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Sie spürte seine Hände auf ihrem Bauch; die kreisenden Fingerspitzen und wie Haut auf Haut kribbelte!

Voll Wonne lehnte sie sich zurück, schloss die Augen und stöhnte laut. Er schmiegte sich dicht an ihren Rücken und presste feucht glühende Küsse auf ihre Schulter und in ihren Nacken. Die weichen Lippen auf ihrer nackten Haut steigerten ihre Lust ins Unermessliche. Eine Hand schob sich in ihren Ausschnitt, wo seine Finger ihre Brustwarzen neckten, bis sie hart vor Erregung waren. Wie verboten! Aber sie genoss es und ließ ihn gewähren. Die andere Hand streichelte weiter ihren nackten Bauch und wanderte jetzt tiefer. Als er ihren Haaransatz erreichte, spielte er mit den Locken. Noch niemand hatte sie hier berührt. Sie schnappte nach Luft. Was für ein Gefühl. Dieses Verlangen, wie es wuchs und wuchs. Warum warten? Es musste besänftigt werden. Mehr!

»Nein, nein«, kam sie jedoch endlich zur Besinnung. »Das geht zu weit!«

Sie versuchte, sich zu befreien. Doch er hatte ihre Reaktion vorausgesehen und mit der Hand einen Vorstoß unternommen, während er sie fest umklammert hielt. Er schob die Finger tiefer und rieb ihr feuchtes Geschlecht. Margot-Caroline wehrte sich. Doch er war kräftiger. Dann zog er die Hand hervor und roch daran.

»Dieser Duft!«, stöhnte er. »Wann wird die Knospe erblühen?«

Er musste stolz auf sich sein, denn es gelang ihm immer wieder, sich selbst zu übertreffen. Sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg.

Schließlich gab er sie frei. »Und wann kann ich sie endlich pflücken?«

»Gar nicht«, erwiderte Margot-Caroline so belustigt wie verärgert. »Gar nicht! Pflücken! Du bist ja nicht bei Sinnen.«

»Wieso?«

Jetzt wurde sie ernst. Begriff er denn tatsächlich nicht?

»Weil du mein Bruder bist, Hans«, sagte sie. »Deshalb. Bruder und Schwester – das ist sündhaft.«

»Wie langweilig!«

Margot-Caroline lachte kurz auf. »Du bist widerlich«, fasste sie die widersprüchlichen Gefühle, die in ihr tobten, zusammen. Sie wollte ihm eine Ohrfeige verpassen, aber es wurde nur ein liebevoller Klaps. Er ergriff ihre Hand und küsste die Innenfläche.

»Ah, auch der Rest an dir duftet verführerisch.«

»Eau de Cologne«, erklärte sie.

»Ein wunderbares Parfüm! Weißt du, am französischen Hof kursiert das Gerücht, dass die Mätresse des Königs, wenn er sie aufsucht, nichts anderes trägt als Eau de Cologne.«

Sie musste kurz überlegen, was das bedeutete, dann errötete sie leicht. Er lachte laut auf.

»Du hast mich festgehalten. Gegen meinen Willen. Mach das nicht noch einmal«, protestierte sie.

»Dann wehr dich«, erwiderte er.

Ein schwaches Argument, seine körperliche Kraft war der ihren weit überlegen. Sie schnaubte verächtlich.

»Oder wehr dich nicht.«

Wie weit wäre er gegangen?, fragte sie sich. Er war ihr Bruder, hätte er ihr noch mehr Gewalt angetan? Sicher, sie liebte ihn. Aber nicht auf diese Art. Und doch musste sie an dieses unglaubliche Kribbeln denken, das einen immer weiter und weiter lockte. Ein Irrlicht? Sollte sie sich aufsparen für den Mann, den sie hoffentlich einstmals heiraten würde, so wie es von ihr verlangt war, oder sollte sie zuvor andere Erfahrungen sammeln?

