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Eine moderne junge Frau. Anna Snitkina

Der 1. November 1866, der vertraglich mit dem Verleger Stellowskij vereinbarte Abgabetermin für den neuen Roman, rückt näher. 26 Tage vor Ablauf der Frist erscheint die zwanzigjährige Stenographin Anna Grigorjewna Snitkina bei Dostojewskij, um ihn bei der Niederschrift des neuen Werks zu unterstützen. »Ich hatte schon bald keine Angst mehr vor dem ›berühmten Schriftsteller‹«, erinnert sie sich später, »und unterhielt mich mit ihm wie mit einem Onkel oder einem alten Freund.« Dostojewskij seinerseits ist zunehmend von seiner jungen Assistentin eingenommen. Während er zu Beginn immer wieder ihren Namen vergaß, nennt er sie nun »mein Herz«, »meine gute Anna Grigorjewna«, »mein Liebling«, zeigt Interesse an ihr als Person, erkundigt sich nach ihrer Familie und nach dem Studium. Es ist ihm unverständlich, warum eine junge Frau aus guter Familie jeden Tag durch die ganze Stadt fährt, um ein wenig Geld zu verdienen.

Bis zu Beginn der 1860er Jahre wurde jegliche Erwerbsarbeit für Frauen aus gutem Hause als anrüchig betrachtet. Aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen nach Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahr 1861 wird es jedoch für immer mehr Frauen zur Notwendigkeit, Arbeit anzunehmen. Dabei spielen aber nicht nur wirtschaftliche Gründe, sondern auch der Wunsch, die eigenen Begabungen und Fähigkeiten zu entfalten und materielle Unabhängigkeit zu erlangen, eine Rolle. Das Recht auf Ausübung eines Berufs zu erkämpfen, ist eines der wichtigsten Ziele der damaligen Frauenbewegung. »Um eine solche Forderung zu erheben, brauchte es nicht nur einen kühnen und energischen Verstand, sondern auch einen kühnen und energischen Charakter«, so ein Zeitgenosse.

Anna Grigorjewna Snitkina ist beides zu eigen. Die Eltern unterstützen den Wunsch der Tochter zu studieren, um später »den Lebensunterhalt selbst zu verdienen«, sollte das Leben es notwendig machen. Der Vater, Grigorij Iwanowitsch Snitkin, steht als Mundkoch in Diensten bei Hofe, und die Familie hat ein gutes Auskommen. Sein Interesse gilt den schönen Künsten, besonders dem Theater und der Literatur, und er ist ein großer Bewunderer von Dostojewskijs Werk. Bereits als Jugendliche hat Anna Grigorjewna den Roman Erniedrigte und Beleidigte verschlungen, die Aufzeichnungen aus einem toten Haus hatten sie zu Tränen gerührt. Annas Mutter, Maria-Anna Miltopeus, entstammte einer schwedischen Familie aus Finnland, die nach Russland übergesiedelt war. Unter ihren Verwandten sind Bischöfe, Ärzte und Wissenschaftler. Maria-Anna ist von anziehendem Äußeren, hat einen schönen Sopran und dachte zum Entsetzen der Familie eine Zeitlang gar darüber nach, als Sängerin an die Oper zu gehen. Den »guten, alten, sympathischen« Grigorij Iwanowitsch – er war zwanzig Jahre älter als sie – heiratete sie mit gebrochenem Herzen. In jungen Jahren war ihr heiß geliebter Bräutigam, ein Offizier, im Krieg umgekommen. Maria-Anna war das Oberhaupt der Familie Snitkin, führte den Haushalt sparsam und gewissenhaft. Einkünfte aus der Vermietung zweier Holzhäuser am Stadtrand von Sankt Petersburg ergänzen das Gehalt Grigorij Snitkins, der die Aufsicht über die Familienfinanzen gern der Gattin überlässt. Von der Mutter hat Dostojewskijs spätere Ehefrau Anna den willensstarken Charakter und die lebenspraktischen Eigenschaften, vom Vater, dessen Lieblingstochter sie war, die Lebensfreude und Liebe zur Literatur.

Anna und ihre ältere Schwester erhalten die beste Bildung, die Mädchen in jenen Jahren zugänglich ist. 1855 wird Anna an der Annenschule aufgenommen, an der alle Fächer auf Deutsch unterrichtet werden. In der zweiten Hälfte der 1850er Jahre wird das Schulsystem für Mädchen grundlegend reformiert. »Im System der Volksbildung wurde bis zur jetzigen Zeit die Aufmerksamkeit der Regierung in Sonderheit auf die Ausbildung der Vertreter des männlichen Geschlechts gelegt«, heißt es in einem Bericht, den der Minister für Volksbildung Awraam Norow Zar Alexander II. im Frühjahr 1856 vorlegt. »Lehrinstitutionen für junge Damen … stehen nur einer begrenzten Zahl von Töchtern aus Adels- und Beamtenfamilien zur Verfügung; Personen der mittleren Stände sind, in Sonderheit in den Gouvernements- und Kreisstädten, der Möglichkeit enthoben, ihren Töchtern notwendige Bildung zukommen zu lassen. Dieweil hängt davon jedoch die Entwicklung des wahren Verständnisses hinsichtlich der Pflichten eines jeden im Volke ebenso ab wie die Verbesserung der Sitten und Gebräuche in den Familien, ja der Gesellschaft insgesamt, auf welche die Frauen einen überaus großen Einfluss haben.« 1857 erstellt Professor Nikolaj Alexejewitsch Wyschnegradskij einen Lehrplan für Mädchen-Gymnasien, die Mädchen aller Stände zugänglich sind und nach dem entsprechenden kaiserlichen Ukas wird im April 1858 in Sankt Petersburg das erste Mädchen-Gymnasium feierlich eröffnet, das zu Ehren Kaiserin Maria Alexandrownas, einer Förderin der Frauenbildung, Marien-Gymnasium benannt wird. Anna Snitkina wechselt kurz nach der Eröffnung auf dieses Gymnasium und schließt es 1864, mit der großen Silbermedaille ausgezeichnet, ab. Sie gehört also zur ersten Frauengeneration in Russland, die eine systematische Gymnasialbildung genossen hat. Das Recht auf ein Universitätsstudium müssen sich die Frauen erst erstreiten.

