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Radtke und Andreas Wasser waren die Letzten, die am frühen Nachmittag in dem Büro ankamen, in dem Otto immer noch saß und rauchte. Die anderen hatten gewartet, ebenfalls geraucht, Kaffee getrunken. Konnie saß auf einem Stuhl in einer Ecke, die von außen nicht einsehbar war, und hatte den Kopf auf die Brust sinken lassen. Otto konnte nicht erkennen, ob er schlief oder nur sehr entspannt war.
«Unser Mann», sagte Radtke, als er die Bürotür geschlossen hatte, «ist später zu der Schlägerei gekommen als die anderen.» Die beiden hatten den Zeugen vernommen, der in der Schokoladenfabrik arbeitete. «Er sagt, die beiden Gruppen hätten schon auf der Straße gestanden.» Radtke zog einen Zettel aus der Jacke. «Er sagt, die hätten, das ist ein Zitat, sich nichts geschenkt. Er war noch in Neustadt bei einem Geburtstag, wohnt aber in Saalfeld.»
«Wie ist er von Neustadt dahin gekommen?», fragte Günter.
«Mit seinem Trabant.» Wasser übernahm. «Er sagt, dass die Kollegen von der Schutzpolizei kurz nach ihm gekommen sind. Da hätte sich die Keilerei dann sowieso schnell aufgelöst.»
«Zu wie vielen waren die denn?», fragte Otto. «Die Kollegen.»
«Zuerst zwei», sagte Heinz, «dann vier. Ich hab eben noch mit dem Einsatzleiter gesprochen. Andreas?»
«Ja.» Wasser nahm den Faden wieder auf. «Er sagt, als er angekommen ist, gab es eine Runde, die sich um eine Gruppe versammelt hat, wo geprügelt wurde. Das waren Deutsche und Afrikaner. Und dann gab es ein paar Leute, die sind hinter einem hergelaufen. Deutsche, die einen Afrikaner verfolgt haben.»
«Und was ist daraus geworden?», fragte Otto.
«Er weiß es nicht», übernahm Radtke wieder. «Vier Leute sind dann wieder zurückgekommen. Aber der Afrikaner nicht. Der ist geflüchtet.»
«Das kann aber nicht der Tote gewesen sein.» Konnie war auf jeden Fall wach. «Den haben die Kollegen ja dort angetroffen. Wenn der eine geflüchtet ist, dann ist der wohl nicht auf dieser Liste. Was immer aus dem geworden ist.»
«Da ist noch eine Sache, die ihr wissen müsst», sagte Andreas Wasser. «Der Zeuge meint, dass einer von denen, die zurückgekommen sind …» Er zeigte auf Radtke.
«Ja.» Radtke hielt den Zettel ins Licht. «Der soll gesagt haben: ‹Ich schlag ihm den schwarzen Schädel ein, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.›»
«Das war nicht dieser Leber?», fragte Otto.
Radtke schüttelte den Kopf. «Bernd Franke heißt der. Arbeitet auch bei der WEMA , ist aber erst am Montag wieder auf Schicht. Und …»
«Dann holen wir uns den.» Otto stand auf. «Adresse gibt es, nehme ich an.»
«Adresse ist da. Aber der ist auf Besuch in Finsterwalde. Eine Beerdigung. Vor morgen Abend ist der nicht zurück.»
«Lassen wir ihn eben in Finsterwalde festnehmen?» Otto stand noch.
Heinz schüttelte den Kopf. «Abwarten. Wir haben hier genug zu tun. Die Liste ist noch lang, und mit den Afrikanern haben wir noch gar nicht angefangen. Ich schlage vor, wir verschieben diesen Franke auf Montag. Und morgen haben wir frei. Es ist Sonntag. Wir haben eine lange Woche gehabt.»
Otto konnte sich wirklich nicht erinnern, mitten in einer Morduntersuchung je einen ganzen Tag frei gehabt zu haben. Er guckte in die Runde. Wenn die anderen genauso dachten, zeigten sie es allerdings nicht.