. Die Treiber der Entwaldung aber bleiben von REDD+ unberührt: Der Schaden, den sie anrichten, soll nicht vermieden, sondern nur ausgeglichen werden. Auf Kosten, wieder einmal, der Kleinbauern und Indigenen, die jetzt als Waldschädlinge ins Visier genommen werden. Eine absurde Täter-Opfer-Umkehr: Während die Verschmutzer belohnt werden, sehen sich die Bewahrer des Waldes kriminalisiert. Sie will man in »Aufforstungsprogrammen« zu Dienstleistern des grünen Kapitalismus machen. Indigene sollen nun als Tatortreiniger die durch den Norden angerichteten Umweltschäden beseitigen und gegen Klimazerstörung Bäumchen pflanzen.

»Problematisch ist, dass die Förderung indigener Völker und lokaler Gemeinschaften immer stärker davon abhängig wird, dass sie in eine REDD+-Konzession eingebunden werden«, schreibt Fatheuer.268 Wenn es in solchen Projekten nicht darum geht, den Wald zu schützen, indem man Indigene und Kleinbauern unterstützt, Landrechte zu bekommen, und von Plantagenfirmen gestohlenes Land zurückzuerobern, dann ist für diese Bevölkerungsgruppen kein Platz mehr. Sie stören nur in der Wertschöpfungskette.

Laut Weltbank besitzt fast die Hälfte der Indonesier keine verbrieften Landrechte. Die Regierung geht davon aus, dass die meisten Indigenen auf Staatsland leben, und behält sich vor, dieses an Holz-, Bergbau-, Palmöl- und Papierunternehmen zu vergeben. Die Enteignung für Projekte im nationalen Interesse ist einfach: Man schafft Fakten und vertreibt die Menschen mit Gewalt. Das gilt auch für Klimaschutzprojekte. Allein in Indonesien gibt es derzeit 67 freiwillige REDD+-Projekte, die mit fast 200 Millionen Dollar finanziert werden.269 Doch seit den ersten Projekten 2008 haben laut Serikat Petani Indonesia, dem indonesischen Ableger der internationalen Kleinbauernbewegung La Via Campesina Bauern und Indigene den Zugang zu 266 000 Quadratkilometern Land und Wald verloren – eine Fläche fast so groß wie Belgien.270

Die Hälfte des Projektgebiets von Hutan Harapan liegt in der Provinz Jambi. Ursprünglich war es das Wandergebiet der Suku Anak Dalam. Dann wurde es zum Transmigrasi-Gebiet. Ende der Sechzigerjahre startete Militärdiktator Suharto sein umstrittenes Umsiedlungsprogramm. Bis zum Ende seiner Herrschaft 1998 wurden 65 Millionen Indonesier auf alle Inseln verteilt. Die Menschen, die »zu viel« auf der Insel Java wurden, wo die beiden Großstädte Jakarta und Surabaya liegen, wurden in den Dschungel geschickt. Das Gleiche widerfuhr allen Einwohnern, die dem Bau von Autobahnen, Flughäfen oder der Errichtung von Nationalparks »im Weg« standen, aber auch den Regimekritikern. Die Weltbank unterstützte das Programm mit 600 Millionen Dollar – und auch die Bundesregierung beteiligte sich via KfW an den Kosten für die Völkerwanderung, die von einem Ausbau der Infrastruktur begleitet wurde. Bis 2007 hatte der staatliche Papierkonzern PT Asialog auf diesem Gebiet eine Lizenz zum Abholzen und setzte den Landraub fort. Seit 2008 nun beanspruchen internationale Klimaschützer den Wald für sich.

Als PT Asialog 2003 die gerodeten Flächen sich selbst überließ, kamen Kleinbauern aus ganz Indonesien. In einem Land, in dem es mehr Platz für Plantagen als für Menschen gibt, spricht es sich schnell herum, wenn noch irgendwo ein Ort zum Leben entdeckt wird. Viele waren Mitglieder der Kleinbauernorganisation Serikat Petani Indonesia (SPI). Es gehörte zum Konzept von La Via Campesina, dass landlose Kleinbauern sogenannt »degradiertes« Land besetzen, um sich dort selbst zu versorgen. Die Landlosen machten die Ödnis urbar, legten Reisfelder und Gemüsegärten an und bauten Holzhäuser. Manche von ihnen pflanzten Ölpalmen und Gummibäume, um sich etwas dazuzuverdienen. Tausende lebten da, wo der Wald der Hoffnung wachsen sollte. Für PT REKI waren sie »Eindringlinge«, »illegale Siedler« und »Holzdiebe«. Die sollten weg.