Anna Grigorjewna hat sich selbst oft als »junge Frau der sechziger Jahre« bezeichnet. Durch Freunde und Kommilitonen ihrer Cousins, die die Universität besuchten, war sie vertraut mit den Themen der Zeit wie den Forderungen nach Gleichberechtigung der Frau, Frauenbildung und Berufstätigkeit der Frau als Garant für Unabhängigkeit von einem Ehemann. Ihr Denken war von den Diskussionen in den Kreisen der fortschrittlichen Jugend geprägt und durchaus modern. So ist es nicht verwunderlich, dass Anna nach Abschluss des Gymnasiums ihre Ausbildung als Studentin der ersten pädagogischen Kurse für Frauen fortsetzen wollte, die zu Beginn der 1860er Jahre angegliedert an das Marien-Gymnasium gegründet worden waren. Auf dem Lehrplan dieser Kurse standen auch die Fächer Anatomie und Physiologie, die an den Lehrinstituten für Frauen zuvor nicht unterrichtet worden waren. Der Abschluss dieser Kurse berechtigte die Frauen zur Lehrtätigkeit an Mädchen-Gymnasien. Aufgrund der schweren Erkrankung ihres Vaters musste Anna Grigorjewna den Besuch dieser Kurse jedoch abbrechen.

Anfang 1866 liest Anna eine Zeitungsanzeige, die auf kostenlose Stenographiekurse aufmerksam macht, und beschließt, diese zu besuchen. »Besonders mein Vater drang darauf«, erinnert sie sich, »denn er bedauerte sehr, dass ich die Pädagogischen Kurse aufgrund seiner Erkrankung nicht hatte beenden können.« Den Unterricht erteilt Professor Pawel Olchin, ein bekannter Stenographie-Theoretiker, der das von Franz Xaver Gabelsberger entwickelte grafische Kurzschriftsystem für das Russische adaptierte und dessen Handbuch der Stenographie soeben in dritter Auflage erschienen ist. Das Erlernen der Stenographie fällt ihr zunächst nicht leicht, aber der Vater nimmt ihr das Versprechen ab, dass sie die Kurse weiterhin besucht. Nach seinem Tod widmet sie sich mit all ihrer Kraft dem Studium, um seiner Hoffnung, dass sie »eine gute Stenographin« werde, zu entsprechen. Bald ist sie Olchins beste Studentin.

Als Professor Olchin ihr einen kurzfristigen Auftrag beim berühmten Schriftsteller Fjodor Dostojewskij vorschlägt, zögert sie nicht. »Stets hatte ich nur den einzigen Wunsch, meiner Familie nicht zur Last zu fallen, sondern selbst zu etwas nützlich zu sein, auf eigenen Beinen zu stehen«, notiert sie am 3. Oktober 1866 in ihrem Tagebuch. »Nun bietet sich die Möglichkeit zur Unterstützung von Mama. Welch ein Glück!« Zugleich freut die angehende Stenographin sich, dass sie »durch die eigene Arbeit« Unabhängigkeit erlangt. »Die Vorstellung, unabhängig zu sein, war für mich, eine junge Frau der sechziger Jahre, sehr wichtig«, heißt es in ihren Erinnerungen.

Und nicht zuletzt ist die Aussicht verlockend, Fjodor Dostojewskij, dem Lieblingsschriftsteller ihres Vaters, dessen Werke sie seit früher Jugend bewundert, bei seiner Arbeit zu assistieren.

Am 4. Oktober beginnen Dostojewskij und Anna Snitkina mit der Arbeit. Der Schriftsteller diktiert seinen neuen Roman, die Stenographin schreibt den diktierten Text zu Hause ins Reine, und Dostojewskij liest die Reinschrift anschließend Korrektur. Da der Schriftsteller sich erst an die neue Art der Arbeit gewöhnen muss, geht es zunächst langsam voran, und Anna muss zwei Mal am Tag den Weg durch die Stadt machen, um zu stenographieren.

