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Conde war ein kräftiger Mann mit dünnem Bart unter der Nase und Scheitel im kurzgeschorenen Haar. Seine Jeans hatte mächtig Schlag und sah nicht aus, als hätte er sie in der Abteilung Jumo erworben. Der Kragen seines braunen Hemdes war spitz und akkurat gebügelt, als käme er nicht von einer Schicht, sondern von der Disco am Samstagabend. Er saß auf einem Stuhl in der Mitte des Büros im kleineren Wohnheim am Bergfried am Rand von Saalfeld. Unter dem Hemd waren die Muskeln an Brust und Oberarmen deutlich zu sehen.
«Wie war Ihre Beziehung zu Teo Macamo?», fragte Andreas Wasser, der vor dem Mosambikaner stand.
Conde hob den Kopf und sah den Betreuer an. Der lehnte an der Wand, trug eine enge Anzughose zu weißem Hemd und einen nicht ganz akkurat geschnittenen Vollbart. Der Afrikaner löste die ineinander verschränkten Finger kurz, um sie dann doch wieder zueinanderzuführen.
«Die können ja meistens noch gar nicht so viel Deutsch», sagte der Betreuer, als Conde gerade anheben wollte zu reden. Nach dem Kommentar beugte er sich erst einmal nach vorn und legte die Handballen auf die Knie.
«Wartet mal.» Otto hob beide Hände zur gleichen Zeit. Er ging zum Betreuer und sagte leise: «Können wir den Raum ein paar Minuten für uns allein haben?»
Der sah eine Sekunde lang beleidigt aus. Dann fing er sich aber. «Natürlich», sagte er.
Als sie das Zimmer für sich hatten, holte Otto den Stuhl des Betreuers hinter dem Schreibtisch hervor und stellte ihn so für Wasser hin, dass er und Conde einander gegenübersaßen. Dann lehnte er sich selbst an den Schreibtisch und gab seinem Kollegen das Zeichen weiterzumachen.
«Teo Macamo», sagte Wasser.
Conde sagte keinen Ton. Er atmete lange ein, dann wieder aus. Dann öffnete er die Hände und atmete wieder lange ein. Wasser kratzte sich am Knie.
Eine Träne floss an der Nase des Afrikaners entlang.
Wasser blickte sich zu Otto um. Was soll ich tun?
Otto schloss die Augenlider für eine Sekunde. Warte doch einfach.
Conde wischte sich über das Gesicht. «Wir sind zusammen hier angekommen», sagte er sehr langsam. Er stotterte ein bisschen beim letzten Wort.
«In der DDR ?», fragte Wasser. Otto hätte noch ein wenig gewartet, anstatt nachzufragen.
Conde nickte. «DDR », sagte er.
«Aus Mosambik.»
Conde nickte. «Aus Chimoio», sagte er. «Wir kommen aus derselben Stadt.»
Chimoio, das hatte er in der Akte von Macamo gesehen. Ein Dorf irgendwo in Mosambik. Oder eine Stadt.
«Wir sind zusammen hier angekommen», sagte Conde wieder. Und wieder stotterte er bei «angekommen» ein bisschen, beim Übergang vom G zum K. «Das war 1981.» Er erzählte die Geschichte von fünf jungen Männern, die in die DDR gekommen waren und hier in unterschiedlichen Städten arbeiteten. Zwei von ihnen waren in der Hauptstadt gelandet, einer in Frankfurt und er und Macamo in Saalfeld.
Der Betreuer steckte kurz seinen Kopf durch die Tür. Otto bedeutete ihm, dass er noch warten sollte.
Sie alle hatten den Kontakt gehalten in den beiden Jahren, besuchten sich regelmäßig, erzählte Conde. «Man muss zusammenhalten», sagte er und sah zum ersten Mal auf. Er wartete auf Bestätigung.
«Natürlich muss man zusammenhalten.» Otto setzte sich auf den Schreibtisch. «Klar muss man das. Wann haben Sie denn den Teo Macamo zum letzten Mal gesehen?»
«Als Teo nach Naumburg wollte», sagte Conde. Das war nichts Neues für sie. Conde bestätigte auch das Datum.
«Gab es denn Probleme?», fragte Andreas Wasser. «Am Arbeitsplatz zum Beispiel.»
Conde schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf irgendetwas, das er beim Blick durch das Fenster sah. «Alle sind nett zu uns. Hier.» Dann beschäftigte er sich wieder mit seinen Händen.
«Aber es hat auch mal irgendwo Streit gegeben.» Otto probierte es einfach.
Die Hände suchten nach irgendetwas. Dann öffnete Conde den Mund. Und schloss ihn wieder. Wasser drehte den Kopf. Otto senkte die Lider wieder.
Zeit verging.
«Ein Mann war da …» Conde sprach zum Fußboden. «Er hat … sehr geschimpft. Er war … böse. Sehr böse.»
«Wann war das?», fragte Wasser.
«Drei Monate?», fragte Conde zurück, als wisse er es selbst nicht so genau.
«Und wer war der Mann?», fragte Otto.