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Wieder in Russland. Die literarische Ehefrau

Anfang Juli 1871 sind die Dostojewskijs wieder in Petersburg. Alles, was sie besitzen, sind 60 Rubel in bar und zwei Koffer mit ihrem Reisegepäck. Acht Tage nach ihrer Ankunft wird ihr Sohn geboren, der auf den Namen des Vaters getauft wird. »Um 6 Uhr am Freitagmorgen, dem 16., hat Gott mir den Sohn Fjodor geschenkt (der in diesem Augenblick gerade gewickelt wird)«, schreibt der stolze Vater an seine Nichte Sofja zwei Tage nach dem freudigen Ereignis.

Annas Anverwandte und Dostojewskijs Freunde finden, seine Ehefrau sei in den vier Jahren im Ausland eine andere geworden. Und auch sie selbst spürt, dass sie nicht mehr die in vielerlei Hinsicht naive junge Frau ist, die sie vier Jahre zuvor war, sondern erwachsen geworden ist: »Ich war eine Frau von resolutem Charakter geworden, die der Kampf mit den alltäglichen Kümmernissen nicht mehr schrecken konnte.« Auch der Schriftsteller hat sich verändert. »Alle Freunde und Bekannten sagten mir«, erinnert sich Anna Grigorjewna, »dass sie Fjodor Michailowitsch nicht mehr wiedererkannt haben, so weichmütig war er geworden, so viel gutmütiger und nachsichtiger anderen gegenüber.« Diese Veränderung ist in vielem seiner Ehefrau zuzuschreiben, wie er selbst bekennt. »Anna Grigorjewna ist echte Unterstützung für mich, und sie ist meine Trösterin«, schreibt er, »meine Liebe zu ihr ist grenzenlos, obgleich unsere Charaktere natürlich sehr verschieden sind.« Vielleicht ist es ja diese Unterschiedlichkeit der Charaktere, die eine immer größere Annäherung aneinander in den nächsten Jahren möglich macht.

Bald nach der Rückkehr wird deutlich, dass die materielle Situation der Eheleute viel schlechter ist als angenommen. Das Mietshaus, das Anna Grigorjewna von ihrer Mutter als Mitgift bekommen hatte, war vom betrügerischen Hausverwalter zu einem Spottpreis auf einer Auktion verkauft worden. Der gesamte verbliebene Besitz, den sie vor ihrer Abreise »vertrauenswürdigen« Leuten zur Aufbewahrung gegeben hatten – Haushaltsgegenstände, Pelze, Kleidung –, ist verloren, und Dostojewskijs Stiefsohn Pascha hat die Bücher der Bibliothek des Schriftstellers in den Geschäften der Bouquinisten zu Geld gemacht.

Von der Zeitschrift Der Russische Bote erhält Dostojewskij einen Teil des Honorars für den Roman Die Dämonen, der dort veröffentlicht wird, und von diesem Geld können die Eheleute von den zwei möblierten Zimmern, die sie nach der Rückkehr gemietet hatten, in eine größere Wohnung umziehen. Bevor sie die neue Wohnung beziehen, klärt Anna Grigorjewna die Beziehung zu Pascha, der seit kurzem verheiratet ist und davon ausgeht, er werde auch künftig mit seiner Frau bei den Dostojewskijs wohnen. Die Schriftstellergattin gibt ihm zu verstehen, dass er nun seinen eigenen Hausstand gründen müsse. Der Stiefvater hält sich vornehm zurück: »Ich habe die Haushaltsführung meiner Ehefrau anvertraut, und alles soll so sein, wie sie entschieden hat«, antwortet er auf Paschas Beschwerde.

Tatsächlich hat Anna Grigorjewna nicht nur die gesamte Sorge für das tägliche Wohl der Familie, sondern auch die finanziellen Belange des Schriftstellers übernommen, um den Gatten von den »schweren Gedanken« der Tilgung der Schulden und des »täglichen Brotes« zu befreien. Kaum hatte sich die Familie in der neuen Wohnung niedergelassen, hatten auch schon die Gläubiger an der Tür geklingelt, die von Dostojewskijs Rückkehr erfahren hatten, und die lebenspraktische Frau hatte rasch begriffen, dass der Schriftsteller den energischen Gläubigern nicht gewachsen ist. Nach den Gesprächen mit ihnen ist er verzweifelt, fragt ratlos immer wieder: »Was sollen wir denn nur machen?« und erleidet vor lauter Anspannung zwangsläufig einen epileptischen Anfall.

Wie vier Jahre zuvor, als sie beschlossen hatte, ihre Mitgift zu versetzen, um zur »Rettung« ihrer Ehe ins Ausland reisen zu können, trifft sie die Entscheidung, die Konflikte mit den Gläubigern fortan eigenständig zu regeln. An der erforderlichen Durchsetzungskraft fehlt es ihr nicht, wie eine in ihren Erinnerungen beschriebene Auseinandersetzung mit einem der Gläubiger verdeutlicht, der droht, Dostojewskij ins Schuldgefängnis zu bringen, sollte er nicht bis zu einer bestimmten Frist bezahlen.

»Er begegnete mir von oben herab und kündigte an:

›Entweder er legt das Geld auf den Tisch oder Ihr gesamter Besitz wird gepfändet und verkauft, und Ihr Mann kommt ins Schuldgefängnis.‹

›Der Vertrag der Wohnung läuft auf meinen Namen und nicht auf den Namen Fjodor Michailowitschs‹, antwortete ich kühl. ›Die Möbel haben wir auf Ratenzahlung gekauft und bis zur endgültigen Bezahlung gehören sie dem Möbelhändler, deshalb können sie nicht gepfändet werden. Und was Ihre Drohung des Schuldgefängnisses betrifft‹, fuhr ich fort, ›so können Sie sicher sein, dass ich, sollte es so weit kommen, meinen Mann bitten werde, dort bis zum Ende der Frist zu bleiben, [womit die Rückzahlung hinfällig wäre]. Und Sie erhalten so nicht einen einzigen Groschen zurück, sondern müssten darüber hinaus noch für die Logis im Schuldgefängnis aufkommen. Ich verspreche Ihnen, dass Sie für Ihre Unnachgiebigkeit bestraft werden.‹« Dem Gläubiger blieb nichts anderes übrig, als der Rückzahlung zu den von Dostojewskaja vorgeschlagenen Bedingungen zuzustimmen.