Bereits im September 1863 hatte Dostojewskij in einem Brief aus Rom dem Publizisten Nikolaj Strachow die Idee eines neuen Romans, den er damals noch »Erzählung« nannte, skizziert. »Ich habe einen ziemlich guten (so meine ich) Plan für eine Erzählung. … Das Sujet ist folgendes: Ein Typus des im Ausland lebenden Russen. … All seine Lebenssäfte, all seine Kraft, Leidenschaft, sein Mut sind ins Roulette gegangen. Er ist ein Spieler, aber nicht einfach nur ein Spieler … ‌, er ist auf seine Weise ein Dichter, aber ein Dichter, der sich seiner Gedichte schämt, da er tief in seinem Inneren deren Niedrigkeit spürt, obgleich das Verlangen nach Risiko ihn in seinen eigenen Augen edel sein lässt. Die ganze Erzählung handelt davon, wie er bereits das dritte Jahr in den Spielkasinos unterschiedlicher Städte Roulette spielt. … Es kann tatsächlich ein ganz gutes Werk dabei herauskommen. … Auf seine Art ist es die Beschreibung einer Hölle, so etwas wie die ›Banja‹ der Katorga.«

Die Hölle der Spielsucht hat Dostojewskij, ebenso wie die Hölle der Banja der Katorga – hier bezieht er sich auf seine Beschreibung einer Szene im Badehaus in den Aufzeichnungen aus einem toten Haus, die laut Iwan Turgenjew »an Dante gemahnt« –, selbst durchlebt, und als er sich im Oktober 1866 schließlich an die Niederschrift dieses neuen Werks macht, kann er reichlich aus seinen eigenen Erfahrungen am Spieltisch schöpfen.

Im Mittelpunkt der Erzählung, die nicht zuletzt aus vertraglichen Gründen zum Roman wird, steht der junge Hauslehrer der Familie eines verschuldeten russischen Generals, die in der fiktiven deutschen Stadt Roulettenburg auf die Nachricht vom Tod einer wohlhabenden Moskauer Verwandten wartet. Statt der sehnsuchtsvoll erwarteten Erbschaft trifft jedoch »Babuschka« unerwartet persönlich ein und verspielt in wenigen Tagen ihr gesamtes Vermögen. In dieser unerfreulichen Situation sucht die Stieftochter des Generals, von ihrem Geliebten verlassen, die Nähe von Alexej Iwanowitsch, dem Hauslehrer, der sie schon lange liebt, den sie aber zuvor stets grausam behandelt hatte. Sie verbringt mit ihm eine Nacht. Alexej Iwanowitsch gewinnt im Spiel eine beachtliche Summe, von der er seiner Geliebten einen großen Teil abgibt, aber sie weist sein Geld zurück, denn sie will sich nicht kaufen lassen. Sie trennt sich von ihm. Nach einem Aufenthalt in Paris, bei dem er seinen gesamten Gewinn pulverisiert, kehrt Alexej nach Roulettenburg zurück und endet als »verlorener Mensch«, der gefangen ist in seiner Spielsucht und dem Traum vom großen Gewinn.

Der in der Form der Ich-Erzählung aus der Sicht des Hauslehrers geschriebene Roman Der Spieler ist der auf autobiographischen Erfahrungen gründende Bericht aus der Hölle der Spielsucht, zugleich aber auch aus der Hölle der Hassliebe. In der Beziehung zwischen Alexej und der Stieftochter des Generals, die Dostojewskij sicher nicht ganz zufällig auf den Namen Polina tauft, reflektiert der Schriftsteller seine Liebe zu Apollinaria Suslowa und die Kränkungen und Erniedrigungen, die er durch sie erlitten hat. »Ich fragte mich immer wieder: liebe ich sie?«, geht Alexej gleich zu Beginn der Aufzeichnungen eines jungen Mannes – so der Untertitel des Romans – durch den Kopf. »Und immer wieder war mir eine Antwort nicht möglich, besser gesagt, ich antwortete mir selbst hunderte Male, dass ich sie hasse. Ja, sie war mir verhasst. Es gab Augenblicke (und zwar jedes Mal am Ende eines unserer Gespräche), in denen ich mein halbes Leben dafür gegeben hätte, wenn ich sie hätte erwürgen können! Ich schwöre, wenn es möglich gewesen wäre, ein scharfes Messer langsam in ihre Brust zu bohren, so hätte ich, glaube ich, mit Vergnügen zu diesem Messer gegriffen. … Der Gedanke, dass mir vollkommen klar ist, dass sie für mich gänzlich unerreichbar und die Erfüllung all meiner Träume gänzlich unmöglich ist – dieser Gedanke bereitete ihr, davon bin ich überzeugt, außergewöhnliche Lust. … Mir scheint, sie blickte auf mich wie eine antike Herrscherin, die sich vor ihrem Sklaven entkleidet, weil sie ihn nicht als Menschen betrachtet. Ja, sie hat mich viele Male nicht als Menschen betrachtet.«

Schon bald ist Anna Snitkina von der Arbeit derart gefesselt, dass sie »sich sehr darauf freut«, auch am Abend »zum Diktat« zu Dostojewskij zu fahren. Aber nicht nur die Arbeit macht ihr Freude, sondern auch die Gespräche mit dem Schriftsteller und dieser selbst gefallen ihr zunehmend.

