Nur knapp zehn Minuten brauchte Bernhard Krammer bis zur Landespolizeidirektion, in der er sein Büro hatte. Er eilte die wenigen Stufen zur Hauptpforte hinauf, schob die Eingangstür auf und öffnete mit seinem Dienstausweis die gesicherte zweite. Er grüßte ein paar Kollegen vom Rauschgiftdezernat, die ihm entgegenkamen. Er kannte mittlerweile die allermeisten hier, immerhin war er jetzt schon seit drei Jahren in Innsbruck beschäftigt.

Als er seine Räumlichkeiten erreichte, telefonierte Roza Szabo gerade bei offener Tür. Doch bevor er sich rasch mit einem kurzen Handzeichen zum Gruß in sein Büro zurückziehen konnte, gestikulierte sie bereits wild und bedeutete ihm hereinzukommen.

»Aha. Und der Mann ist sich sicher? Aber Sie sagten doch, es handele sich um einen Müllsack.« Wieder machte sie ihm Zeichen, sich hinzusetzen, und schob ihre Lesebrille nach oben in die roten Haare, die sie heute offen trug.

Krammer öffnete die Knöpfe seines dunkelblauen, knielangen Mantels und nahm den Schal ab. Wie immer war es stickig in ihrem Büro. Er selbst war ein Frischluftfanatiker und hatte eigentlich zu jeder Jahreszeit ein Fenster gekippt. Roza hielt es genau umgekehrt.

Sie notierte sich etwas. »In Ordnung, ich verstehe. Gute Arbeit. Wir schicken gleich jemanden los. Und Sie bitten den

Sie legte auf und musterte Krammer mit schiefgelegtem Kopf.

Krammer wartete schon auf den üblichen Kommentar, ob er sich einen halben Tag freigenommen habe, aber dieser blieb heute aus.

»Das war ein Kollege der Polizeiinspektion in Achenkirch. Sie sind einem Hinweis nachgegangen, über den sie vor einer guten Stunde von der Bezirksleitstelle in Schwaz benachrichtigt wurden. An einem Hundeplatz gleich neben der Pertisauer Landesstraße hat ein Mann, der dort am Morgen seinen Hund Gassi geführt hat, ein verschnürtes Paket gefunden, in dem Leichenteile sein sollen.«

Krammer rieb sich das Kinn und wartete geduldig, dass sie mit ihrer Erzählung fortfuhr.

»Das, was er gefunden hat, war in einen blauen Plastiksack gewickelt. Der Mann dachte zuerst, es handele sich um eine Mülltüte, in der jemand seinen Abfall im See entsorgt hat. Er wollte ihn herausziehen und wenigstens zum nächsten Mülleimer bringen. Aber er schaffte es nicht, das Bündel mit einem Stock näher ans Ufer zu ziehen. Dabei riss die Folie wohl etwas ein, und sofort schlug sein Hund an, und er konnte ihn kaum noch halten. Als der Mann genauer hingesehen hat, war er überzeugt, dass es sich um menschliche Überreste handeln muss, und rief die Polizei.«

»Klingt für mich erst einmal nach einer etwas überspannten Phantasie.«

Roza nickte. »Möglich. Der Kollege, der anrief, ist noch ein

Sie stand auf und nahm ihren Mantel von der Garderobe. Krammer hingegen blieb sitzen und fragte sich, warum sie nicht einfach alleine an den Achensee fahren konnte. Dann hätte er sich ganz in Ruhe in der Akte eines der älteren ungelösten Fälle vertiefen können, die er gerade einen nach dem anderen noch einmal durchging, um nach neuen Erkenntnissen oder Verbindungen zu suchen.

»Na komm. Im schlimmsten Fall haben wir einen Ausflug aufs Land gemacht«, sagte sie, während sie sich ihren rostroten Mantel überzog, der genau zum Ton ihrer Haare passte.

Roza hatte recht. Etwas Abwechslung war vielleicht gut, und der Morgen hätte durchaus schlechter anfangen können. Der Himmel war zwar grau, aber es war trocken, und vielleicht konnten sie auf dem Rückweg in einem Gasthaus anhalten, um am Ufer des malerischen Sees noch eine Kleinigkeit zu essen. Dem war auch Roza selten abgeneigt, deren ungarische Großmutter Köchin gewesen war. Sie teilten die Leidenschaft für gutes Essen und erlesenen Wein.

»Auf geht’s. Ich fahre«, sagte sie bestimmt, winkte mit dem Schlüssel ihres Volvos und war schon zur Tür hinaus in Richtung Treppenhaus.

Träge folgte Krammer ihr und setzte ein unwilliges Gesicht auf. Roza sollte keinesfalls merken, wie sehr er es genoss, dass sie unbedingt immer ihr Auto nehmen wollte. Immerhin verschaffte sie ihm auf diese Weise noch einen Moment der Entspannung, bevor sie an den Tatort kamen.