»Dass Fjodor Michailowitsch es trotz seiner Ungeschicktheit in Dingen des alltäglichen Lebens vermocht hat, mehr als fünfundzwanzigtausend Rubel eigener und von seinem Bruder hinterlassener Schulden zurückzuzahlen«, schreibt sein enger Freund Alexander Miljukow, »ist einzig der Entschlusskraft und Energie seiner Ehefrau zu verdanken, die die Angelegenheiten mit den Gläubigern klug zu führen wusste und ihren Gatten in jenen schweren Tagen unterstützte.« Um die Schulden so rasch wie möglich begleichen zu können, führt Anna Dostojewskaja ein »strenges Regiment in der Haushaltsführung«, wie Ljubow Dostojewskaja in ihren Erinnerungen berichtet. Es gab nur zwei Bedienstete, Anna Grigorjewna näht für sich und die Kinder selbst Kleidung und Pelze. »Diese Schulden eines mir fremden Menschen, dem ich nie im Leben begegnet bin, und die fiktiven Schulden auf Wechsel, die meinem Mann von unseriösen Menschen abgenommen worden waren«, hätten ihr eigenes Leben »verdorben«, erinnert Anna Dostojewskaja sich später. »Mein ganzes Leben damals war überschattet von den ständigen Gedanken, wo zu einem bestimmten Termin eine bestimmte Summe aufgetrieben werden könne; wo und für wie viel dieses oder jenes versetzt werden könne; wie ich es anstellen könne, dass Fjodor Michailowitsch nichts davon erfährt, wenn uns ein Gläubiger aufgesucht hatte oder ein Gegenstand versetzt worden war. Dabei verging meine Jugend, darunter litten meine Gesundheit und meine Nerven.« Gleichwohl ist sie »die glücklichste Frau«, schreibt sie ihrem Mann.

Am 30. Oktober 1871 wird Dostojewskij 50 Jahre alt. Der Schriftsteller ist ganz in die Arbeit an seinem neuen Roman Die Dämonen vertieft und sein schönstes Geschenk zu diesem runden Geburtstag ist vielleicht die zwei Tage zuvor erschienene Rezension zu den ersten Kapiteln seines neuen Werks, in der es heißt, es sei »eins der außerordentlichen Ereignisse in der russischen Literatur dieses Jahres«. 1871 ist auch das Jahr des 25. Jubiläums seines literarischen Debüts, des Romans Arme Leute, der ihm breite Anerkennung brachte. Sein Jugendtraum ist in Erfüllung gegangen. Er hat seine Berufung zum Beruf machen können und ist einer der wichtigsten russischen Schriftsteller geworden.

Im Frühjahr 1872 wendet sich der Kunstmäzen und Kunstsammler Pawel Tretjakow, Gründer der heute weltberühmten Tretjakow-Galerie, mit der Bitte an Dostojewskij, sich für seine Schriftsteller-Galerie, die zusammenzustellen er im Begriff ist, von dem bekannten Maler Wassilij Perow porträtieren zu lassen. Dostojewskij ist von der Idee nicht eben begeistert, aber er kann Tretjakow, dem der Ruf eines »Freundes und Unterstützers der Künstler« vorauseilt, die Bitte nicht abschlagen. Zugleich ist er erfreut über die Möglichkeit, Wassilij Perow kennenzulernen, der zu den Gründungsmitgliedern der Genossenschaft der künstlerischen Wanderausstellungen (»Peredwischniki«) gehört, einer Gegenbewegung zum Akademismus jener Jahre, die zwei Jahre zuvor ins Leben gerufen worden ist. Bevor er die Arbeit an dem Porträt beginnt, ist Perow eine Woche lang jeden Tag bei den Dostojewskijs zu Gast und lernt den Schriftsteller »in all seinen Gemütszuständen kennen, unterhielt sich mit ihm und forderte ihn zu Diskussionen heraus«, erinnert sich Anna Dostojewskaja.

Perows Dostojewskij-Porträt, das von den Zeitgenossen begeistert aufgenommen wird, gilt als die beste bildliche Darstellung des Schriftstellers. »Man könnte sagen, dass Perow Dostojewskij in einem ›schöpferischen Augenblick‹ eingefangen hat«, schreibt die Schriftstellergattin. »Einen solchen Gesichtsausdruck habe ich oft bei Fjodor Michailowitsch beobachtet, wenn ich beispielsweise in sein Arbeitszimmer trat und bemerkte, dass er gleichsam ›in sich hineinblickt‹, und das Zimmer gleich wieder verließ, ohne etwas zu sagen. Und später stellte sich heraus, dass Fjodor Michailowitsch so in Gedanken gewesen war, dass er mein Eintreten gar nicht bemerkt hatte und mir nicht glauben wollte, dass ich bei ihm im Zimmer gewesen war.«

Als die Sitzungen für das Porträt beendet sind, reisen die Dostojewskijs aufs Land in das kurz zuvor angemietete Sommerhaus in Staraja Russa, einem für seine Solebäder bekannten Kurort im Gouvernement Nowgorod. Die Reise ist beschwerlich. Mit dem Zug geht es mit mehrmaligem Umsteigen nach Nowgorod, von dort im Schiff über den Ilmensee, das letzte Stück des Weges muss mit dem Fuhrwerk zurückgelegt werden. Am Tor des Hauses erwartet sie der Priester Iwan Iwanowitsch Rumjanzew mit seiner Frau, die ihre Vermieter sind und zu langjährigen Freunden werden.

Allerdings wird der Sommeraufenthalt in Staraja Russa nicht so erholsam wie erhofft. Die dreijährige Ljubow hatte sich vor der Abreise aus Sankt Petersburg den Arm gebrochen, der vom behandelnden Arzt jedoch als Verrenkung diagnostiziert und eingerenkt worden war. Der Arzt in Staraja Russa stellte indes einen nicht richtig verheilten Knochenbruch fest, der operiert werden müsse. Die Dostojewskijs lassen den kleinen Fedja in der Obhut der Familie Rumjanzew in Staraja Russa zurück und fahren wieder nach Sankt Petersburg, wo von einem der besten Chirurgen die Operation vorgenommen wird. Weil Ljubow nach der Operation noch in ärztlicher Behandlung bleiben muss, fährt Dostojewskij allein wieder zurück, während Dostojewskaja bei der Tochter bleibt. »Ljubotschka küsst dieses Blatt Papier statt Deiner«, schreibt sie ihrem Ehemann. »Wie steht es um Deine Gesundheit? Hattest Du nach der Fahrt auch keinen Anfall? Ich wünsche Dir erfolgreiches Arbeiten, bereite möglichst viel vor, dann kannst Du mir auch viel diktieren, und ich mache mich rasch daran, alles abzuschreiben. Ich küsse und umarme Dich viele Male.«

Als sie wieder in Staraja Russa ist, erkrankt Anna Grigorjewna. Nach einer starken Erkältung hat sich bei ihr ein Halsabszess gebildet. Der herbeigerufene Arzt erklärt, dass ihr Leben in Gefahr sei, sollte sich dieser nicht innerhalb der nächsten 24 Stunden öffnen. Dostojewskij ist verzweifelt. »Anna Grigorjewna wird sterben!«, klagt er weinend seinem Freund Rumjanzew. »Was soll ich denn ohne sie tun? Wie soll ich denn ohne sie leben, sie bedeutet mir doch alles!« Doch zur allgemeinen Erleichterung kommt es dazu nicht. Anna Grigorjewna wird wieder gesund.