Dies beruht auf Gegenseitigkeit. Auch Dostojewskij findet Gefallen an seiner jungen Mitarbeiterin mit ihren strahlenden, grauen Augen, ihrem aufrichtigen Wesen und dem ansteckenden Lachen. Er schätzt ihr Pflichtgefühl und ihren Fleiß. Anna Snitkina ist zwar eine moderne junge Frau, die für sich das Recht in Anspruch nimmt, »auf eigenen Beinen zu stehen«, zugleich aber entspricht ihr Äußeres und ihr Gebaren durchaus der traditionellen Auffassung von Weiblichkeit, was sie Dostojewskijs Ansicht nach angenehm von radikal gesinnten Nihilistinnen unterscheidet. »Fjodor Michailowitsch mochte die Nihilistinnen jener Zeit nicht«, erinnert sich Anna Grigorjewna. »Ihre Ablehnung jeglicher Weiblichkeit, Nachlässigkeit und ihr gewollt ungehöriges Benehmen riefen seinen Widerwillen hervor, und meine, diesem ganz entgegengesetzten Wesenszüge gefielen ihm ausdrücklich.«

Die Ungeordnetheit und Armut des Lebens Dostojewskijs bereiten Anna Kummer. Eines Tages bemerkt sie, dass die chinesischen Vasen verschwunden sind, die er aus Semipalatinsk mitgebracht hatte, ein anderes Mal fällt ihr auf, dass er seine Suppe mit einem Holzlöffel isst. Das Silberbesteck hatte er ebenso wie die chinesischen Vasen im Pfandhaus versetzen müssen. Dostojewskij erklärt ihr, dass er nach allem, was er in der Katorga durchgemacht hat, solchen Kleinigkeiten keine Beachtung schenke.

»Warum erinnern Sie sich nur an Unglückliches?«, fragt sie ihn. »Erzählen Sie doch lieber einmal von Zeiten, in denen Sie glücklich waren.«

»Glücklich? Ich war noch nie glücklich, zumindest nicht in der Art, wie ich es mir immer erträumt habe. Ich warte noch auf das Glück.«

Einmal trifft sie Dostojewskij in großer Unruhe an. Er eröffnet ihr, dass er sich »an einer Scheide befinde, und dass ihm drei Wege offenstehen: Entweder eine Reise in den Orient, nach Konstantinopel oder Jerusalem, um dort vielleicht auf immer zu bleiben, nach Westeuropa zu fahren, sich an den Spieltisch zu setzen und sich ganz und gar ins Spiel zu stürzen, das ihn stets so fasziniert habe, oder schließlich ein zweites Mal zu heiraten und sein Glück und seine Freude im Familienleben zu finden.« Dostojewskij fragt seine junge Mitarbeiterin, was sie ihm rate. Und sie rät ihm, ein zweites Mal zu heiraten.

»Sie meinen also«, fragt er, »dass ich nochmals heiraten kann? Dass eine Frau bereit sein wird, ihr Leben mit dem meinen zu verbinden? Was für eine Frau sollte ich wählen: eine kluge oder eine gutherzige?«

»Natürlich eine kluge.«

»Aber nein, wenn ich schon eine wähle, nehme ich doch lieber eine gutherzige, die Mitgefühl mit mir hat und mich liebt.«

»Mir schien, dass er mir ganz bestimmt sogleich einen Antrag macht«, notiert Anna am nächsten Tag in ihrem Tagebuch. »Und ich wusste absolut nicht, ob ich ihn annehmen soll oder nicht. Er gefiel mir überaus gut, doch seine Gereiztheit und seine Erkrankung schreckten mich doch sehr.«

Statt eines Heiratsantrags macht Dostojewskij seiner jungen Assistentin, die ihm erzählt hat, wie sehr sie von einer Reise nach Westeuropa träumt, allerdings den doch recht unschicklichen Vorschlag, ihn bei seiner nächsten Auslandsreise zu begleiten, so ihre Mutter dies erlaube. Anna Grigorjewna antwortet ausweichend, dass sie sich nicht sicher sei, ob ihre Mutter diesem Vorschlag zustimmen würde. Der Schriftsteller ist sich natürlich darüber bewusst, dass Annas auf Anstand bedachte Mutter diesen entsetzt abgelehnt hätte, und er kennt auch Anna schon gut genug, um zu wissen, dass ihre Ansichten hinsichtlich Ehe und Familie trotz ihres Strebens nach Unabhängigkeit durchaus traditionell sind und sie sich deshalb niemals zu einem solchen Schritt entschlossen hätte.

Nach 26 Tagen ist die gemeinsame Arbeit am neuen Roman abgeschlossen. Innerhalb dieser kurzen Zeit ein literarisches Werk im Umfang von 10 Druckbogen zu beenden, kommt einer schriftstellerischen Meisterleistung gleich. Aber auch das Verdienst der assistierenden Stenographin ist beachtlich. »Durch die Stenographie verkürzt sich die Arbeitszeit fast um die Hälfte«, schreibt Dostojewskij am 2. November 1866. »Nur dadurch war es mir möglich, innerhalb eines Monats 10 Druckbogen zu schreiben, andernfalls hätte ich nicht einmal 5 geschafft.«

Die Unterstützung durch seine Assistentin kommt dem Schriftsteller ein weiteres Mal bei der Abgabe des Manuskripts zugute. Als Dostojewskij am 1. November den Roman im Kontor des Verlegers Stellowskij abgeben will, trifft er diesen dort nicht an. Möglicherweise will er durch seine Abwesenheit die Übergabe des Manuskripts verunmöglichen, damit der entsprechende Paragraph des Vertrags zum Tragen kommt, durch den die Urheberrechte an Dostojewskijs Werken für die Dauer von neun Jahren an ihn fallen. Auf Anraten eines mit der Familie Snitkin bekannten Anwalts, den Annas Mutter auf Bitten ihrer Tochter zu Rate zieht, hinterlegt der Schriftsteller das Romanmanuskript an diesem Tag buchstäblich wenige Stunden vor Ablauf der Abgabefrist gegen Empfangsbescheinigung auf dem Polizeirevier des Wohnbezirks des Verlegers und hält so den vereinbarten Termin nachweislich ein.