Ich sitze mit Feri Irawan im Büro der indonesischen CAPPA Foundation in Jambi. Zusammen mit anderen NGOs, darunter Feris Perkumpulan Hijau, unterstützt sie den Kampf der Klimaschutzopfer von Hutan Harapan. Sie hilft ihnen, ihr Land zu vermessen, organisiert Kampagnen und verhandelt mit der Firma PT REKI sowie mit den Regierungsstellen. Es ist, wie immer, ein zäher Kampf. Feri ist wütend auf die erneute Zusammenarbeit zwischen Regierung, Unternehmen, Naturschutzmultis und internationalen Geldgebern, die wieder einmal über die Köpfe der lokalen Gemeinschaft hinweg bestimmen dürfen. »Es ist ein Ökosystem-Syndikat, das unsere Welt in Nationalparks und Plantagen aufteilt und die Bevölkerung einfach ignoriert«, sagt er. Wir sitzen über einer Karte, in der die Krisenherde eingezeichnet sind. Umi Syamsiatun von CAPPA zeigt auf die Stelle, wo der Konflikt begann, sobald PT REKI 2010 die Konzession hatte: In Kunangan Jaya I, dem Gebiet der Transmigranten und Kleinbauern. Sicherheitsleute von PT REKI, Ranger und die Waldpolizei SPORC begannen schon im Oktober 2010, die Kleinbauern dort zu bedrohen, zu verjagen und die Bauern als Holzdiebe zu verhaften. Als CAPPA mit anderen NGOs und Aktivisten daraufhin eine Kampagne entwickelte und eine Demonstrationen mit den Bauern organisierte, erklärte sich PT REKI im August 2012 zu Gesprächen bereit. »Harapan Rainforest beginnt friedlichen Dialog mit den Holzdieben«, lautete die herablassende Überschrift auf der Projektseite.271 »Diese erneute Kriminalisierung empfanden die Leute als sehr verletzend«, sagt Umi, »wir haben nicht den Eindruck gewonnen, dass es der Firma ernst ist mit der Vermittlung.« Tatsächlich wurde daraus nichts. Schon im Oktober 2012 war von Verhandlungen keine Rede mehr, der neue Geschäftsführer von PT REKI hatte den Kontakt abgebrochen. Im November 2012 besuchte der damalige Forstminister Zulkifli Hasan das Harapan-Projekt in Jambi und sagte: »Die Landbesetzer müssen aus dem Wald entfernt und umgesiedelt werden. Ich lasse nicht zu, dass das Erholungsprogramm für den letzten Tieflandregenwald in Sumatra misslingt.«272 Aber die Menschen blieben auf ihrem Land. Wo sollten sie auch hin?

Abermals rückte die Waldpolizei SPORC an und forderte die Kleinbauern auf, Häuser und Land zu verlassen. Zur selben Zeit aber trafen sich Vertreter der Kleinbauernbewegung SPI mit Zulfikli Hasan und vereinbarten, dass das Forstministerium SPORC anweisen würde, die Vertreibung der Bauern zu stoppen. Im Gegenzug versprach SPI, die Bauern würden keinen Wald mehr einschlagen. Doch nur zwei Tage später, noch während der Verhandlungen, rückte SPORC mit 150 Bulldozern an. Sie walzten die Barrikaden nieder, die die Bauern errichtet hatten, und zündeten SPI-Büro und das Haus des lokalen Bauernführers an. Die Menschen versuchten, das Feuer zu löschen, doch das Gebäude brannte völlig nieder. Dianto Bachiari von der indonesischen Menschenrechtskommission stellte nach einem Besuch vor Ort fest, dass dort Menschenrechte verletzt worden waren: »Die Menschen waren traumatisiert. Sie konnten wochenlang nicht arbeiten, und die Kinder konnten nicht mehr in die Schule.«273 Umi reicht mir Fotos: Sie zeigen die Hundertschaft bewaffneter Polizisten, den Bulldozer, protestierende Menschen und das lichterloh brennende Haus. Sie unterscheiden sich kaum von den Bildern, die mir Feri von den gewalttätigen Überfällen auf die Suku Anak Dalam in der Plantage von PT Asiatic Persada gezeigt hatte. Nur dass hier der Aggressor nicht ein mafiöser Palmölkonzern ist, sondern die Umsetzungsfirma für ein Wald- und Klimaschutzprogramm, das international finanziert wurde. Es dauerte fast eineinhalb Jahre, bis sich PT REKI im Juni 2014 auf neue Verhandlungen einließ.

