ACHT

Ich verschwand schnell in meinem Zimmer, ließ mich aufs Bett fallen und schlief sofort ein. Ich träumte von einem Schwein, das ich mir als Haustier hielt und das nichts anderes als Zucchini und rote Rosen fraß. Mit diesem Schwein saß ich in einer Partner-TV-Show und verkündete, dass ich nur im Doppelpack zu haben sei und das Schwein mit in mein Bett dürfe. Irgendein Lärm weckte mich. Das Schwein blieb zum Glück im Traum zurück, ich stolperte allein aus dem Bett und sah aus dem Fenster hinaus auf die B 3.

Vor dem Queen’s Pub gegenüber starteten drei schwere Maschinen. Klar! Was sonst sollte mitten in der Nacht einen solchen Lärm machen? Martha war diese Kneipe schon immer ein Dorn im Auge, der Laden brachte sie regelmäßig zur Weißglut. Trotz vieler Intrigen war es ihr bisher nicht gelungen, den Rockertreff schließen zu lassen.

Natürlich war ich zwischen sechzehn und achtzehn Besitzerin einer Motorradjacke und regelmäßiger Gast in Joes Queen’s gewesen. Joe betrieb den Laden immer noch, wie ich von Martha wusste. Unter Bikern war der Pub bekannt, Motorradfahrer aus der gesamten Ortenau, auch von weiter her, trafen sich in der ehemaligen Bäckerei.

Dennoch stutzte ich, als ich im Licht der Straßenlaterne auf den Jacken der Fahrer das Emblem der Hellsass Devils erkannte. Joe kam herausgerannt und drückte einem der drei einen Umschlag in die Hand. Ich sah mir die Jungs genauer an: Der auf der roten Suzuki konnte sehr wohl das Kraftpaket sein, das in der Winstub mit Handtüchern um sich geworfen hatte. An einem Wochenende hätte ich mich über ihr Auftauchen nicht gewundert, aber was trieben die Elsässer an einem normalen Montagabend in Fautenbach? Und wieso war das Kraftpaket schon wieder auf freiem Fuß?

Mit dem trat er jetzt kräftig in die Pedale, die beiden anderen taten es ihm gleich. Noch einmal ließ das Trio seine Maschinen mächtig aufheulen, dann brauste es in Richtung Achern davon. Joe sah ihnen nach, bevor er zurück in den Pub ging.

Kurzzeitig kehrte auf der B 3 Ruhe ein, dann rauschte das nächste Auto vorbei. Ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr erinnern, was mich als Teenager geritten hatte, mir ausgerechnet dieses Zimmer im Haus auszusuchen. Vielleicht hatte mich damals der Straßenlärm nicht gestört, wahrscheinlicher war, dass ich mindestens ein Zimmer zwischen meinem und dem der Eltern haben wollte. Die Zimmeraufteilung wurde nie verändert, wie in der Linde nie etwas verändert wurde. Deshalb sah mein Zimmer noch genauso aus, wie ich es mit siebzehn verlassen hatte. An der Wand hingen die Filmplakate von »Das Imperium schlägt zurück«, »Indiana Jones« und »Blade Runner«, auf dem kleinen Schreibtisch stand der verstaubte Miniaturnachbau von Han Solos Rasendem Falken. Brauchten Eltern das, damit die Kinder für sie immer Kinder blieben? Oder war es meine Aufgabe, hier Tabula rasa zu machen, um das Kindsein endlich hinter mir zu lassen?

In einem blau lackierten Rahmen zwischen den beiden Fenstern hing immer noch das Foto von Harrison Ford, dem Schwarm meiner Jugend. Mit fünfzehn liebte ich Abenteurer und Draufgängertypen, viel später war ich mit so einem hoffnungslos gescheitert. Wo Ecki, der Verräter, sich wohl herumtrieb? Tokio? San Francisco? Buenos Aires? Ob er schon die nächste Frau mit seinem Wiener Charme einwickelte? Nicht weiter dran denken! Der treulose Hund konnte mir endgültig gestohlen bleiben.

Ich war ins Bett gefallen, ohne mich auszuziehen, und merkte, dass ich stank. Nach einem langen Tag, nach Fett und Schnitzelküche, nicht nach Schwein. Ich konnte mich nicht riechen und nahm im Bad eine späte Dusche. Auf dem Rückweg bemerkte ich, dass die Tür zum Wohnzimmer einen Spalt aufstand, durch den blauweißes Fernsehlicht schimmerte. Edgar hatte sich also fürs Sofa entschieden. Auf Zehenspitzen schlich ich mich in mein Zimmer und schloss schnell die Tür.

Mein Handy klingelte, als ich mich wieder im Plumeau eingemummelt hatte. Luc, dachte ich elektrisiert und drückte schnell die On-Taste.

»Oui, oui«, flüsterte ich ins Telefon.

»Sind Sie das, Frau Schweitzer?«, fragte Alban Brandt.

»Was ist los?« Irgendwas musste passiert sein. Warum sonst sollte mich Brandt so spät noch anrufen?

»Nein, nein. Mich hat unser Telefonat nicht losgelassen. Ich habe Sie doch nicht geweckt, oder?«

»Das haben drei Motorräder kurz vor Ihrem Anruf erledigt«, brummte ich.

»Da bin ich aber froh, dass ich nicht der Bösewicht bin. Sie als Nachtarbeiterin, habe ich gedacht, sind um Mitternacht noch putzmunter. Sonst hätte ich doch nicht zu so später Stunde …«

»Schon gut, Herr Brandt«, unterbrach ich ihn. Seine Entschuldigungen konnten ewig dauern.