In formaler Hinsicht nicht perfekt komponiert, ist der unter Zeitdruck entstandene Roman durch die an ein Tagebuch erinnernde Ich-Erzählung, die dialogische Anlage und die psychologisch genau beschriebenen Figuren ein typisches Werk Dostojewskijs und darüber hinaus ein äußerst unterhaltsamer Roman. Die Herausforderung des Schicksals und die Lust an der Selbstzerstörung, die der Protagonist als »Poesie des Spiels« bezeichnet, lässt den Spieler Alexej Iwanowitsch ebenso abseits der Gesellschaft stehend erscheinen wie den fiktiven Verfasser der Aufzeichnungen aus dem Untergrund. Die zentralen Motive des Romans Der Spieler – »Eros«, »Geld« und »Macht« – werden auch die zentralen Themen der folgenden großen Romane sein.

Am 31. Oktober erschien die Stenographin zum letzten Mal beim Schriftsteller, um ihm den am Tag zuvor diktierten letzten Teil des Textes vorzulegen. An diesem Tag trägt sie nicht ihr schwarzes Kleid, das sie sonst der Trauer um den jüngst verstorbenen Vater stets getragen hat, sondern ein violettes, welches sie, wie der Schriftsteller bemerkt, ganz hervorragend kleidet.

»Warum heiraten Sie eigentlich nicht«, fragt er interessiert. Anna antwortet, dass zwei Herren ihr den Hof machten, beide ganz wundervolle Menschen, die sie hochachte, aber sie sei nicht verliebt, und sie wolle nur aus Liebe heiraten.

»Unbedingt, nur aus Liebe«, erwidert Dostojewskij, »gegenseitige Achtung ist nicht genug für eine gute Ehe!«

Einige Tage später ist Dostojewskij bei Anna Grigorjewna und ihrer Mutter zu Gast. Er erzählt, dass er nun seinen Roman Verbrechen und Strafe beenden muss.

»Die Arbeit ist mir mit Ihnen fiel leichter gefallen«, sagt er zu Anna. »Ich hoffe, Sie lehnen nicht ab, auch weiterhin meine Mitarbeiterin zu sein?«

Und am 8. November erscheint Anna erneut beim Schriftsteller, um die Zusammenarbeit am nächsten Roman zu besprechen. Dostojewskij begrüßt sie freudig erregt. Während der letzten Wochen ist die junge Stenographin Dostojewskij ans Herz gewachsen. Sie hat jenes »gute Herz«, das er so sehr vermisst. Sie schätzt ihn als Schriftsteller, bewundert sein Werk und hat sich in der Zusammenarbeit bewährt.

An jenem Tag will Dostojewskij seiner Mitarbeiterin einen Heiratsantrag machen, aber die Zurückweisung durch Apollinaria Suslowa und Anna Korwin-Krukowskaja ist ihm noch allzu unangenehm in Erinnerung, und er beschließt, seine möglicherweise unerwartete Liebeserklärung als Idee für einen neuen Roman auszugeben. Die Hauptperson seines Romans, ein nicht mehr ganz junger und kranker Künstler, der vieles im Leben durchgemacht und auch Enttäuschung in der Liebe erfahren hat, will trotz allem nicht die Hoffnung auf Liebe und Glück aufgeben. Anna begreift rasch, dass die Erzählung von ihm selbst handelt. Aber als Dostojewskij sagt, die Hauptfigur seines Romans lerne eine junge Frau namens Anna kennen, glaubt sie, er spreche über seine Liebe zu Anna Korwin-Krukowskaja, von der der Schriftsteller ihr erzählt hatte, und vergisst dabei ganz, dass auch ihr eigener Vorname Anna ist.

»Nehmen Sie für einen Augenblick ihre Rolle ein«, sagt Dostojewskij mit bebender Stimme. »Stellen Sie sich vor, dieser Künstler sei ich, und dass ich Ihnen meine Liebe gestehe und Sie bitte, meine Frau zu werden. Sagen Sie, was würden Sie mir antworten?«

Er blickte verlegen und Anna Grigorjewna begreift, dass dies nicht nur ein »Gespräch über Literatur« ist.

»Ich würde Ihnen antworten, dass ich Sie liebe und mein Leben lang lieben werde«, erwidert sie.

Ljubow Dostojewskaja und manche Biographen des Schriftstellers gehen davon aus, dass Dostojewskijs Heiratsantrag an seine Stenographin in erster Linie von der Vernunft, nicht vom Gefühl diktiert war. Er habe nach dem Tod seiner ersten Ehefrau endlich wieder eine Familie haben wollen, und eine bessere Ehefrau als jene gutherzige junge Dame, die an seinem Schicksal Anteil nimmt und ihm bei der Arbeit an seinem Werk zur Seite steht, hätte er nicht finden können. Zweifellos habe sie ihm gefallen, aber wirklich verliebt sei er in sie nicht gewesen.

