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Birgit stand in der Küche, als Otto nach Hause kam. Sie räumte Geschirr weg und trocknete sich die Hände an einer Schürze ab.
«Mike schläft im Wohnzimmer», sagte sie und hielt einen Zeigefinger vor die Lippen. «Er hat so gehustet. Damit wenigstens die anderen ihre Ruhe kriegen.»
«Meinst du, er steckt sie sonst an? Kannst du denn morgen zur Arbeit gehen?» Otto küsste Birgit auf die Wange.
«Warten wir ab. Habt ihr den Fall von gestern abgeschlossen?»
Otto lehnte sich an den Rahmen der Küchentür. «Mehr oder weniger. Das ist nur noch Formsache. Aber …» Er drehte sich kurz um und blickte hungrig auf den Esstisch, auf dem sein Teller und die Reste des Abendessens standen. «Das ist was, da stehst du da und begreifst es einfach nicht. Und wenn du weißt, dass du es nicht begreifst, fängst du trotzdem schon wieder an, dich zu wundern. Warum einer seine Frau die Treppe runterstößt. Und weißt du was?»
Birgit wartete.
«Die haben auch drei Kinder. Das geht doch allein schon deshalb nicht. Der kann doch so was nicht machen. Ich meine, was soll denn da passieren? Die Mama ist tot und der Papa im Gefängnis.»
«Wie alt sind die?»
«Älter als unsere. Acht, elf und vierzehn.»
«Vielleicht kennen unsere sie trotzdem von irgendwoher. Winzerla ist ja nicht weit. Komm, lass uns ins Bett gehen.» Sie zeigte auf den schlafenden Mike auf dem Sofa. «Ich bin so müde.»
Sie gingen Hand in Hand ins Schlafzimmer und zogen sich dort aus. Birgit lag schon eingerollt im Bett, als Otto sich die Unterhose über die Knöchel zog. «Die wohnen in den ganz neuen Häusern», sagte er. «Die sind wirklich noch moderner. Aber ich will nicht meckern. Wir können ja ganz froh sein. Hat deine Schwester eigentlich diese Wohnung gekriegt, auf die sie so scharf war?»
Er hörte nur noch Birgits ruhigen Schlafatem. In ein paar Minuten würde sie einen ganz leisen hohen Ton produzieren, so ein vorsichtiges Füüüt. Otto kannte es genau. Er hatte es schon oft gehört.
Als er den Kopf auf das Kissen legte, hatte er wieder die Bilder von Frau Radunek vor Augen. Denk an was anderes, sagte er sich.
Also dachte er an Marion. Wenn alles glattging, würde er sich morgen mit ihr treffen. Kurz nur. Aber er freute sich. Er sah sie vor sich, wie sie im Buchladen etwas aus dem Regal holte. Von ganz oben. Ihm wurde wohl bei dem Gedanken an sie.