Nach der Rückkehr nach Sankt Petersburg geht das Leben wieder den gewohnten Gang. Der Tagesablauf folgt strikt der vom Familienoberhaupt vorgegebenen Ordnung, die ganz seiner schriftstellerischen Arbeit unterworfen ist. Er arbeitet weiterhin nachts, wenn im Hause Ruhe eingekehrt ist, und schreibt bis vier oder fünf Uhr am Morgen. Meist legt er sich dann in seinem Kabinett auf dem »türkischen Diwan« schlafen und erscheint gegen 12 Uhr nach Morgengymnastik und -toilette sowie Gebet zum Frühstück. Der Familie tritt er nicht im Morgenmantel gegenüber, sondern trägt bereits seine Lieblingsjoppe, darunter stets ein frisches, blütenweißes Hemd mit gestärktem Kragen. Er plaudert ein wenig mit Ljuba über deren »Kinderangelegenheiten«, und dann beginnt die Arbeit. Er diktiert seiner Ehefrau den in der Nacht entstandenen neuen Text. Dann geht er spazieren. Um sechs Uhr gibt es Essen, die Zeit danach ist der Lektüre gewidmet. Den Abendtee nimmt die Familie um neun Uhr, anschließend werden die Kinder zu Bett gebracht. Nachdem der Vater sie im Kinderzimmer aufgesucht und zur guten Nacht gesegnet hat, begibt er sich wieder in sein Kabinett, um zu arbeiten.

Zum Weihnachtsfest, das die Kinder ungeduldig herbeisehnen, lässt Dostojewskij eine große und dichte Tanne kaufen, die er selbst schmückt. Er »befolgte die religiösen Pflichten, fastete und ging zwei Mal am Tag zum Gottesdienst«, erinnert sich Ljubow Dostojewskaja. Der Schriftsteller legt Wert darauf, den Kindern die Religion nahezubringen, und regelmäßig wird im Kreis der Familie zusammen gebetet. Als sie älter werden, bringt er ihnen Literatur, Kunst und Kultur nahe, liest ihnen seine Lieblingswerke vor und besucht mit ihnen die Oper.

»Die glücklichsten Stunden« ihres Lebens waren, so erzählt Anna Dostojewskaja, jene, in denen ihr Mann ihr seine neuen Werke diktierte. »Ich war überaus stolz, dass ich ihn bei seiner Arbeit unterstütze, und dass ich als Erste die Werke aus dem Mund des Autors vernehme.« Wenn sie die Kinder zu Bett gebracht hat, geht auch die Schriftstellergattin wieder an die Arbeit und überträgt den am Tage von Dostojewskij diktierten und mitstenographierten Text in Normalschrift. Nachdem Dostojewskij diesen durchgesehen und zahlreiche Korrekturen vorgenommen hat, schreibt sie den Text ein weiteres Mal mit ihrer klaren, kalligraphischen Handschrift ins Reine.

Der Herbst des Jahres 1872 ist der Arbeit am Roman Die Dämonen gewidmet, dessen letzter Teil schließlich im Dezember im Russischen Boten erscheint.

Ende 1869 hatte ein politischer Mord die Öffentlichkeit in Russland erschüttert. Eine revolutionäre Untergrundgruppierung bestrafte einen Abweichler mit dem Tod. Der Kopf der anarchistischen Gruppe, Sergej Netschajew, floh nach dem Mord in die Schweiz, den in Russland verbliebenen Mitgliedern sowie einer großen Zahl vermeintlicher Sympathisanten wurde 1871 ein aufsehenerregender Prozess gemacht. Der Anstifter Netschajew wurde 1872 in der Schweiz verhaftet und an Russland ausgeliefert, wo er zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, in der er 1882 stirbt.

Sergej Netschajew ist eine dubiose Figur und hatte sich bei einem ersten Aufenthalt in der Schweiz mit einer autobiographischen Legende die Bekanntschaft zu führenden Persönlichkeiten der russischen politischen Emigration erschlichen. Seinen Kameraden aus der revolutionären Zelle in Moskau, deren Mitglied der Sohn ehemaliger Leibeigener etwa ein Jahr lang war, täuschte er seine Verhaftung und Flucht aus dem Gefängnis vor und reiste in die Schweiz, wo er sich Alexander Herzen, Nikolaj Ogarjow und Michail Bakunin als Führer einer vorgeblich mächtigen russischen Geheimorganisation vorstellt, die jedoch gar nicht existiert. Er sieht sich als neuen Führer der Revolution und ist bereit, für die Revolution und die Befreiung des entrechteten russischen Volkes sein Leben zu geben. In Genf schreibt Netschajew den »Katechismus eines Revolutionärs«, in dem er das Programm des Terrors mit einer Vielzahl von menschlichen Opfern für das Ziel einer »lichten Zukunft der Menschheit« entwirft. »Der Revolutionär ist ein zum Untergang verurteilter Mensch«, heißt es dort. »Er hat nur ein Ziel, nämlich die schnellstmögliche und endgültige Zerstörung der alten Ordnung. … Er verachtet und hasst die Moral der Gesellschaft der heutigen Zeit in all ihren Erscheinungs- und Ausdrucksformen. Moralisch ist für ihn einzig das, was den Triumph der Revolution befördert.« Dieses Programm wird zur Bibel der radikalen Revolutionäre, die Gewalt als politisches Mittel propagieren.

Als er nach seinem ersten Aufenthalt in der Schweiz im September 1869 nach Russland zurückkehrte, gründete Netschajew eine terroristische Untergrundorganisation, die sich Volksvergeltung nennt, mit dem Ziel, in der Bevölkerung Unzufriedenheit zu provozieren, damit es zu einem politischen Umsturz kommt. Die Mitglieder der Gruppe, die sich hauptsächlich aus Studenten der Moskauer Landwirtschaftsakademie rekrutierten, müssen sich der revolutionären Disziplin, die Netschajew vorgibt, vollkommen unterordnen. Iwan Iwanow, einer der Verschwörer, befindet sich in Opposition zu Netschajew und will die Gruppe verlassen, woraufhin dieser Iwanow des Verrats beschuldigt. Am 21. November 1869 wird Iwanow von Netschajew und vier weiteren Mitgliedern der Gruppe ermordet.

Als Dostojewskij in Dresden von dem Mord an Iwanow in den Zeitungen liest, hat er gerade seinen Roman Der Idiot und die Erzählung Der ewige Gatte beendet. Aus seinen Ideen für einen neuen Roman unter dem Titel Atheismus sowie für ein Werk, das er Aus dem Leben eines großen Sünders nennen will, entsteht unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse schließlich der Roman Die Dämonen. Neben den Zeitungsberichten über den Mord an Iwanow dienen dem Schriftsteller die Erzählungen seines Schwagers Iwan Snitkin als Quelle, der sich seit Ende 1869 in Deutschland aufhält und als Student der Moskauer Akademie für Landwirtschaft ein Kommilitone Iwan Iwanows gewesen war und über die politischen Aktivitäten der studentischen Jugend wohlinformiert ist.

