38 | DI
18.10.1983
«Du hättest mir früher Bescheid sagen sollen.» Birgit saß am Bettrand und redete. Seine Stirn war warm. Das musste Birgits Hand sein. «Die ist ganz schön heiß. Du bist krank.»
Otto hatte die Augen noch nicht geöffnet. Er sortierte die Worte, die er gerade gehört hatte, mühevoll zu einer Einheit aus Gedanken und Gefühlen.
Früher. Ah, das war wegen der Kinder. Das verstand er. Er hatte das mit dem Kranksein erst gesagt, als er abends zu Hause angekommen war.
Warm. Nein, heiß. Das war die Hand. Draußen ist es gar nicht warm.
Krank. Wer? Wer war krank? Birgit?
«Du bist krank?», fragte er. Ganz langsam öffnete er die Augen. Aus dem Flur schien das Deckenlicht ins Schlafzimmer. Die Kinder waren wach, das konnte er deutlich hören.
«Du hättest mich anrufen können. Dafür haben wir doch das Telefon.»
«Hmhm …» Otto nahm Birgits Hand und fuhr mit ihr über sein Gesicht. Die Hand war feucht. Oder war er das? Birgit legte ihre andere Hand auf seine Brust.
«Ich hab das jetzt im Griff. Die Kinder sind schon angezogen, und wir sind gleich weg.»
Otto richtete sich auf und umarmte Birgit. Langsam wurden
die Dinge klarer. «Tut mir leid. Ich weiß, ich wäre heute dran gewesen.»
«Du bist ganz schön abwesend manchmal. Ist das der Fall?»
War er das? Abwesend. Was war noch einmal die Bedeutung von dem Wort? Geschrei im Kinderzimmer. Birgit zuckte zusammen, blieb aber sitzen und erwiderte seine Umarmung.
«Abwesend?», fragte Otto. Er war viel weg gerade, das stimmte. Dann fiel ihm ein, dass das ja genau das bedeutete. Weg sein … Das war genau genommen Abwesenheit. Oder? Oh Gott. Wie viel Uhr war es? Er war noch so müde.
«Ja, Schatz. Und manchmal wirkst du so, als wärst du … Ich weiß auch nicht, wie ich das sagen soll. So elektrisch. So … ja, mehr unter Strom als sonst.»
Wenn Birgit gleich mit den Kindern aus dem Haus ging, dann war es nun kurz nach halb sechs.
«Bestimmt der Fall. Das ist eine eklige Sache.» Otto verschränkte die Hände hinter Birgits Rücken. Hielt sie richtig fest. Ganz kurz tauchte Marions Bild in seinem Kopf auf, das er aber wieder verdrängte. «Ich kann da nicht so viel drüber sagen.»
«Darfst du ja auch gar nicht.»
«Hmhm. Darf ich eigentlich nicht.»
«Hast du schon überlegt, ob du zum Betriebsfest mitkommen kannst?»
«Wann war das noch mal?»
Otto spürte Birgits Atem auf seinem Rücken. Er war eiskalt. «Ach ja», sagte er. «Nächste Woche. Hab ich gar nicht vergessen. Ist nur, weil ich noch nicht wach bin.»
«Und?»
«Kann ich dir heute Abend Bescheid sagen?»
«Klar.» Birgit löste die Umarmung und stand auf. «Schlaf
noch was. Kannst ja jetzt noch eine Stunde. Bleib lieber ganz liegen, bis es dir bessergeht. Ich hab dich lieb.»
«Ich dich auch.»