»Gegen Ende der Arbeit am Roman habe ich bemerkt, dass meine Stenographin mich aufrichtig liebgewonnen hat«, schreibt Dostojewskij nach der Hochzeit mit Anna Grigorjewna, »und auch mir hat sie immer besser gefallen. Da mir das Leben nach dem Tod meines Bruders öde und schwer geworden war, habe ich ihr die Ehe angetragen. Der Altersunterschied ist furchtbar groß (20 und 44), doch ich bin zunehmend überzeugt, dass sie glücklich wird. Sie hat ein Herz und weiß zu lieben.« Diese etwas zurückhaltende Beschreibung Dostojewskijs seiner Gefühle zu Anna scheint die Annahme zu bestätigen, dass sein Heiratsantrag eher Vernunftgründen denn überschwänglichen Gefühlen entsprang. Die Adressatin dieser Zeilen indes ist die einstige Geliebte Apollinaria Suslowa, die Dostojewskij in seinen Augen schmählich verlassen hatte und die ihm keineswegs gleichgültig ist, weshalb er die neue Verbindung, die er eingegangen ist, darstellt, als sei sie auf Initiative der Stenographin zustande gekommen. Dass Dostojewskij für seine zweite Ehefrau nicht die gleiche kopflose Leidenschaft wie für Suslowa empfindet, steht jedoch wohl außer Frage. Gleichwohl hat Dostojewskij durchaus zärtliche Gefühle für Anna empfunden. »Dein Dich unendlich Liebender und an Dich unendlich Glaubender«, beendet er seinen ersten Brief an Anna. »Du bist meine ganze Zukunft – meine Hoffnung, mein Glaube, mein Glück und meine Wonne.«

»Es war eine sehr glückliche Zeit«, schreibt Anna Grigorjewna über die Wochen nach der Verlobung. Dostojewskij kommt jeden Abend zu Besuch, bedenkt sie mit kleinen Aufmerksamkeiten wie Konfekt, ist bester Stimmung, macht bisweilen übermütige Späße wie ein junger Mann, die Anna mit heiterem Lachen belohnt.

Ganz ungetrübt ist das Beisammensein allerdings nicht, da die Verwandtschaft mit der Ehe der beiden nicht einverstanden ist. Als Argument gegen die Verbindung wird immer wieder der große Altersunterschied angeführt. Besonders unzufrieden mit der Entwicklung sind seine Schwägerin Emilia Fjodorowna und der Stiefsohn Pascha. Dostojewskij kommt nach dem Tod seines Bruders Michail und seiner ersten Ehefrau für den Lebensunterhalt Emilia Fjodorownas und ihrer Kinder sowie Paschas auf und beide fürchten um ihr eigenes materielles Wohlergehen. Pascha ist mittlerweile zwanzig Jahre alt, wohnt bei Dostojewskij, geht weder einer Beschäftigung nach noch studiert er, liegt seinem »Vater«, wie er Dostojewskij nennt, auf der Tasche, und meint, ihn belehren zu müssen, dass Männer »in seinem Alter« keine Familie mehr gründen. Auch Emilia Fjodorowna erkundigt sich, warum er denn unbedingt nochmals heiraten müsse. »Sie haben doch schon in der ersten Ehe keine Kinder gehabt«, drückt sie ihr Unverständnis aus, »und damals waren Sie noch jünger. Wie können Sie darauf jetzt, in Ihrem Alter noch hoffen?« Annas Familie stört nicht nur der Altersunterschied zwischen ihr und ihrem Verlobten, sondern auch die Tatsache, dass der Schriftsteller ein kranker Mann und vollkommen verschuldet ist und für seine Schwägerin und deren Familie sowie für den Stiefsohn aufzukommen hat.

Als Ende November der Termin zur Abgabe der Fortsetzung des Romans Verbrechen und Strafe heranrückt, dessen erste Teile bereits erschienen waren, schlägt Anna Grigorjewna Dostojewskij vor, er könne tagsüber zu Hause am Roman arbeiten und an den Abenden zum Diktat des Textes zu ihr kommen. Die Zusammenarbeit ist ebenso erfolgreich wie zuvor, und in vier Wochen sind der letzte Teil des Romans sowie der Epilog im Umfang von sieben Druckbogen fertiggestellt. »Fjodor Michailowitsch versicherte mir, dass ihm die Arbeit noch nie zuvor so leicht von der Hand gegangen sei«, hält Anna Dostojewskaja später in ihren Erinnerungen fest, »und dies schrieb er der Zusammenarbeit mit mir zu.«

Das leitende Thema des ersten von Dostojewskijs fünf großen Romanen ist, wie auch das Thema der folgenden, ein Verbrechen, ein Mord. Sein »obsessives Interesse« an der Psychopathologie des Mörders liegt in der Biographie des Schriftstellers begründet, der im sibirischen Zuchthaus alle nur denkbaren Straftäter aus nächster Nähe kennenlernte. »Man darf sagen, dass Dostojewskij in Sibirien zum Kriminologen wurde, allerdings zu einem philosophischen Kriminologen mit einem christlichen Fundament.«