Im Januar 1870 begann Dostojewskij die Arbeit an seinem Roman zu diesem »überaus aktuellen Thema«. »Was ich schreibe, ist ein tendenziöses Werk«, erklärte er zu Beginn der Arbeit Apollon Majkow, »ich will meine Ansicht mit Leidenschaft darlegen. (Da werden die Nihilisten und Westler aufheulen und mich als Retrograden bezeichnen!). Aber soll sie der Teufel holen, ich werde alles bis zum letzten Wort aussprechen.«

Ähnlich wie in Turgenjews Roman Väter und Söhne, der knapp zehn Jahre zuvor erschienen ist, verbindet Dostojewskij den Konflikt der Weltanschauungen mit der Generationenfrage; jedoch sieht er im Gegensatz zu Turgenjew eine Kontinuität der ideologischen Überzeugung der bürgerlich-liberalen Väter der 1840er Jahre bis zu jener der immer radikaleren, sozialistisch und anarchistisch gesinnten Söhne, den Nihilisten, wie Turgenjew sie genannt hat, und Revolutionären der 1860er und 1870er Jahre.

Im Zentrum des Romans, dessen Geschehnisse von einem Ich-Erzähler berichtet werden, steht der schöne und geheimnisvolle Aristokrat Nikolaj Stawrogin, der nach einem längeren Auslandsaufenthalt in seine Heimatstadt zurückkehrt. Der von Nikolaj Speschnjow, dem mephistophelischen Abgott aus Dostojewskijs Jugendtagen, inspirierte Protagonist verfügt über die verhängnisvolle Gabe, sich andere hörig zu machen. Der bewunderte Stawrogin ist ein Mensch wie ein Raubtier und Antipode zu Fürst Myschkin, dem mitfühlenden »Idioten«. Er verachtet die Kategorien Gut und Böse und ist zu abscheulichen Verbrechen fähig. Gleichwohl glaubt er an ein goldenes Zeitalter der Menschheit und erhängt sich drei Wochen nach seiner Rückkehr nach Russland aus Verzweiflung.

Bei den Abendgesellschaften im Hause seines ehemaligen Erziehers Stepan Werchowenskij, einem Idealisten, Ästheten und begeistertem Anhänger der deutschen idealistischen Philosophie, begegnet Stawrogin den vier Männern, mit denen er eine revolutionäre Gruppe bildet: Pjotr Werchowenskij, ein gewissenloser Revolutionär und Führer der terroristischen Zelle, Schigaljow, der in einem Buch das Bild der künftigen sozialistischen Gesellschaft entwirft, der slawophile Schatow, ein glühender Verehrer Stawrogins, der später den Irrglauben seiner Ideen erkennt, deshalb des Verrats beschuldigt und von Werchowenskij ermordet wird, der atheistische Kirillow, der Selbstmord begeht und so die Verantwortung für den Mord an Schatow auf sich zu nehmen versucht.

Neben diesen vier Männern sind es vier Frauen, die Stawrogin als »falschen Prinzen« entlarven: die elfjährige Matrjoscha, die er sexuell missbraucht und in den Tod getrieben hat, die hinkende, geistesschwache Marja Lebjadkina, die Stawrogin aus einer Laune heraus heiratet und deren Ermordung er nicht verhindert, die schöne Lisa, die ihm das Wunder der Liebe eröffnen soll, und die von einer aufgebrachten Volksmenge erschlagen wird, sowie Darja Pawlowna, die Stawrogin bis zu dessen Selbstmord ergeben ist.

Dostojewskij setzt seinem Roman, dessen Titel mit Die Teufel, Die Dämonen, Die Besessenen oder Böse Geister übersetzt wird, zwei Mottos voran – einen Vers aus Alexander Puschkins gleichnamigem Gedicht – »Was nun tun? Wir irren, irren … Teufel wollen uns verwirren« – sowie eine Stelle aus dem Lukasevangelium, die beschreibt, wie Jesus einen Besessenen heilt, und die Dämonen, die den Kranken verlassen, in die Säue fahren, die sich ins Meer stürzen und ertrinken. Das biblische Motto greift er am Ende wieder auf: »Diese Dämonen, die aus dem Kranken in die Schweine fahren – das sind all die Seuchen, all die Miasmen und all der Unrat, sämtliche Dämonen und die subalternen Dämonen, die sich in unserem großen und geliebten Kranken, in unserem Russland, angesammelt haben, seit Jahrhunderten, ja, seit Jahrhunderten!«, lässt er Stepan Werchowenskij sagen und gibt damit die Interpretation des Werks vor – die allgemeine Verwirrung und Desorientierung in der Gesellschaft.

Die Reaktion auf Dostojewskijs neuen Roman, in dem der Schriftsteller Bezug nimmt auf die politischen und philosophischen Kontroversen seiner Zeit, ist ein Sturm der Kritik. Das Werk sei der »literarische Bankrott« eines einstmals sehr populären Schriftstellers heißt es.

Der eigentliche Skandal indes ist das zu Lebzeiten zensierte 9. Kapitel des dritten Teils mit dem Titel Bei Tichon, das die schockierende Lebensbeichte Stawrogins mit dem Bericht des sexuellen Missbrauchs der jungen Matrjoscha enthält. Dieses Kapitel kann zu Lebzeiten Dostojewskijs nicht erscheinen, aufgrund der drastischen Offenheit der Szene verweigert Michail Katkow kategorisch die Publikation. Dostojewskij kann gegen diese Weigerung nichts ausrichten und nimmt das Kapitel auch in spätere Veröffentlichungen des Romans nicht auf. Das Manuskript übergibt Anna Dostojewskaja kurz vor ihrem Tod dem Zentralarchiv, und es wird 1922 schließlich erstmals veröffentlicht.

Ein unschönes Nachspiel hat das Kapitel zwei Jahre nach Dostojewskijs Tod. Als der einstige Freund Nikolaj Strachow sich 1883 an die Arbeit zur ersten Dostojewskij-Biographie macht, schreibt er Lew Tolstoj einen Brief, der 1913 publiziert wird. Darin beschreibt er, welche Überwindung ihn das Schreiben dieser Biographie koste, da er für Dostojewskij keinerlei Sympathie mehr empfinde. »Er war böse, missgünstig, sittlich verdorben und hat das ganze Leben in solcher Aufregung gelebt, die ihn bemitleidenswert machte und lächerlich hätte wirken lassen, wenn er zugleich nicht so böse und klug gewesen wäre«, heißt es dort. Nikolaj Strachow behauptet dort weiter, Dostojewskij habe dem Literaturwissenschaftler Pawel Wiskowatow einst erzählt, dass er ein Mädchen, das ihm von dessen Gouvernante zugeführt worden sei, in der Banja verführt habe. »Ihm war tierische Wollust zu eigen, aber keinerlei Geschmack, keinerlei Gefühl für weibliche Schönheit und Anmut«, schreibt Strachow. Da Wiskowatow zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Briefes bereits verstorben ist, kann er dies nicht mehr bezeugen oder widerlegen, und die Nachrede Strachows ist in der Welt.