»Wie hängen Sie in diesem Mordfall drin?«

Keine Frage mehr, eine Tatsache jetzt. Brandt hatte eine feine Antenne für Zwischentöne. Ich hätte ihm nie von dem toten Murnier erzählen sollen.

»Wenn ich Ihnen helfen soll, muss ich schon ein bisschen mehr wissen«, fuhr Brandt fort.

»Ich glaube nicht, dass Sie mir helfen können«, wiegelte ich ab.

»Oh«, sagte Brandt.

Mehr nicht. Draußen rollten weitere Autos über die B 3. Eine Tür klatschte zu, wahrscheinlich die des Queen’s Pub, ein Motorrad wurde gestartet. Vielleicht Joe, der die Heimfahrt antrat, nachdem er seinen Laden dichtgemacht hatte. Dann Stille, in die irgendwann sanft und leise das Plätschern des Baches drang, bis dieses von einem weiteren Auto übertönt wurde. Brandt konnte gut und ausgiebig schweigen, wusste ich. Das war seine Spezialität. Durch Schweigen brachte er andere zum Reden. Auch mich. Ich erzählte ihm von den Hellsass Devils, von der Zerstörungsorgie auf dem Fest, von dem Kraftpaket und von den zwei anderen im Queen’s Pub.

»In der Gegend von Lahr gab es vor ein paar Monaten einen spektakulären Mord an einem Mitglied der Hells Angels«, fiel Brandt ein. »Ein Kollege aus Offenburg hat mich deswegen kontaktiert, es gab eine Spur zur Kölner Gruppe der Hells Angels. In der Gartenhütte des Toten wurden große Mengen Rauschgift sichergestellt. Marihuana, Haschisch, Kokain, die ganze Palette. Rocker- und Drogenmilieu, schwieriger Fall, aufwendige Spurensuche. Zur Trauerfeier kamen achthundert Hells Angels. Der Fall ist noch nicht aufgeklärt.«

»Meinen Sie, da gibt es einen Kontakt zu den Hellsass Devils?«

»Durchaus möglich. Rockerbanden sind gut vernetzt. Vor allem das Drogengeschäft funktioniert nicht ohne internationale Kontakte.«

»Ich kann Joe, den Wirt des Queen’s, fragen. Ich kenne ihn von früher.«

»Lassen Sie bloß die Finger davon! Wenn Sie in dem Milieu herumstochern, wird man Ihnen schnell die Fresse polieren, was ausgesprochen schade wäre. Geben Sie die Information an die örtliche Polizei weiter. Die sollen sich kümmern. Und jetzt erzählen Sie mir, was Ihr Messer im Rücken des Toten macht!«

Wie hatte Brandt das herausgefunden? Geheime Polizeikanäle? Buschtrommeln?

»Also wirklich. Woher …?«

»Sie haben es mir selbst erzählt. An einem Messerknauf – und mehr ist, wenn das Messer in einem Körper steckt, nicht zu sehen – kann man nicht erkennen, um was für eine Art Messer es sich handelt. Aber Sie wussten, dass es ein Ausbeinmesser ist. Sie müssen das Messer also am Knauf erkannt haben. Und welche Messer kennt man besser als die eigenen?«

Ein unüberlegtes Wort und schon hatte Brandt mich am Haken. »Die Polizei weiß, dass es mein Messer ist. Ich habe meine Messer in der Küche des Festsaals liegen lassen. Jeder hätte sich das Messer nehmen können.«

»Viel interessanter ist doch, wer wusste, dass es Ihr Messer war. Also?«

»Die beiden Kochgruppen.« Mir fiel ein, dass Pascal, Felix und Luc während des Kochens über Messer gefachsimpelt hatten. Ein beliebtes Thema bei männlichen Hobbyköchen. Felix schwor auf japanischen Stahl, Pascal auf Jagdmesser, Luc brach eine Lanze für die Messer von Laguiole. Was hatte ich über meine Solinger gesagt? Wer hatte dabei zugehört?

»Kann es sein, dass Sie da einer in die Scheiße reiten will?«, fragte Brandt. »Wem sind Sie denn auf die Füße getreten oder in die Quere gekommen?«

Hedwig? Aber was hatte die mit Emile Murnier zu tun? Und spuckte die nicht schon ohne Messer genügend Gift? Warum sollte mich einer der anderen in Schwierigkeiten bringen wollen?

»Denken Sie nach, Frau Schweitzer! Versuchen Sie, sich so genau wie möglich an den Abend zu erinnern. Alles kann hilfreich sein. Gibt es zum Beispiel eine direkte Spur zwischen den Hellsass Devils und dem Toten?«

»Ja«, fiel mir ein. »Einen von ihnen hab ich im Hof von Murniers Sohn fahren sehen.«

»Murnier hatte einen Sohn? Was macht er?«

»Er ist Winzer wie sein Vater.«

»Aber er bewirtschaftet nicht den elterlichen Betrieb? Wieso?«

»Luc hat nichts mit dem Mord zu tun«, sagte ich. Zu schnell und zu heftig.

Klar, dass Brandt nach dem Satz alarmiert war. Ich war müde, ich war erschöpft, also erzählte ich ihm doch den Rest der Geschichte.

»Wenn Sie nicht bemerkt haben, dass Luc Murnier im Bad verschwunden ist, dann könnte es sehr wohl sein, dass der Mann bereits früher Ihr Zimmer verlassen hat«, folgerte Brandt. »Ach, Frau Schweitzer«, ergänzte er mit einem Seufzer. »Sie haben ein Händchen für zwielichtige Männer. Wollen Sie sich nicht mal nach was Soliderem umsehen?«

Nein. Wollte ich nicht. Zwielichtig! Luc war nicht zwielichtig. Ich verfluchte Brandt dafür, dass er die Zweifel an Luc in mir verstärkt hatte.