VIERUNDZWANZIG

Die Nässe spürte ich als Erstes. Ich tastete mit der Hand Po und Schenkel ab, alles nass. Hatte ich in die Hose …? Nein, auch die Brust, die Arme und das Gesicht waren nass. Gras kitzelte mir beim Drehen des Kopfes in der Nase, ich roch feuchte Erde. Ein heftiger Husten stach mir in die Lunge, er rüttelte mich durch, ließ Sternchen vor meinen Augen tanzen. Die brannten wie Feuer, es schmerzte, sie zu öffnen. Rechts und links Rebstöcke, neben mir lag Sophie. Ich hörte ihren gleichmäßigen Atem und setzte mich auf. Es regnete sanft und leise, das heftige Gewitter hatte einem Landregen Platz gemacht. Mein Kopf brummte schlimmer als nach einer durchzechten Nacht. Die Hütte rechts neben mir sah aus wie ein Hexenhäuschen, aus dem Rauch kroch. Eine schwarze Gestalt trat aus dem Qualm und kam auf mich zu.

»Kannst du mir mal sagen, warum du überhaupt ein Handy hast?«, pflaumte mich FK an und stellte den Feuerlöscher neben mich ins Gras. »Für dich ist es wohl nicht dringend, wenn zwei Leute pausenlos versuchen, dich zu erreichen.«

»Zwei?« Ich rieb mir den Kopf, nadelfeine Stiche traktierten die Schädeldecke.

»Du hast keine Schutzengel, du hast Schutzmänner. Dein Polizistenfreund Alban Brandt ist bei dem wirren Zeugs, was du ihm erzählt hast, zu dem logischen Schluss gekommen, dass sowohl beim Mord an Murnier als auch beim Tod von Felix zwei Personen beteiligt gewesen sein müssen. Naheliegend für ihn die Ehefrau. Und weil er dich nicht erreichte, aber Gefahr im Verzug witterte, hat er seine Kollegen in Offenburg angerufen, zur Sicherheit aber auch Martha, die ihm meine Nummer gab. Und ich habe mal wieder ein Candle-Light-Dinner mit Rita sausen lassen und wusste ja zum Glück, wo ich dich und Sophie suchen musste. Rettung in letzter Minute, das sage ich dir. Als ich die Tür zur Hütte aufriss, hielt Sophie mit glasigen Augen ein brennendes Streichholz an die kleine Benzinpfütze auf dem Boden. Das war, den Streichhölzern auf dem Boden nach zu urteilen, nicht ihr erster Versuch, aber der, der Erfolg hatte. Ich hab also zuerst dich und dann sie nach draußen geschleppt, dann den Feuerlöscher aus dem Auto geholt, gelöscht, was damit zu löschen ging, gleichzeitig Feuerwehr und Polizei angerufen, und während all dem habe ich dafür gebetet, dass du schnell wieder aufwachst, damit ich dich nach Strich und Faden zusammenscheißen kann.«

Selbst wenn er noch stundenlang weiterschimpfte, ich würde es ihm nicht übel nehmen. Vor Rührung, Erschöpfung, Erleichterung oder allem zusammen schossen mir Tränen in die Augen. Dass Sophie tatsächlich die Hütte anzünden und uns verbrennen wollte, hatte ich in meinem betäubten Zustand überhaupt nicht begriffen, das wurde mir erst jetzt klar. FK und Alban Brandt hatten mir das Leben gerettet.

»Ist besser, du stehst mal auf. Sonst holst du dir auf dem nassen Boden noch eine Lungenentzündung.«

FK hielt mir den Arm hin und zog mich hoch. Sicherer Stand ging anders, ich schwankte schwer, und so hielt ich mich an ihm fest und heulte seine Schulter nass.

»Dass Sophie von Anfang an Bescheid wusste, das hatte ich einfach nicht auf dem Schirm, das ist mir zu spät klar geworden«, schniefte ich.

»Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst die Finger davon lassen? Wenn du wenigstens aus deinen Fehlern lernen würdest!«, schimpfte FK weiter.

So allmählich konnte er aufhören mit seiner Schimpferei. Ich hatte mich nicht absichtlich in Lebensgefahr begeben.

»Nicht absichtlich, aber fahrlässig«, schnaubte er.

»Okay, reden wir über Wiedergutmachung!«

»Ein fünfgängiges Menü für Rita und mich, am besten Tisch der Linde serviert. Mit Schätzen aus Edgars Weinkeller und von dir höchstpersönlich gekocht. Aber du tauchst nicht ein einziges Mal im Restaurant auf und störst mein eheliches Tête-à-Tête. Nicht mal hinterher, um zu fragen, ob es geschmeckt hat«, bestellte FK, während wir Feuerwehr-, Notarzt- und Polizeiwagen den Berg herauffahren sahen.

Wildes Durcheinander danach. Die Sanitäter hängten mir eine Decke um, kontrollierten Puls und Atmung, leuchteten mir in die Augen, fragten, was ich geschluckt hatte. Irgendwas, das furchtbar müde machte, mehr wusste ich nicht. Polizisten durchforsteten derweil Sophies Handtasche und zeigten dem Notarzt eine Pillenpackung. Den Namen des Medikamentes verstand ich nicht, nur dass es einen Zwei-Zentner-Mann einschläfern konnte. Sophie, die immer noch schlief, wurde der Magen ausgepumpt. Feuerwehrleute kontrollierten FKs Löscharbeiten in der Hütte, der redete derweil mit Hodapp und Stechele.