Anna Dostojewskaja ist entrüstet, als sie von dem Inhalt des Briefes Kenntnis erhält. »Mir wurde vor Entsetzen und Empörung schwarz vor Augen«, erzählt sie. »Welch unerhörte Verleumdung! Und wer hat sie in die Welt gebracht? Unser bester Freund, unser ständiger Gast, unser Trauzeuge – Nikolaj Strachow, der mich nach Fjodor Michailowitschs Tod bat, ihm den Auftrag für die Biographie in der posthumen Werkausgabe zu geben.«

»Der Beginn meiner Tätigkeit als Verlegerin war die Buchausgabe des Romans Die Dämonen, die im Januar 1873 erschien«, erinnert sich Anna Dostojewskaja. Damals ist es nicht üblich, dass Schriftsteller das finanzielle Risiko eingehen, ihre Werke im Anschluss an die in Fortsetzung in den literarischen Zeitschriften erfolgte Erstveröffentlichung als Einzelausgabe in Buchform zu publizieren – es war ein Verlustgeschäft. Einige Unternehmen haben sich zwar auf die Herausgabe literarischer Werke in Buchform spezialisiert, aber die Vergütung, die sie für die Rechte des Abdrucks der Werke den Autoren zu bezahlen bereit sind, ist mäßig, die Veröffentlichung daher nicht von Interesse für die Autoren. So beträgt das Angebot für die Dämonen Dostojewskijs gerade einmal 500 Rubel.

Schon lange hatte der Schriftsteller die Idee, die Einzelausgaben eigenverantwortlich zu verlegen, und die Eheleute kommen überein, dies nun mit den Dämonen zu versuchen. Beim Besitzer der Druckerei, in der sie für gewöhnlich die Visitenkarten ihres Mannes drucken lässt, bringt Anna Dostojewskaja die Bedingungen für Buchveröffentlichungen in Erfahrung. Er erläutert ihr, dass bei einem Autor wie Dostojewskij, der bereits einen Namen in der Literatur hat und dessen Werke sich sicher gut verkaufen, jede Druckerei bereit sei, einen halbjährigen Kredit zu gewähren. Mit ebensolchen Bedingungen könne man auch beim Kauf des Papiers rechnen. Seiner Kostenaufstellung nach betragen die Herstellungskosten des Romans bei einer Auflage von 3500 Exemplaren etwa 4000 Rubel. Er empfiehlt eine Ausgabe in drei Bänden, gesetzt »in einer großen, eleganten Schrift« auf »weißem atlas-ähnlichen Papier« und veranschlagt pro Band einen Verkaufspreis in Höhe von wenigstens 3 Rubel 50 Kopeken. Vom Gesamtverkaufspreis in Höhe von 12 ‌250 Rubel seien 30 ‌% Provision für die Buchhandlungen abzuziehen, doch der Gewinn, den der Verkauf der Gesamtauflage einbringen würde, ist gleichwohl eine bedeutende Summe. Dostojewskaja schreitet mit dem Einverständnis ihres Mannes zur Tat und tritt mit einer der besten Druckereien der Stadt in Verhandlungen.

Die Wende der Jahre 1872 und 1873 sind ausgefüllt mit den Vorbereitungen zum Druck der Dämonen. Anna Dostojewskaja liest die Druckfahnen zwei Mal Korrektur, die letzte Korrektur nimmt der Schriftsteller selbst vor. »Um den zwanzigsten Januar herum wurde das Buch gebunden und uns ein Teil der Auflage nach Hause geliefert. Fjodor Michailowitsch war sehr zufrieden mit dem äußeren Erscheinungsbild des Buchs, und auch ich fand es bezaubernd.« Am 22. Januar 1873 wird die Veröffentlichung des Romans als Einzelausgabe in der Zeitung Die Stimme (Golos) öffentlich angezeigt, und sogleich melden zahlreiche Buchhandlungen ihr Interesse am Verkauf der Bände an. »Ich war natürlich auch froh über die Einnahmen«, schreibt Dostojewskaja, »vor allem aber freute ich mich, eine Aufgabe gefunden zu haben, die mich interessierte, nämlich die Herausgabe der Werke meines Mannes.« Die Ausgabe hat großen Erfolg. Bereits Ende des Jahres 1873 ist fast die gesamte Auflage von 3500 Exemplaren vergriffen. Dostojewskaja hat ihre Aufgabe gefunden und wird so zur ersten russischen Verlegerin. Einige Jahre später wird Sofja Tolstaja, die Gattin des Schriftstellers Lew Tolstoj, Dostojewskajas Vorbild folgen und die Herausgabe der Werke ihres Ehemannes als Verlegerin übernehmen. Im Februar 1885 reist Tolstaja nach Sankt Petersburg, um sich mit Dostojewskaja über die Tätigkeit der Verlegerin zu beraten. »Dostojewskaja freute sich sehr, mich zu sehen. … Sie hat mir sehr viele gute Ratschläge gegeben und mich sehr erstaunt mit der Tatsache, dass sie an die Buchhändler nur 5 ‌% abführt«, berichtet Tolstaja.

Im April 1874 erscheint »der einstige Jugendfreund und spätere literarische Feind« Nikolaj Nekrassow unerwartet zu einem Besuch bei den Dostojewskijs. »Zu meiner großen Freude hörte ich, dass Nekrassow meinem Mann vorschlug, seinen nächsten Roman in den Vaterländischen Annalen zu veröffentlichen, und dafür zweihundertfünfzig Rubel pro Druckbogen bot, wobei Fjodor Michailowitsch zuvor lediglich hundertfünfzig erhalten hatte.« Dostojewskijs Bedingung einer Vorschusszahlung in Höhe von zwei- bis dreitausend Rubel stimmt Nekrassow umgehend zu. Michail Katkow, der ebenfalls Interesse an Dostojewskijs nächstem Roman angemeldet hatte, bietet zwar das gleiche Honorar pro Druckbogen, ist aber nicht bereit, einen Vorschuss zu bezahlen, deshalb fällt Dostojewskijs Entscheidung zugunsten Nekrassows.

Der Vorschuss auf den Roman Der Jüngling kommt sehr gelegen, denn aufgrund eines Lungenemphysems muss der Schriftsteller auf ärztlichen Rat hin zu einem Kuraufenthalt ins hessische Bad Ems reisen. Der mondäne Kurort lockt zahlreiche berühmte Zeitgenossen wie Kaiser Wilhelm I., Zar Alexander II. oder Jacques Offenbach an, und Dostojewskij wird fortan fast jedes Jahr mit einem mehrwöchigen Aufenthalt dort seine Gesundheit wiederherstellen. Während der Zeit der Trennung von seiner Frau »bombardiert« der Schriftsteller sie geradezu mit leidenschaftlichen, ja nach Ansicht mancher Biographen geradezu »anstößigen« Briefen. Die Leidenschaftlichkeit der Briefe nimmt im Laufe der Jahre sogar zu, weshalb Dostojewskaja später bei der Herausgabe der Briefe ihres Ehemannes an sie gar einige Stellen streichen wird: »Ich träume von Dir und küsse Dich Tag und Nacht ohne Unterlass«, »Ich bedecke Deinen Körper mit Tausenden leidenschaftlichsten Küssen«, »Ich knie vor Dir und küsse ohne Ende Deine Füße«.

