36 | MO
17.10.1983
«Wenn dieser Macamo am Sonntag in den Zug nach Naumburg gestiegen ist …» Heinz fixierte Otto.
«Vier Möglichkeiten, die sich da anbieten.» Otto sah auf den Zettel vor sich. «16.58 Uhr geht ein Zug ab Saalfeld, dann der D-Zug um 17.22 Uhr, einer um 17.51 Uhr und der Letzte um 20.53 Uhr. Wenn er den Ersten oder den Letzten nimmt, dann muss er umsteigen.»
«Und dann …» Heinz blickte in die Runde im Jenaer Besprechungsraum. Er öffnete die Hände als Einladung an die anderen. Günter saß mit krummem Rücken da und sah nicht auf. Rolf hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt und starrte an die Decke. Konnie hatte seine Augen auf Otto gerichtet. Die beiden Jenaer Kollegen genauso.
«Also gut», sagte Otto. «Ihr habt ja diese Frau Stake in Naumburg gestern noch überprüft, die er besuchen wollte.» Er blickte Wasser und Radtke kurz an. «Wir wissen, dass er um 16 Uhr das Wohnheim verlassen hat. Da kann er gut den Zug kurz vor 17 Uhr genommen haben. Wenn er den verpasst hat, zum Beispiel, weil er noch irgendwen getroffen hat, dann hat er eben den Zweiten gekriegt. Die Frau am Schalter in Saalfeld haben wir gestern noch befragt. Sie kann sich nicht an Macamo erinnern.»
«Also können wir später am Tag vielleicht», sagte Heinz,
«den Zug herausfiltern, den unser Mann genommen hat. So weit, so gut. Unser Problem beginnt danach.»
«Warum hat sich Frau Stake nicht vorher gemeldet?», fragte Rolf. «Wenn der da nicht angekommen ist, musste sie sich doch Sorgen machen.»
«Sie hatten sich gestritten», sagte Andreas Wasser. «Es war gar nicht klar, ob er überhaupt kommt. Und auch nicht, wann. Und als er am späten Abend noch nicht aufgetaucht war, hat sie den Besuch als erledigt angesehen.»
«Außerdem», Konnie hob den Zeigefinger, «wusste sie nicht, dass wir einen Toten hatten. Wir haben das ja nicht nach außen gegeben.»
«Was uns also wieder auf die Frage zurückwirft, was im Zug geschehen ist.» Heinz zündete sich eine Zigarette an und inhalierte. «Irgendjemand?», fragte er, während der Rauch aus seinem Mund entwich.
«Vielleicht ist er ja gar nicht in den Zug eingestiegen.» Günter richtete sich auf. «Er hat irgendjemanden getroffen, bevor er den Fahrschein gekauft hat.»
«Aber die Leiche …», sagte Konnie leise.
«Jaja», wiegelte Günter ab. «Ich weiß. Die Leiche lag an den Schienen. Und das Schädelstück haben wir auch da gefunden. Aber lasst uns doch mal aussprechen, was wir sonst noch für Möglichkeiten sehen.»
«Was bleibt uns anderes übrig?», fragte Heinz. «Ich hatte zuerst den Eindruck, der Tote sei unter die Räder gekommen, mitgeschleift worden vielleicht. Aber das stimmt ja nicht überein mit den Verletzungen.»
Rolf stand auf, ging zum Fenster und öffnete es. «Wenn er nicht vom Zug überfahren oder mitgeschleift worden ist, und wenn er nicht im Zug gestorben sein kann, weil dort alles voller Blut gewesen sein muss, dann …» Er ließ den Satz unvollendet.
«Wenn wir auf dem Weg nicht weiterkommen», sagte Konnie nach einer kleinen Pause, in der niemand geredet hatte, «dann müssen wir eben an der anderen Seite ansetzen. Wer war das Opfer? Und wer hatte einen Grund, ihm so etwas anzutun?»
Otto wollte widersprechen. Aber ihm fiel nicht ein, wie er es anstellen sollte. Er hatte das Gefühl, dass der Schlüssel zum Fall viel mehr in der Art des Verbrechens zu suchen war. Aber man sagt ja nie alles, was einem durch den Kopf geht, dachte er.