4. CO2-Sklaven und vogelfreie Kleinbauern

»Wir werden nicht fortgehen, bis wir sterben«, sagt Matsamin atemlos. Er ist Batin Sembilan und lebt in Simpang Macan Luar. Etwa 200 Leute sind dort zuhause. Sie sitzen in der Falle: Fast das ganze Schutzgebiet ist von Palmölplantagen umgeben. Drei Stunden ist Matsamin nach Jambi gereist. Denn wir können ihn nicht in seiner Siedlung besuchen, PT REKI hat sie abgeriegelt. Ohne offizielle Erlaubnis kommt keiner rein. Auch Edi Zuhdi, der Leiter von CAPPA, und die anderen NGOs, die die Indigenen in Simpang Macan Luar vertreten, haben kaum Zugang zu den Leuten dort und müssen sie meist außerhalb treffen. Sie unterstützen die indigene Gemeinde, weil es auch dort zu Vertreibung und Einschüchterungen gekommen war. Im Dezember 2012 gab es erste Gespräche mit PT REKI. Doch nachdem CAPPA mit den Batin Sembilan deren Land vermessen hatten, brachen Letztere diese Gespräche ab. PT REKI habe dies als »betrügerischen Akt« verstanden und warf den NGOs vor, sie wollten nur provozieren. Ihnen soll sogar unterstellt worden sein, Indigene zu schmieren, damit sie demonstrieren. Dabei sind es die Batin Sembilan, die den NGOs das Mandat gegeben hatten, die Verhandlungen zu führen – weil sie festgestellt hatten, dass zwischen ihnen und der Firma keine Gespräche auf Augenhöhe möglich waren. »Die Situation ist immer noch angespannt«, sagt Edi. Zwar gibt es noch Verhandlungen, doch die Batin Sembilan fühlen sich hingehalten.274 Matsamin ist wütend. »Es ist wie im Gefängnis, dabei haben wir nichts gemacht.« Fast jeden Tag kämen Menschen ins Dorf, um sie zu kontrollieren. Sie müssten bei allem, was sie auf ihrem Land tun, um Erlaubnis fragen und würden ständig aufgefordert, irgendwelche Erklärungen zu unterschreiben. Bevor die Waldretter kamen, hatten sie Reisfelder angelegt und Obstbäume gepflanzt. Natürlich, dafür muss man Bäume fällen. Aber was ist das im Vergleich zu den gigantischen Entwaldungen, die den Weg für Plantagen frei machen? »Jetzt dürfen wir keine Reisfelder anlegen, sonst kommen wir ins Gefängnis«, sagt Matsamin. »Manchmal erlauben sie uns, Bäume für ein Haus zu fällen, aber nicht die, die wir wollen.«

Die Betreiber von Hutan Harapan sehen das naturgemäß anders. Zu der Gemeinschaft in Simpang Macan Luar habe man ein gutes Verhältnis: »Wir haben sie immer unterstützt, wenn wir konnten. (…) PT REKI stellt ihnen kostenlos Schulunterricht, sanitäre Anlagen, Gesundheitsversorgung und Job-Möglichkeiten zur Verfügung. (…) Wir haben keine Belege gefunden, dass diese NGOs den Batin Sembilan irgendetwas zur Verfügung gestellt hätten«, schreibt pampig das Hutan Harapan Management.275 »Welche Schulen?« fragt Matsamin wütend. »Einmal die Woche kommt jemand und macht eine halbe Stunde Unterricht. Das brauchen wir nicht, wir brauchen unseren Wald.« Die Wasserklosetts(!), die sie ihnen hingestellt hätten, könne keiner brauchen. »Wir haben ja gar kein Wasser dafür!« sagt Matsamin. Er schüttelt lachend den Kopf und fügt an: »Sie erlauben uns nur zu scheißen, aber nicht zu essen.«