Auf die Befürchtung seiner Frau, er werde sich fern von ihr womöglich auf die Fersen anderer Frauen begeben, erwidert Dostojewskij mit der Beteuerung: »Meine Freundin, ich kann mir keine andere als Dich vorstellen. Ich brauche keine andere, ich brauche Dich … Allzu sehr habe ich mich an Dich gewöhnt und bin ein allzu großer Familienmensch geworden. Das Alte ist Vergangenheit.« Weil Dostojewskaja zurückhaltend antwortet und sich nicht in leidenschaftlichen Ergüssen ergeht, nennt der Schriftsteller seine Frau »prüde Anja«. Ihrer Verteidigung, sie sei eine ganz gewöhnliche Frau, »die goldene Mitte«, erwidert er leidenschaftlich: »Mein Engel, meine Schönheit, mein Leben und meine Hoffnung. Du bist besser und höher als alle Frauen; nicht eine andere ist Dir gleich. Unsere Seelen sind zusammengewachsen.«

Während Dostojewskij den Sommer 1874 in Bad Ems verbringt, ist seine Frau mit den Kindern in Staraja Russa. Im Herbst kehrt der Schriftsteller zur Familie zurück, und sie bleiben ein ganzes Jahr, da dort die Lebenshaltungskosten günstiger sind. Das abgeschiedene Leben fern von der Großstadt, im Kreis der Familie, mit einem festen Arbeitsrhythmus wirkt sich förderlich auf den neuen Roman aus, und im Januar 1875 erscheinen die ersten fünf Kapitel des neuen Werks mit dem Titel Der Jüngling in den Vaterländischen Annalen, dessen Hauptthema, so Dostojewskij, »Niedergang« und »allgemeine Unordnung« in der Epoche des entstehenden Raubtierkapitalismus nach Aufhebung der Leibeigenschaft ist.

Der Ich-Erzähler des Romans, der zwanzigjährige Arkadij Dolgorukij, den der Schriftsteller aufgrund seiner Naivität und Unreife den »Jüngling« nennt, reflektiert durch die seiner ein Jahr zurückliegenden ersten Schritte ins Erwachsenenleben seine Erlebnisse und sucht in der Zeit der allgemeinen Orientierungslosigkeit und des Werteverfalls einen Leitfaden für das Leben. Arkadij ist der uneheliche Sohn des westlich gebildeten Aristokraten Andrej Wersilow, der sich unablässig auf Reisen in Europa aufhält, und dessen einstiger Leibeigenen Sofja, die formell mit Makar Dolgorukij verheiratet ist, der ebenfalls einstiger Leibeigener sowie nomineller Vater ist. Der Jüngling hat gerade ein Privatinternat in Moskau abgeschlossen, doch statt ein Studium aufzunehmen, will er versuchen, eine Idee umzusetzen, die ihn seit langem beschäftigt – er will »mindestens ebenso reich werden, wie Rothschild; nicht nur reich, sondern ebenso reich wie Rothschild. Dass ich mein Ziel erreiche, ist mathematisch gewährleistet. Es ist eine sehr einfache Sache, das ganze Geheimnis liegt in zwei Wörtern: Hartnäckigkeit und Unermüdlichkeit.« Um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, reist er nach Sankt Petersburg zu seinem leiblichen Vater. Die Erwartungen und Enttäuschungen, Hoffnungen und Verzweiflung, die Arkadij in der Folge durchlebt, lassen ihn erkennen, dass seine fixe Idee nicht zu verwirklichen ist. Durch die Niederschrift seiner Erlebnisse vollzieht er eine Umerziehung seiner selbst – der »unfertige Mensch«, der »Jüngling« wird zur Persönlichkeit. Und beginnt sein neues Leben damit, das aufgeschobene Studium an der Universität aufzunehmen.

Arkardij empfindet für seinen leiblichen Vater, dem er vor seinem Aufenthalt in Petersburg nur einmal begegnet war, eine Hassliebe. »Ich weiß nicht, ob ich ihn hasste oder liebte, aber meine Gedanken an die Zukunft, meine Pläne für das Leben waren ganz von ihm bestimmt«, heißt es im Roman. Nach und nach kommen Sohn und Vater zusammen, allerdings begleitet von einem Auf und Ab an vertraulichen Gesprächen und Auseinandersetzungen, Achtung und Gefälligkeit. Vater und Sohn lieben die schöne Katerina Achmakowa, eine vorzüglich gebildete Frauenpersönlichkeit, die sich nicht mit der traditionellen weiblichen Rolle zufriedengeben, sondern eine gleichberechtigte Beziehung führen will, also eine typische Vertreterin der »neuen Frau« der 1860er Jahre. Ähnlich wie die junge Stenographin Anna Snitkina ist sie aber keine »Nihilistin« und entspricht in ihrem Äußeren und Auftreten der traditionellen Auffassung von Weiblichkeit.

Sie hatte Wersilow in Europa kennengelernt und sich aufgrund seines »großen Verstands« und seines »großen Herzens« in ihn verliebt, doch schon bald fühlte sie sich von ihm in ihrer Freiheit eingeschränkt, denn Wersilow ist nicht in der Lage, in einer Frau eine gleichberechtigte Partnerin zu sehen, und wollte sie ganz besitzen. Seine Gefühle werden zu einer Hassliebe. Dostojewskij reflektiert hier seine eigene Beziehung zu Apollinaria Suslowa. Im erwachsen gewordenen Arkadij findet Achmakowa schließlich jenen Mann, der sie als Mensch und nicht nur als Frau schätzt und ihre Freiheit respektiert.

Die Kritik steht dem neuen Roman mit Unverständnis gegenüber. Dostojewskij tue seinen Lesern Gewalt an, indem er sie zwinge, an den Halluzinationen, Alpträumen und dem »Unrat im Kopf« der Protagonisten teilzuhaben, die »schwierige und zutiefst pathologische Charaktere« seien. Dostojewskijs Schriftstellerkollege Michail Saltykow-Schtschedrin hält den Roman gar für »schlicht wahnsinnig« und die Gesellschaft der Liebhaber russischer Literatur erklärt, man brauche nicht finstere und alptraumhafte Romane, sondern spielerisch leichte Lektüre wie die Romane des Grafen Lew Tolstoj. Dostojewskij tröstet sich mit dem Gedanken, die Rezensenten seien »geistig zu unbedarft«, um seine Werke zu verstehen.

