Am frühen Nachmittag kamen die ersten beiden Teams kurz nacheinander von ihrer Suche zurück. Verschwitzt, durstig und wortkarg ließ sich einer nach dem anderen auf seinem Platz nieder. Die freiwilligen Helfer der Bergwacht waren bereits zu ihren Familien heimgekehrt. Bloß Gerg war noch dabei und machte durch ein kurzes Kopfschütteln deutlich, was Alexa schon beim Öffnen der Tür geahnt hatte: wieder nichts.

Sie hatten nicht nur die Hütten genau untersucht, sondern waren auch die Seitenbereiche neben den Wegen abgelaufen. Aber sie hatten nichts gefunden, was ihnen hätte weiterhelfen können. Gerg stand an der Pinnwand und markierte die Strecke, die sie abgesucht hatten.

»Nicht einmal eine tote Katze«, rief einer der Kollegen in den Raum, woraufhin einige verhalten schmunzelten. Der Kommentar war vermutlich auf den Auftritt der Greitnerin bezogen, die am Morgen, kurz bevor die Teams aufbrechen wollten, plötzlich in der Tür gestanden hatte. Ihr war im Nachgang zu dem Gespräch etwas eingefallen. In heller Aufregung erzählte sie von einem Mann, den sie in den letzten Monaten häufiger in der Gegend gesehen hatte. Beschreiben konnte sie ihn kaum, und den Namen wusste sie auch nicht. Aber sie kannte ihn von früher und beteuerte, dass er nie etwas Gutes im Schilde geführt hätte. Alexa solle diesem Bastard mal auf

Frustriert starrte Alexa an die Decke, dann checkte sie erneut ihre Nachrichten. Das Team von Krammer war noch unterwegs, aber da sie von ihm bisher rein gar nichts gehört hatte, ging sie davon aus, dass auch er mit leeren Händen zurückkam. Wenigstens würde er eine Liste der Mieter mitbringen, die die Alm in den letzten Monaten bewohnt hatten. Doch auch das hob ihre Laune nicht wesentlich.

Sie sah auf die Uhr. Huber hatte sich immer noch nicht gemeldet. Mittlerweile fand sie es nicht nur seltsam, sondern begann sich Sorgen zu machen. Ob ihm etwas zugestoßen war?

»Hat jemand von euch was von Florian gehört?«, fragte sie deshalb, ohne lange zu überlegen.

Allgemeines Kopfschütteln war die Reaktion.

»Steht morgen eigentlich wieder eine nutzlose Suche an oder können wir den Sonntag pausieren?«, rief Biberger ihr zu.

Die anderen nickten. Sie sahen wirklich erschöpft aus.

»Checkt doch bitte noch einmal die aktuelle Liste der Vermissten«, bat Alexa. »Wenn dort keine neue Personensuche aufgeführt ist, könnt ihr gehen. Ich halte hier die Stellung. Aber bleibt in Bereitschaft, falls es neue Hinweise gibt. Wir sehen uns dann am Montag.«

Dann wandte sie sich wieder ihrem Computer zu.

Alexa schluckte ihren Frust herunter. Sie hatte ja selbst keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.

»Das besprechen wir nächste Woche, wenn wir wissen, was die letzte Gruppe herausgefunden hat und was die Untersuchungen in Österreich ergeben haben.«

Aber er ließ nicht locker und fügte leise hinzu: »Oder sollen wir jetzt alles bis zur österreichischen Grenze absuchen und jeden Tag weiter durch die Wälder irren?«

Alexa hielt einen Moment inne und atmete tief durch. Doch es gelang ihr nicht mehr, sich zu beherrschen: »Wenn es dir nicht passt, wie ich die Ermittlungen führe – nur zu, du weißt, bei wem du dich beschweren kannst. Das gilt auch für alle anderen hier, die derselben Meinung sind. Solange ich es aber für richtig halte, das Gebiet abzusuchen, werden wir das weiter tun. Tobi Gerg hat mir von einem alten Fall berichtet, bei dem eine Vermisste erst nach Wochen tot aufgefunden wurde. Von den Verwandten, die nicht aufgegeben haben. Das Gebiet, in dem man diese Leiche fand, war auch zuvor schon durchsucht worden. Die Wälder hier sind unwegsam und dicht bewachsen, es gibt unzählige Felsen und Spalten, das wisst ihr besser als ich. Vielleicht haben wir also einfach nicht gründlich genug nach Hinweisen gesucht.«

Sie hielt Bibergers Blick stand, der nun längst nicht mehr so selbstbewusst dreinblickte.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und das letzte Team kam herein. Mittlerweile kannte sie Krammers Gesichtsausdruck, den er aufsetzte, wenn er unzufrieden war. Also wieder kein Fortschritt.

Sie musterte die Gesichter. Niemand machte einen Mucks, und es war so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.

»Irgendetwas übersehen wir. Wer den Sonntag zu Hause bleiben will – fein. Ich für meinen Teil werde noch einmal alle Hinweise durchgehen, die wir nach dem Presseaufruf bekommen haben. Und auch sämtliche Protokolle der Zeugenbefragungen, denn ich will wissen, wer Sonja Mayrhofer das angetan hat. Vorher gebe ich mich nicht geschlagen. Wer mich dabei unterstützen will, ist herzlich willkommen. Ansonsten sehen wir uns Montag um acht Uhr. Vielen Dank und einen schönen Feierabend.«

Erst als sie sich von der Tischkante wegschob, merkte sie, dass ihre Beine zitterten. Im Raum blieb es weiterhin erstaunlich ruhig, und niemand machte Anstalten zu gehen. Rasch nahm sie wieder Platz, um ihre Nervosität zu verbergen.

Sie öffnete eine der Akten, obwohl sie keinen Blick hatte für die Dinge, die dort standen. Aber sie wollte sich nicht anmerken lassen, wie sehr sie die Situation gefordert hatte. Jetzt hätte sie eine Menge für einen kräftigen Schnaps gegeben. Oder auch zwei. Und einen Zigarillo. Sie trank und rauchte nicht oft, aber in Stressmomenten wie diesen griff sie manchmal zu beidem. Anschließend war ihr jedes Mal schlecht. Doch dann wüsste sie wenigstens, wieso sie sich mies fühlte.

Eine Handynachricht lenkte sie endlich ab. Gut gebrüllt, Löwin, stand da. Sie musste lächeln. Krammer. Er war ein echter Fuchs und hatte sein Lob vor den anderen verborgen. Vermutlich, weil auch er ein Außenseiter war und jedes anerkennende Wort seinerseits den Unmut im Team noch verschlimmert hätte.

Danke, schrieb sie deshalb zurück und verkniff es sich, ihn anzusehen.

Biberger, der zuvor gemeutert hatte, erhob sich und lief durch den Raum.

»Bis Montag dann«, sagte er und nickte Alexa zu.

Ein kleiner Punktsieg. Immerhin. Sie bedeutete ihm mit einer Geste, dass sie verstanden hatte. Es blieb abzuwarten, wie die Stimmung in den nächsten Tagen sein würde. Aber zumindest protestierte keiner mehr. Und es schloss sich ihm auch niemand an.

Nachdem sie erneut eine SMS an Huber geschickt hatte, sich umgehend im Alpenfestsaal zu melden, ging sie auf Stein zu und bat ihn, sich eine Mitfahrgelegenheit zu suchen, damit sie übers Wochenende ein Fahrzeug zur Verfügung hatte.

Und wenn es nur dazu diente, für ein paar Stunden von hier zu verschwinden.