Nein, es stand ihr nicht zu. Und doch fand sie, das sollte ihr selbst überlassen sein. Margot-Caroline schob die Gedanken beiseite. »Ich will jetzt feiern«, rief sie in jugendlichem Überschwang aus und richtete sich auf. »Da oben findet das größte Fest des Jahres statt, und was machen wir?«

»Was Besseres«, knurrte er, während er Weste und Rock ordnete.

»Man wird uns schon vermissen.«

»Wo ist Vater?«

»Wo wohl?«, neckte sie. »In seinem Kontor mit Kissen auf beiden Ohren.«

»Ja, er hasst es«, erwiderte Hans triumphierend. »Der alte Herr hasst den Karneval.«

Beide lachten.

»Aber er lässt uns gewähren, weil wir es so sehr lieben.«

»Weil du es so liebst!«, korrigierte Hans seine Schwester. »Für mich würde er das nicht tun.«

»Du irrst dich, Hans. Vater ist stolz auf dich!« Sie zeigte auf seine Uniform.

»Wirklich?«

»Ja, wirklich«, schalt sie ihn. »Quälgeist! Du weißt ganz genau, wie ungemein gut dir die Uniform steht. Kaum eine, die dir nicht hinterherschaut!« Margot-Caroline sah, wie gut ihm das Lob tat. Er richtete sich gerade auf.

»Aber was mache ich hiermit?«, fragte er und zeigte auf seine eng anliegende weiße Kniehose. Im Schritt zeichnete sich eine deutliche Beule ab.

»Hans, du bist ekelerregend!«

Während er frech grinste, versuchte sie erneut, ihn mit einer Ohrfeige zu strafen. Er blockte den halbherzig ausgeführten Schlag ab, ergriff ihre Handgelenke und zog sie ganz nah an sich heran. Zärtlich umarmte er seine Schwester, streichelte ihr über die Wange und das Gesicht.

»Ich liebe dich«, sagte er ernst und schwärmerisch. »Niemand sonst soll dich haben!«

»Jetzt hör aber endlich auf.« Sie befreite sich. »Man könnte meinen, du seiest tatsächlich nicht ganz bei Trost.«

»Du hast ja recht, mein liebes Schwesterchen!«, lenkte er ein. »Du bist mir halt lieb und teuer! Das Beste auf der Welt.«

»Wie du für mich«, sagte sie und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann zog sie ihn mit sich fort. »Komm mit, ich habe eine ganz besondere Überraschung für dich. Hoffentlich hat es noch nicht angefangen! Es wird dir gefallen.«

Sie verließen ihr Liebesnest zwischen all dem gelagerten Papier, das fein säuberlich zusammengerollt in Regalen verstaut war. Für einen Kellerraum war es auffällig trocken und sauber. Aber nur so konnte Papier gelagert werden.

Margot-Caroline trug ein Seidenkleid in bunten Farben – blau, violett, golden und rot, reich verziert mit Stickereien, die Blumen darstellen sollten. Überall baumelten bunte Bänder, Rüschen und Tüll. Auf dem Kopf trug sie eine Art Turban, der mit Federn geschmückt war. Bauch und Busen waren kaum verdeckt von der bunten Seide. An diesem Tage war das erlaubt. Sie stellte eine Haremsdame aus dem Orient dar. Keiner, den sie kannte, wusste, ob diese Damen tatsächlich so aussahen wie sie. Das war auch egal. Es war ein lebhaftes Kostüm. Das Gesicht verdeckte sie, ebenso wie ihr Bruder seines, mit einer Halbmaske nach venezianischer Art.

Sie liefen lachend wie tollende Kinder die Treppe hinauf. Auf halber Treppe überraschten sie ein anderes Liebespärchen. Auch die beiden trugen Masken. Der Busen der Frau war entblößt. Er hatte ihr den Rock hochgeschoben, und seine Hose hing ihm halb auf den Oberschenkeln. Margot-Caroline schaute auf seinen nackten Po, der mit wilden Stößen in die Frau eindrang. Wann würde sie das endlich haben? Sie wollte es so gern. Nur nicht mit ihrem Bruder.