Der Protagonist aus Verbrechen und Strafe, Rodion Raskolnikow, ein Student, der von der Universität exmatrikuliert wurde und »in äußerster Armut lebt«, ist überzeugt, es gebe zwei Kategorien von Menschen – die gewöhnlichen, »zitternden Kreaturen« und die außergewöhnlichen »Napoleons«. Ein »Napoleon« habe das Recht, so glaubt er, eines großen Zieles wegen ein Verbrechen zu begehen. Um seine Theorie zu erproben, plant er den Mord an der alten, habgierigen Pfandleiherin Aljona und rechtfertigt seinen Plan damit, dass er mit ihrem Geld viel Gutes tun, insbesondere seine Mutter und Schwester aus Armut befreien könne. Unablässig stellt er sich die Frage, ob er eine menschliche »Laus« sei oder ein »Napoleon«. Er besucht die Pfandleiherin, erschlägt sie mit einer Axt, wird jedoch von ihrer einfältigen Schwester Lisaweta auf frischer Tat ertappt und ist gezwungen, auch diese zu töten und damit einen »unerwarteten Mord« zu begehen. Nach seiner Tat fällt er in tiefe Depression. Er lernt Sonjetschka Marmeladowa kennen, die gezwungen ist, dem »anstößigen Gewerbe« der Prostitution nachzugehen, um ihre im Elend lebende Familie zu ernähren. Raskolnikow wird klar, wie sehr das Bewusstsein ihrer »unehrenhaften und schandbaren Lage« die fromme Sonjetschka, die meint, sie sei eine »große Sünderin«, peinigt und innerlich zerreißt. Er gesteht ihr den Mord an der Pfandleiherin und Lisaweta. Sonjetschka rät ihm, sich zu stellen: »Das Leiden annehmen und dadurch büßen, das ist es, was du tun musst.« Raskolnikow hört auf ihren Rat und wird für die Morde zu Zwangsarbeit verurteilt. Sonjetschka folgt ihm nach Sibirien und versucht, sein Leben dort zu erleichtern.

»Doch Raskolnikow bereute sein Verbrechen nicht« und peinigte Sonjetschka »mit seiner verachtungsvollen und groben Art, mit ihr umzugehen«, heißt es im Epilog. Durch die aufopferungsvolle Liebe Sonjetschkas jedoch beginnt er sich zu verändern. »Er wurde gleichsam von etwas ergriffen, und er warf sich ihr zu Füßen. Er weinte und umfasste ihre Knie … In ihren Augen leuchtete unendliches Glück auf. Sie verstand, dass er sie liebt, sie unendlich liebt, und dass der Augenblick schließlich gekommen war.« Der Mörder und die Prostituierte werden durch die Liebe wiedergeboren.

Dieses Bild der Frau, die durch ihre Aufopferung den schuldig gewordenen Mann errettet, überträgt Dostojewskij auf seine Verlobte. Er bekennt ihr, wenn sie immer die bleibe, die sie nun ist, »dann würde er sich grundlegend verändern, da sie ihm viele neue Gefühle und Gedanken geschenkt habe … und so würde auch er zu einem besseren Menschen.«

Im Dezember 1866 erscheint der letzte Teil des Romans Verbrechen und Strafe in der Zeitschrift Russischer Bote. Er wird zum Ereignis der literarischen Saison 1866. Die linke Presse sieht zwar durch Dostojewskijs »moralische Arithmetik«, mit der Raskolnikow sein Verbrechen mit altruistischen Zielen rechtfertigt, die Ideale der fortschrittlichen Jugend verunglimpft, aber dies tut dem Erfolg des Romans keinen Abbruch, und die Abonnentenzahlen des Russischen Boten schnellen in die Höhe.

Dostojewskij hat wie immer keinerlei finanzielle Rücklagen, und die Hochzeit muss verschoben werden. Um beim Herausgeber des Russischen Boten einen Vorschuss für seinen nächsten Roman zu erbitten, reist er nach Moskau und erhält eine solide Summe in Höhe von 2000 Rubel. »Unser Schicksal ist entschieden, ich habe das Geld erhalten, und wir können baldmöglichst heiraten«, schreibt er seiner Verlobten am 2. Januar 1867. Nachdem der Schriftsteller eine neue Wohnung gefunden hat, die ebenso wie die alte im etwas verrufenen Quartier am Heumarkt gelegen ist, wo sein Protagonist Raskolnikow durch die Straßen irrte, findet am 15. Februar 1867 in der Dreifaltigkeitskathedrale schließlich die Hochzeit statt. Der Tradition entsprechend erscheint Dostojewskij als Bräutigam zuerst in der Kirche. Als die Braut eintrifft, eilt er auf sie zu, ergreift ihre Hand, drückt sie fest und sagt:

»Endlich bist du da! Jetzt wirst du mir nicht mehr entkommen!«

»Ich wollte ihm antworten, dass ich nicht vorhätte, ihn zu verlassen«, erinnert sich Anna Dostojewskaja, »aber als ich ihn anblickte, erschrak ich, so blass war er.« Vielleicht hatte sich Dostojewskij, während er in der Kirche auf seine Braut wartete, an seine erste Hochzeit erinnert und an seine Angst, seine Braut würde mit seinem Bräutigamführer und Nebenbuhler Wergunow das Weite suchen.

