Epilog

Ich komme von einer langen Linie
aus ewigen Menschen.

Wir sind ewig.
Wir kommen und gehen und kommen wieder.

PHYLLIS PERRY

Das Universum als Straße zu begreifen

Als viele Straßen

Als Straße für reisende Seelen

WALT WHITMAN

Nachdem mein Vater in Deutschland angekommen war, nachdem er studiert und sich ins Münchner Nachtleben gestürzt hatte, wo er in schummrigen Kneipen zu den Rolling Stones getanzt und Bier aus großen Krügen getrunken hatte, nachdem er seine erste Freundin Anne verlassen hatte und aus Einsamkeit stets den Fernseher in seiner kleinen Wohnung laufen ließ, damit er Stimmen hörte, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, traf Mohammad eine junge blonde Frau mit einer riesigen Steinvase auf dem Schoß in der U-Bahn-Station Münchner Freiheit.

Mohammad trug einen Schnurrbart und weite Schlaghosen, und die junge Frau trug ein rotes Sommerkleid und Plateauschuhe, die sie mindestens zehn Zentimeter größer machten.

Er bat sie um eine Zigarette, obwohl er nicht rauchte, aber etwas Besseres fiel ihm auf die Schnelle nicht ein. Sie gab ihm eine, sie rauchten gemeinsam und stiegen schließlich in dieselbe U-Bahn. Es ist erstaunlich, wie schnell man einander seine Lebensgeschichte erzählen kann, wenn man weiß, dass man nur vier Stationen hat. Zufällig stiegen die beiden an derselben Haltestelle aus. Die junge Frau wuchtete die Steinvase auf ihre Hüfte, gab Mohammad höflich zum Abschied die Hand und marschierte davon. Doch nachdem sie sich verabschiedet hatten und ein paar Schritte in entgegengesetzte Richtungen gegangen waren, drehten sich beide gleichzeitig um und mussten lachen. Sie gingen aufeinander zu und tauschten ihre Telefonnummern aus.

Ein Jahr später waren sie verheiratet und einige Jahre danach wurden sie meine Eltern.

Es ist merkwürdig, wie viele Zufälle zusammenspielen müssen, um eine Kettenreaktion in Gang zu setzen, aus der dann beispielsweise eine Familie entsteht. Oder etwas ganz anderes.

Meine Großeltern flohen vor dem Krieg, und mein Vater floh vor dem Krieg, und wäre nicht Krieg gewesen, dann wären sie nicht geflohen, und dann hätte mein Vater nicht das Mädchen mit der Steinvase getroffen, und dann würde ich nicht hier sitzen und darüber schreiben, dass sie flüchteten und überlebten und einander trafen und dafür gesorgt haben, dass ich geboren wurde und lebe.

Eins steht fest, für diese Geschichte waren sehr viele Zufälle nötig. So viele, dass man sich am Kopf kratzt.

Ein paar Monate vor seinem Tod – ich hatte gerade damit begonnen, meine ersten unbeholfenen Schritte zu tun – schrieb mein Vater ein paar Gedanken über Gott und das Leben als solches in sein rotes Notizbuch.

Glaubst du an Gott? , steht da.

Ist Gott in uns selbst? Oder in der Liebe und in der Vergebung, die wir der Welt und einander entgegenbringen, ungeachtet unserer Rasse oder unseres Glaubens?

Ist es unser eigenes waches Bewusstsein?

Ist Gott die Natur und jedes Ding vorher und nachher? Ist es das Alles oder das Garnichts, das Große oder das Kleine, das Nahe oder Ferne oder das sich ausdehnende Universum?

Ist es du und ich und er und sie und alle? Ist Gott in den weit aufgerissenen Augen von Kindern und in ihrem Lachen?

Ist das Gott selbst, der da lacht?

Ja, ich glaube an Gott. An diesen Gott.