Oben am Treppenabsatz konnte sie sich das Lachen nicht mehr verkneifen. Sie musste erst mal wieder zu Atem kommen.

»Hast du die gesehen?«, meinte Hans und ließ sich vom Lachen seiner Schwester anstecken. »War das nicht Stadtrat –«

»Pssst«, unterbrach ihn Margot-Caroline. »Lass sie. Sei nicht indiskret. Es ist doch Karneval!«

»Ja, schon, aber –«

»Ist mein Herr Bruder ein kleiner Moralapostel wie dieser Prediger Joaquim?«, fragte Margot-Caroline, während sie den Keller des Dupois’schen Palais an der Mathiasstraße verließen und auf den Hof traten.

An verschiedenen Stellen im Hof brannten Feuerstellen. Der Flammenschein reflektierte im Schnee. Und doch ließ das Licht des Feuers im gesamten Gebäude großzügige Möglichkeiten für dunkle Nischen und Ecken, wo man sich verstecken konnte. Überall tummelten sich Menschen, alle waren sie verkleidet. Die Feier war in vollem Gange. Margot-Caroline hatte die diesjährige Karnevalsfeier ihrer Familie unter das Motto »Karneval in Venedig« gestellt. Ihr Vater unterhielt Geschäftsbeziehungen dahin. Vor zwei Jahren hatte sie ihn auf eine Geschäftsreise begleiten dürfen. Ihr schwirrte immer noch der Kopf von den vielen Eindrücken, die sie in Venedig und unterwegs erhalten hatte.

An den zur Straße geöffneten Hoftoren drängten sich neben verkleideten Nachzüglern, die Einlass begehrten, viele Bettler und arme Leute, die sich von den Feiernden eine milde Gabe erhofften. Die Diener hatten alle Hände voll zu tun, die Bettelnden abzuwehren. Die Luft war schwanger vom Qualm der Feuer, dem Gelächter und Gesinge sowie dem Duft nach Bier, Wein und Schnaps. In jede freie Nische zwängte sich ein Pärchen.

Margot-Caroline war froh und glücklich über die ausgelassene Stimmung. Es sollte ein rauschendes Fest werden. Jeder, wirklich jeder sollte sich noch lange daran erinnern, dass auf keinem anderen Karnevalsball eines Cölner Patriziers eine so ausgelassene Feierstimmung herrschte wie bei den Dupois. Tanzende Gruppen zogen durch das Haus. Alle Fenster waren hell erleuchtet. Die Fassade zur Straße zierte oberhalb von vier Stockwerken ein gewölbter Giebel nach flämischer Bauart.

Es gab zwei Bühnen, auf denen Musikanten und Karnevalsgruppen auftraten. Eine befand sich im großen Saal in der ersten Etage. Die Musiker drinnen spielten so laut, als wollten sie die Gruppe draußen auf der eigens für die Feier aufgebauten Bühne übertönen. Davor drängten sich trotz der Kälte viele Feiernde. Der Alkohol machte die Temperaturen vergessen.

Die Anwesenden bestanden im Wesentlichen aus der Cölner Oberschicht. Niemand sonst erhielt eine Einladung. Margot-Caroline – als Dame des Hauses Dupois – hatte ausschließlich die reichsten und einflussreichsten Kaufleute, Ratsherren, Adligen und andere Stadtgrößen, deren Entourage sowie ihre Familien und Angehörigen eingeladen.

Es war eine lebhafte Feier, die keiner versäumen wollte. Während sich die Herren überwiegend mit ein bisschen Schminke, bunten Bändern und Gesichtsmaske begnügten, trumpften die Damen mit phantasievollen Kostümen auf. Besonders beliebt waren dieses Jahr wieder die turmhohen Perücken mit bunten Federn. Margot-Caroline hatte sich absichtlich gegen eine solche Kopfbedeckung entschieden. Sie wollte auffallen. Und als Dame des Hauses oblag es ihr, das beste Kostüm des Abends zu tragen.