Als der Notarzt mich durchgecheckt und als nicht gefährdet eingestuft hatte, kamen die zwei Ermittler auf mich zu. Ich erzählte von meinen Gesprächen der letzten Tage und insbesondere von dem mit Sophie, und sie erzählten ihrerseits, dass sie Sophie bereits im Visier hatten, was den inszenierten Selbstmord betraf, polizeiliches Vorgehen aber nie hoppla hopp, sondern immer von klaren Absprachen und Sicherheitsvorkehrungen gekennzeichnet war, eine solche Kamikaze-Aktion wie die meine selten sachdienlich war, ich überhaupt mehr Glück als Verstand gehabt hatte.

Hallo? Ohne mich hätten sie noch eine Weile gebraucht, um Sophie zu überführen. Ich hatte ihnen die Lösung des Falles gerade frei Haus geliefert. Aber ich war zu müde, um mich aufzuregen, zu erschöpft, um mich mit den beiden anzulegen.

Martha, die plötzlich in diesem Gewusel auftauchte, drängte alle mit dem Hinweis zur Seite, dass ich nach diesem Schock etwas essen musste, und packte den Henkelmann mit der Nudelsuppe aus. Während ich im Stehen meine Suppe löffelte und sie meinen Gesamtzustand als stabil einstufte, flüsterte sie mir zu, dass sie gestern zu Edgar ins Bett gekrochen und der Sex phantastisch gewesen sei. Aber wie der Sex meiner Eltern war, wollte ich am Ende dieses Tages nun wirklich nicht hören.

Und so war ich dann auch heilfroh, als ich eine Stunde später frisch geduscht und mit trockenem Schlafanzug allein in meinem Bett lag und endlich Brandts Nummer wählen konnte. FK hatte ihm bereits von der Hütte aus eine SMS geschickt, sodass er zumindest wusste, dass mir nichts passiert war.

»Herr Brandt«, sagte ich. »Ohne Sie wäre ich jetzt nur noch ein Häufchen Asche.«

»Ich bin froh, das verhindert zu haben, denn aus Fleisch und Blut gefallen Sie mir entschieden besser. – Sie war es also«, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu.

»Sie hat von Anfang an Bescheid gewusst. Weil Felix die Leiche schon in den Bach geschleppt hatte, sah sie keine andere Chance, als den Totschlag, der es vielleicht war, als Mord zu deklarieren und falsche Fährten zu legen.«

»Haben Sie denn nicht gemerkt, dass sie ein Schlafmittel unter den Wein gerührt hatte?«

»Wie sagen Sie immer? Man kann nur Dinge bemerken, von denen man eine Ahnung hat. Oder so ähnlich. Der Wein war sehr schwer, er schmeckte ein bisschen merkwürdig, hatte aber einen samtenen Abgang. Und sie hat mitgetrunken. Nein, als ich es gemerkt hatte, war es zu spät. Wenn also Sie und FK nicht gewesen wären …«

»Hatte sie denn von Anfang vor, Sie und sich selbst umzubringen?«

Das Schlafmittel musste sie auf alle Fälle bereits vor meiner Ankunft in den Wein gerührt haben. Ob sie aber nur mich oder uns beide betäuben wollte oder von Anfang vorhatte, das Feuer zu legen, wusste ich nicht.

»Sie sagten, dass sie mitten im Wahlkampf steckte?«, machte Brandt weiter. »Für eine Politikerin kommt natürlich weder ein Mörder noch ein Selbstmörder als Gatte gut.«

»Ja, aber ich glaube, dass das nicht ihr Hauptmotiv war. Sie hat es für ihren Mann getan. So wie sie immer alles für ihn getan hatte. Nach dem ersten Mord wollte sie ihn, nach seinem Selbstmord wenigstens sein Ansehen retten.«

»Sie hat aus Liebe ein Verbrechen vertuscht?«

»Ja, so könnte man sagen.«

Wieder fragte ich mich, wie weit ich für Luc gegangen wäre. Ich war froh, mir diese Frage nicht mehr stellen zu müssen. Hodapp und Stechele hatten mir versichert, dass er spätestens morgen früh auf freiem Fuß sein würde.

»Wissen Sie bereits, wann Sie nach Köln zurückkommen?«

Brandt versuchte, die Frage belanglos klingen zu lassen, aber ich spürte, dass es ihm um mehr als eine Zeitauskunft ging.

»Bald«, versicherte ich. »Und dann nehme ich Ihnen all Ihre Zucchini ab, auch die ganz dicken. Und die grünen Böhnchen sowieso.«

»Mal schauen, was dann davon noch übrig ist«, seufzte Brandt. »Bald ist eine sehr dehnbare Zeiteinheit.«

»Ach, Herr Brandt!«

Ich war zu müde, um weiter über bald und Brandt und komplizierte Gefühle nachzudenken. Das musste warten. Alles musste warten.