Die »Job-Möglichkeiten« werden auch vom Naturschutzbund und von der Klimaschutzinitiave der Bundesregierung als Projekterfolg gefeiert.276 Die »neuen nachhaltigen Formen der Existenzsicherung und alternative Einkommensquellen« sind die grüne Variante der Zivilsierung der Wilden: Um die zerstörten Flächen des Hutan Harapan aufzuforsten, werden von Indigenen in Baumschulen Setzlinge für Tropenbäume herangezogen. Weil sie, im Gegensatz zu den internationalen Naturschutzeliten, das wirkliche Wissen der Wälder haben, werden sie losgeschickt, um Samen und Setzlinge von Tropenbäumen zu sammeln. Und damit auch noch intellektuell ausgebeutet. Die Setzlinge sollen sie zehn Monate lang aufziehen. Dafür werden sie bezahlt – aber leben können sie davon nicht: pro Setzling, den man pflanzen kann, bekommen sie laut CAPPA 1 000 Indonesische Rupiah, das sind sieben Cent. Aber nicht alle Setzlinge überleben, in der Regel kommen nur 70 bis 80 Prozent durch. Im Schnitt verdienen die Familien damit 1,05 Millionen Rupiah im Monat, also etwa 74 Euro.277 Das ist weniger als die Hälfte des staatlichen Mindestlohns, der nicht zum Leben reicht. Hutan Harapan hat nur 230 »grüne Jobs« zuvergeben. Doch in der Schutzzone leben etwa 4 000 Menschen.

Die Sklaven des Klimaschutzes müssen jetzt Lebensmittel kaufen, weil ihnen die Selbstversorgung kaum mehr möglich ist. »Unsere wirtschaftliche Situation hat sich verschlechtert«, sagt Matsamin. Um genug Geld zu verdienen, müssen sich die Batin Sembilan bei PT Asiatic Persada verdingen. Um überleben zu können, mopsen manche kleine Früchte von Ölpalmen an der Dorfgrenze, und versuchen, sie zu verkaufen. Werden sie erwischt, droht ihnen Gefängnis. Versuchen sie auf ihrem Land zu leben, wie es ihre Tradition ist, auch. Umgekehrt kommen die Suku Anak Dalam, die in der Plantage von PT Asiatic Persada um ihr Land kämpfen, in den Hutan Harapan, um dort zu jagen, weil sie sich sonst nicht ernähren können. Sie alle werden zwischen Palmölbusiness und Klimaschutz zerrieben.

»Den Reichtum der Natur erhalten, das Klima schützen, zum Nachmachen anregen. Das ist das Ziel der Umweltprojekte, die wir porträtieren.« So beschreibt der Sender Deutsche Welle die Reihe Global Ideas, in der »Best-Practice-Modelle« in Schwellen- und Entwickungsländern in Kurzfilmen präsentiert werden.278 Im Juni 2012 wird dort ein Film über das Harapan-Projekt gezeigt.279 Darin begleitet die Reporterin Carmen Meyer Dieter Hoffmann von der Internationalen Klimaschutzinitiave der Bundesregierung bei seinem Besuch im Hutan Harapan. Der Fokus der Reportage: illegale Holzdiebe und Siedler, die einen der »letzten Wälder« ruinieren. »Wo soll das enden, wenn man sie nicht stoppen kann?«, sagt Hoffmann besorgt in die Kamera. Mit den »illegalen Siedlern«, den Indigenen, die im Konflikt mit PT REKI stehen, mit den NGOs und der Kleinbauernbewegung, die Menschen unterstützen, die keinen anderen Ort haben als diesen, spricht Hoffmann nicht. Die Landkonflikte und die zähen Verhandlungen spielen keine Rolle. Nur die Batin Sembilan, die gehorsam aufforsten, werden gewürdigt. Der Film wurde, wie die ganze Reihe, von der Internationalen Klimaschutzinitiative gesponsert, die auch das Harapan-Projekt mitfinanziert hat.

Auf die Kritik am Film auf Chris Langs Watch-Blog »REDD Monitor« reagiert Dieter Hoffmann patzig: Er habe in den vergangenen Jahren oft darüber nachgedacht, was passiert wäre, wenn es die Harapan-Initiative nicht gegeben hätte. Dann hätte PT Asialog alle wertvollen Bäume abgeholzt, zugezogene Bauern und reiche Spekulanten hätten Ölpalmen gepflanzt, und heute wäre der ganze Wald von großen Firmen gerodet und mit Akazien- oder Palmölplantagen bepflanzt. »Ein weiterer wundervoller Wald wäre leise verschwunden, und mit ihm 20 Sumatra-Tiger, zwei der letzten verbliebenen Elefantenherden und zahllose gefährdete Arten. Einige reiche Bauern wären immer noch hier, aber die Batin Sembilan hätten ihre Heimat und Lebensgrundlage verloren, einige würden als Tagelöhner arbeiten, aber die meisten wären vertrieben worden. Es hätte weder eine Erwähnung im ›REDD Monitor‹ gegeben noch bei den NGOs, die so versessen darauf sind, Entwaldung für die Landwirtschaft zu fördern. Sie hätten sich dann auf ein anderes Projekt gestürzt und dort Leute kritisiert, die versuchen, das Richtige zu tun.«280