Zu den Musikanten auf der Bühne gesellte sich nun eine fünfzehnköpfige Männertruppe, die sich nach ihrem Leiter Bernhard Langenfeld die »Bernadettos« nannten. Sie durften auf keinem Karnevalsball fehlen. Die Bernadettos parodierten auf besonders lustige, derbe wie frivole Art und Weise die Cölner Stadtgarde. Daher waren auch sie in rot-weiße Uniformen gekleidet. Aber schon die Kostüme waren eine Verballhornung der echten Uniformen der Garde: zu klein, zu groß, schmutzig, mit dicken Bäuchen, schief aufgesetzten oder ramponierten Hüten.

Der Auftritt stellte eine musikalische Parodie der echten Parade der Stadtgarde im Rosenmontagszug dar. Es ging hoch her auf der Bühne, besonders als sich die Gardisten im Tanz bückten und dabei von ihren Gäulen von hinten begattet wurden. Die weißen Pferde der Garde wurden natürlich von Karnevalisten mit Pferdekopfmasken dargestellt.

Das Gejohle des Publikums wurde sogar noch lauter, als vereinzelte Gardisten durch Gestöhne und Augenverdrehen ihren Gefallen daran signalisierten, von den eigenen Pferden besprungen zu werden. Das Gelächter konnte man noch zwei Straßen weiter hören. Am Schluss wollten die Soldaten ihre Treffkunst im Schießen beweisen, doch statt eines lauten Knalls gelang ihnen nur ein kräftiger Furz aus dem Allerwertesten. Die Menge tobte.

An sich mochte Margot-Caroline die Derbheit nicht, aber heute war es erlaubt und gehörte dazu. Sie freute sich, und als die Gardisten Freude am Akt mit den Pferden zeigten, war sie auch so überrascht gewesen, dass sie laut aufgelacht hatte. Das gehörte sich nun wirklich nicht! Aber daher war es auch urkomisch.

»Komm, wir feiern«, rief sie ihrem Bruder zu. Erst jetzt merkte sie, dass Hans wie versteinert neben ihr stand. »Hat es dir denn nicht gefallen?« Margot-Caroline sah, dass ihr Bruder sich beherrschen musste.

»Wieso hast du die denn eingeladen?«

»Das ist Pflichtprogramm«, konterte sie, »und außerdem war es als besonderer Spaß für dich gedacht!«

»Spaß?«

»Ja, es soll lustig sein. Du bist doch sonst nicht so. Und mal Hand aufs Herz, Hans, so ein bisschen trottelig sind deine Jungs schon manchmal«, meinte Margot-Caroline und blickte auf einen der unter den Gästen befindlichen echten Gardisten, der keine zwei Meter von ihr entfernt in den Schnee pisste.

»Und wer hat meine Garde eingeladen? Morgen melden die sich alle krank.«

»Das ist doch immer so. Das war Vaters Idee. Er dachte, dadurch steigt dein Ansehen in der Truppe.«

»Wieso glaubt er, mein Ansehen müsse steigen?«

Margot-Caroline wollte ihm beschwichtigend die Hand auf die Wange legen, doch Hans war außer sich und schlug ihre Hand weg. »Du schiebst alles auf Vater«, schrie er. »Es gefällt dir, wenn ich gedemütigt werde.«

»Das ist doch Unsinn. Und mach hier bitte keine Szene«, flüsterte sie ihm zu, da sie bemerkt hatte, dass einigen Umstehenden der Ernst des Gesprächs nicht entgangen war.

Er schaute sie durchdringend an. Was würde er als Nächstes tun? Doch dann lachte er zu Margot-Carolines großer Erleichterung übertrieben laut auf. Sie traute seinem Stimmungswechsel nicht.

Hans riss einem vorbeikommenden Feiernden den Becher aus der Hand und stürzte den Inhalt in eins hinunter. Er schleuderte den leeren Becher beiseite, zog seine Schwester zu sich heran und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich weiß schon, wie du das wiedergutmachen kannst.«