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«Heinz sollte gleich hier sein», sagte Günter, als er sich hinsetzte. «Wir haben eben telefoniert. Er ist vor einer Stunde aus Gera losgefahren.»
Die erweiterte MUK
hatte sich in einem engen Besprechungsraum im Saalfelder Polizeigebäude versammelt. Ein Fenster nach draußen führte in einen Hof. Die schmutzig-braune Brandmauer dahinter war alles, was dort zu sehen war. Um den kleinen Tisch herum standen sieben Stühle, der Raum war damit komplett ausgefüllt.
«Irgendetwas Wichtiges?», fragte Andreas Wasser und tippte Günter auf die Schulter.
Der hob kurz die Schultern.
Rolf zündete sich eine Zigarette an und gab das Streichholz an Radtke weiter. Der hielt seine frisch Angezündete Konnie
hin, der seine Zigarette zum Glühen brachte. Andreas Wasser zeigte auf Günters Packung, der sich eine herausfischte, bevor er sie über den Tisch schob. Otto war der Letzte, der anfing zu rauchen. Niemand sagte ein Wort.
Er wäre gern der Spur gefolgt, auf die dieser Conde sie hingewiesen hatte. Das war eine physische Sache. Der Tag war lang, oder besser: Sie waren schon lange auf den Beinen. Die Gewissheit, was mit Macamo geschehen war, erfüllte sie alle mit Energie, die genutzt werden wollte. Für das, was mit dem Mosambikaner geschehen war, durfte in einem Land wie der DDR
kein Raum sein. Genau genommen war dafür natürlich in keinem Staat der Welt Platz. Dass ein Individuum ein anderes ums Leben brachte.
Günters Vortrag vom Morgen hatte aber auch noch andere Kräfte freigesetzt in ihnen allen. Man konnte die Irritation spüren, greifen, die durch sie hindurchsickerte. Wenn wirklich einmal etwas passierte in der DDR
, dann war das die absolute Ausnahme und hatte beinah immer mit Kontrollverlust zu tun. Und das war nicht der Kontrollverlust der Gesellschaft. Es war der des Einzelnen. So wie diese Geschichte mit Radunek. Der arbeitet Jahr um Jahr und ist ein wertvolles Mitglied des Kollektivs und der Gesellschaft … bis er es nicht mehr ist. Ob der Radunek das wohl auch selbst so gesehen hatte, fragte sich Otto.
Die Tür hinter ihm wurde leise ins Schloss gedrückt.
«Entschuldigt, dass ihr warten musstet», hörte er Heinz’ Stimme. Otto drehte sich um, blickte in dessen altes und erschöpftes Gesicht. «Lasst uns die Dinge zusammenfassen», sagte Heinz und setzte sich zwischen Günter und Radtke.
«Irgendetwas?», fragte Rolf.
«Irgendetwas ist immer. Da reden wir später drüber.» Heinz zeigte auf den Fragenden. «Erzähl einfach.»
Rolf zuckte kurz mit den Schultern. «Wir waren…», er sah
Radtke an, «wir waren in der WEMA
. Und viel haben wir nicht rausgekriegt. Wir sollten sie einzeln vorführen.»
«Aber …» Günter drehte den Hals und blinzelte in die Runde. «Immerhin haben wir erfahren, dass es einen Streit gegeben hat, in den der Tote verwickelt gewesen sein soll. Es soll um einen Mann in der Stadt gehen, der dem Toten vorgeworfen hat, sein Bier getrunken zu haben.»
«Sein Bier?», fragte Heinz.
«Im Pappenheimer
. An irgendeinem Wochenende.»
«Das ist eine Kneipe», sagte Rolf.
«Das weiß ich. Und was hat sich daraus ergeben?»
«Die beiden haben sich geschlagen.» Rolf
«Und wer hat gewonnen?»
«Das ist nicht klar», sagte Günter. «Aber einer von den Afrikanern hat gesagt, dass der Kontrahent dem Toten geschworen hat, ihn umzulegen.»
«Kann er denn sagen, um wen es sich gehandelt hat?» Heinz bewegte die Hand im Kreis. Redet doch einfach weiter.
«Kann er nicht», sagte Rolf.
Heinz blickte zur Seite. «Sonst was?»
«Nichts, was irgendwie Bedeutung zu haben scheint.»
Heinz linste mit müden Augen in die Runde «Davon haben wir auch gehört», sagte Konnie. «In dem Wohnheim, in dem der Tote gelebt hat, haben sie sogar überlegt, den Mann zu stellen. Der Betreuer sagt, dass ihm einer aus dem Nebenzimmer vom Toten gesteckt hat, dass es da eine Gruppe im Wohnheim gegeben hat, die überlegte, zu dem zu gehen und ihm eine Abreibung zu verpassen.»
«Also ist er bekannt?»
«Das wusste der Betreuer nicht.»
«Er ist bekannt», sagte Otto. «Er arbeitet am Stellwerk bei der Reichsbahn. Und wir kennen seinen Namen.»
«Er arbeitet bei der Bahn?» Heinz stand schon von seinem Stuhl auf.