Eine bemerkenswerte Antwort, die vor westlicher Arroganz nur so trieft. Ja, vermutlich wäre es so gekommen, wie Hoffmann beschreibt. Dass illegaler Holzeinschlag bekämpft und geahndet werden muss – geschenkt. Doch er ist ein politisches, ein strukturelles Problem, gegen das ein solches Projekt innerhalb der korrupten Strukturen des Landes wenig auszurichten vermag. Stattdessen werden Transmigranten, Indigene, die sich nicht zu Bäumchenpflanzern »zivilisieren« lassen wollen, und Kleinbauern, die sich selbst versorgen, kriminalisiert und vertrieben. Was wäre denn passiert, wenn man mit lokalen Gemeinden, Kleinbauern und Indigenen gemeinsam einen Plan entwickelt hätte? Was, wenn die deutsche Bundesregierung, statt in neokoloniale Schutzprojekte und Greenwashing-Kampagnen für nachhaltiges Palmöl zu investieren, Indigene dabei unterstützen würde, gestohlenes Land zurückzubekommen, damit sie den Wald selber schützen, indem sie das tun, was sie über Generationen getan haben? Wäre der Wald überhaupt noch da, wenn es die Indigenen nicht gäbe? Solche Fragen haben Dieter Hoffmann in all den Jahren offenbar nicht angeweht. Wer hier »das Richtige« tut, scheint allzu klar: die westliche Welt.

Die globale Entwaldung macht ein Fünftel aller durch Menschen verursachten CO2-Emissionen aus. Es ist überhaupt keine Frage, dass Regenwälder geschützt werden müssen. Die Frage ist aber, von wem und wie. Es gäbe andere Beispiele. Ein Teil des Habitats der Waldelefanten von Sumatra, mit denen das Harapan-Projekt auch sein autoritäres Vorgehen rechtfertigt, befindet sich im Primärwald von Sepintun, der an die PT-REKI-Konzession grenzt. Die Sumatra-Elefanten sind vom Aussterben bedroht, es gibt nur noch 2 000 von ihnen, ihr Lebensraum ist den Papier- und Palmölkonzernen zum Opfer gefallen – auch in den Elefantenschutzgebieten. Die indonesische Regierung hatte der staatlichen Holzfirma PT Alam Lestari Nusantara in Jambi eine Lizenz für das Abholzen von 100 Quadratkilometern Regenwald gegeben – eine Fläche so groß wie Hutan Harapan. Mitten darin liegt der etwa 30 Quadratkilometer große Urwald von Sepintun, das gleichnamige Dorf der Suku Anak Dalam und ein Habitat der Waldelefanten. Zwar hatte die Regierung zugesagt, den Wald nicht abholzen zu lassen, wenn dort Elefanten lebten. Doch stattdessen bestritt sie einfach deren Existenz. Auf den Beweis, dass diese Elefanten durchaus existieren, wurden die Bewohner von Sepintun dramatischer gestoßen, als ihnen lieb gewesen wäre: Eines Tages stürmten die Elefanten, aufgescheucht von den Kettensägen, in das Dorf und trampelten Hütten nieder. Nachdem sie ihren ersten Schreck überwunden hatten, erkannten die Menschen, welche Chance ihnen die Elefanten boten: Würde der Wald von Sepintun erhalten, bliebe Platz genug für Mensch und Tier, um darin zu leben. 2012 machte sich eine Gruppe von Männern aus dem Dorf mit Feri Irawan und dem Elefantenforscher Syfrizal Acong an der Spitze auf die Suche nach den Elefanten. Mit Karten, GPS und einer Kamera ausgerüstet, verfolgten sie die Spuren der Dickhäuter.281 Sie fanden Fußspuren und Elefantenkot, und nach neun Tagen im Dschungel entdeckten sie schließlich acht Tiere – dort, wo die Regierung das Holzfällen erlaubt hatte.282 Es gelang ihnen, mit ihren Beweisen einen vorläufigen Abholzstopp durchzusetzen.

