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Otto fand die Autos der Kollegen vor einer Halle der Werkzeugmaschinenfabrik ganz unten im Saaletal. Er betrat einen zweistöckigen Backsteinbau durch eine stählerne Doppeltür und ging einen Gang hinab. Ein Mann im grauen Kittel sah ihn und zeigte auf eine weitere Doppeltür, und schon stand er in einer großen Produktionshalle. Ein regelmäßiges Ssssst-Kadamm musste von irgendeinem Produktionsprozess herrühren. Der zweite Ton des Kadamm schlug hart in seinem Ohr auf.
Auf seiner Seite einer Produktionsstraße arbeitete eine Gruppe schwarzer Männer mit grauen Kitteln und Ohrenschützern, auf der anderen standen Günter und Radtke und vertraten sich die Füße. Auch sie trugen diese Dinger. Der Lärm schmerzte.
Drei nebeneinanderliegende Büros am Rand waren hell erleuchtet. Von innen konnte man durch die Glasfenster die Arbeit in der Halle betrachten. Die ersten beiden Büros spärlich besetzt, im dritten und letzten entdeckte Otto Heinz und Konnie im Gespräch mit einem älteren weißhaarigen Mann. Der graue Kittel, den er trug, wirkte sauberer und neuer als die, die Otto bisher gesehen hatte. Heinz hatte ihn nun auch entdeckt und winkte ihn mit einem Finger herein.
«Otto», sagte er. «Das ist der Genosse Teuer. Er ist der Schichtleiter.»
Otto betrachtete den alten Mann, dem Haare aus der Nase wuchsen. «Wird hier rund um die Uhr produziert?»
Der Mann nickte. «Wir können uns nicht leisten, dass die Maschinen stillstehen.» Teuer sah ihn kaum an, als er das sagte.
«Und?» Otto beugte sich über den Schreibtisch und wartete auf eine Antwort der Kollegen.
Heinz lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. «Niemand sagt irgendetwas Schlechtes über die Afrikaner.»
Teuer nickte mehrere Male. «Keiner», sagte er.
Heinz spießte ihn mit seinem Blick auf: «Können Sie uns ein paar Minuten allein lassen?», fragte er leise.
«Natürlich», sagte der Alte, stand auf und ging auf die Tür zu. Im Türrahmen drehte er sich um. «Ihr habt ja schon mit ein paar von den Schwarzen geredet. Wenn ihr da noch einmal meine Hilfe braucht …»
Als die Tür zu war, beugte sich Heinz nach vorn. «Keine Konflikte, kein Streit, diese Afrikaner sind alle fleißig und höflich, die mussten natürlich alles erst mal lernen hier, das sind die ja gar nicht gewohnt, so eine Arbeit, wie wir sie hier machen, aber ansonsten ist alles in Ordnung.»
«Nichts?» Otto setzte sich auf den Stuhl, auf dem Teuer eben gesessen hatte.
«Doch.» Heinz blickte aus dem Fenster auf die Produktionsanlage. «Man muss den Leuten nur zuhören. Was sie sagen, ist das eine. Und dann ist da das, was sie meinen. Ich will da nicht ins Detail gehen. Wir sind ja noch ganz am Anfang. Aber eine Sache gibt es da, die müsst ihr bald verfolgen. Warum macht ihr das nicht zusammen?» Er blickte zu Konnie.
«Da ist ein Lokal hier in Saalfeld.» Konnie kramte einen Zettel aus der Jackentasche. «Johannisklause . Da treffen sich die Afrikaner. Also, da treffen sich alle. Aber auch die Afrikaner. Und da hat es vorige Woche eine Prügelei gegeben. Wegen den Frauen, sagen einige der Genossen hier.»
«Wegen welchen Frauen?», fragte Otto.
«Na ja, eigentlich wegen den Frauen von den Genossen, denen von hier.»
Otto wartete.
«Einige der Genossen meinten, dass die Afrikaner da nicht genügend Respekt gezeigt hätten.»
«Den Frauen gegenüber?»
«Ja», sagte Konnie. «Weil das doch die Frauen von den Genossen sind.»
«Ist da jetzt auf?», fragte Otto.
«Da ist immer auf», sagte Heinz. «Am besten fahrt ihr gleich rüber. Konnie kennt den Weg.»