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Das Stellwerk befand sich auf der dem Bahnhof gegenüberliegenden Seite der Schienen. Sie hielten mit zwei Wagen hinter dem kleinen Backsteinbau. Otto hatte beim Bahnhofsvorsteher angerufen, der ihm mitgeteilt hatte, dass Frank Tzschoppe gerade Dienst hatte. Es war dunkel geworden, und die meisten Laternen auf dieser Seite des Bahnhofsareals waren kaputt. Aus dem ersten Stock drang auch nicht viel Licht. Von dort musste der Blick nach draußen möglich sein, da war zu viel Licht im Inneren nur hinderlich.
Konnie öffnete die Tür leise und betrat das Stellwerk.
«So vorsichtig brauchst du gar nicht zu sein.» Rolf stand hinter ihm. «Wo soll er denn hin? Das ist der einzige Zugang.»
«Eben.» Heinz folgte ihm durch die Tür und dann zur Treppe, die gleich daneben nach oben führte. Otto hielt die Tür offen und folgte als Letzter in den kleinen Bau. Und er hatte erst die Hälfte der Stufen nach oben genommen, als er den Abfall der Spannung unter den Genossen bemerkte. Heinz’ Stimme ging in Ton und Lautstärke nach unten, während er redete.
«Hauptmann Thiel von der Morduntersuchungskommission», hatte er noch laut gesagt, bevor er weitermachte. «Sind Sie Frank Tzschoppe? Wir müssen mit Ihnen reden.» Jedes Wort weniger betont als das vorherige.
Eine Stimme, die er nicht kannte, sagte: «Ja, das bin ich.» Der Mann redete mit starkem thüringischem Einschlag.
Otto war nun auch oben angekommen. Der Blick aus dem kaum beleuchteten Raum war nach drei Seiten völlig frei. Auf
den Bahnsteigen trieb sich niemand herum. Den dünnen Mann, der bei Heinz stand, konnte man fast übersehen. Er war kaum größer als ihr Chef, hatte eine leicht gebeugte Körperhaltung und einen weißen Haarkranz. «Ich muss mich gerade noch um einen Güterzug kümmern», sagte er.
Dann bewegte er sich langsam auf die Anlage zu, die an der Fensterfront zu den Gleisen hin angebracht war. Tzschoppe hatte ein steifes Bein. Gerade setzte er sich auf einen Schemel und streckte das Bein, das er offensichtlich nicht beugen konnte, aus. Seine Statur, die physische Verfassung und das Alter schlossen ihn einfach aus. Wenig wahrscheinlich, dass er sich auf Teo Macamo geworfen und ihn aus dem fahrenden Zug gehalten hatte. Das hieß nicht, dass sie ihn nicht gründlich überprüfen mussten. Vielleicht hatte er andere geschickt.
Nur eins war klar. Wenn eine ganze Gruppe erfahrener Mordermittler angesichts eines Verdächtigen tiefe Enttäuschung ergriff, dann geschah das nicht grundlos. Heinz stand neben Tzschoppe, um mit ihm zu reden, sobald er seine Arbeit gemacht hatte, während sich die anderen schon zur Treppe hin bewegten.
«Wir könnten bei der WEMA
weitermachen, das ist ja gleich hier vorn», sagte Heinz später, als sie wieder draußen zwischen den Autos standen. «Gearbeitet wird da ja immer. Aber es war ein langer Tag. Wir brauchen den Schlaf. Und morgen …» Er zeigte auf Otto. «Hast du diese Frau», er musste einen Moment lang überlegen, «diese Frau Stake in Naumburg erreicht?»
Otto nickte.
«Bist du sicher, dass es sich lohnt, sie ein zweites Mal aufzusuchen?»
«Ich will es wenigstens probieren. Da sind ein paar neue Fragen wegen der Bahn.»
«Fährst du allein?»
Otto nickte wieder.
«Gut. Alle anderen morgen zur WEMA
. Wie kommen wir nach Hause?» Heinz schaute fragend in die Runde.