Jetzt wollen die Dorfbewohner den Dorfwald zum Schutzgebiet machen – von ihnen selbst verwaltet. Dazu müssen Landrechte geklärt werden, außerdem soll auch hier der abgeholzte Wald wiederaufgeforstet werden. Ein Projekt, das zeigen würde, was Einbindung lokaler Gemeinschaften wirklich bedeuten kann: Selbstbestimmung statt »Hilfe zur Selbsthilfe«. Doch der Wald gerät weiter unter Druck, weil es ganz in der Nähe eine Lizenz für den Kohlebergbau gibt, die Arbeiten daran haben gerade begonnen. Und es fehlt Geld. Von den ehrgeizigen Klimaschutzprogrammen der westlichen Regierungen gibt es dafür nichts. Liegt das daran, dass für die Industrieländer ein Wald, der sich nirgendwo zu ihren Gunsten verrechnen lässt, schlicht nicht rentabel ist?

Einen Monat nach dem Besuch von Prinz Charles reiste Sarwadi Sukiman von der Kleinbauernorganisation Serikat Petani Indonesia zur UN-Klimakonferenz in der polnischen Stadt Poznan. Sarwadis Dorf Tanjung Lebar befindet sich auf einem der Harapan-Areale, die PT Asialog vor mehr als zehn Jahren vollkommen verwüstet zurückgelassen hat. Rund 1 500 Familien, die bei SPI organisiert sind, haben dort Land besetzt und bearbeitet. Als PT REKI das Gebiet übernahm, ließ die Firma auch dort Bäuerinnen und Bauern von ihrem Land vertreiben, einschüchtern und verhaften. In Poznan machte Sarwadi erstmals öffentlich auf die Situation in Hutan Harapan aufmerksam und kritisierte das REDD+-Konzept als Bedrohung für Indigene und Kleinbauern.283 Während Indigene qua UN-Erklärung zumindest auf dem Papier Anerkennung finden und die Investoren sich Verhandlungen mit ihnen nicht entziehen dürfen, werden Kleinbauern nach wie vor wie Verbrecher behandelt.

»Es ist nicht einfach für die Bauern, ein Konzept zu verstehen, in dem ein Land oder eine Industrie sich weigert, ihren Energieverbrauch zu senken und stattdessen CO2 auf einem Stück Land anderswo kauft, um die eigenen Emissionen auszugleichen«, sagt Elisha Kartini von Serikat Petani Indonesia.284 Die Haltung von La Via Campesina zu REDD+ ist klar: »Die Verschmutzer müssen ihre Treibhausgase bei sich zuhause reduzieren. Man muss die Firmen kontrollieren, nicht Kleinbauern und Indigene«, sagt Kartini. Statt für marktbasierte »Lösungen« kämpft La Via Campesina für ein anderes politisches Konzept: das der Ernährungssouveränität. Es ist »das Recht aller Völker auf gesunde und kulturell angepasste Nahrung, die nachhaltig und unter Achtung der Umwelt hergestellt ist. Das Recht der Bevölkerung, ihre Ernährung und Landwirtschaft selbst zu bestimmen. Ernährungssouveränität stellt die Menschen, die Lebensmittel erzeugen, verteilen und konsumieren, ins Zentrum der Nahrungsmittelsysteme, nicht die Interessen der Märkte und der transnationalen Konzerne.«285 Voraussetzung dafür sind Landreformen, die Anerkennung der Rechte von Bauern und Landarbeitern sowie das Menschenrecht auf Nahrung. Gleichzeitig würde dieses Modell das Klima retten. Denn 31 Prozent der Klimagasemissionen kommen aus der intensiven, exportorientierten Landwirtschaft und aus veränderter Landnutzung.

Dieses Konzept findet seinen Niederschlag im Weltagrarbericht: Dieser wurde 2003 von den Vereinten Nationen und der Weltbank in Auftrag gegeben, um die Frage zu beantworten, wie man »durch die Schaffung, Verbreitung und Nutzung von landwirtschaftlichem Wissen, Forschung und Technologie Hunger und Armut verringern, ländliche Existenzen verbessern und gerechte, ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Entwicklung fördern« kann.286 Mehr als 400 Experten aus allen Ländern der Welt waren daran beteiligt. Ergebnis: Die Antwort liegt in der Ausweitung einer kleinteiligen ökologischen Landwirtschaft, der Erforschung agrarökologischer Methoden und der Förderung von Kleinbauern. Den Anbau von Energiepflanzen für Biosprit sowie von Futterpflanzen für den wachsenden Fleischhunger lehnen die Autoren ab wie auch Grüne Gentechnik und eine hochtechnisierte Landwirtschaft mit hohem Dünger- und Pestizidverbrauch. Als sich das Ergebnis in seiner Deutlichkeit abzeichnete, stiegen die Konzerne BASF, Monsanto und Syngenta aus. »Weiter wie bisher ist keine Option«, lautete das Fazit des Berichts, der im April 2008 von 58 Regierungen in Johannesburg unterzeichnet wurde.287 Die USA, Kanada und Australien gehören nicht zu den Unterzeichnern. Auch nicht die Deutsche Bundesregierung, die weltweit in eine Landwirtschaft investiert, die die Agrar- und Lebensmittelindustrie fördert.