Erneut entscheiden die Dostojewskijs, den Roman auf eigenes Risiko in Buchform zu verlegen. Verantwortlich für die Herausgabe ist wieder die Schriftstellergattin, die alle administrativen Aufgaben übernimmt – die Verhandlungen mit Druckereien, Papierfabriken und Buchhändlern sowie die Verpackung und Versendung der Bücher. »Anna Grigorjewna führte das von ihr übernommene Geschäft … mit großer Tüchtigkeit und Akkuratesse, die den in diesen Bereichen Tätigen in nichts nachstanden. Hinzu kam ein unermüdlicher Fleiß«, erinnert sich der Schriftsetzer Michail Alexandrow.

Am 10. August 1875 kommt Anna Dostojewskaja in Staraja Russa mit dem Sohn Alexej, »Aljoscha«, nieder. Im nächsten Jahr stirbt der Besitzer des Hauses, das die Dostojewskijs seit einigen Jahren während des Sommers gemietet haben und in dem das dritte Kind geboren wurde, und die Eheleute beschließen, das Haus zu kaufen. Da sie nicht über genügend Geldmittel verfügen, erwirbt Dostojewskajas Bruder das Haus formal auf seinen Namen mit der Verabredung, dass die Dostojewskijs es ihm abkaufen, sobald sie die Möglichkeit dazu haben. Der Schriftsteller ist überglücklich, endlich »sein eigenes Nest zu haben«. »In diesem Haus war alles klein«, erinnert sich Ljubow Dostojewskaja. »Die niedrigen und kleinen Zimmerchen waren vollgestellt mit alten Empire-Möbeln, grüne Spiegel zeigten die Gesichter derjenigen, die es wagten, hineinzusehen, verzerrt. Die auf Leinwand geklebten Papierrollen zeigten unseren erstaunten Kinderaugen monstergleiche Chinesinnen, mit ellenlangen Fingernägeln und Füßen, die in Kinderschuhe gesteckt waren.

Die überdachte Veranda mit bunten Glasfenstern war unsere einzige Freude und das kleine chinesische Billard mit den Glaskugeln die einzige Zerstreuung während der langen Regentage, die im Sommer im Norden Russlands so häufig sind. Hinter dem Haus war ein Garten mit lachhaft kleinen Blumenbeeten.«

Nach Beendigung der Arbeit an den Dämonen nimmt Dostojewskij 1873 ein Angebot an, für die Zeitschrift Der Staatsbürger (Grashdanin) als Redakteur zu arbeiten, denn schon lange wollte er wieder publizistisch tätig werden. Herausgeber der Zeitschrift ist Fürst Wladimir Meschtscherskij, ein führender Vertreter des konservativen Lagers, weshalb sich die liberale Presse sogleich auf den Schriftsteller wirft. Schon bald wird Dostojewskij klar, dass seine Entscheidung ein Fehler war, denn die Arbeit als Redakteur verschlingt seine gesamte Zeit, noch dazu hat er die Texte des nicht eben mit literarischem Talent gesegneten Herausgebers zu lektorieren. Als Meschtscherskij schließlich auf der Veröffentlichung eines seiner Artikel besteht, den Dostojewskij als nicht zur Veröffentlichung geeignet verworfen hatte, in dem der Fürst sich für die Überwachung der studentischen Jugend durch die zaristische Geheimpolizei ausspricht, erwidert Dostojewskij ihm schroff: »Ihre Gedankengänge widern mich an«, und reicht sein Gesuch um Entbindung von den Pflichten des Redakteurs ein. Im April 1874 ist er wieder freier Autor.

Trotz der Arbeitsbelastung boten die Monate als festangestellter Redakteur Dostojewskij die Möglichkeit, seinen Plan des Tagebuchs eines Schriftstellers zu realisieren, in dem er gleichermaßen »mit sich selbst« und mit dem Leser in einen Dialog über die wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen Russlands tritt.

Im Tagebuch eines Schriftstellers, das seit Januar 1873 erscheint, entwickelt Dostojewskij seine »russische Idee« weiter. Die Bestimmung des russischen Volkes sei der »allumfassende Dienst an der Menschheit«, die »allgemeine Versöhnung«. Unter dem Eindruck der Balkankrise 1876/77 erweitert sich die Idee zum Panslawismus. Aufstände gegen die Türken in Bosnien, Herzegowina und Bulgarien im Jahr 1875/76 haben zum Serbisch-Türkischen Krieg geführt. Während die liberale Presse gegen eine Einmischung des Russischen Reiches in Serbien Position bezieht, ist eine Parteinahme in diesem Konflikt für Dostojewskij Ausdruck seiner Idee von der messianischen Rolle des russischen Volkes als Schutzmacht aller Slawen, und er unterstützt die breite Bewegung Freiwilliger, die ihren »slawischen Brüdern« im Krieg beistehen wollen. Nachdem Russland dem Osmanischen Reich im April 1877 den Krieg erklärt, befürwortet er sogar die militärische Intervention. »Fragen Sie das Volk, fragen Sie den Soldaten, wofür sie sich erheben, wofür sie in den Krieg ziehen, der jetzt beginnt, und was sie von ihm erwarten, und alle werden Ihnen, wie ein Mann, antworten, dass sie in den Krieg ziehen, um Christi zu dienen und die unterdrückten Brüder zu befreien.« Die Idee des »allumfassenden Diensts« wird so zur Rechtfertigung des Blutvergießens. Die liberale Presse ist entsetzt über die einseitige Stellungnahme des Schriftstellers und belegt Dostojewskij mit Schmähungen wie »türkischer Publizist« und »vom slawischen Dämon besessener Dilettant«.

Zugleich erhält Dostojewskij großen Zuspruch aus der Bevölkerung. Täglich bekommt er Dutzende Briefe von Menschen aus ganz Russland, die seinen Aufruf, den »slawischen Brüdern« zu Hilfe zu kommen, unterstützen. Unter den Absendern sind auch junge Frauen, die als freiwillige Krankenschwestern an die Front gehen. Eine von ihnen, die achtzehnjährige Sofja Lurje, die bei der Versorgung der Verwundeten helfen will, stattet dem Schriftsteller vor ihrer Abreise nach Serbien einen Besuch ab, um seinen Segen zu erbitten. Dostojewskij versucht erst, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, denn sie sei viel zu jung und besitze keinerlei Erfahrung im Umgang mit Kranken, aber die junge Frau bleibt bei ihrer Entscheidung. »Ihr geht es nur um die Sache … und es ist nicht die geringste Begeisterung für die eigene Heldentat zu verspüren, die bei jungen Männern unserer Zeit hingegen sehr oft zu beobachten ist«, schreibt der Schriftsteller voller Bewunderung.