Das Eheleben beginnt mit einem Schock. Nur kurze Zeit nach der Vermählung, nach einem heiteren Beisammensein zu einem Essen mit Champagner im Haus der Schwester von Anna Grigojewna, erleidet Dostojewskij innerhalb von wenigen Stunden zwei schwere epileptische Anfälle. Annas Schwester ergreift hysterisch schreiend die Flucht, während die junge Ehefrau alles unternimmt, um das Leiden ihres Mannes zu erleichtern. Die darauf folgende Nacht ist furchtbar, Dostojewskij stöhnt und schreit über Stunden vor Schmerzen, Anna Grigorjewna bleibt sie als »schwere Erinnerung« im Gedächtnis und ihr wird klar, dass sie die Erkrankung ihres Ehemannes als etwas Unabänderliches in ihrem Zusammenleben annehmen muss.

Auch Unstimmigkeiten mit der Verwandtschaft vergällen die Zeit nach der Hochzeit. Die ständige Anwesenheit der Schwägerin und deren Kinder im Hause der Neuvermählten, die Belehrungen Emilija Fjodorownas darüber, wie der Haushalt zu führen sei, und Paschas ungehobeltes Verhalten führen dazu, dass die vertraute Beziehung, die zwischen Dostojewskij und Anna während der Arbeit an Der Spieler entstanden war, sich verändert und Anna glaubt, ihr Ehemann ziehe sich von ihr innerlich zurück, denn er scheint ihre Sorgen nicht ernst zu nehmen und mischt sich in die Auseinandersetzung mit den Anverwandten nicht ein, was Anna verletzt. »Meine Liebe zu ihm entsprang einer ideellen Vorstellung«, erinnert Anna Grigorjewna sich später. »Es war eher Bewunderung, Verehrung für einen Menschen solcher Begabung und mit solch hohen inneren Eigenschaften. Es war die Seele ergreifendes Mitgefühl für einen Menschen, der so viel hatte erleiden müssen, weder Freude noch Glück gekannt hatte und von den ihm Nahestehenden allein gelassen wurde, die verpflichtet gewesen wären, ihm mit Liebe und Sorge alles, was er für sie getan hatte, zurückzugeben. Der Traum, die Gefährtin auf seinem Lebensweg zu werden, seine Werke mit ihm zu teilen, ihm das Leben leichter zu machen, hatte mich ganz ergriffen.« Die junge Ehefrau spürt, dass ihr »Traum« in Gefahr ist, von der »bitteren Realität« zerstört zu werden. Sie liebt ihren Fjodor sehr, aber sie ist nicht bereit zur Ehe mit einem Mann, der sie nicht mehr liebt. Anna Grigorjewna sucht das Gespräch, und ihr wird klar, dass ihre Ängste unbegründet sind, da der »große Seelenkundler«, ganz vertieft in das Nachdenken über seinen nächsten Roman, die alltäglichen Zwistigkeiten in seinem Hause gar nicht bemerkt hat.

Der Schriftsteller versichert ihr seine »leidenschaftliche Liebe« und schlägt vor, gemeinsam nach Moskau zu fahren, wo er bei Michail Katkow, dem Herausgeber des Russischen Boten, nochmals einen Vorschuss für seinen neuen Roman erbitten will, um mit ihr für einige Zeit ins Ausland zu reisen. Außerdem möchte er, dass Anna seine Schwester Vera und ihre Familie kennenlernt. Vera und ihr Ehemann schließen Anna sogleich in ihr Herz, die fast erwachsenen Kinder indes sind ihr gegenüber zunächst nicht eben wohlwollend. Sie hätten es lieber gesehen, wenn Dostojewskij ihre jüngst verwitwete Tante Jelena Pawlowna geheiratet hätte. Darüber hinaus hatten sie sich die Stenographin als »ältere Frau, Nihilistin, mit kurz geschnittenem Haar und Brille« vorgestellt. Aber als sie stattdessen der noch fast mädchenhaften Anna gegenüberstehen, gehören ihre Vorbehalte rasch der Vergangenheit an.

Nach einem Abend bei der Familie seiner Schwester macht Dostojewskij seiner Frau eine Eifersuchtsszene, da sie sich allzu angeregt mit einem jungen Mann unterhalten habe. Er ist furchtbar wütend und schreit sie an, nennt sie »seelenlose Kokette«. Als Anna auf seine Vorwürfe hin in Tränen ausbricht, bereut er plötzlich, sie grundlos beschuldigt zu haben, und ist derart beschämt, dass sie ihn die ganze Nacht beruhigen muss. Sie schwört sich, in Zukunft nie wieder auch nur den leisesten Grund zur Eifersucht zu geben.

Dostojewskij erhält von Katkow einen Vorschuss in Höhe von 1000 Rubel, und die Eheleute hätten die Möglichkeit zu einer Europareise, wenn nicht die Petersburger Verwandten verlangten, dass Dostojewskij ihnen das Geld für die Lebenshaltungskosten der nächsten Monate auszahlt. Auch sind die Gläubiger nicht bereit, die Ratenzahlungen der gewährten Darlehen aufzuschieben, so dass sich die Pläne für die Reise sogleich wieder zerschlagen. »Das Schicksal ist gegen uns, meine liebe Anjetschka«, konstatiert Dostojewskij traurig. Anna beschließt kurzerhand, ihre gesamte Mitgift – Möbel, Schmuck und Tafelsilber – zu versetzen, um »ihr Glück zu retten«, und mit dem dafür erhaltenen Geld brechen die beiden am 14. April 1867 nach Europa auf. Anna freut sich wie ein Kind auf diese Reise und ahnt nicht, dass sie in Europa mit noch größeren Dämonen als den missgünstigen Verwandten konfrontiert sein wird.