5. Waldschutz als Privatisierungsprogramm

Im September 2014 folgten 120 Staats- und Regierungschefs der Einladung von Ban Ki-Moon nach New York. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hatte dort am 23. September einen Sondergipfel zum Klimaschutz organisiert. Angela Merkel allerdings nahm an diesem Tag lieber die Einladung des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) an und hielt die Eröffnungsrede auf dessen »Tag der Industrie«. Die Prioritäten der Kanzlerin, die in Stellvertretung die neue Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) schickte, sorgten für Empörung. Wie kann die »Klimakanzlerin« nur mit der Industrie abhängen statt in New York das Klima zu retten? Das war in etwa der Tenor in den Kommentarspalten der Leitmedien. Ein bisschen scheinheilig, denn nur eine Woche vorher hatte die Begeisterung der gleichen Medien keine Grenzen gekannt, als es hieß, es gebe keinen Widerspruch zwischen Klimaschutz und Wirtschaftswachstum: »Glaubt’s endlich: Klimaschutz und Wirtschaftswachstum sind vereinbar«, rief etwa die Jungredakteurin Marlies Unken von der Wochenzeitung Die Zeit ihren Lesern entgegen.288

Sieben Tage vor dem Klimasondergipfel veröffentlichte die Calderon-Kommission ihren Bericht »The New Climate Economy – Better Growth, Better Climate«, der als Grundlage für ein Nachfolgeabkommen des Kyoto-Protokolls bei der UN-Klimakonferenz im Dezember 2015 gedacht ist. Die Kommission wurde vom ehemaligen Chefökonom der Weltbank, Nicholas Stern, und von Felipe Caldéron, dem Ex-Präsidenten von Mexiko, geleitet.

Die gar nicht mal so neue Botschaft: Wirtschaftswachstum ist nicht trotz Klimaschutz möglich, Wirtschaftswachstum ist die Voraussetzung für Klimaschutz. Zwar enthält das Konzept den Vorschlag, dass keine neuen Kohlekraftwerke mehr gebaut, die Subventionen für fossile Energieträger deutlich reduziert und die Investition in erneuerbare Energien erhöht werden sollen. Aber wesentlich geht es um Investitionen in »grüne« Technologien, auch so umstrittene wie die Speicherung von CO2 im Boden. Investitionen könnten durch Emissionshandel finanziert werden, der einen allmählich ansteigenden CO2-Preis schaffen soll. Wer zwölf Prozent der »brach liegenden Flächen« reaktiviere und dort »nachhaltige Landwirtschaft« betreibe, könne außerdem bis zum Jahr 2030 200 Millionen Menschen zusätzlich ernähren und auch die CO2-Emissionen reduzieren, heißt es. Die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die dies dort bereits tun, gibt es für die Kommission offenbar gar nicht.

Eine Abkehr von globalisierten Märkten, Produktions-, Konsum- und Ernährungsmustern, einen gerechten Nord-Süd-Ausgleich sucht man ebenfalls vergebens. Business as usual – nur halt in Grün. Die Kritik am ungebremsten Wachstum wischt Stern einen Tag vor der New Yorker Konferenz in einem Interview im Guardian so herablassend und autoritär weg, wie es Eliten immer tun, wenn jemand nur den leisesten Zweifel an ihren Allmachtsphantasien hegt: Wachstum und Klimaschutz gegeneinander auszuspielen sei »so nutzlos wie ein Weitpinkelwettbewerb«.289 Zu seiner »hochkarätigen Kommission« (Süddeutsche Zeitung) gehören übrigens, ausgerechnet, die Bank of Amerika, Barclay’s, die Deutsche Bank, Shell, Unilever und Weltbank. Für den Nahrungsmittelkonzern Unilever saß der Geschäftsführer Paul Polman in der Kommission. Es ist schon ziemlich erstaunlich, dass es der Tütensuppenheiland geschafft hat, mit der bloßen Inszenierung seines Raubbau-Konzerns als Weltretter sogar in ein Gremium geholt zu werden, das die künftige globale Klimapolitik bestimmen soll. Noch erstaunlicher ist allerdings, dass dieselben Medien, die gegen das Außenhandelsabkommen TTIP und Lobbyisten anschreiben, an diesem antidemokratischen Industrie-Lobbyismus nichts auszusetzen haben.