Das Tagebuch eines Schriftstellers, das heute oft mit einem Blog verglichen wird, ist unerwartet erfolgreich. Im ersten Publikationsjahr steigt die Zahl der Abonnenten der Zeitschrift auf 2000, ebenso viele Exemplare werden von der Buchausgabe verkauft. Im Folgejahr erhöht sich die Abonnentenzahl auf 3000, und die Zahl der verkauften Einzelausgaben verdoppelt sich. Entsprechend steigt Dostojewskijs gesellschaftliche Autorität. Menschen aus ganz Russland wenden sich mit den unterschiedlichsten Anliegen an den Schriftsteller, bitten um Antwort auf aktuelle gesellschaftspolitische Fragen, teilen mit ihm persönliche Geheimnisse und religiöse Zweifel. Dostojewskij wird zur moralischen Autorität für zahlreiche junge Menschen. »Durch die Hunderte von Briefen habe ich viel erfahren, was ich zuvor nicht wusste«, bekennt der Schriftsteller. »Ich hatte nicht angenommen, dass in unserer Gesellschaft eine solch große Zahl unterschiedlicher Persönlichkeiten zu finden ist, die all jenes teilen, woran ich glaube.«

In der Novemberausgabe des Tagebuchs erscheint 1876 die Erzählung Die Sanfte – eine Perle der Weltliteratur. Hintergrund ist eine Zeitungsnotiz über einen »Petersburger Selbstmord«, die den Schriftsteller tief erschüttert hatte. Eine junge Näherin hatte sich aus einem Fenster im dritten Stock ihres Wohnhauses gestürzt, weil »sie keine Arbeit finden konnte, die sie ernährt«. Besonders beeindruckte den Schriftsteller, dass die Selbstmörderin bei ihrem Sturz aus dem Fenster eine Ikone in Händen gehalten hatte. »Dieses Heiligenbild in ihren Händen ist etwas, das diesen Selbstmord merkwürdig und unerhört macht! Es ist ein sanfter, ein demutsvoller Selbstmord …«

Die phantastische Erzählung – so der Untertitel – ist der innere Monolog des bestürzten Ehemannes, eines Pfandleihers, vor dem Leichnam seiner verzweifelten jungen Frau wenige Stunden nach ihrem Tod. Sie liegt auf dem Tisch, und er geht im Zimmer auf und ab, spricht mit sich selbst, versucht, seine Gedanken zu ordnen und das Geschehene zu begreifen.

Die spätere Ehefrau des Pfandleihers war, sie war fast noch ein Mädchen, »sehr dünn, weißblond, mittelgroß«, zu ihm gekommen, um das Letzte, das ihr geblieben war, zu versetzen. »Ich habe sie damals schon als mein Eigentum betrachtet und zweifelte nicht an meiner Macht«, gesteht sich der Ehemann ein. Die namenlose Sanfte ist bereit, ihm ihre Liebe zu schenken, aber er hat seine eigene »Idee« – er will Macht, unendliche, despotische Macht über ein anderes Wesen. Der Pfandleiher entstammte dem Erbadel, war »Stabskapitän der Reserve eines vortrefflichen Regiments«, hat aber sein Leben »verspielt«, ist Pfandleiher geworden und will nun, dass ein menschliches Wesen ihn verehrt wie einen Helden und Märtyrer. Er will die Sanfte erziehen, will, dass sie vor seiner Größe in die Knie geht. Eines Nachts tritt die verzweifelte junge Frau mit einem Revolver in der Hand ans Bett des Ehemannes. Er stellt sich schlafend. Sie hält ihm den Lauf an die Schläfe. Er bewegt sich nicht. Schließlich lässt sie den Revolver sinken. »Ich stand auf: ich hatte gesiegt – und sie war auf immer besiegt!« Schließlich ist der »stolze Traum« des Ehemannes zu Ende, und er begreift, dass er seine Frau grenzenlos liebt. Als er ihr seine Liebe gesteht, erschrickt die Sanfte: sie kann auf seine Liebe nicht mehr antworten. Verzweifelt und gebrochen ergreift sie das Bildnis der Muttergottes und stürzt sich aus dem Fenster.

Der Grund für ihren Tod ist die Rechtlosigkeit der Frau, die sie zur vollkommenen Abhängigkeit von ihrem Ehemann verurteilt. Es ist nicht die pure Verzweiflung, die die Sanfte in den Selbstmord treibt, sondern auch Protest: »Sie wollte nicht eine halbe Liebe oder ein Viertel Liebe als Liebe ausgeben und zog den Selbstmord vor.« Es sei unabdingbar, so sind Dostojewskij und zahlreiche seiner Zeitgenossen überzeugt, »die gesellschaftliche Stellung der Frauen zu verbessern«, um einen sinnlosen Tod wie den seiner Protagonistin zu verhindern. Dafür braucht es, so Dostojewskij, die Möglichkeit zu höherer Bildung für Frauen, die »eine neue, erhabene gebildete und moralische Kraft in Gesellschaft und Menschheit« bringen werde. Dies sei der »Beginn der einzigen echten Lösung der ›Frauenfrage‹, sowohl hierzulande als auch in Europa und überall auf der Welt, der Beginn des echten richtigen Programms!«

Dostojewskij schreibt dies zu einem Zeitpunkt, als die russische Regierung sich nach einem langen Kampf nachzugeben gezwungen sah, Frauen das Recht auf Zugang zu den höheren Bildungsstätten zuzugestehen, und Ende der 1860er/Anfang der 1870er Jahre schließlich in einigen Städten höhere Kurse für junge Frauen eröffnet wurden. Während der Schriftsteller einerseits Frauenbildung befürwortet, hält er es dennoch für »moralisch falsch«, wenn Frauen ihr erworbenes Wissen verwenden, um »Aktivistinnen« zu werden, um sich »für die Lösung irgendeiner ›Frauenfrage‹ unserer Zeit« einzusetzen. Das Ziel der Bildung für Frauen müsse es sein, an der Lösung der »allgemeinen Sache« teilzunehmen.

Mit Freude und Anerkennung bemerkt der Schriftsteller, dass zu Beginn der 1870er Jahre ein neuer Typus junger Frauen auf der Bildfläche erscheint, dessen »Schlichtheit und Natürlichkeit« ihm mehr zusagt als die Posen der »alten Nihilistinnen«, die ihn so sehr abgestoßen haben. In einem Brief berichtet er von der Begegnung mit zwei solcher jungen Frauen. »Sie erzählten, dass sie Studentinnen der Medizinischen Akademie seien [die seit Mai 1872 für Frauen zugänglich ist], dass dort bereits bis zu 500 Frauen studierten, und dass sie ›das Studium dort begonnen haben, um Bildung zu erlangen, um der Gesellschaft nützlich zu sein‹. Das hat starken und lichten Eindruck gemacht.«

Dostojewskij sieht in der russischen Frau »sehr große Hoffnung, eine Gewähr unserer Erneuerung«. In den vergangenen zwei Jahrzehnten habe eine »Wiedergeburt der russischen Frau« stattgefunden, ihre Ansprüche und Forderungen seien größer geworden. »Sie hat ihren Wunsch entschlossen kundgetan, an der allgemeinen Entwicklung der Gesellschaft mitzuwirken, und sich dieser Sache nicht nur uneigennützig, sondern auch aufopferungsvoll angeschlossen. In ihrem Streben nach höherer Bildung hat sie Ernsthaftigkeit und Geduld bewiesen und ist damit ein Beispiel größter Mannhaftigkeit.«