Nicht zuletzt den Hurra-Botschaften dieses Reports ist es zu verdanken, dass der außerplanmäßige Klimagipfel in New York als »erfolgreich« wahrgenommen wurde. Als »historisch« (FAZ) wurde vor allem die »New Yorker Erklärung für die Wälder« gefeiert, weil sich darin »Staaten und Firmen erstmals einig bei Rettung der Regenwälder« zeigten.290 »Zum ersten Mal verpflichten sich die World Leader zum globalen Zeitplan, den Verlust natürlicher Wälder bis 2020 zu halbieren und sich zu bemühen, diesen bis 2030 zu beenden«, steht fett gedruckt auf der ersten Seite der Erklärung.291

Eine schöne Glas-halb-voll-oder-Glas-halb-leer-Rhetorik. Man kann den Satz auch anders deuten: Bis 2030 wird weiter abgeholzt. Liest man das Papier ganz durch, lösen sich die ehrgeizigen Pläne auf in nichts als heiße Luft, die den Klimawandel weiter vorantreiben wird. Es sind freiwillige Public-Private-Partnerships zwischen Staaten, Unternehmen und konzernfreundlichen NGOs. Zu den 150 Unterzeichnern gehören 27 Regierungen und 34 Großkonzerne – darunter ausgerechnet die größten Treiber der globalen Entwaldung: der Papierkonzern Asian Pulp and Paper (PT APP), Cargill, die Deutsche Bank, der Palmölkonzern Golden Agri Resources, McDonald’s, Nestlé, Procter&Gamble, Unilever, Walmart und – na? – genau: Wilmar International. Unter den 45 NGOs finden sich Birdlife International, die Rainforest Alliance, The Nature Conservancy, das World Resource Institute und der WWF.292

REDD+ ist auch das zentrale Instrument der Waldschutzerklärung. Man wolle »dem Privatsektor helfen, die Entwaldung für die Produktion von Agrarrohstoffen wie Palmöl, Soja, Papier und Rindfleisch bis spätestens 2020 zu beenden«. Heißt: Die Expansion des Anbaus soll nicht gestoppt werden, nur die Entwaldung. Wie das gehen soll? Indem man zum Beispiel 3,5 Millionen Quadratkilometer Wald und »degradiertes Land« als Ausgleich für die Zerstörung bis 2030 wieder aufforsten will. Eine Fläche größer als Indien. Wo soll die sein? Am Ende wieder da, wo »Holzdiebe« und »Eindringlinge« herumlungern?

Weiters verlässt sich die UN in ihrem Papier auf die bereits medienwirksam freiwillig getätigten Anti-Abholz-Versprechen der großen Palmöl-Konsumgüterkonzerne. In der New Yorker Erklärung wird sie im Tonfall einer Werbebroschüre als »Lieferketten-Revolution« gefeiert: »Zusammengenommen ist der Anteil von Palmöl, das unter der Selbstverpflichtung zu null Entwaldung gewonnen wird, im vergangenen Jahr um 60 Prozent gestiegen. Diese Plantagen bedecken eine Fläche von der Größe Portugals. Der Wert dieses Palmöls beträgt 30 Milliarden Dollar innerhalb einer 50-Milliarden-Dollar-Industrie. Das reduziert geschätzte 400450 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr und insgesamt zwei Milliarden Tonnen bis 2020.«293 Eine reine Phantasie-Rechnung, denn schließlich handelt es sich ja bislang nur um Versprechen. Die wahre Botschaft der Waldschutzerklärung ist aber diese: Ohne Palmöl kein Klimaschutz! Palmölfirmen und ihr schmutziges Kerngeschäft sind nicht mehr das Problem, sondern die Lösung für das Weltklima. Ach ja: Das Berechnungsmodell für die krude Gleichung haben dessen Verfasser von Wilmar übernommen.294 Gestört hat sich daran im medialen Freudentaumel niemand. Entweder hat sich kein einziger Journalist das 16-Seiten-Papier auch nur angeschaut – oder sie glauben mittlerweile ausnahmslos an das Märchen von der Green Economy.